30.01.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 210 / Tagesordnungspunkt 20

Marlene SchönbergerDIE GRÜNEN - Innere Sicherheit - Bekämpfung von Kriminalität

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! In den letzten Tagen habe ich Fragen gestellt bekommen, die es eigentlich nicht geben sollte. Beim Schabbat-Essen in der jüdischen Gemeinde wurde ich gefragt: „Wieso verstehen so wenige, was in diesem Land passiert? Wieso sind so viele so gleichgültig?“ Im Altersheim: „Jeden Tag pflege ich alte Menschen. Meinen die auch mich?“ In der Sprechstunde: „Ich habe nächste Woche den Termin für die Einbürgerung. Kommt der zu spät?“ Im Freundeskreis: „Wir haben gerade erst geheiratet. Müssen wir Angst haben, dass unsere Ehe annulliert werden könnte, weil wir zwei Frauen sind?“ An der Hochschule in meinem Wahlkreis: „Kann es passieren, dass meinem Kind der korrekte Geschlechtseintrag aus dem Personalausweis wieder weggenommen wird?“

(Zuruf von der AfD: Der korrekte Geschlechtseintrag?)

Und immer wieder die Frage: Wo sollen wir hin, wenn es so weitergeht? Die Menschen fragen das, weil es offensichtlich ist, wie sich die extreme Rechte radikalisiert.

(Zuruf von der AfD: Die Menschen fragen sich, ob sie noch auf die Straße gehen können!)

Sie fragen das, weil sie verzweifelt sind. Dass ausgerechnet die Partei, die aktuell die größte Bedrohung für unsere Sicherheit verkörpert – den Rechtsextremismus –, hier nicht nur Anträge zur inneren Sicherheit einbringt, sondern sich auch erneut als Verteidigerin von Jüdinnen und Juden inszeniert, ist mehr als lächerlich. Es ist unerträglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Hess [AfD]: Sie sind das! Nicht wir!)

Ich will daran erinnern, dass der Zentralrat der Juden ausdrücklich vor der AfD warnt, dass die israelische Regierung diese Partei nicht empfängt und dass der Leiter der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem nach Kritik an einem privaten Besuch von zwei AfD-MdBs sagte, Yad Vashem sei – Zitat – „offen für alle, einschließlich Antisemiten“. Egal wie sehr die AfD sich bemüht: Ihre Täuschungsmanöver werden wir Ihnen niemals abnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Partei, die nach der Pfeife von Autokraten tanzt, eine Partei, die dem Kreml Tür und Tor öffnen will, eine Partei, deren Verbindungen zum Rechtsterrorismus unübersehbar sind, verdient im Kontext innerer Sicherheit nur eines: kompromisslose Entlarvung und entschlossene Bekämpfung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Eines muss ich heute ansprechen. Das Gedenken an den Nationalsozialismus, an die Shoa in diesem Land, findet meistens ritualisiert statt. Was meine ich damit? Man gedenkt, weil es üblich ist, zu den Gedenktagen, weil man das eben macht. Menschen sagen „Nie wieder!“, ohne wirklich darüber nachzudenken, wie dieser Satz weitergeht. Nie wieder – was eigentlich? Verständnis für die Kontinuität des Antisemitismus, des Rassismus und anderer Ideologien bleibt meistens aus. Die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte bleibt meistens aus.

Wer mich kennt, weiß, dass ich das in der Vergangenheit oft kritisiert habe. Aber der gestrige Tag hat alles übertroffen, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Wir kann man es bitte mit seinem Gewissen vereinbaren, nur zwei Stunden nach dem Gedenken an die Ermordeten des Nationalsozialismus Mehrheiten mit Rechtsextremen zu suchen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

zwei Stunden, nachdem man die eindringlichen Worte eines Zeitzeugen gehört hat, zwei Stunden, nachdem man Überlebenden applaudiert hat? Dann Mehrheiten zu suchen mit Leuten, die nicht nur einen Schlussstrich ziehen wollen, sondern die den deutschen Massenmord und den Vernichtungskrieg relativieren, umdeuten und leugnen, die die Opfer verächtlich machen, die stolz NS-Losungen verbreiten oder SS-Täter normalisieren – wie geht das? Wie kriegt man das hin? Wie kriegt man das fertig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Ich kann es nicht verstehen, und ich werde es niemals verstehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthilde Wittmann [CDU/CSU]: Weil ihr nicht mitgemacht habt, und zwar ausschließlich aus wahltaktischen Gründen! Kaltschnäuziger geht es gar nicht!)

Wer mich kennt, weiß auch: Ich habe in den letzten Jahren oft davon geredet, dass wir alle Demokratinnen und Demokraten brauchen, um unsere Demokratie gegen ihre Feinde im Inneren und Äußeren zu verteidigen. Dafür – davon bin ich fest überzeugt – brauchen wir auch die Konservativen, nach wie vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie geben vor, die Sorgen und Ängste der Menschen in diesem Land ernst zu nehmen.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Wir geben das nicht nur vor! Das ist so! – Lachen der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Gegenruf des Abg. Michael Sacher [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich nicht! – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Genau! Weil es einem so ernst ist, stimmt man mit der AfD! – Gegenruf der Abg. Mechthilde Wittmann [CDU/CSU]: Und weil es euch so ernst ist, stimmt ihr nur aus taktischen Gründen nicht mit uns! Das ist widerwärtig!)

Bitte tun Sie das! Ihre Lösungen beim Thema Migration sind keine. Ihre Anträge zu Asyl und Migration bringen keine innere Sicherheit. Das Einzige, was sie hinterlassen, sind Angst, Verzweiflung und den Applaus der extremen Rechten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sehr viele Menschen in diesem Land machen sich Sorgen. Sie haben Angst. Darunter sind all die Menschen, die ich eingangs zitiert habe und die ein fester Teil dieser Gesellschaft sind. Ich appelliere an Sie: Kehren Sie um, wenn Sie unsere Demokratie noch wiedererkennen wollen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Kehren Sie um! – Volker Münz [AfD]: Die Opfer von Magdeburg und Aschaffenburg haben Sie mit keinem Wort erwähnt!)

Marc Henrichmann für die Unionsfraktion ist der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7628862
Wahlperiode 20
Sitzung 210
Tagesordnungspunkt Innere Sicherheit - Bekämpfung von Kriminalität
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