Thomas RöwekampCDU/CSU - Abschluss der Beweisaufnahme im 1. UA (Afghanistan)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir den Abschlussbericht erst Mitte Februar an das Präsidium des Deutschen Bundestages übergeben werden, ist heute Zeit und Gelegenheit, mit den wesentlichen Erkenntnissen aus unserer von dem Kollegen Stegner geschilderten aufwendigen Tätigkeit Bilanz zu ziehen. Ich möchte das mit vier Themen tun:
Erstens. Die deutsche Politik hatte auf den Zeitpunkt des Abzugs der militärischen Kräfte aus Afghanistan keinen Einfluss. Weder bei den Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den Talibanrebellen noch danach hat deutsche Diplomatie einen Zugang zu dem Thema gelegt bekommen. An guten Absichten hat es nicht gefehlt. Deutschland hat bis zum Schluss dafür gekämpft, dass es keinen bedingungslosen Abzug der internationalen Truppen, sondern einen bedingungsgebundenen Abzug gibt. Diese Idee, diese, ich glaube, auch für die Menschen in Afghanistan überzeugende diplomatische Auffassung Deutschlands konnte gegenüber den Amerikanern nicht durchgesetzt werden.
Was lernen wir daraus? Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir bei internationalen Missionen wie der in Afghanistan, insbesondere wenn sie so lange dauern und auch zu so vielen Erfolgen im Land geführt haben, politisch eine eigenständigere Rolle spielen müssen und wir das politische Gewicht, das wir haben, nicht nur in unserem Verhältnis zu unseren Bündnispartnern, sondern insbesondere auch gemeinsam in Europa formulieren müssen. Es muss eine europäische gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik geben, die sich auch mit solchen Einsätzen inhaltlich befasst.
Die zweite Erkenntnis ist: Die Bundeswehr hat hervorragend gearbeitet. Das gilt nicht nur für den 20 Jahre dauernden Einsatz in Afghanistan, an dem sich insgesamt 160 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligt haben und mit dem sie nicht nur den ursprünglichen Auftrag, dass von Afghanistan kein Terrorismus mehr ausgehen soll, erfüllt, sondern darüber hinaus auch humanitär viel wertvolle Arbeit in Afghanistan geleistet haben. Deutsche Soldatinnen und Soldaten haben dazu beigetragen, Menschenleben zu retten und Wasser- und Energieversorgung breiter aufzustellen. Sie haben dafür gesorgt, dass junge Mädchen zur Schule gehen konnten. Sie haben dafür gesorgt, dass Frauen arbeiten gehen konnten. Sie haben für Stabilität in Afghanistan gesorgt. Umso bedauerlicher ist es, dass es am Ende nicht gelungen ist, das an die afghanische Selbstverwaltung zu übergeben. Aber der Einsatz, meine Damen und Herren, war nicht umsonst; Deutschland hat den Menschen in Afghanistan geholfen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Bundeswehr hat auch die Rückverlegung des eigenen Truppenkontingents trotz schwieriger Umstände in hervorragender Weise umgesetzt. Die Zeitpläne verschoben sich immer wieder. Trotzdem ist es Deutschland gelungen, die deutschen Soldatinnen und Soldaten ohne Verluste und ohne Gefährdungen für die eigene Sicherheit bis Ende Juni 2021 nach Deutschland zurückzubringen. Damit war die militärische Mission in Afghanistan beendet.
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben auch danach in vorbildlicher Weise eine humanitäre Verantwortung in Afghanistan wahrgenommen. Sie haben sich um ihre Ortskräfte, ihre lokal Beschäftigten, sehr rechtzeitig und sehr engagiert gekümmert. Im Ergebnis konnten die meisten Ortskräfte der Bundeswehr tatsächlich unbeschadet das Land verlassen. Sie haben andere dabei unterstützt, auch ihre humanitäre Verantwortung wahrzunehmen. Sie haben dafür gesorgt, dass auch Ortskräfte anderer Behörden und Institutionen in Afghanistan durch die Tätigkeit der Bundeswehr schnell an Ausreisevoraussetzungen kommen konnten. Und natürlich haben sie auch diese Menschen im Rahmen der militärischen Evakuierungsoperation mitgenommen.
Ich werde nie vergessen, wie junge Soldaten bei uns im Untersuchungsausschuss über ihre Arbeit in diesen heißen Tagen am Flughafen in Kabul berichtet haben. Ich erinnere mich an den 29-jährigen Feldwebel, der uns im Ausschuss eindrücklich geschildert hat, dass er am Flughafen in Kabul alles erlebt hat, was man als Soldat erleben kann: Tod, Verwundung, Misshandlung mit Fahrradschläuchen, Peitschen, Maschinen. Er hat gesehen, wie Kindern mit dem Gewehrkolben in die Brust gestoßen wurde. Und er hat gesagt, er habe noch nie in seinem Leben so viele Männer und Frauen weinen sehen. Ich bin sehr dankbar, dass dieser Soldat und seine Kameradinnen und Kameraden in dieser chaotischen Situation teilweise unter Hinnahme einer eigenen Gefährdung vor die Tore gegangen sind, um nach Schutzbedürftigen Ausschau zu halten und sie zu evakuieren. Sie haben an dieser Stelle nicht nur Menschliches, sondern Übermenschliches geleistet. Vielen herzlichen Dank!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Joachim Wundrak [AfD])
Die dritte Erkenntnis ist: Wir haben uns um unsere Ortskräfte, also Menschen, die in Afghanistan für uns und unsere Sicherheit gearbeitet haben, nicht hinreichend gekümmert. Es gab zum Teil gute Gründe: Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben ganz lange, eigentlich bis Mitte August, gehofft, dass sie trotz des militärischen Rückzugs aus Afghanistan mit humanitärer Hilfe weiter vor Ort den Menschen helfen können. Deswegen haben sie – aus unterschiedlicher Motivation, vielleicht auch aus zu viel Verständnis für die Verhältnisse vor Ort – davon Abstand genommen, sich rechtzeitig um die Evakuierung dieser Ortskräfte zu kümmern.
Die damalige Bundesverteidigungsministerin, die Bundeswehr, aber auch die Bundeskanzlerin haben sehr früh und immer wieder darauf gedrungen, dass Deutschland wie andere Nationen sehr früh die Verantwortung für die Evakuierung aller Ortskräfte übernimmt. Ja, es kann sein, dass die Botschaft „Auch Deutschland evakuiert seine Ortskräfte“ das Signal in das Land gesendet hätte: Jetzt verlassen uns auch noch die Deutschen. – Ich bin mir aber sicher, dass zu einem verantwortungsvollen Umgang mit einer Auslandsmission der Bundeswehr eben auch gehört, dass es einen Plan B gibt. Wir müssen immer darauf vorbereitet sein, dass die Mission, die wir ausüben, frühzeitig beendet wird und es deswegen erforderlich ist, alle, die uns geholfen haben, zu evakuieren, sie mit nach Deutschland zu nehmen.
Ich will daran erinnern, dass zu Beginn der militärischen Evakuierungsoperation das Auswärtige Amt noch davon ausging, dass die Bundeswehr 300 deutsche Staatsangehörige aus Afghanistan ausfliegen soll. Am Ende haben wir über 5 000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen, nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern Angehörige fast aller Nationen. Auch das ist eine gewaltige deutsche Leistung, auch wenn es uns am Ende nicht gelungen ist, allen Menschen den Schutz zu bieten, den wir ihnen hätten garantieren müssen.
Und die letzte Erkenntnis ist: Die deutsche Nachrichtenlage war – entgegen Ihrer Feststellung, Herr Kollege Stegner – nicht falsch. Niemand hat den Sturz des Regimes so schnell und schon gar nicht an diesem Wochenende im August vorhergesehen. Alle haben damit gerechnet, dass es zu einem Zusammenbruch in Afghanistan kommen wird und dass es dafür bestimmte Voraussetzungen geben kann. An der Nachrichtenlage hat es jedenfalls nicht gelegen, dass wir das Land so unkoordiniert verlassen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke für das Vertrauen, das Sie in uns gesetzt haben, in diesem Ausschuss die notwendige Aufklärungsarbeit zu versehen. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen für die ungewöhnlich sachliche Arbeit in einem Untersuchungsausschuss. Und ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, insbesondere im Sekretariat, aber auch in den Fraktionen, dass wir ein so gutes gemeinsames Ergebnis erzielt haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Abschluss der Beweisaufnahme im 1. UA (Afghanistan) |