Zanda MartensSPD - Abschluss der Beweisaufnahme im 2. UA (Atomausstieg)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Heute blicken wir auf die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses, der uns nicht nur tiefe Einblicke in die Herausforderungen der Energiepolitik nach Putins Einmarsch in die Ukraine gegeben hat, sondern auch in das Spannungsfeld zwischen politischer Entscheidungsfähigkeit und politischen Zwängen. Wir haben viele Stunden über die sogenannte Einsatzreserve und den Streckbetrieb gesprochen, Begriffe, die vermutlich vielen unter uns nicht viel sagen. Auch ich bin keine Kernphysikerin, sondern nur eine Juristin und versuche sie deshalb laienhaft zu erklären.
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Auto. Es ist schon ziemlich alt und rostet an ein paar Stellen; aber der Tank ist halb voll,
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Und Sie haben TÜV!)
und Sie können damit problemlos noch einige Kilometer fahren, bis der Tank dann leer und der TÜV endgültig abgelaufen ist. Das wäre der Streckbetrieb.
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das ist ja komplett falsch!)
Die Einsatzreserve hingegen ist eine völlig andere Geschichte. Dafür parken Sie dieses rostige Auto auf der Straße vor dem Haus und lassen es dort stehen, da Sie sich eh schon seit Langem vorgenommen haben, auf das klimafreundliche Fahrrad und E-Auto umzusteigen. Sie zahlen also weiterhin Kfz-Steuer und den Bewohnerparkausweis, aber Sie fahren das Auto nicht mehr. Das Auto steht nur da für den Fall, dass Sie vielleicht doch in einer unerwarteten Notfallsituation eine längere Strecke zurücklegen müssen und Ihr neues Auto just in dem Moment ausfällt.
Das alte Auto behalten, weitere Kosten in Kauf nehmen, es aber nicht mehr nutzen und nicht einmal wissen, ob es im Notfall noch anspringen und verlässlich weiterfahren würde? Klingt absurd? Genau das war die Idee von Robert Habeck als Lösung für unsere letzten drei Atomkraftwerke, die Ende 2022 noch in Betrieb waren und abgeschaltet werden sollten. Die Fachreferate des Wirtschafts- und des Umweltministeriums, die Bundesnetzagentur, sogar die Betreiber der Atomkraftwerke, alle waren sich darin einig, dass die Einsatzreserve eine schlechte Idee ist – und die teuerste. Denn es fallen zusätzliche Kosten an, während die Strompreise gar nicht sinken.
„Es werden die verrücktesten Ideen in der Leitung diskutiert“, hieß es in internen Mails aus dem Wirtschaftsministerium. Als „die schlechteste aller Optionen“ wurde die Einsatzreserve von Fachleuten bezeichnet. Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Wie kam Herr Habeck denn auf diese verrückte Idee? Und vor allem: Warum hielt er an der schlechtesten aller Optionen so lange fest? – Nun, er wusste, dass ein kurzzeitiger Weiterbetrieb der Atomkraftwerke seiner Partei nicht zu vermitteln gewesen wäre,
(Zurufe von der CDU/CSU und der AfD: Aha!)
insbesondere nicht auf dem Grünenparteitag, der genau in dieser kritischen Phase stattfand. Diese Idee der Einsatzreserve war deshalb sein Versuch, allen irgendwie gerecht zu werden. Die Atomkraftwerke länger im Einsatz zu halten, nur ohne Laufzeitverlängerung, war nach außen eine pragmatische Lösung für den Fall, dass tatsächlich ein Blackout droht, und nach innen die Wahrung des politischen Kompromisses, nämlich der Atomausstieg zum 31. Dezember 2022.
(Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]: Gut zuhören, Herr Blankenburg! So war es!)
Mit anderen Worten: Herr Habeck hatte weder die Kraft noch den Mut, in seiner eigenen Partei die notwendige Lösung durchzusetzen und wichtige Entscheidungen für unser Land zu treffen. Er hielt an seinem Plan der Einsatzreserve fest, der auf erhebliche sicherheitstechnische, juristische und ökonomische Bedenken stieß, mit den Betreibern nicht zu machen und schließlich auch politisch nicht durchsetzbar war. Am Ende war es Olaf Scholz, der mit einem Kanzlermachtwort diese Entscheidung für Deutschland übernommen und den Streckbetrieb für dreieinhalb Monate bis zum 15. April 2023 ermöglicht hat. Das ist die Führung, wie wir sie in Krisenzeiten brauchen. Es geht nicht darum, Probleme zu leugnen, sondern sie zu lösen. Politik braucht auch unliebsame Kompromisse, und Politik braucht Führung.
(Beifall bei der SPD – Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sicherheit!)
Was lernen wir sonst noch aus diesem Ausschuss? Leider herzlich wenig. 350 000 Seiten Akten wurden durchgearbeitet, 40 Zeugen wurden vernommen. Die Union beschäftigte seit dem letzten Sommer mich und zehn weitere Abgeordnete sowie eine mir unbekannte Zahl an Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in 23 langen Sitzungen bis in die Nachtstunden mit dem Ausstieg aus der Atomenergie, aus der im Jahr 2022 noch ganze 6 Prozent des erzeugten Stroms gewonnen wurden.
Lassen Sie mich deshalb dreierlei festhalten.
Erstens. Es ist nie besonders gut für ein Land, wenn bei wegweisenden politischen Entscheidungen nicht nur Fachexpertise, Sachargumente und langfristige Strategien entscheidend sind, sondern auch kurzfristig bevorstehende Wahlen und Parteitage.
Zweitens. Sympathische Kommunikation ist kein Ersatz für Entscheidungsstärke und Führung.
(Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]: Wer ist da gemeint?)
Und drittens. Die hochsubventionierte Kernenergie ist keine Perspektive für unser Land.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Welche Subventionen denn?)
Nächster Redner ist Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7628984 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Abschluss der Beweisaufnahme im 2. UA (Atomausstieg) |