Konstantin KuhleFDP - Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Stephan Brandner [AfD]: Zurück zum Thema!)
Vor 75 Jahren schrieben die Mütter und Väter unserer Verfassung das Parteiverbotsverfahren ins Grundgesetz. Das waren Menschen, die den Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur, der Shoah und des Zweiten Weltkrieges noch unmittelbar vor Augen hatten. Deswegen ersannen sie unser Grundgesetz als Antithese zum Nationalsozialismus. Das ist der Grund, warum unsere Verfassung Abwehrmechanismen gegen ihre Feinde kennt. Dazu gehört auch das Parteiverbotsverfahren, ein Institut, das es in anderen Staaten auf der Welt gar nicht gibt.
(Stephan Brandner [AfD]: Das sollte zu denken geben!)
Aber diese Staaten haben Europa auch nicht mit dem Menschheitsverbrechen der Shoah überzogen, oder aber sie haben darüber hinaus eine wesentlich längere demokratische Tradition als Deutschland.
Es wird für uns Deutsche mit der Zeit leider immer schwieriger, zu erkennen, warum die Mütter und Väter des Grundgesetzes dieses Institut eigentlich ins Grundgesetz geschrieben haben. Und deswegen müssen wir uns auch heute sehr genau überlegen, ob wir dieses Instrument nutzen.
(Stephan Brandner [AfD]: Lassen Sie uns teilhaben an den Überlegungen!)
Ich selbst bin überzeugt davon, dass die AfD heute in wesentlichen Teilen von Personen geprägt wird, die unserer Verfassungsordnung und der demokratischen Nachkriegsentwicklung unseres Landes feindlich gegenüberstehen.
(Zuruf von der AfD: Keine einzige!)
Hinzu kommt, dass die AfD ein Organ der hybriden Kriegsführung autoritärer Staaten in Deutschland ist –
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der AfD)
aus Russland, aber, wenn die Bezahlung stimmt, gerne auch aus China.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Hannes Gnauck [AfD]: Die Legalisierung war keine gute Idee!)
Ich kann deswegen die Kolleginnen und Kollegen sehr gut verstehen, die angesichts dieser Bedrohung heute zum Instrument des Parteiverbots greifen oder den Einsatz dieses Instruments zumindest vorbereiten wollen. Ich möchte an dieser Stelle meinen tiefen Respekt für den Kollegen Wanderwitz zum Ausdruck bringen für sein Engagement gegen Rechtsextremismus.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)
Ich möchte außerdem sagen, dass ich der Meinung bin, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier im Haus oftmals die Sorgen gerade der Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Land
(Beatrix von Storch [AfD]: Die wählen aber alle AfD! – Thomas Ehrhorn [AfD]: Wir integrieren! Die wählen AfD inzwischen!)
nicht ernst genug nehmen und nicht wahrnehmen wollen, die größer werden – das hängt damit zusammen –, wenn die AfD stärker wird.
Ich muss Ihnen aber trotz all dieser Argumente heute sagen – und das sage ich für alle Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion –, dass ich in der Abwägung zu einem anderen Ergebnis komme und dass wir diese Anträge – ich persönlich auch – heute nicht unterstützen können. Es gibt unter den Funktionären der AfD und auch unter den Wählerinnen und Wählern der AfD Rechtsextremisten, Rassisten, Antisemiten, und es lohnt sich nicht, diesen Menschen hinterherzulaufen; man würde seine Seele verlieren. Aber ob es uns gefällt oder nicht: Es gibt unter den Menschen, die heute ihr Kreuz bei der AfD machen oder machen wollen, auch Menschen, die sich angesichts der wirtschaftlichen Lage in unserem Land Sorgen um die eigene Zukunft oder um die Zukunft ihrer Kinder machen.
(Stephan Brandner [AfD]: Warum haben Sie eigentlich kaum noch Wähler?)
Es gibt unter den Menschen, die heute AfD wählen, die heute AfD wollen, Menschen, die sich mehr Ordnung und mehr Kontrolle in der Migrationspolitik wünschen. Und das sind legitime Anliegen. Heute diesen Anträgen zuzustimmen, hieße, das Gespräch mit diesen Menschen von einem Tag auf den anderen Tag abzubrechen, und das können sich Demokraten nicht erlauben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist doch so: Wir leiden in diesem Land unter einer immer größer werdenden Entfremdung eines großen Teils der Bevölkerung von den Institutionen der liberalen Demokratie. Die Menschen haben das Gefühl, nicht gesehen, nicht gehört und nicht verstanden zu werden.
(Stephan Brandner [AfD]: Sie haben nicht nur das Gefühl! Es ist tatsächlich so!)
All diese Entwicklungen würde ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht beenden, sondern im Gegenteil: All diese Entwicklungen würden mit einem Verbotsverfahren gegen die AfD noch stärker. Es wäre sogar so, dass schon das Verfahren an sich die Entfremdung vieler Menschen von den Institutionen unserer liberalen Demokratie weiter befördern würde,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
nicht nur bei den Menschen, die die AfD wählen oder wählen wollen, und das gerade drei Wochen vor einer Bundestagswahl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, keiner kann uns heute garantieren – keiner! –, dass diese vorgelegten Anträge Erfolg haben werden.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist die Alternative? – Stephan Brandner [AfD]: Ich kann Ihnen den Misserfolg garantieren!)
Das letzte erfolgreiche Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist fast 70 Jahre her. Das Verfahren gegen die NPD hat vom ersten Antrag auf ein Verbot bis zum letzten Urteil zum Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung 23 Jahre gedauert. Wir dürfen es nicht riskieren, dass die AfD in Karlsruhe erfolgreich ist. Denn das größte Geschenk, das man der AfD machen kann, ist, wenn die Institutionen der liberalen Demokratie nach ihrer Pfeife tanzen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Ein großes Geschenk ist diese Quatschdebatte hier!)
Unsere Institutionen sind stark; sie können sich wehren. Das haben wir in diesem Kreis zuletzt mit dem verbesserten Schutz des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz unter Beweis gestellt. Lassen Sie uns gemeinsam durch bessere Politik und durch ein Gespräch auf Augenhöhe mit den Wählerinnen und Wählern dafür sorgen, dass unsere Institutionen wieder von mehr Menschen respektiert und akzeptiert werden und dass wir alle als Problemlöser wahrgenommen werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7629147 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD |