Tobias LindnerStaatsminister im Auswärtigen Amt - Aktuelle Stunde: Schutz der Bundestagswahl vor ausländischer Einflussnahme
Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letzten Herbst stimmten die Menschen in der Republik Moldau über die EU-Anbindung ihres Landes ab und wählten ihre Präsidentin. Danach konnten wir erfahren, dass Russland über 100 Millionen Dollar eingesetzt hat, um den Ausgang dieser Wahl zu beeinflussen, indem Stimmen gekauft wurden, indem mithilfe von Desinformation Ängste geschürt wurden. Und ein paar Wochen später blickten wir nach Rumänien. Das rumänische Verfassungsgericht hat inzwischen die Präsidentschaftswahlen annulliert.
(Zuruf von der AfD: Rechtsbrecher!)
Und auch hier – das legen Berichte der rumänischen Nachrichtendienste nahe – hat Russland mutmaßlich versucht, Einfluss auf die Wahlen auszuüben.
(Jürgen Braun [AfD]: Welche Beweise, Herr Lindner?)
Und auch hier wieder, indem Desinformation gestreut wurde, indem sogenannte Influencer eingespannt wurden, indem die Debatte, die ohnehin polarisiert war, noch weiter künstlich polarisiert wurde.
(Jürgen Braun [AfD]: Das ist undemokratisch, eine Wahl zu annullieren! Das wissen Sie doch, oder?)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Desinformation ist heutzutage ein Teil des russischen Werkzeugkastens hybrider Kriegsführung.
(Zuruf von der AfD: ARD und ZDF!)
Und auch unsere Wahlen – da dürfen wir uns nichts vormachen – stehen im Fadenkreuz.
(Zuruf von der AfD)
Letzte Woche gab es Berichte über ein Netzwerk an Homepages, die angelegt werden, um Kampagnen gegen Einzelne von uns, gegen einzelne Kandidierende und Politiker, zu starten.
(Zuruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])
Auch unsere Analysten im Auswärtigen Amt beobachten ausländische Desinformationskampagnen, die darauf abzielen, die freie Meinungsäußerung in Deutschland vor der Bundestagswahl zu beeinflussen.
(Zuruf von der AfD)
Politikerinnen und Politiker werden verunglimpft, demokratische Prozesse diskreditiert, Ängste geschürt, die gesellschaftliche Spaltung bewusst verstärkt.
Wir wissen: Russland, aber auch andere Akteure nutzen Desinformation, Meinungsmanipulation gezielt, um ihre geopolitischen Interessen durchzusetzen. Dazu wird zielgerichtet Stimmung angeheizt. Das Ziel ist es, uns zu schwächen,
(Zuruf von der AfD)
unsere Demokratie zu schwächen, ja, auch unsere Unterstützung für einen dauerhaften und gerechten Frieden in der Ukraine zu schwächen. Dabei ist jede Methode recht, ob es gefakte Webseiten sind, ob Bot-Netzwerke, ob generierte falsche Videos auf Basis von künstlicher Intelligenz.
Meine Damen und Herren, das Vertrauen in die Demokratie, in unsere demokratischen Institutionen, in den Willensbildungsprozess soll zerstört werden. Wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wenn ich mir den gestrigen Tag in Erinnerung rufe, dann muss ich sagen, dass wir es uns in diesem Haus manchmal sehr leicht machen. Wir machen es auch Russland sehr leicht. Und wenn ich mir hier die Debattenbeiträge von manchen Kolleginnen und Kollegen in Erinnerung rufe, dann muss ich sagen: Es braucht eigentlich gar keine russischen Trollnetzwerke, um die Propaganda Putins hier in diesem Saal zu verbreiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kampf gegen Meinungsmanipulation und Desinformation wird inzwischen auch selbst diffamiert.
(Jürgen Braun [AfD]: Der Kampf gegen Meinungsfreiheit! Sie betreiben den Kampf gegen Meinungsfreiheit, Herr Lindner! Nichts anderes! Durchgehend!)
Nichts anderes tun Sie auch hier mit Ihren Zwischenrufen. Ich will Ihnen eines sagen: Ich habe als Wissenschaftler gearbeitet. Man kann auch über Fakten trefflich streiten. Es ist in einem freien Land zulässig, zu sagen: Ich glaube dieses eine Faktum nicht, ich habe ein anderes.
(Jürgen Braun [AfD]: Das ist selbstverständlich in einem freien Land! Selbstverständlich!)
Aber wer das für sich in Anspruch nimmt, der muss auch bereit sein, sich einer Überprüfung gerade dieser Fakten zu stellen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet nicht das Recht auf freie Faktenwahl und darauf, dass diese nicht überprüft werden kann. Das ist Unfug, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Das wissen genau die Grünen, ja? Ausgerechnet die Grünen, ja? Sie haben doch von wissenschaftlichen Fakten am wenigsten Ahnung! Lächerlich! Mit einer Völkerrechtlerin im Auswärtigen Amt, einer angeblichen! Irre!)
Denn die Demokratie lebt von einer freien und faktenbasierten Debatte. Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung;
(Jürgen Braun [AfD]: Trampolin!)
aber jeder muss sich eben auch dieser Debatte stellen. Und die Manipulation von Debatten gefährdet eben Meinungsfreiheit. Wenn man sich auf Fakten nicht mehr einigen kann, wenn man nicht bereit ist, sich dieser Debatte zu stellen,
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
wenn die Menschen am Ende des Tages alles für Lüge halten, dann stellen sie sich ja auch die Frage, was überhaupt noch wahr sein kann.
(Jürgen Braun [AfD]: Sie reden einer Diktatur das Wort, Herr Lindner! Sie sprechen sich für eine Diktatur aus! – Gegenruf des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mach mal das Radio aus da drüben!)
Meine Damen und Herren, wenn wir diese Debatte nicht führen, sondern nur noch herumschreien, dann lassen wir die Menschen in unserem Land, die darum ringen, was die besten Antworten sind, im Stich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb investieren wir als Bundesregierung so viel darin, Meinungsmanipulation nicht nur zu erkennen, sondern sie dann auch transparent zu machen, ein Schutzschild gegen diese Manipulation mit aufzubauen, damit nämlich die Meinungsfreiheit und die freie Meinungsäußerung in der Debatte in diesem Land gewährleistet und gestützt werden.
(Zurufe von der AfD)
Keiner von uns mag manipuliert werden. Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischen Partnern dafür ein,
(Jürgen Braun [AfD]: … dass Wahlen annulliert werden! Dass Wahlen annulliert werden, dafür setzen Sie sich ein!)
dass der Digital Services Act effektiv angewandt wird. Denn die großen sozialen Plattformen – darauf ist schon eingegangen worden – sind heutzutage ein zentraler Ort der Meinungsbildung geworden. Daran ist überhaupt nichts Schlechtes. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Plattformen tragen nun mal, gerade weil sie auch Geld mit Meinungsäußerungen verdienen, eine immense Verantwortung. Und wir tragen eine Verantwortung, dass auch auf diesen Plattformen freie Meinungsäußerungen und eine faire Debatte möglich sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Mike Moncsek [AfD]: Dann lassen Sie sie doch zu!)
Genau deshalb haben wir in den vergangenen drei Jahren die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung zur Erkennung und zum Schutz vor Meinungsmanipulation ausgebaut. Gemeinsam mit anderen Ressorts bauen wir im Bundesministerium des Innern und für Heimat eine zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Meinungsmanipulation auf.
(Nicole Höchst [AfD]: Sie bauen eine Diktatur, nicht mehr und nicht weniger, auf!)
Wir haben im Auswärtigen Amt unsere Analysefähigkeiten zur Erkennung von Desinformation im Ausland ausgebaut. Und wir können dabei auf ein globales Netzwerk unserer Auslandsvertretungen zurückgreifen, die für uns weltweit Debatten beobachten.
Lassen Sie mich eines ganz deutlich sagen, gerade wenn hier vom rechten Rand ständig dazwischengeschrien wird: Es geht gerade nicht darum, irgendwie eine Wahrheitsbehörde oder ein Wahrheitsministerium zu errichten.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Steffen Janich [AfD]: Ach, Quatsch! – Weiterer Zuruf von der AfD: Nein!)
Es geht darum – und davor mögen Sie hier Angst haben –, genau diese Mechanismen transparent und öffentlich darzustellen, damit die Bürgerinnen und Bürger sich selbstständig im Wissen darum ihre Meinung frei bilden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das tun wir gerade jetzt auch vor der Bundestagswahl, indem wir nämlich die Kosten für diejenigen erhöhen, die diese Versuche unternehmen, indem wir sanktionieren, indem wir die Urheber klar und deutlich benennen, wo wir Fakten nachweisen können.
(Jürgen Braun [AfD]: Können Sie doch eh nicht!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem geht es aber darum, unsere Zivilgesellschaft zu stärken.
(Zuruf von der AfD: Ah!)
Denn Meinungsmanipulation richtet sich nicht nur irgendwie gegen staatliche Stellen. Sie richtet sich gegen Medienschaffende, gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger, gegen Menschen, die für die Demokratie oder für die Rechte von Minderheiten eintreten und denjenigen, die nur polarisieren, spalten oder schreien wollen, ein Dorn im Auge sind.
Deshalb: Propaganda, die Manipulation von Information, Diffamierung sowie Hass und Hetze sind keine neuen Phänomene. Aber mit sozialen Netzwerken, mit künstlicher Intelligenz ist es vielleicht noch schneller und auch billiger geworden, diese zu verbreiten. Wir haben die Aufgabe, gemeinsam unsere Demokratie davor zu schützen: vor Einflussnahme von außen, aber auch von innen.
Unsere Kontrahenten haben ein Interesse daran, das Vertrauen in unsere demokratischen Prozesse, das Vertrauen in die Integrität des Wahlprozesses zu untergraben. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns eine wehrhafte Demokratie mitgegeben. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass wir in diesen Zeiten mit diesen technologischen Möglichkeiten wehrhaft bleiben, gerade auch mit Blick auf den 23. Februar.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Entlarvend!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7629032 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Schutz der Bundestagswahl vor ausländischer Einflussnahme |