Tobias Lindner - Bundeswehr, Litauen, Soldatenrecht, Ukraine-Hilfe
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Welt, in der wir heute leben, ist nicht mehr die, in der wir 2021 in diese Legislaturperiode gestartet sind. Die Bedrohungslage für Europa, für Deutschland hat sich erheblich verändert. Erstens in der Art und Intensität der Bedrohungen: Krieg in unserer östlichen Nachbarschaft, die Bedrohungslage in der Ostsee, hybride Gefahren, die sich auch im Innern auswirken, die Bedrohung der freien Schifffahrt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur die Gefahren, die ganz unmittelbar auf uns wirken.
Die Welt hat sich zweitens verändert hinsichtlich des Maßes an Verantwortung, die wir selbst übernehmen, wie viel wir in unsere Sicherheit investieren müssen. Das gilt zuallererst für unsere Bundeswehr, damit diese glaubhaft Landes- und Bündnisverteidigung leisten kann. Wir als zentrales, großes und, ja, auch reiches Land in Europas Mitte müssen begreifen, was vor allem unsere östlichen Nachbarn von uns für ihre Sicherheit erwarten. Diese Bundesregierung hat als erste eine Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt, und sie folgt einem integrierten Ansatz. Nur wenn wir alle Akteure, alle Mittel und Instrumente zusammendenken und zusammen handeln, nur dann wird es uns gelingen, Deutschlands Sicherheit dauerhaft zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der gravierendste und offensichtlichste Einschnitt in die europäische Sicherheitsordnung ist Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er erschüttert die gesamte Sicherheitsarchitektur der Nachkriegszeit, er kostet täglich Leib und Leben. Wenn wir einen dauerhaften und gerechten Frieden wollen, dann müssen wir die Ukraine auch weiterhin in eine Position der Stärke versetzen. Es darf dann keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine geben und damit auch keine Entscheidung über Europas Sicherheit ohne die Europäerinnen und Europäer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Aber Russlands Verhalten geht weit über diesen Krieg gegen die Ukraine hinaus, wenn wir ehrlich sind. Russland hat Systeme modernisiert und stationiert, die weit bis nach Westeuropa reichen. Das ist und bleibt auf absehbare Zeit die größte und unmittelbarste Bedrohung für unsere Sicherheit in Europa und in Deutschland. Auch hybride Aktivitäten gegen unsere Partner in EU und NATO und gegen uns selbst nehmen derzeit zu, nicht nur quantitativ, auch qualitativ. Waren Aktivitäten zuvor primär auf Spionage, Desinformation, Cyberangriffe fokussiert, mehren sich zuletzt auch mutmaßliche Fälle der Sabotage kritischer Infrastruktur.
Unsere Abschreckung und Verteidigung fußen auf der Zusammenarbeit im Rahmen der NATO. Ich will sagen: Sie ist und sie bleibt der Garant für unsere Sicherheit. Als Reaktion auf Russlands Verhalten hat die NATO ihre Präsenz eben auch an der Ostflanke deutlich verstärkt. Das umfasst die Sicherung des Luftraums, die Sicherung der Ostsee, Deutschlands verstärkte Präsenz als Rahmennation in Litauen. Über 850 Soldatinnen und Soldaten leisten dort bereits ihren Dienst. Mein Besuch beim Kontigent in Rukla im Dezember 2021 ist mir noch sehr eindrücklich in Erinnerung. Es war meine zweite Dienstreise als Staatsminister. Ich war beeindruckt vom Einsatz, von der militärischen und politischen Klarheit und davon, wie unser Beitrag von unseren Partnern geschätzt wird. Das gilt auch für die Sicherung des Luftraums mit Eurofightern, für Logistik mit Transportmaschinen, für die Erstellung des Lagebilds mit Seefernaufklärern.
Ich weiß aus den vielen Besuchen im Baltikum bei unseren Freunden, welche Bedeutung dieser Kooperation beigemessen wird. Ich weiß aber auch, dass von uns noch mehr Entschlossenheit, Wehrhaftigkeit, Führungsstärke im Angesicht dieser Bedrohung erwartet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile diese Auffassung als Vertreter der Bundesregierung, aber als jemand, der 13 Jahre Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Haus gemacht hat, auch ganz persönlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Heute untermauern wir mit Abkommen und Gesetzen dieses Versprechen, diesen Einsatz. Die Tatsache, dass vier Fraktionen in diesem Hohen Haus sich haben einigen können und dass wir mit den Verbänden, zuallererst auch mit dem BundeswehrVerband, im engen Austausch waren, zeigt uns doch gerade auch in dieser Woche: Es geht, wenn man will.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Richtig!)
Das bringt mich, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss. Ich habe mich entschieden, aus freien Stücken, in meinem Leben noch mal was anderes zu machen und nicht mehr für den nächsten Deutschen Bundestag zu kandidieren. Ich habe das Privileg, hier zu stehen und zu wissen, dass das voraussichtlich meine letzte Rede ist. Es sind von diesem Pult viele bedeutende Worte gesprochen worden. Ich will Ihnen sagen: Mich hat es immer mit Stolz und oftmals mit Freude erfüllt, hier zu stehen, und, auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht, mit Demut.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
In letzten Reden wird hier in diesen Tagen viel und vielen – übrigens zu Recht – gedankt. Ich habe heute abschließend zwei Bitten an Sie. Die erste Bitte lautet: Es gehört zum Wesenskern unserer Demokratie, dass die Menschen eine Auswahl haben. Das gibt uns quasi als Geschäftsmodell oder implizit die Aufgabe, hier herauszuarbeiten, was uns unterscheidet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei all dieser Härte in der Debatte, bei der Schärfe des Streits nie vergessen, dass eine Demokratie ein gemeinsames Fundament braucht, auf dem sie steht. Ich habe die Bitte, dass wir auch daran arbeiten, dieses Fundament breit und fest zu halten. Ich bin all denen dankbar, mit denen ich hier drinnen hart streiten konnte und draußen vor der Tür freundlich und manchmal auch freundschaftlich darüber sprechen konnte, was uns eint und was wir am anderen schätzen. Das sollten wir gerade in diesen Tagen nicht vergessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Linken)
Meine zweite Bitte: Passen Sie gut auf sich und auf dieses unser Land auf! Deutschlands Sicherheit und Europas Sicherheit sind eine gemeinsame Verantwortung. Ich bin überzeugt: Wenn wir gemeinsam und integriert handeln, auch hier im Deutschen Bundestag, dann haben wir die Kraft und die Fähigkeiten, die Herausforderungen für unsere Sicherheit zu meistern. Joachim Gauck sagte einmal: „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen.“ Arbeiten wir daran, dass dies auch in Zukunft gilt!
Ihnen allen herzlichen Dank! Herzlichen Dank meinen Mitarbeitern, meiner Familie, den Menschen, auf deren Liebe und Fürsorge ich vertraue, und Ihnen und unserem deutschen Vaterland Gottes Segen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Linken – Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Abgeordnete der CDU/CSU und der FDP und Teile der Regierungsbank erheben sich)
Herr Dr. Lindner, ich möchte mich auch bei Ihnen im Namen des ganzen Hauses, denke ich, herzlich für Ihre Arbeit hier im Deutschen Bundestag bedanken, und ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles, alles Gute.
(Beifall)
Ich rufe den nächsten Redner auf: für die FDP-Fraktion Alexander Müller.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7629159 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 211 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehr, Litauen, Soldatenrecht, Ukraine-Hilfe |