11.02.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 1

Robert HabeckDIE GRÜNEN - Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! So reden wir hier miteinander, gucken zurück, beschäftigen uns mit den letzten drei Jahren, verfallen in die Oppositionsrituale oder analysieren die Vergangenheit.

Sehr geehrte Damen und Herren, die meisten hier in diesem Raum werden wissen, wen sie am 23. Februar wählen. Wobei: Ich höre Stimmen aus Union und FDP, dass einige noch überlegen, wie sie diesmal abstimmen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und das ist ja auch richtig.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Er hört Stimmen! Mein Gott!)

Dennoch wird bei dieser Wahl nicht über die Vergangenheit entschieden,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ich glaube, auch!)

sondern darüber, wie wir die Zukunft gestalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, bei dem Duell zwischen dem Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz fehlte jemand. Das war die Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es fehlte die Zukunft, und es fehlten die Themen der Zukunft. Dafür kann man nur begrenzt was, wenn man gefragt wird. Aber heute wäre die Gelegenheit gewesen, jedenfalls einige der Zukunftsthemen selbstbestimmt zu benennen. Und ich möchte vielleicht mit dem Zukunftsthema beginnen, das heute wieder fehlte: dem Schutz des Klimas bzw. dem Kampf gegen die globale Erderwärmung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD: Oh!)

Und weil ich dieses animalische Grunzen der AfD-Fraktion voraussehen konnte, sehr geehrte Damen und Herren,

(Beatrix von Storch [AfD]: Können nicht mal Milch einkaufen, aber wollen das Weltklima retten!)

möchte ich einordnend sagen, worüber wir reden, wenn wir Klimaschutz sagen. Ich zitiere mit Verlaub und Erlaubnis der Präsidentin den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021,

(Zuruf von der AfD: Aber nicht falsch zitieren!)

das in seiner Entscheidung ausführte, dass die Menschen – Zitat – „in ihren Freiheitsrechten verletzt“ werden, wenn – Zitat weiter – die „hohen Emissionsminderungslasten“ unumkehrbar „auf Zeiträume nach 2030 verschoben“ werden. Es führte weiter aus, dass „potenziell … jegliche Freiheit“ betroffen sein wird, „weil … nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens … von drastischen Einschränkungen bedroht“ wären.

(Zurufe von der FDP und der AfD)

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie müssen nicht die Grünen wählen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU und der AfD)

Aber mit Respekt vor unserem Verfassungsorgan und in Erinnerung daran, wo wir in diesem Land schon einmal waren,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

sage ich: Verkennen Sie nicht, welche fundamentale Aufgabe dieser politischen Generation zugeschrieben ist!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Aber mit Schuldenbremse!)

Bei all den anderen Themen, die wichtig sind: Wenn wir als Land, als politische Generation nicht unseren Beitrag leisten, um die globale Erderwärmung einzudämmen, dann werden wir als politische Generation nicht nur gegenüber den Freiheitsrechten der künftigen Generation, sondern auch der Menschen in dieser unserer Zeit versagt haben.

(Zurufe von der AfD)

Sehr geehrte Damen und Herren, bei dieser Bundestagswahl – anders als bei der Wahl 2021 – steht die Richtungsentscheidung zur Wahl, ob wir gegenüber dieser historischen Aufgabe standhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn 2021 – ich habe gerade die Pressemitteilung vorgelesen – gab es noch einen Konsens innerhalb der demokratischen Parteien, dass wir die Ziele nicht infrage stellen. Wir stritten darüber, ob man die Ziele nur wie eine Monstranz vor sich herhält oder anfängt, dafür zu arbeiten: Ausbau der erneuerbaren Energien,

(Beatrix von Storch [AfD]: Abbau der Industrie! Stahlindustrie zerstören!)

zusehen, dass wir den Verkehr klimaneutral hinbekommen, dass wir das Heizen klimaneutral hinbekommen. Ich erinnere daran, dass, als ich Minister wurde, Gasheizungen noch mit staatlichen Subventionen gefördert wurden. Das war das Erbe, das ich übernommen habe. Aber wir waren in den Zielen einig.

Sehr geehrte Damen und Herren, das gilt nicht für die Wahl am 23. Februar; denn offen stellen FDP und Union – von der AfD will ich gar nicht reden – allein schon die Ziele infrage.

(Christian Lindner [FDP]: Nein! Nein! Nein!)

Die Ziele des Klimaschutzes werden infrage gestellt aus Angst vor der Mühsal, sich der Arbeit der Umsetzung des Klimaschutzes zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich frage Sie: Welche Regierung wollen Sie haben? Wollen Sie eine Regierung, die Angst hat, die Arbeit zu machen, und sagt: „Nein, das ist zu anstrengend, wir weichen der Debatte aus“? Oder wollen Sie eine Regierung, die, obwohl sie weiß, dass es anstrengend ist, die konkreten Probleme angeht und löst?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, die Wahl kann an dieser Stelle nicht offen sein. Wir können kein Land sein, das von Leuten regiert wird, die Sorge haben, Probleme anzufassen, nur weil dann Gegenwind kommt oder konkrete Fragen schwer zu beantworten sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])

Schwer zu beantworten sind sie ohne Frage; aber wer will denn Politiker haben, die diesen Fragen dann ausweichen?

(Jörn König [AfD]: Herr Minister, Sie machen hier Wahlkampf, oder?)

Sehr geehrte Damen und Herren, die USA sind aus dem internationalen Klimaschutzabkommen ausgetreten oder werden austreten.

(Jörn König [AfD]: Sie reden im Grunde nur über Wahlkampf!)

Das ist ein Schlag gegen den globalen Klimaschutz – ohne Frage. Aber in gewissem Sinne war die Weltgemeinschaft darauf vorbereitet.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Wir haben mit den amerikanischen Bundesstaaten Absprachen getroffen und Allianzen gebildet. Es gibt ein Stück weit eine finanzielle Vorsorge. Die Weltgemeinschaft wird es überstehen, wenn die USA sich drei Jahre nicht am globalen Klimaschutz beteiligen. Es ist ein Schlag, ohne Frage; aber wir werden es überstehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Nur wenn Deutschland am 23. Februar den Klimaschutz abwählt, wenn Deutschland eine Regierung wählt, die sich nicht in den Dienst der Sache stellt, die ankündigt, die Klimaschutzziele nicht einhalten zu wollen, dann wird Europa seine Klimaschutzziele nicht einhalten wollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn Europa umfällt, dann ist es vorbei mit dem globalen Klimaschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kein Bundeskanzler, kein Klimaschutzminister, kein Kommissar kann dann mehr nach Indien, Indonesien oder China fahren und sagen: Leute, verbrennt mal weniger Kohle, macht mal mehr erneuerbare Energien! – Die werden uns den Vogel zeigen und sagen: Was seid ihr denn für Pfeifen? Ihr habt gerade eure eigenen Klimaschutzziele abgewählt.

(Zurufe von der AfD)

Deswegen: Sorgen wir dafür, dass nicht Handlungslosigkeit am 23. das Mandat bekommt, sondern der Einsatz für den Kampf für die Freiheitsrechte

(Zuruf von der AfD)

der kommenden Generationen und der Menschen in diesem Land, so wie wir es schon einmal verabredet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und deswegen: Glauben Sie nicht, dass wir zurückfallen sollten in eine Debatte, die schon längst überwunden ist, dass nämlich Klimaschutz den ökonomischen Aufschwung gefährdet.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: So wie Sie!)

Das Gegenteil ist doch der Fall.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und deswegen ist diese Debatte so verräterisch, wenn jetzt zum Beispiel über die Verkehrspolitik – das ist ja der Bereich, der am meisten liefern muss – geredet wird und dann unter Zuhilfenahme fadenscheiniger Vokabeln wie Technologieoffenheit gesagt wird,

(Beatrix von Storch [AfD]: Die ganzen Geschichten schreiben Sie in Kinderbücher rein! Da ist das gut aufgehoben! – Weiterer Zuruf von der AfD: Die Empörung wegen Windrädern!)

dass wir die Zulassung – denn darum geht es – eines fossilen Verbrennungsmotors in der Zukunft doch wieder möglich machen wollen.

(Zuruf von der AfD: Was ist mit Diesel?)

Sehr geehrte Damen und Herren, es geht um Folgendes: Wenn Sie sich im Dezember 2034 ein schickes Dieselfahrzeug kaufen, dann können Sie das machen. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass nach 2035 – nur in der Neuzulassung! – die Fahrzeuge klimaneutral sein sollen, also egal welche Technik!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und jetzt frage ich Sie einmal, mal weg vom Klimaschutz: Wie wenig trauen Sie eigentlich der deutschen Automobilindustrie zu? Dass sie es in zehn Jahren nicht schaffe, leistungsfähige Fahrzeuge auf den Weltmarkt zu bringen, die klimaneutral sind?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Blödsinn! – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP] – Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der FDP und der AfD)

Was ist denn das für eine Haltung? Es ist die gleiche Bummeligkeit und Dösigkeit, die Deutschland in diese strukturelle Wachstumskrise reingeführt hat.

Schauen Sie sich den Weltmarkt an, und schauen Sie sich die Zulassungszahlen an. Der wertvollste Automobilkonzern ist ein amerikanischer Elektrokonzern. Er ist so wertvoll, dass alle anderen, die deutschen, die europäischen, die japanischen und die chinesischen Automobilkonzerne, in ihn hineinpassen.

(Zuruf des Abg. Christian Lindner [FDP])

Die Wachstumsraten sind bei den chinesischen Elektroautomobilen enorm. Und Sie sagen den Deutschen und den Automobilkonzernen: „Lasst euch mal mehr Zeit! Wir können doch den fossilen Verbrennungsmotor optimieren“?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Man sollte vielleicht die Wirtschaft mal fragen! – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD] – Weiterer Zuruf von der AfD: Wir haben das gut gemacht!)

– Ja, ja, ja, ich kann mich dran erinnern. Als klar wurde, dass wir in Zukunft große Datenmengen in Deutschland transportieren müssen, da gab es drei Verkehrsminister – ich will ja diesen freundlichen Vormittag nicht zerstören,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

aber da gab es drei Verkehrsminister von der CSU: Ramsauer, Dobrindt und Scheuer –, die den Deutschen eingeredet haben: Ja, es kommen große Datenmengen. Wisst ihr was? Wir müssen die Kupferkabel optimieren. – Die Kupferkabel optimieren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und es sind die gleichen Vögel, die uns jetzt sagen: Wir müssen die Ölheizungen optimieren, um damit weltmarktfähig zu sein,

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

und den Verbrennungsmotor optimieren. Und Jens Spahn faselt was von grünem Öl und Wasserstoffheizung. Sehr geehrte Damen und Herren, fallen Sie nicht ein zweites Mal darauf rein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen mehr Geschwindigkeit, mehr Entschiedenheit, mehr Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer ist denn Wirtschaftsminister?)

Und damit bin ich bei dem Sofortprogramm der Union, die sich ja immer darüber echauffiert, dass wir anreizen, Batterieproduktion und Halbleiterproduktion hier in Europa zu bauen – das sind die Zukunftstechnologien –, das aber mit dem Begriff „Subvention“ verkleistern.

(Jörn König [AfD]: 600 Milliarden!)

Nun, Sie versprechen ja auch Subventionen in Ihrem Sofortprogramm, nämlich die Absenkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja!)

und die Wiedereinführung der vollen Subventionierung des Agrardiesels. Kostet Milliardensummen, sind Subventionen. Zugleich aber kein Wort zum Hochlauf von künstlicher Intelligenz, kein Wort zu Zukunftstechnologien wie Quantencomputing, kein Wort dazu, dass der Staat mal anfängt, eine Cloud-Infrastruktur in Europa, in Deutschland zu nutzen und die Daten des Staates nicht auf amerikanischen Servern zu lagern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und dann beanspruchen Sie hier Wirtschaftskompetenz? Das ist alles nur die Wiederholung der 80er-Jahre – die Wiederholung der 80er-Jahre! Das ist zutiefst unernst und zutiefst ahnungslos an dieser Stelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was wir brauchen, ist

(Jens Spahn [CDU/CSU]: … Wachstum!)

Zukunft und Mut für die Zukunft. Zukunft heißt Klimaschutz, Zukunft heißt entschiedenes Arbeiten für die neuen Technologien, eine Allianz für künstliche Intelligenz, das autonome Fahren auf die Straßen bringen,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Chiptechnologie!)

und zwar auf der Basis der europäischen, der deutschen Werteordnung, damit wir uns nicht abhängig machen von den amerikanischen und den chinesischen Konzernen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Sie denken daran, dass der Agrardiesel das größte ökonomische Problem ist. Kein Wort zu all dem, was ich eben skizziert habe, in Ihrem Sofortprogramm Wirtschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren, der zweite oder der dritte Punkt,

(Zuruf von der AfD: Was nun, der zweite oder der dritte? – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

an dem es um die Entscheidung über die Zukunft geht, ist der Bildungsbereich. Er ist weder bei der TV-Debatte noch heute hier mit irgendeinem Wort erwähnt worden. Wir haben einen Investitionsstau nur in den Bildungsgebäuden von 55 Milliarden Euro.

(Zurufe der Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU] und Christian Dürr [FDP])

55 Milliarden Euro Investitionsstau in den Schulen, in den Kitas. Es werden absehbar 100 000 Lehrkräfte in den Schulen und in den Kitas fehlen. Die Zahl der Analphabeten, die die Schule verlassen, steigt wieder. 13 Prozent eines Jahrganges – das ist über dem europäischen Durchschnitt – verlässt die Schule, ohne eine Berufsqualifizierung zu haben.

(Zuruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Zukunftsaufgabe. Hier wird Gerechtigkeit organisiert! Und Sie schweigen dazu, Sie reden nicht darüber.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen ein großes Investitionsprogramm für die Schulen und für die Kitas auflegen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Die brauchen nicht mehr Geld, die brauchen mehr Kinder, die deutsch sprechen, auch in der Schule!)

Wir müssen uns zusammenfinden und auch die Frage stellen, ob das, was wir uns mal überlegt haben in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt, dass nämlich die Bundesebene nicht in den Bildungsbereich hineinfinanzieren kann, richtig ist. Ich sage: Das ist nicht richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen sofort eine Runde mit den Ministerpräsidenten, mit den Bildungsministern, um zu sagen: Wie überwinden wir dieses massive Problem?

Und ja, dafür werden wir Geld brauchen. Das fällt nicht unter Investitionen, das sind normale konsumtive Aufgaben des Staates, also Aufgaben, die wir leisten müssen. Deswegen wiederhole ich hier meinen Vorschlag: Wegen der überragenden Bedeutung von Bildung für Gerechtigkeit und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und weil Bildung den Aufstieg auch zu beruflichem Fortkommen sichert, macht es doch Sinn, die Superreichen, die Milliardäre der Welt, ein Stück weit für die Finanzierung dieser Bildungsaufgabe heranzuziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Der Welt? Der ganzen Welt? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Elon Musk in Deutschland?)

– Ja, ja. Natürlich setzt eine internationale Milliardärsbesteuerung, wie von der G 20 vorgeschlagen,

(Zurufe von der CDU/CSU)

voraus, dass wir eine internationale Einigung erzielen. Und selbstverständlich gehe ich davon aus, dass Donald Trump und Elon Musk nicht dafür sind.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sie könnten ja auch selbst davon betroffen sein. Aber ich erwarte von einer nächsten Bundesregierung, dass sie sich jedenfalls dafür einsetzt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

dass sie nicht sich in die Büsche schmeißt, sondern dafür arbeitet, dass die Welt gerechter wird und wir die Möglichkeiten für Bildungsfinanzierung in Deutschland haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Menschenskinder! Wirtschaft! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wo ich bei Bildung und sozialer Gerechtigkeit bin – der Bundeskanzler hat es schon ausgeführt –:

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Die dritte entscheidende Weiche, wirklich eine fundamentale Weiche, die bei der Bundestagswahl gestellt wird, ist: Wie gerecht geht es in Deutschland in Zukunft zu? – Die Stichworte, die ich Ihnen für meine Partei, für mich geben kann,

(Olav Gutting [CDU/CSU]: Wachstum!)

beziehen sich darauf, dass wir die unteren Haushaltseinkommen entlasten wollen, diejenigen, die es nötig haben, über verschiedene Maßnahmen.

Fangen wir mal mit dem 49-Euro-Ticket an, das schon mal eine gute Klimaschutzmaßnahme ist,

(Christian Lindner [FDP]: Hat nichts gebracht!)

weil wir damit die Attraktivität des ÖPNV deutlich stärken; so ist es ja auch mal eingeführt worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es ist natürlich auch eine super sozialpolitische Maßnahme. Und dass jetzt eine eingeführte, funktionierende sozialpolitische Maßnahme als Allererstes von der Union infrage gestellt wird, indem sie jetzt auch noch das 49-Euro-Ticket oder das Deutschlandticket abschaffen will, aber auf der anderen Seite die Millionäre und die Supereinkommen entlasten will, das erzählt doch schon die ganze Geschichte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem wollen wir das Elterngeld anheben. Das Elterngeld ist noch nie angehoben worden, ist noch nie angepasst worden.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ihr habt es doch gekürzt!)

Der Mindestbetrag und auch die Maximalsumme würde eine durchschnittliche Familie zwischen 1 200 und 7 200 Euro im Jahr besserstellen – eine dringend erforderliche Maßnahme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So sorgen wir dafür, dass insgesamt mit den Maßnahmen Familien im unteren Einkommensbereich um bis zu 1 000 Euro pro Jahr entlastet werden.

Entlastung für die Familien, für diejenigen, die das Geld dringend brauchen, oder Entlastung für diejenigen, die es nicht so dringend brauchen: Das ist die Entscheidung, die Deutschland zu treffen hat – eine klare Weichenstellung, eine klare Entscheidung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ein politisches Totalversagen Ihrer Familienministerin!)

Und wir können diese Entlastung vornehmen, weil wir in vielen Bereichen erfolgreich waren. Dass wir den Strom günstig machen können,

(Lachen bei Abgeordneten der FDP und der AfD)

dass wir Netzentgelte rausnehmen, Steuern rausnehmen können – und das wollen ja alle Parteien der politischen Mitte in der Zukunft –,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum haben Sie es denn nicht gemacht?)

liegt ja daran, dass der Strom jetzt in weiten Teilen nicht mehr fossil produziert wird.

(Zurufe der Abg. Beatrix von Storch [AfD] und Torsten Herbst [FDP])

Wir sind bei knapp 60 Prozent erneuerbarem Strom im Energiesystem. Ein Ergebnis von harter politischer Arbeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ja, ich würde diese Rede nicht halten, wenn wir Ihre dösige Politik à la „Je mehr man Kohlestrom verbraucht, desto besser“ fortgesetzt hätten. Das ist doch Unsinn!

(Beatrix von Storch [AfD]: Genau das ist gerade passiert! – Zuruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Jetzt sind wir bei knapp 60 Prozent. Die Genehmigungen für die nächsten 10, 15 Prozent sind ja schon längst erteilt. Jetzt, wo der Strom grün geworden ist, jetzt können wir ihn günstig machen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Je mehr Insolvenzen, desto weniger CO2!)

Aber es ist Resultat der harten Arbeit der Vergangenheit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Und jetzt kommt die Kugel Eis!)

Und deswegen: Alles läuft darauf hinaus, dass wir uns unseren Erfolg selbst erarbeiten können.

Friedrich Merz hat recht: Nach dem 23. Februar kommt der 24. Februar. Aber er hat unrecht, wenn hier Oppositionsreden gehalten werden mit Konzepten, die nicht gegenfinanziert sind,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

mit Angeboten von anderen, die überhaupt nicht zur Wirklichkeit passen. Das riecht alles nicht nach Arbeit, sondern nur nach Wiederholung dessen, was man schon immer geglaubt und gemacht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der letzte Punkt für die Zukunft, den ich konkret machen möchte, ist eine Anmerkung zu der Debatte der letzten 14 Tage.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Können wir mal was zur Rezession hören? Zur Wirtschaft? Zum Wachstum?)

Und ja, die Argumente sind ausgetauscht worden: Wir brauchen mehr Einsatz für die Sicherheit, wir brauchen ein europäisches Asylsystem, wir brauchen Steuerung und auch Begrenzung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Zuruf von der AfD: Lüge!)

Aber wir brauchen auch – und das ist überhaupt nicht diskutiert worden – die Integration der Menschen, die hier sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Nina Warken [CDU/CSU])

Wir brauchen, in großen Lettern geschrieben, die Überschrift „Deutschland ist ein weltoffenes Land“.

(Zuruf von der AfD: So ein Quatsch!)

Wir sind auf Zuwanderung angewiesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und die Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie geflohen sind vor elenden Situationen in ihren Herkunftsländern, die nun mal hier sind, sollen raus aus den Sozialsystemen, hinein in die Arbeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Wir haben viel zu wenig über die Ausstattung der Kommunen und die Integration der Menschen geredet.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Parallelgesellschaften!)

Das ist eine große, große Lücke in der Diskussion der letzten 14 Tage,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Weil es einfach nicht funktioniert!)

eine Lücke, die sich in der Zukunft bitter rächen wird, wenn sie nicht politisch geschlossen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer war denn in der Regierung in den letzten drei Jahren?)

Sehr geehrte Damen und Herren, es geht um Folgendes: Stehst du zum Klimaschutz oder verschiebst du die Ziele? Stehst du zum sozialen Ausgleich

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie stehst du zum Wachstum und zur Rezession?)

und kämpfst du dafür, dass diejenigen, die es nötig haben, unterstützt werden, oder willst du den Reichen mehr Reichtum gönnen?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sagt der Wirtschaftsminister!)

Wie sorgen wir dafür, dass das Land durch Investitionen in die Bildung zusammengehalten wird? Das sind für sich genommen schon drei starke Gründe für eine klare Wahlentscheidung.

Nun kommt mit Blick auf die Diskussion der letzten Wochen noch ein vierter Grund dazu, der allgemein ist. Es geht nämlich um die Frage: Verstehen wir, wie wichtig diese erste Wahl nach der Inauguration von Donald Trump ist? Jenseits der einzelnen Themen, über die wir streiten mögen, muss diese Wahl ein klares Signal setzen, dass Deutschland in Europa nicht dem Populismus hinterherläuft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Probleme lösen!)

Wir werden den rechten Populismus weder in Deutschland noch in Europa besiegen, indem wir uns seine Methodik zu eigen machen. Und genau das droht zu passieren.

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Das ist deswegen bedeutsam, weil die verschiedenen Konflikte, die verschiedenen Krisen, die wir zu bestehen und zu bewältigen haben – der Angriff Russlands auf die Ukraine, das Vordrängen von China mit aggressiven Mitteln auf die Märkte, der – wie soll ich sagen – technologische Autokratismus, der sich um Donald Trump herum bildet –, eines gemeinsam haben, so unterschiedlich diese autokratischen Regime oder Regierungen auch sein mögen:

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Es geht ihnen immer darum, Macht zu entgrenzen, Macht grenzenlos auszuüben. Und das, sehr geehrte Damen und Herren, entspricht nicht der Rechtsordnung und der demokratischen Ordnung, die wir uns in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die soziale Marktwirtschaft heißt soziale Marktwirtschaft, weil der unternehmerische, ökonomische Erfolg nicht nur die Macht und den Reichtum des Einzelnen mehren soll, sondern auch den Laden Deutschland zusammenhalten soll.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Eine Nation, kein Laden!)

Dieses Konzept wird angegriffen durch die Politik von Donald Trump. Die europäische Friedensordnung ist eine Friedensordnung, weil sie nicht zulässt, dass, weil man militärische Macht hat, man einfach Länder überfallen und sich Gebiete unter den Nagel reißen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Vordrängen auf die Märkte wird eingedämmt durch eine internationale Ordnung, die erst von China und jetzt von den USA infrage gestellt wird.

(Lachen des Abg. Matthias Moosdorf [AfD])

Worum es geht und was zum fundamentalen Verständnis gehört, ist, dass eine liberale Demokratie Regeln braucht, Regeln, um Macht zu begrenzen. Und über diese Regeln diskutieren wir. Aber was Europa und Deutschland jetzt bedroht, ist eine Regellosigkeit – kommend von verschiedenen Regierungen, kommend aus verschiedenen Richtungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir das nicht erkennen, sondern glauben, man kann ein bisschen regelloser sein, dann werden wir die Ordnung, die wir hier aufgebaut haben – die soziale Marktwirtschaft, die liberale Demokratie –, nicht halten.

(Zurufe von der AfD)

Vor all die konkreten politischen Themen, die zur Abstimmung stehen, ist diese Frage gelagert: Haben wir verstanden, wie wichtig diese Wahl ist? Setzen wir ein klares Zeichen, dass wir rechten Populismus nicht mit den Mitteln des rechten Populismus besiegen werden,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

sondern nur mit dem Besinnen auf unsere eigenen demokratischen Grundwerte!

Vielen Dank. Gute Wahlentscheidung!

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich – Jens Spahn [CDU/CSU]: Prost! Können wir wieder was zur Wirtschaft hören? – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das war auf jeden Fall lustig!)

Als Nächster hat das Wort für die FDP-Fraktion Christian Lindner.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7629441
Wahlperiode 20
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland
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