11.02.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 1

Lars KlingbeilSPD - Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, was war das vorhin für eine überhebliche und kleinkarierte Rede, die Sie im Bundestag gehalten haben!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben 25 Minuten hier am Pult gestanden, Sie haben gepöbelt,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Da haben Sie wahrscheinlich die Reden verwechselt!)

aber Sie haben keine einzige Idee präsentiert, kein Konzept, wohin Sie mit diesem Land wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind es den Bürgerinnen und Bürgern heute Vormittag schuldig geblieben, einmal auch nur eine einzige Idee zu skizzieren, wo Sie mit diesem Land hinwollen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich will es hier klar sagen: Ja, wir haben Herausforderungen und Probleme, vor denen wir stehen, die gelöst werden müssen und weshalb die nächste Regierung große Dinge in diesem Land anpacken muss. Aber das, was Sie hier heute Morgen gemacht haben, war, im Sound der AfD über dieses Land zu reden, dieses Land schwarzzumalen, schlechtzureden,

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Seien Sie nicht so frech!)

so zu tun, als ob wir in Deutschland am Abgrund stünden, als ob man sich in Deutschland nicht mehr sicher auf die Straße wagen könnte, als ob jeder Ausländer in diesem Land kriminell wäre und als ob wir Massenarbeitslosigkeit hätten. Das entspricht doch nicht den Realitäten dieses Landes. Steigen Sie doch mal aus Ihrem Dienstwagen aus, und reden Sie mit den Menschen in diesem Land, Herr Merz!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir gewünscht, dass sich heute auch nur ein Wort von Ihnen darauf gerichtet hätte, wie wir die Situation für die Pflegekräfte aus Sicht der CDU in diesem Land verbessern sollen,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

was für die Rentner, was für die Industriearbeiter, die um ihre Jobs bangen, oder was für Familien passieren soll. Nichts, kein einziges Wort haben Sie dazu heute im Plenum verloren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zuhören, Menschenskinder! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Was hat der Kanzler dazu gesagt?)

Lieber Herr Merz, vielleicht kennen Sie das auch von Familienfeiern, wo es diesen meckernden Onkel gibt,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Oh! Jetzt kommt die Leier wieder! – Christian Lindner [FDP]: Onkel Olaf! – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, Onkel Olaf! – Christian Dürr [FDP]: Der sitzt da vorne! Den haben wir kennengelernt!)

der immer mit verschränkten Armen in der Ecke sitzt, der alles besser weiß, der sagt, dass er alles besser kann, der überheblich auf die anderen herunterguckt,

(Christian Dürr [FDP]: Den Onkel Olaf haben wir kennengelernt! Der weiß alles besser!)

der selbst noch nie Verantwortung übernommen hat, aber der alles besser weiß. Daran, an diesen Onkel, hat mich Ihre Rede heute erinnert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen aber auch: Am Ende wird es um diesen Onkel immer sehr einsam;

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

er hat dann keinen mehr, der auf den Familienfeiern mit ihm redet.

(Beifall bei der SPD)

Die letzten Freunde, die Sie im Parlament haben, das sind die von der AfD, und darauf können Sie nicht stolz sein, Herr Merz.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben das, was Sie in der letzten Woche an Schaden dem Parlament zugefügt haben, heute wieder als Kleinigkeit abgetan. Aber ich sage Ihnen als Vorsitzender einer Partei, die weiß, was es bedeutet, wenn die Falschen in diesem Land die Macht ergreifen: Das war keine Kleinigkeit, was Sie in der letzten Woche herbeigeführt haben; das war eine tektonische Verschiebung hier im Parlament, eine Veränderung der politischen Kultur. Ich hätte erwartet, dass Sie heute dazu klar Stellung beziehen. Warum schaffen es Ministerpräsidenten wie Daniel Günther, Hendrik Wüst und sogar Markus Söder, bessere Worte zu finden als Sie, Herr Merz, heute am Pult des Deutschen Bundestages?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich die Rückmeldung bekomme, was gerade in den ostdeutschen Kreisverbänden, in den Ortsvereinen, in den Landesverbänden los ist, wo Mario Voigt und andere sich jetzt auf Sie berufen und sagen: „Die Brandmauer gibt es nicht mehr“, dann hoffe ich, Ihnen ist bewusst, welcher Schaden dort angerichtet wurde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Die Kirchen, das Auschwitz-Komitee, Holocaustüberlebende und Frau Merkel äußern sich dazu, und Sie nutzen heute nicht die Gelegenheit, hier am Pult zu sagen: Ich habe einen Fehler gemacht, ich habe mich verrannt, das wird nicht wieder vorkommen. – Das wäre eine große Rede gewesen, Herr Merz. Diese Chance haben Sie heute verpasst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es stellt sich die Frage, was Ihr Wort eigentlich in Zukunft wert ist. Ich will das auch für andere Bereiche sagen. Es wurden schon die außenpolitischen Debatten angesprochen, die stattgefunden haben. Sie haben das Gasembargo für Russland in einer Zeit gefordert, wo wir gewusst haben, wie sehr das unsere Volkswirtschaft in eine tiefe Krise stürzt. Sie sind dann zurückgerudert. Sie haben hier Putin ein Ultimatum gestellt, sind dann zurückgerudert.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Unsinn!)

Ja, jeder in Deutschland hat mittlerweile eine Meinung zu Taurus. Das Problem ist nur: Sie haben vier Meinungen zu Taurus. So macht man keine verlässliche Außenpolitik.

(Beifall bei der SPD)

So handelt man nicht nach Prinzipien in der internationalen Politik. Es war gut, dass Frau Maischberger und Frau Illner Sie in der Sendung korrigiert haben und deutlich gemacht haben, wie häufig Sie Ihre Position beim Thema Taurus gewechselt haben.

Ja, Sie halten starke europapolitische Sonntagsreden; aber was Sie in der letzten Sitzungswoche versucht haben, war doch, die europäische Einigung und den Fortschritt und das Gemeinsame mit der Abrissbirne anzugehen. Das steht doch nicht in der Tradition von Adenauer, von Kohl, von Merkel. Sie wollen die europäische Idee zerstören. Es ist doch keine seriöse Außen- und Sicherheitspolitik, die Sie hier im Plenum machen, sehr geehrter Herr Merz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist so unglaubwürdig! Da muss man gar nichts dazu sagen!)

Sie hätten heute hier auch eine Chance gehabt, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes mal zu erzählen, wie das, was in Ihrem Wahlprogramm drinsteht, über das Sie ja gar nicht geredet haben, eigentlich finanziert werden soll und wer das alles bezahlen soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie auch eigene Punkte?)

Die Steuersenkungspläne für die Superreichen und für die erfolgreichen Unternehmen umfassen 100 Milliarden Euro jährlich. Übrigens wurden dann in einem TV-Duell eben noch 200 Euro Klimageld pro Monat pro Haushalt obendrauf gepackt.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das waren doch Ihre Versprechen aus Ihrem Koalitionsvertrag! – Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch da ist nicht klar, wie das finanziert werden soll. Und, Herr Merz, Sie hätten heute darüber reden können, was alles gestrichen werden soll. Was haben Sie denn vor? Was soll denn bei der Bildung gekürzt werden, im Gesundheitsbereich, bei der Pflege, bei der Kultur? Das hätten Sie heute hier am Pult des Deutschen Bundestages den Bürgerinnen und Bürgern mal sagen können. Wie sieht Ihre geheime Streichliste aus, damit Sie die 100 Milliarden Euro einsparen, die Sie für die Superreichen ausgeben wollen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen neues Wachstum in diesem Land. Wir haben als SPD in unserem Programm vorgeschlagen, wie wir das schaffen können: mit Investitionen, mit niedrigen Energiepreisen, mit Bürokratieabbau, indem wir den Fach- und Arbeitskräftemangel angehen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer war denn drei Jahre in der Regierung? Was haben Sie denn in den letzten drei Jahren gemacht?)

Alleine 200 Milliarden Euro Rückstau haben wir bei den Investitionen in den Kommunen, und wir müssen in den nächsten Jahren in diesem Land noch viel mehr investieren. Wenn wir wollen, dass Deutschland ein starkes Land bleibt, dann müssen wir viel mehr investieren, als das gerade der Fall ist: Investitionen in Bildung, in Infrastruktur, in Digitalisierung, in Klimaneutralität und auch in unsere Sicherheit. Wir werden viele Milliarden brauchen, damit Deutschland ein starkes Land bleibt.

Dafür müssen wir die Schuldenbremse reformieren. Ich will hier einmal sagen: Es ist ja nicht nur die Sozialdemokratische Partei, die das sagt. Es sind auch die OECD, das DIW, das IW, die Arbeitgeberverbände, die Industrieverbände, die Gewerkschaften, die Unionsministerpräsidenten; sie alle sagen: Wir brauchen viel mehr Investitionen, als das heute der Fall ist. – Liebe Unionsfraktion, wenn man auf der Autobahn unterwegs ist und einem nur noch Geisterfahrer entgegenkommen, dann sollte man sich fragen, ob man vielleicht selbst der Geisterfahrer ist. Sie sind das mit Ihrem wirtschaftspolitischen Kurs.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was Sie vorschlagen, macht unser Land nicht stärker. Wir brauchen eine andere Finanz- und Steuerpolitik in diesem Land, und dafür steht die Sozialdemokratie.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sind Sie in der Regierung oder in der Opposition?)

Ihr wirtschaftspolitisches Konzept sieht vor, Windräder hässlich zu finden und grünen Stahl und Elektromobilität infrage zu stellen. Das bedeutet keine Verlässlichkeit für einen starken Industriestandort Deutschland. Sprechen wir es doch hier einmal aus: Die USA und China wollen die Industriearbeitsplätze aus Deutschland verschwinden sehen. Wir brauchen eine robuste, eine resiliente, eine starke europäische Strategie, wie wir Industriearbeitsplätze in diesem Land erhalten. Dafür kämpft die Sozialdemokratie. Es wäre wichtig, dass andere politische Kräfte das auch tun. Stattdessen reden Sie dieses Land schlecht und haben keine Idee, wie man Industrie in diesem Land stärken kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in den letzten Wochen – Sie haben es kurz erwähnt – Ihr 100-Tage-Programm gesehen. Aber was fehlt denn darin? Zur Mitte des Jahres läuft das Rentenniveau aus.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was läuft aus zur Mitte des Jahres?)

Warum steht eigentlich nichts über die Stabilisierung des Rentenniveaus im 100-Tage-Programm der Union? Weil Ihnen das nicht wichtig ist; deswegen steht es da nicht drin.

(Beifall bei der SPD)

Millionen Rentnerinnen und Rentner hätten es verdient, eine Antwort von Friedrich Merz heute im Bundestag zu hören, wie er sich die Zukunft der Renten vorstellt. Dieses Thema ist aber nicht wichtig für Sie. Stabilität für Rentnerinnen und Rentner und ein gesichertes Rentenniveau gibt es nur mit der Sozialdemokratie und Olaf Scholz.

(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Leider nicht! Das ist das Problem!)

Das ist doch die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Dieses Land braucht eine starke Mitte. Dieses Land braucht eine Politik, die auf Investitionen setzt, die auf einen handlungsfähigen Staat setzt, die den Zusammenhalt dieses Landes prägt und dafür sorgt, dass die Menschen, die hart arbeiten und dieses Land am Laufen halten, entlastet werden. Es braucht eine politische Kultur, die den Kompromiss nicht in die Tonne tritt, sondern weiß, dass gerade für die Demokratie der politische Kompromiss etwas sehr Wertvolles ist. Und ich will es sehr klar sagen: Eine starke Mitte gibt es nur mit Olaf Scholz und der Sozialdemokratie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7629444
Wahlperiode 20
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland
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