Heidi ReichinnekDIE LINKE - Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz spannend, wenn man, wie meine Partei, an Hunderttausenden Haustüren klingelt, mit den Leuten spricht und vor allem zuhört.
(Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])
Dann stellt man nämlich fest: Ganz oft sind es die sozialen Fragen, die die Leute umtreiben: Wie komme ich über die Runden? Kann ich mir mein Leben noch leisten? Muss ich wegziehen, weil die Mieten immer weiter erhöht werden? Vor allem: Wo finde ich überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung?
Heute geht es ja eigentlich um die Bilanz der Ampel, und beim Thema Mieten ist die katastrophal.
(Beifall bei der Linken)
Dabei hat Olaf Scholz bei der letzten Wahl noch plakatiert, er sei der Kanzler für bezahlbares Wohnen. Aber nicht mal die zahnlose Mietpreisbremse haben Sie verlängert. Der Plan, 400 000 Wohnungen pro Jahr zu bauen – 100 000 davon sozial gebunden –, ist krachend gescheitert. Die Mieten sind auf neuem Höchstniveau.
Und wir sehen jeden Tag, wozu das führt: Rentner/-innen müssen ihr soziales Umfeld verlassen, weil die Rente nicht mehr für die Wohnung reicht, in der sie seit Jahrzehnten gelebt haben. Familien mit Kindern müssen aus der Stadt wegziehen und verlieren dadurch ihre Freundinnen und Freunde. Bei Alleinerziehenden stapeln sich die Rechnungen, weil die Miete einfach den Großteil des Einkommens auffrisst. Für genau diese Menschen brauchen wir endlich einen Mietendeckel, um Mieten einzufrieren und abzusenken.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Anna Kassautzki [SPD])
Das Zuhause, die eigenen vier Wände, darf doch keine Spielwiese für Aktiengesellschaften und Großkonzerne sein. Ja, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Mietendeckel muss auf Bundesebene beschlossen werden. Dann machen wir das doch,
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Anna Kassautzki [SPD])
und zwar zusammen mit einem echten Investitionsprogramm für sozialen Wohnungsbau. Denn niemand braucht noch überteuerte Luxus-Penthäuser. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, und zwar jetzt.
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Anna Kassautzki [SPD])
Genauso desaströs wie bei den Mieten ist die Bilanz bei den Preisen für Lebensmittel – mit immer weiter steigender Tendenz. Und wen trifft das besonders? Natürlich diejenigen, die sowieso ihr gesamtes Einkommen in den Supermarkt tragen müssen. Sie alle kennen die Bilder von den Schlangen an den Tafeln. Manche haben sich vielleicht sogar getraut, hinzugehen. Da wird verdammt viel geleistet von den Ehrenamtlichen; das möchte ich an dieser Stelle einmal erwähnen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie alle kennen die Berichte von Eltern, die selbst kaum noch was essen, damit die Kinder am Ende des Monats noch genug haben. Deswegen sagen wir: Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel muss endlich weg!
(Beifall bei der Linken)
Damit diese Steuersenkung auch bei den Menschen ankommt, braucht es eine Preisaufsicht.
(Zuruf des Abg. Torsten Herbst [FDP])
Denn die vier Großkonzerne, die den Markt unter sich aufteilen, drehen sowieso kräftig an der Preisschraube. Ja, ich weiß, jetzt spielen vor allem Union und FDP immer gerne Robin Hood und sagen: Das nützt aber auch den Reichen, was die Linken da vorschlagen. – Ich verrate Ihnen was: Umverteilung findet nicht beim Essen statt, sondern im Steuersystem.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie uns doch darüber mal reden und auch darüber, wie sehr Sie der Rolle als Robin Hood eigentlich gewachsen sind. Union und FDP wollen ja die reichsten 10 Prozent noch einmal mit 50 Milliarden Euro zusätzlich beschenken. Sie wissen zwar nicht, wo das Geld herkommen soll, aber vielleicht haben Sie gehofft, dass einfach niemand fragt. Ich frage Sie: Wo kommen denn diese Steuergeschenke für Superreiche her? Warum müssen eigentlich die, die eh schon viel zu viel haben, von Ihnen noch mehr bekommen?
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Anna Kassautzki [SPD])
Was wir wirklich brauchen, sind doch endlich Steuerentlastungen für niedrige und mittlere Einkommen.
(Beifall bei der Linken)
Wir als Linke sind die Steuersenkungspartei – zumindest für die große Mehrheit; denn wir wollen bis zu einem monatlichen Einkommen von 7 000 Euro brutto entlasten, damit die Leute am Ende des Monats mehr im Portemonnaie haben. Das können wir auch finanzieren; denn wir sagen: Wer leistungslos Hunderte Millionen und Milliarden geerbt hat, der soll endlich gerecht an der Finanzierung der Gesellschaft beteiligt werden.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt.
Deswegen wird es Zeit, die Vermögensteuer wieder einzuführen und eine Erbschaftsteuer, die keine Milliardenerben schont. Steuerschlupflöcher müssen geschlossen werden. Stattdessen gibt es eine Beamtin aus Lindners Finanzministerium – ja, Sie waren bei dieser Regierung dabei und haben es vergessen, ich weiß–, die Kurse gibt, wie man den Staat so richtig bescheißt.
(Christian Lindner [FDP]: Eine Sozialdemokratin!)
Das kann sich doch keiner mehr ausdenken.
(Beifall bei der Linken)
Holen Sie sich das Geld doch endlich da, wo es im Überfluss vorhanden ist, statt sich eine Schikane nach der nächsten gegen Bürgergeldempfänger/-innen auszudenken. Niemand hat auch nur einen Cent von seinem Gehalt mehr, wenn Sie Menschen im Bürgergeld das Leben noch mehr zur Hölle machen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Mit einem fairen Steuersystem hingegen funktioniert das, wenn endlich diejenigen zur Kasse gebeten werden, die gar nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Oder um es kurz zu sagen: Wir sind die Linke. Und wir finden: Es sollte keine Milliardäre geben!
(Beifall bei der Linken)
Und mit diesen Steuermehreinnahmen aus unserem Konzept und ohne Schuldenbremse können wir auch endlich wieder investieren. Sie beschweren sich über die Rezession. Wie soll das auch funktionieren, wenn der Staat nicht investiert: in Bildung, in Gesundheit, in den Klimaschutz? Klimaschädliche Subventionen streichen, den ÖPNV stärken, erneuerbare Energien ausbauen: Das ist alles längst überfällig. Und wir müssen auch unsere Wirtschaft dringend in Richtung Klimaneutralität umbauen. Dazu braucht es eine aktive Industriepolitik.
Und wissen Sie, was die Wirtschaft noch braucht? Verlässlichkeit. Über Nacht Förderungen zu streichen, wie zum Beispiel für E-Autos, ist ebenso ein Riesenfehler, wie jeden Monat neu darüber zu diskutieren, ob man Atomkraftwerke wieder anschaltet. Dieses Hin und Her ist Gift für Unternehmen und auch für die Umwelt.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um die Industrie in unserem Land zu halten, braucht es nun mal Investitionen. Aber die müssen an Bedingungen geknüpft sein, wie zum Beispiel Garantien für Arbeitsplätze und Standorte. Um das sicherzustellen, braucht es mehr Mitbestimmung im Betrieb; denn die Beschäftigten denken an ihr Unternehmen, die Konzernchefs nur an ihre Boni.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wie das funktioniert, sehen wir gerade.
Deswegen haben wir als einzige Partei im Bundestag ein ausgearbeitetes Konzept für Mitbestimmung. Und das werden wir auch im nächsten Bundestag wieder einbringen,
(Beifall bei der Linken)
genauso wie Anträge für einen armutsfesten Mindestlohn von 15 Euro und höhere Tarifbindung. Das hatte die Ampel übrigens auch versprochen – mehrfach sogar – und am Ende dann doch nicht geliefert. Dabei brauchen wir dringend gute Löhne, um den Wohlstand in diesem Land fair zu verteilen, und natürlich gute Renten.
(Beifall bei der Linken – Matthias W. Birkwald [Die Linke]: Genau!)
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass Sie es nicht mal geschafft haben, das Rentenniveau auf 48 Prozent zu stabilisieren. Das ist nun wirklich das Mindeste, was das Rentensystem braucht.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Eigentlich müssen wir das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben. Seit Rot-Grün das Rentenniveau damals in den Keller geschickt hat, hat sich die Altersarmut fast verdoppelt. Wir haben damals gesehen: Sie brauchen die FDP gar nicht für unsoziale Politik. Was wir brauchen, ist ein Rentensystem, in das alle Erwerbstätigen einzahlen, auch Beamte, Selbstständige und, ja, auch die Abgeordneten hier im Raum.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir brauchen eine solidarische Mindestrente; denn dass Menschen nach Jahrzehnten der Arbeit mit ihren Enkeln nicht mal ein Eis essen können, dass sie Flaschen sammeln oder malochen bis zum Tod, das ist einfach unwürdig.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wichtigste zum Schluss: Politik für Kinder, Jugendliche und Familien findet in diesem Wahlkampf so gut wie gar nicht statt. Jedes fünfte Kind lebt in Armut. Und ich frage mich: Wo sind denn da die Fünf- oder Zehn-Punkte-Pläne? Warum überbieten sich da nicht alle, Lösungen zu finden, wer Kinderarmut am schnellsten bekämpfen kann?
(Beifall bei der Linken)
Wo sind die Versprechen der Ampel, dass der Unterhaltsvorschuss nicht mehr beim Kindergeld angerechnet wird, dass das Elterngeld wenigstens an die Inflation angepasst wird und für niedrige Einkommen erhöht wird? Welcher Kanzlerkandidat – ich spreche alle drei an – sagt: „Meine Priorität sind Kitas, ich will einen Kitagipfel, damit sich mal alle an einen Tisch setzen, damit wir konkrete Schritte vereinbaren, um Fachkräftemangel und fehlende Kitaplätze anzugehen“?
(Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat doch Herr Habeck gesagt! Da müssen Sie mal zuhören, Frau Reichinnek! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ja, einen Satz hat er gesagt.
(Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, nee!)
Ich bin ganz stolz auf ihn; hat er gut gemacht.
Für all das haben wir als Linke Initiativen eingebracht.
(Beifall bei der Linken)
Sie dürfen sie gerne kopieren, wir sind da nicht so. Aber als Linke reden wir nicht nur, wir machen auch,
(Beifall bei Abgeordneten der Linken)
weil die Bundesregierung mal wieder nicht geliefert hat. Wir bieten bundesweit Sozialberatung an, wir haben ein Meldeportal für Mindestlohnverstöße.
(Zuruf des Abg. Felix Banaszak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben einen Mietwucher- und einen Heizkostenrechner programmiert und helfen Menschen direkt und konkret dabei, dass sie am Ende des Monats mehr Geld haben.
(Beifall bei der Linken)
Wir spenden einen Teil unserer Diäten für soziale Zwecke. Und genau das macht den Unterschied. Das ist links.
Ich komme zum Schluss. Für all das werden wir als Fraktion im nächsten Bundestag weiterkämpfen. Wir sind die laute Stimme für Gerechtigkeit, auch nach der Wahl; denn wenn ich mir das so ansehe, wird es hier nach dem 23. Februar ziemlich düster, gerade für Frauenrechte.
Gestern wurde eine Petition übergeben – über 300 000 Unterschriften –, dass Schwangerschaftsabbrüche endlich legalisiert werden sollen. 80 Prozent der Gesellschaft unterstützt das. Also beenden Sie von Union und FDP doch endlich Ihre Blockade und lassen uns das hier gemeinsam beschließen.
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die FDP sagt: „Vater Staat ist nicht dein Erziehungsberechtigter“, außer natürlich, du bist schwanger, dann schon. Und deswegen – voller Überzeugung sind das meine letzten lauten Worte in dieser Wahlperiode –: § 218 muss weg!
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der Linken: Bravo!)
Für die Gruppe BSW hat das Wort Dr. Sahra Wagenknecht.
(Beifall beim BSW)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7629451 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland |