13.03.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 213 / Tagesordnungspunkt 1, ZP

Saskia EskenSPD - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schlage vor, wir kehren von dem selbstgerechten Wahlkampfgetöse der AfD wieder zum Thema zurück.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD)

Was der russische Angriffskrieg auf die Ukraine für unsere europäische Friedensordnung und auch für unsere eigene Sicherheit bedeutet, hat Bundeskanzler Scholz als eine „Zeitenwende“ benannt, und zwar zu Recht. Er hat die richtigen Konsequenzen gezogen, und ich kann mich dem Dank an Olaf Scholz nur anschließen.

(Beifall bei der SPD)

Gemeinsam mit den Partnern in Europa und den USA unterstützen wir in großer Solidarität die Verteidigung der Ukraine, und gleichzeitig haben wir uns auf den Weg gemacht, unsere eigene Sicherheit zu stärken. Der neue US-Präsident entfernt sich von dieser Haltung. Politik versteht er scheinbar als ein Spiel, und es gewinnt der, der sich die besseren Karten kaufen kann. Krieg und Frieden sind aber kein Spiel, und unsere europäische Sicherheitsordnung, Friedensordnung ist kein Wetteinsatz. Die Distanz, die die neue US-Regierung damit und mit vielen anderen Entscheidungen zu den liberalen Demokratien in aller Welt aufbaut, lässt vor unseren Augen einen weiteren Epochenbruch heraufziehen. Diese Entwicklungen verlangen eine Antwort.

Die Menschen in Deutschland, in Europa und darüber hinaus schauen auf uns, und sie schauen darauf, wie wir diesem Moment gerecht werden: als größtes Land in Europa, als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Und deshalb hat es große Bedeutung, dass zwei Fraktionen und drei Parteien, die sich noch vor Kurzem in Regierung und Opposition gegenüberstanden, die sich im Wahlkampf eine harte Auseinandersetzung geliefert haben und die durchaus nicht in allem einer Meinung sind, nur wenige Tage nach der Wahl einen gemeinsamen Vorschlag präsentieren, wie wir diesem Moment gerecht werden können – einen Vorschlag, der dazu geeignet ist, die Stärke der demokratischen Mitte in unserem Land unter Beweis zu stellen, ihre Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln. Denn es geht um Änderungen an unserem Grundgesetz. Deshalb werben wir um demokratische Mehrheiten, die bereit sind, in dieser epochalen Situation Verantwortung zu übernehmen.

Was wir dem Parlament heute vorschlagen, kann unser Land auf allen Ebenen, also im Bund, in den Ländern und Kommunen, finanzpolitisch in die Lage versetzen, die großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Es geht darum, verlässlich und langfristig in unsere Sicherheit zu investieren. Dafür wollen wir eine Ausnahme in der Schuldenregel vereinbaren. Und gleichzeitig geht es darum, verlässlich und langfristig unsere Infrastruktur zu modernisieren

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

als Basis sowohl für wirtschaftliche Stärke als auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Beides schulden wir den Menschen in Deutschland. Wir sind überzeugt: Da darf es kein Entweder-oder geben; denn das würde den Zusammenhalt in unserem Land gefährden. Was das bedeutet, haben wir gerade in der vorhergehenden Rede gehört.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Überzeugung und unsere Bereitschaft, mehr für die Verteidigung des Landes zu tun angesichts der wachsenden Bedrohung – ja: „whatever it takes“ –, darf nicht dagegen aufgestellt und ausgespielt werden, dass in Deutschland die Schienen und Brücken, die Schulen und Netze auf Vordermann gebracht werden. Denn nicht nur die Bedrohung der äußeren Sicherheit besorgt die Menschen in Deutschland, auch die soziale Verunsicherung, entstanden durch zahlreiche Krisen und Umbrüche, belastet, beschwert ihre Herzen. Erst die Gemeinsamkeit von äußerer, von innerer und von sozialer Sicherheit gibt den Menschen die Freiheit und die Zuversicht, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Mitte in diesem Haus, diese Zuversicht wieder möglich zu machen.

Zur sozialen Sicherheit gehört neben der Absicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter auch die Stabilität der Daseinsvorsorge unseres Staates. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Morgen darum bangen müssen, ob Bus und Bahn sie pünktlich zur Arbeit bringen, und die deshalb wieder aufs Auto umsteigen, obwohl es unvernünftig und teuer ist, fühlen sich von uns im Stich gelassen. Frauen, die zwischen Job und Familie zerrissen sind, weil Bildung und Betreuung unzuverlässig sind, die aus der Kindererziehungszeit wegen pflegebedürftiger Angehöriger direkt in die nächste Teilzeit laufen, erleben keine Selbstbestimmung.

Kinder und Jugendliche fühlen sich vergessen, wenn das Jugendhaus geschlossen und die Turnhalle jahrelang nicht saniert wird. Was senden wir ihnen eigentlich für ein Signal, wenn sie am Ende der Grundschule nicht gut genug lesen, schreiben, rechnen können, wenn sie die Schule ohne Abschluss verlassen und dann keine Chance auf eine Ausbildung haben? Diese Kinder und Jugendlichen fühlen sich nicht als die Zukunft unseres Landes wahrgenommen, sie fühlen sich gehandicapt in ihrem Streben nach einem eigenständigen selbstbestimmten Leben. Überall dort, wo der Staat nicht investiert, zahlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zahlen vor allem Frauen und Kinder den Preis.

(Beifall bei der SPD)

Den größten Schaden nimmt angesichts all dieser verschenkten und vernachlässigten Potenziale unsere Volkswirtschaft, unsere Gemeinschaft als Ganzes. Und das muss endlich ein Ende haben.

Was uns seit vielen Jahren daran hindert, die notwendigen Investitionen zu tätigen, ist die sogenannte Schuldenbremse. Da wird häufig die schwäbische Hausfrau als Kronzeugin benannt. Ich finde das erst mal ehrenhaft, weil wir ja mit Geld umgehen können.

(Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Deshalb finanzieren wir unseren Wocheneinkauf auch nicht auf Pump; das wäre ja unseriös, und wir sind alles andere als unseriös. Aber wenn es durch das Dach regnet, dann nehmen wir natürlich und ohne mit der Wimper zu zucken einen Kredit auf, weil ja sonst die Substanz dessen zerstört würde, was wir unseren Kindern eines Tages vererben wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine solche generationengerechte Klugheit soll auch für den Staat gelten, und deshalb haben wir uns dazu verabredet, die Schuldenbremse zu reformieren.

Es ist eine Binsenweisheit der Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen: Vor Ort in den Kommunen wird das Leben, wird die Politik konkret. Viel zu lange schon werden dort die Investitionen vernachlässigt: in Schulen, Krankenhäusern, im sozialen Wohnungsbau. Wir haben uns deshalb entschieden und schlagen vor, den Ländern in unserem Grundgesetz einen Spielraum für mehr Investitionen zu eröffnen.

Doch auch im Bund liegen die Investitionen seit Jahren weit unter dem notwendigen Maß. Wirtschaftsinstitute, Unternehmensverbände, Gewerkschaften attestieren uns vollkommen unabhängig voneinander einen Nachholbedarf im mittleren dreistelligen Milliardenbereich. Der Kollege Merz hat es angesprochen. Deshalb schlagen wir ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro vor, um diesen Nachholbedarf aufzuholen. Doch wie die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr wird auch dieses Sondervermögen irgendwann aufgebraucht sein. Und deshalb haben wir uns dazu verabredet, im Lauf dieses Jahres eine Reform der Schuldenregeln auch für den Bund zu erarbeiten.

Meine Damen und Herren, die Welt um uns herum ist unsicherer geworden, und auch sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität, auf die wir uns so lange verlassen konnten, sind keine selbstverständlichen Gewissheiten mehr. Deshalb dürfen wir jetzt nicht zögern, deshalb dürfen wir jetzt nicht scheitern. Wir müssen gemeinsam handeln als demokratische Mitte dieses Landes.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen die Handbremse lösen, die unseren Fortschritt über Jahre aufgehalten hat, die unseren Mut und die unsere Zuversicht ausgebremst hat. Wir müssen durchstarten und unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unseren Wohlstand stärken.

Wir müssen das tun im Respekt vor der Lebensleistung unserer Eltern und Großeltern, der hier Geborenen und der Zugewanderten, die unser Land seit den Wirtschaftswunderjahren aufgebaut haben. Und wir müssen es tun im Respekt vor der Zukunft kommender Generationen, deren größte Ressource ihr Wissen, ihre Bildung, ihr Erfindergeist sein wird. Wir müssen heute Verantwortung übernehmen, damit unsere Kinder in einem Land aufwachsen, das ihnen beste Chancen bietet, aber auch umfassende Sicherheit und Zuversicht, in einem starken Land in einem einigen Europa, das seine Werte kennt und seine Freiheit verteidigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7629973
Wahlperiode 20
Sitzung 213
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h)
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