Britta HaßelmannDIE GRÜNEN - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1982/83 – als manche der Abgeordneten hier im Parlament noch gar nicht geboren waren, wie vielleicht manche derjenigen, die uns heute zuhören oder zusehen – war ich als junge Frau im Bonner Hofgarten.
(Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])
– Ganz witzig. Sonst geht es Ihnen noch gut, oder? – Ich verstehe, dass manche Zwischenrufer nicht verstehen, was ich damit sagen will, wenn ich sage: Ich war im Bonner Hofgarten. Ich war als junge Frau durchdrungen davon, dass es in Europa Frieden geben wird und dass die USA, das Verhältnis zu Russland, eine starke Europäische Gemeinschaft unser Garant sein werden,
(Peter Boehringer [AfD]: Die Grünen waren pazifistisch damals! Erzählen Sie doch nichts!)
dass ich nie das erleben werde, was meine Großeltern erleben mussten, nämlich zwei brutale Weltkriege.
(Stephan Brandner [AfD]: Haben Sie auch „Soldaten sind Mörder“ gerufen?)
Ich muss Ihnen sagen: Ich hätte für mich persönlich nie für möglich gehalten, dass diese Sicherheits- und Friedensordnung in Europa durch die Aggressivität und durch die Gefährlichkeit Putins in diesem Maße angegriffen ist, wie sie das heute ist.
(Peter Boehringer [AfD]: Unfassbare Heuchelei!)
Ich glaube, dass das viele Menschen im Land auch spüren, dass es vielen so geht, dass sie an ihren Küchentischen, mit ihren Freundinnen und Freunden, im Kirchenkreis, mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen darüber reden, was das eigentlich gerade bedeutet für die Grundfeste, an die man geglaubt hat.
Ich bin an der niederländischen Grenze aufgewachsen, fünf Kilometer von Venlo. Ich habe Verwandte in den Niederlanden. Meine ganze Familie hat die Kriegssituation erlebt. Und ich war mir ganz sicher: Wir werden in einem Europa leben, wir und alle künftigen Generationen, das von Frieden getragen ist. Wir können uns einlassen auf Abrüstung und alles, was wir diskutiert haben.
(Zuruf von der AfD: Alles Quatsch!)
Heute weiß ich, dass wir uns Sorgen machen müssen um diese Sicherheit, diesen Frieden in Europa, und dass viele Menschen genau darüber nachdenken und es sie umtreibt ohne Ende.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Mit anderen Worten: Da haben Sie sich völlig verrannt!)
Ich kann das verstehen: Viele wünschen sich Frieden, viele wünschen, dass dieses Leid, diese Zerstörung, diese Kriegssituation, diese Kämpfe, diese Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt aufhören, dass es Frieden gibt.
Aber Frieden kann man halt nicht verordnen. Das haben wir doch heute gesehen in der Absage von Putin an jede Überlegung zu einem Waffenstillstand. Wir alle hier wussten ganz genau, dass ein Waffenstillstand
(Peter Boehringer [AfD]: War 2022 schon ausgehandelt!)
oder was auch immer Donald Trump sich einfallen lässt, nur geht, wenn die Souveränität der Ukraine gewahrt bleibt und es keinen Diktatfrieden gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Boehringer [AfD]: Unglaubliche Geschichtsklitterung!)
Deshalb ist es in unserer Verantwortung, humanitäre Hilfe, wirtschaftliche Hilfe und Hilfe mit Waffen zu liefern
(Zuruf von der AfD: Ja!)
– ja –,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und zwar konsequent. Darauf muss sich die Ukraine verlassen können, und darauf muss sich auch Europa verlassen können.
Wir wissen, dass wir hier nicht ausreichend aufgestellt sind. Wenn wir die Entwicklung in den USA ansehen, mit der neuen Regierung von Donald Trump, dann wissen wir: Wir können auf alte Gewissheiten nicht mehr zählen. Das transatlantische Bündnis ist so belastet und befrachtet, dass niemand weiß, was daraus wird. Deshalb ist unsere Antwort die, in Europa für die Sicherheit und Friedensordnung Sorge und Verantwortung zu tragen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Das ist etwas – davon bin ich zutiefst überzeugt –, was heute notwendig ist. Und gerade weil das so ist, erwarte ich, dass der Bundeskanzler morgen im Haushaltsausschuss endlich seine Blockade auflöst und die 3 Milliarden Euro für die Ukraine freigibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das wäre nach heute ein wirklich starkes Signal an die Ukraine, meine Damen und Herren. Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun. Und es gibt schon gar keinen Grund, das nicht zu tun, angesichts der Tatsache, über welche Summen wir gerade reden. Wir reden hier über ein Paket von 1 Billion Euro, und mir möchte jemand erklären, dass 3 Milliarden Euro für die Ukraine nicht freigegeben werden können?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das wäre ein starkes Signal. Und das ist ein Signal, das zwingend notwendig ist für Sicherheit und Frieden in Europa, und auch ein Signal an unsere europäischen Partnerinnen und Partner.
Meine Damen und Herren, deshalb haben wir diese Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es um die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, die sicherheitspolitischen Aufgaben, die Stärkung der Bundeswehr für Landes- und Bündnisverteidigung, die Frage des internationalen Krisenmanagements, die Verbesserung nachrichtendienstlicher Fähigkeiten und des Zivilschutzes, die Ertüchtigung der Bundeswehr und viele andere Fragen geht – aber eben nicht in der Engführung, Herr Merz, Herr Klingbeil, die Sie vorschlagen. Ertüchtigung der Bundeswehr reicht nicht, nein – das steht in Ihrem Gesetzentwurf –; wir brauchen eine fundamentale Stärkung der Sicherheitsarchitektur in unserem Land und in Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb haben wir heute zu dieser Debatte einen Gesetzentwurf eingebracht. Wir haben ihn auch eingebracht, damit am nächsten Dienstag alle darüber entscheiden können, auch Sie, ob Sie diesem Ansatz, nämlich die Gesamtverteidigung zu stärken – mit allem, was dazugehört –, Ihre Zustimmung erteilen.
Eine Zustimmung zu dem, was Sie vorgelegt haben, steht infrage – das wissen Sie hoffentlich –, und das ist mit dem heutigen Tag nicht besser geworden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dazu hat meine Kollegin alles gesagt. Ich zweifle einfach am Verhandlungsgeschick mancher Kollegen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Ich frage mich das wirklich. Ich führe seit Tagen Gespräche mit Katharina Dröge, Lars Klingbeil und Ihnen, Herr Merz, und Herrn Dobrindt. Aber Angebote zu unzureichenden Gesetzentwürfen macht man weder über die Mailbox noch im Plenum, wenn man will, dass sie Erfolg haben.
(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich grüße Sie in den Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen, und erteile dem nächsten Redner in der Debatte das Wort: für die FDP-Fraktion Christian Lindner.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7629976 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h) |