Hubertus HeilSPD - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte habe ich den Eindruck: Wir müssen nicht nur mehr in Sicherheit, in die Bundeswehr und in Brücken investieren, sondern wir müssen, um das nach manchen Tönen in dieser Debatte möglich zu machen, auch stärker politische Brücken bauen.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Britta Haßelmann, liebe Katharina Dröge, sehr geehrter Herr Merz, lieber Lars Klingbeil, ich will dafür werben, dass das gelingt. Denn in der Analyse dessen, was notwendig ist, gibt es trotz mancher Töne heute große Übereinstimmung.
Deutschland erlebt eine doppelte Zeitenwende; eine doppelte Zeitenwende, mit der die großen Gewissheiten unseres Landes infrage gestellt sind. Statt Frieden in Europa erleben wir seit dem 24. Februar 2022 einen Krieg, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: eine grausame Invasion mit unzähligen Toten, mit dramatischen Folgen auch für Deutschland, besonders mit Blick auf unsere Energiesicherheit und das Thema Fluchtbewegungen.
Wir alle wissen, dass die Nachricht von heute, dass Putin einen Waffenstillstand ablehnt, die Gefahr in sich birgt, dass dieser Krieg in wenigen Tagen weiter eskaliert. Putin hat die europäische Friedensordnung zerstört. Hinzu kommt – deshalb sprechen wir von einer doppelten Zeitenwende –, dass das Agieren des amerikanischen Präsidenten Donald Trump das Vertrauen in unseren wichtigsten Verbündeten außerhalb Europas fundamental erschüttert hat. Statt transatlantischer Partnerschaft werden wir Zeugen einer verstörenden Unberechenbarkeit im Weißen Haus – politisch, militärisch und ökonomisch.
Die Folgen dieser doppelten Zeitenwende sind dramatisch. Seit über 75 Jahren steht die Bundesrepublik Deutschland für Freiheit, für Sicherheit und für Wohlstand. Das hat uns viele Jahrzehnte dazu verleitet, das für selbstverständlich zu erachten. Aber jetzt erleben wir, dass unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unser Wohlstand von anderen infrage gestellt werden. Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Mitte, müssen wir jetzt gemeinsam handeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin überzeugt, dass wir alle diese veränderten Realitäten anerkennen müssen, ob wir sie nun früher oder später erkannt haben. Aber wir dürfen uns nicht mit den Verhältnissen abfinden. Deutschland braucht jetzt den Mut zu Veränderungen, um Sicherheit und Stabilität zu erhalten. Unser Land muss jetzt außen- und wirtschaftspolitisch voll handlungsfähig sein; denn nur ein starkes Land, meine Damen und Herren, ist auch ein sicheres Land.
Deshalb brauchen wir zusätzliche massive Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit: durch eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr, und, ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, auch durch einen erweiterten Sicherheitsbegriff, wenn es beispielsweise um Katastrophenschutz und Cybersicherheit geht.
Aber gleichzeitig stellen die geostrategischen Verwerfungen auch unsere Wirtschaftskraft und unseren Wohlstand infrage. So warnt heute beispielsweise der Präsident der Deutschen Bundesbank davor, dass die Trump’schen Zolldrohungen dazu führen können, dass sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die wir ohne Zweifel heute schon haben, dramatisch – dramatisch! – verschärfen. Wenn wir wirtschaftlich stark bleiben wollen, dann müssen wir jetzt und nicht irgendwann ein kraftvolles Signal setzen, um den Investitionsstau in Deutschland aufzulösen.
(Beifall bei der SPD)
Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur dieses Landes: in Brücken und Schienen, in Schulen und Kitas, in eine moderne Infrastruktur der Energieversorgung, in die Digitalisierung und, ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, auch in die Transformation unserer Volkswirtschaft hin zur Klimaneutralität.
(Beifall bei der SPD)
Das ist der Weg, auf dem wir Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze sichern.
Denn – das will ich sagen – wirtschaftliche sowie militärische und außenpolitische Stärke, das sind zwei Seiten derselben Medaille in diesen Zeiten. Deshalb gehören die Pakete auch zusammen. Man kann das nicht trennen. Wir müssen jetzt wirtschaftlich stark bleiben, übrigens auch um verteidigungsfähig zu sein. Und wir müssen die Spielräume für Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit schaffen, um auch unsere Freiheit und unser Land zu verteidigen.
(Beifall bei der SPD)
Es geht um Widerstandsfähigkeit für die Freiheit unseres Landes.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich gehöre dem Bundestag schon seit vielen Jahren an. Zu Zeiten, als Schwarz-Gelb regiert hat, habe ich erlebt, dass Grüne und SPD in der Lage waren, auch aus der Opposition heraus mit der damaligen Regierungsmannschaft Lösungen hinzubekommen, als es um die Eurorettung und den Nichtausschluss Griechenlands aus der Europäischen Union und der Eurozone ging.
Wir waren damals verantwortungsbereit. Ich habe erlebt, dass die CDU beim Sondervermögen in dieser Legislaturperiode mitgemacht hat. Ich habe mit verschiedenen Kollegen von den Grünen, der FDP und der CDU/CSU in unterschiedlichen Formationen koaliert und kann Ihnen deshalb aus meiner tiefen Überzeugung sagen: Es ist bei aller Bitterkeit nicht die Zeit – ich denke an den Bundeskanzler, und ich denke auch an mich selbst –, in diesem Wahlkampf zu verharren und darüber nachzudenken, was da war. Dazu hat jeder eine Meinung, und die deutsche Öffentlichkeit kann sich die auch bilden.
Es ist jetzt die Frage, ob wir gemeinsam in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen, ob wir in der Lage sind, Kompromisse zu schmieden. Jeder von uns als Demokrat und Demokratin weiß: Wenn wir als Demokratinnen und Demokraten in der demokratischen Mitte nicht mehr zu Kompromissen in der Lage sind, wenn Kompromissunfähigkeit und Unversöhnlichkeit zum Merkmal werden, dann haben wir ein Problem. Deshalb ist es ganz wichtig, dass jetzt die Weichen gestellt werden.
Ich bin den Grünen sehr dankbar, Herr Banaszak, dass Sie in der Debatte gesagt haben: Die Tür ist nicht zu. Man muss sich von beiden Seiten bewegen. Nicht nur einer muss durch die Tür gehen; das wissen wir beide auch. Aber ich will, dass das gelingt. Denn als Demokraten stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, egal wo wir stehen in diesem Land und an welchem Platz. Deshalb braucht es jetzt die Fähigkeit und auch den Willen zum Kompromiss und nicht die kleinkarierte parteipolitische Münze.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass dieser Bundestagswahlkampf – das ist nicht nur eine emotionale Frage, sondern auch eine politische – Verletzungen hinterlassen hat. Wenn damals in der Debatte erzählt wurde: „Wir bezahlen das alles mit Kürzungen allein beim Bürgergeld“, dann weiß ich, wovon ich rede. Aber darum geht es nicht. Es geht jetzt darum, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ich werbe deshalb dafür, dass wir in der Mitte dieses Hauses die Kraft zu sachgerechten Kompromissen finden. Die Hand meiner Fraktion ist dazu ausgestreckt. Es geht um eine doppelte Zeitenwende. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist vergleichbar mit der deutschen Einheit und dem, was wir damals erlebt haben. Es war die Aufgabe unserer Elterngeneration, das hinzubekommen. Es ist jetzt die Aufgabe unserer Generation, die Freiheit, die Sicherheit und auch den Wohlstand gemeinsam zu sichern, und deshalb bleibt die Hand ausgestreckt. Ich hoffe, dass wir bis Dienstag, den 18. März, zu gemeinsamen Lösungen kommen. Ich kann nur jedem sagen: Die Verantwortung zählt, und es schadet niemandem, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Man muss auch über den eigenen kleinkarierten parteipolitischen Schatten springen können.
Lasst uns gemeinsam diesen Weg gehen. Unser Land braucht das, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7630000 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h) |