Britta HaßelmannDIE GRÜNEN - Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a)
Haben Sie keine Redezeit gekriegt, oder was? – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Merz, ich muss Ihnen widersprechen. Die Bedingungen sind keine anderen, als sie es am 1. Januar waren oder als sie es im Oktober im letzten Jahr waren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau!)
Wir alle wussten, dass dieses Land dringend Investitionen braucht. Robert Habeck an der Spitze unserer Partei hat sich immer wieder dafür starkgemacht. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben das getan, Bündnis 90/Die Grünen auch. Wir haben Sie gebeten, uns auf diesem Weg zu begleiten. Von Ihnen kam aber nicht nur ein kategorisches Nein, sondern Sie haben jede Idee zur Frage einer Reform der Schuldenbremse, zur Frage der Erweiterung von Sondervermögen kategorisch abgelehnt,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau!)
weil Sie gesagt haben: Es gibt dazu keinen Bedarf in unserem Land. Wir hätten schließlich kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau!)
Und um noch eins draufzusetzen, haben Sie sich daran regelrecht berauscht.
(Zuruf von der SPD: So ist das!)
Wenn ich die Auftritte von Jens Spahn, von Carsten Linnemann und vielen anderen – mir fehlt die Redezeit, um alle aufzuzählen – noch einmal sehe und höre und im Ohr habe,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Keuter [AfD]: Haben Sie keine Redezeit gekriegt?)
dann muss ich Ihnen sagen: Das hat auch etwas mit einem Appell an Vernunft im Parlament, mit demokratischen Gepflogenheiten, mit dem Umgang miteinander und dem Streit in der Sache zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wie sehr haben Sie meine Kolleginnen und Kollegen diffamiert – diffamiert für ihre Ideen und für ihr Ringen, dass wir in diesem Land investieren,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Jetzt macht er es selbst!)
dass wir angesichts des Investitionsstaus in den Kommunen – 54 Milliarden Euro müssen allein in die Schulinfrastruktur investiert werden – endlich dazu kommen, zu sanieren, dass wir in die Bahninfrastruktur, dass wir in Klimaschutz investieren, weil das Zukunft bedeutet! All das haben Sie kategorisch abgelehnt und meistens noch mit einer solchen Überheblichkeit und einem solchen Populismus, dass einem schlecht werden konnte, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau!)
Auf den zahlreichen Podien vor der Bundestagswahl hieß es immer wieder – und das habe ich persönlich erlebt –: Wir haben kein Einnahmeproblem, wir haben ein Ausgabeproblem. Aber wir, CDU und CSU, wir haben die Lösung dafür.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau!)
Die war nämlich wie folgt: Wir streichen das Bürgergeld, wir machen ein bisschen Bürokratieabbau, und wir senken die Steuern. – Wenn ich sagte: „Das ist das Prinzip Hoffnung; haben Sie auch eine inhaltliche Idee, die belastbar ist?“, kam nichts.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Deshalb ist es schon verdammt bitter, dass Sie ein paar Wochen dafür gebraucht haben, um zu sehen, wie notwendig das alles ist.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das wusste er vorher schon!)
Es wird dadurch aber nicht falsch, meine Damen und Herren; denn die Reform der Schuldenbremse, die Investitionen in Infrastruktur und die Investitionen in Klimaneutralität bis 2045 sind dringend notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir stehen hier in der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. Wir stehen hier in der Verantwortung gegenüber den vielen Menschen, die in Bildungseinrichtungen arbeiten – für die Kinder, für die Jugendlichen, für die Familien und Eltern. Denen können wir nicht einfach immer nur sagen: Es ist nicht generationengerecht, wenn wir die Schuldenbremse reformieren. – Was daran soll generationengerecht sein, dass wir ihnen das alles so hinterlassen, wie es ist? Nichts! Nichts! Deshalb ist es so dringend notwendig, dass wir investieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, ja, uns lag hier ein Vorschlag von SPD und CDU/CSU vor. Dieser plötzliche Sinneswandel ist auch nicht durch das Oval Office zu erklären.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Zuspitzung, die wir in den USA seit der Wahl von Donald Trump haben, was die internationale Verantwortung angeht, was die Frage der transatlantischen Beziehungen angeht, was die Notwendigkeit der Stärkung der Sicherheit und der Friedensordnung in Europa angeht, kann man nicht mit einem Auftritt von Donald Trump gegenüber Selenskyj, der ruchlos war, erklären. Das wussten wir mit der Wahl von Donald Trump.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber ich bin dennoch in der Sache froh, dass wir das heute so entscheiden; denn es ist notwendig für unser Land. Und unser Maßstab für Bündnis 90/Die Grünen ist nicht: Wie wischen wir einer anderen Regierungsmehrheit am besten eins aus? Wie stellen wir so lange auf Totalblockade, bis wir wieder Regierungsverantwortung haben? Nein, das ist nicht unser Maßstab für politisches Handeln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Denn wir tragen eine Verantwortung für dieses Land: für die Kinder, für das Aufwachsen der Menschen und dafür, dass dieser Planet auch noch morgen existiert. Und Klimaschutz ist dabei kein Hobby von Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb ist die Verankerung der Klimaneutralität bis 2045 bei Investitionen in Verbindung mit dem Artikel 20a Grundgesetz – Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – auch eine entscheidende Veränderung, die wir erreicht haben. Ich bin froh, dass wir uns darauf verständigen konnten, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])
Genauso wichtig und notwendig ist es, dass wir endlich klargestellt haben, dass bei dem, was Sie vorhaben, SPD und CDU/CSU, was sehr weitreichend ist, die Zusätzlichkeit verankert ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es war doch zu offenkundig, dass all das, was Sie sich vielleicht miteinander versprechen an Veränderungen oder Wahlgeschenken – nennen Sie es, wie Sie es wollen; Zukunftsprojekte sind es auf keinen Fall; ich denke an die Frage der Gastroermäßigung oder an die Rücknahme beim Agrardiesel oder an die Pendlerpauschale; was daran soll zukunftsgewandt sein, meine Damen und Herren? –, keine Erneuerung dieses Landes ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben die Zusätzlichkeit jetzt miteinander vereinbart. Das ist ein entscheidender Unterschied; denn dann kann es nicht zu einem Verschiebebahnhof bei Ausgaben kommen, sodass Sie sich Lieblingsprojekte leisten können. Das wäre fahrlässig gewesen. Deshalb bin ich froh, dass wir uns darauf verständigt haben, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])
Die 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds, um in Klimaschutz, in Naturschutz, in Umwelt, in Klimaanpassung zu investieren, um die Wirtschaft zu unterstützen auf ihrem Weg zur Klimaneutralität, das alles sind sehr wesentliche Fragen. Ich bin dankbar, dass wir das gemeinsam vereinbaren konnten.
Meine Damen und Herren, das Wichtige ist angesichts der Weltlage, der Angriffe der Autokraten auf die freien Gesellschaften, auf die Demokratien:
(Enrico Komning [AfD]: … unsere Demokratie!)
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine, die Brutalität, die wir jeden Tag sehen, und die Abkehr von Donald Trump aus der europäischen Verantwortung erfordern, dass wir jetzt investieren, und zwar nicht nur in die Ertüchtigung der Bundeswehr – dies auch –, aber vor allen Dingen fundamental in unsere Sicherheitsarchitektur insgesamt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich bin froh, dass wir gemeinsam vereinbaren konnten, dass dieses zweite Sondervermögen, das die Möglichkeit der Stärkung der Sicherheitsarchitektur beinhaltet, jetzt nicht ausschließlich in die Bundeswehr geht. Das wäre falsch gewesen. Denn die Frage der Sicherheitsdienste, die Frage unserer Verantwortung gegenüber angegriffenen Staaten, die Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung und des Bevölkerungsschutzes, all diese Fragen sind als Reaktion auf die massiven Angriffe und die hybride Kriegsführung zwingend. Deshalb war es richtig und notwendig, hier in Ihrem Vorschlag Änderungen vorzunehmen und neben der Ertüchtigung der Bundeswehr jetzt all diese wichtigen Bereiche zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit auf den Weg zu bringen. Darüber bin ich froh.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte an dieser Stelle einmal an die Adresse der Linken sagen: Wie glaubt man eigentlich, öffentlich vertreten zu können, dass es ausschließlich um Aufrüstung geht? Was soll das eigentlich? Haben Sie sich eigentlich damit auseinandergesetzt,
(Dr. André Hahn [Die Linke]: Ja!)
was diese Situation in Europa – die Abkehr von Donald Trump, die Belastung des transatlantischen Verhältnisses, nicht nur die Situation des Angriffs von Putin auf die Ukraine, sondern auch seine Ankündigungen und Drohgebärden in Richtung anderer europäischer Länder – für uns alle bedeutet? Machen Sie doch den Menschen nicht weis, hier ginge es nur um Aufrüstung und um die Stärkung der Bundeswehr! Es geht auch um den Zivilschutz. Wie wollen Sie eigentlich den Menschen erklären, dass der gar nicht mehr vorhanden ist?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn [Die Linke])
Ich will Ihnen als Zweites sagen: Wenn Sie nicht in der Lage sind, sich in der Sache auseinanderzusetzen, sich weiterzuentwickeln und sich mit der Realität in Europa zu beschäftigen, dass nämlich die Sicherheits- und Friedensordnung gefährdet ist wie noch nie und dass wir daraus Schlüsse für unser Parlament, für unser Land, für die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit anderen europäischen Staaten ziehen müssen,
(Anke Domscheit-Berg [Die Linke]: Dann schafft doch die Schuldenbremse einfach ab! – Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [Die Linke])
dann hören Sie wenigstens auf, Grüne in der Frage zu diffamieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir lassen uns nicht kaufen.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Höchstens für 100 Milliarden! – Stephan Brandner [AfD]: Nur wenn der Preis stimmt!)
Wir lassen uns auch nicht hundertmal von Ihnen auf irgendwelchen Sharepics sagen, Grüne seien käuflich. Wir haben nämlich genau zu dieser Frage der Sicherheit und der Friedensordnung in Europa eine tiefe Überzeugung, aus der heraus wir arbeiten und handeln und aus der heraus wir heute abstimmen werden.
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Gehen Sie hin und erklären den Bürgerinnen und Bürgern, warum Sie sich hier verweigern, wenn es um Zivilschutz
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
und um die Stärkung der nationalen Dienste geht, wenn es um die Frage geht, wie wir Sicherheit schaffen können, meine Damen und Herren! Sicherheit zu schaffen, das ist zwingend notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Einfach einsparen und für etwas anderes ausgeben! So einfach ist das!)
In Richtung der Union möchte ich noch eins sagen – Herr Merz, da spreche ich Sie auch persönlich an –: Heute ist oft die demokratische Mitte betont worden,
(Stephan Brandner [AfD]: Ja, wir wundern uns auch!)
die so wichtig ist in diesem Parlament. Ja, und wenn man in dieser Debatte die furchtbaren Zwischenrufe
(Tino Chrupalla [AfD]: Welche denn?)
der Feinde der Demokratie hört,
(Enrico Komning [AfD]: Hallo? Die Feindin der Demokratie steht gerade da vorne! – Gegenruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]: … und trägt ein grünes Jankerl!)
die in diesem Parlament einen Platz haben, dann weiß man, dass es eine sehr zentrale Frage der nächsten Jahre sein wird – Lars Klingbeil, Sie haben das auch angesprochen –, wie die demokratischen Parteien in diesem Land
(Stephan Brandner [AfD]: Sie werden zur Verbotspartei, oder?)
Vertrauen zurückgewinnen und wie sie den politischen Diskurs im Parlament und auch außerhalb prägen.
Ich möchte Ihnen einmal sagen:
(Stephan Brandner [AfD]: Nee, lieber nicht!)
Da waren Sie und Ihre Fraktion in den letzten drei Jahren keinesfalls stilbildend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn die Kraft der Argumente nicht mehr zählt und nicht mehr ausreicht,
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
wenn man sich entweder einfach verweigert oder den Diskurs im Land zum eigenen Vorteil vergiftet,
(Stephan Brandner [AfD]: Welche Argumente haben Sie denn? Sie schreien ja nur rum!)
dann trägt man auch eine Verantwortung. Und ich hoffe, dessen sind sich wirklich alle demokratischen Kräfte hier im Haus in der 21. Wahlperiode bewusst
(Tino Chrupalla [AfD]: Wir sind aber jetzt in der 20.! – Stephan Brandner [AfD]: Undemokratische Kräfte wie die Grünen wurden kleiner!)
und gehen entsprechend mit ihrer Verantwortung um.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als Nächster hat das Wort für die FDP-Fraktion Christian Dürr.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7630033 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 214 |
Tagesordnungspunkt | Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a) |