18.03.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 214 / Tagesordnungspunkt 1

Christian DürrFDP - Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a)

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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich teile die Einschätzung: Das ist tatsächlich ein historischer Tag für die Bundesrepublik Deutschland. Die Finanzarchitektur unseres Landes wird fundamental geändert. Die Schuldenbremse war kein Hindernis für Fortschritt; die Schuldenbremse war eine Versicherung für die kommende Generation.

(Beifall bei der FDP)

Und jetzt wird sie von einer zugegebenermaßen breiten Mehrheit des Hauses aus Union, SPD und Grünen zur Makulatur erklärt mit voller Absicht und mit erschreckender Leichtigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Einer Mehrheit eines abgewählten Hauses, eines aufgelösten Hauses!)

Herr Kollege Merz, die Tatsache – Ihre Fraktion war ja mit Zwischenrufen gerade ja sehr sparsam, als Sie und Herr Klingbeil geredet haben; da teile ich die Einschätzung von Frau Haßelmann –, dass Ihre Fraktion – machen wir uns nichts vor – auch am heutigen Tage in den Reden von Sozialdemokraten und Grünen – eben Frau Haßelmann – so vorgeführt werden kann, ist Ihrer Ambitionslosigkeit geschuldet.

(Beifall bei der FDP)

1 Prozent für die Verteidigungsfähigkeit wird das neue Normal im Bundeshaushalt sein. 10 Prozent des Bundeshaushaltes sollen für Investitionen zur Verfügung stehen; das wird das neue Normal sein. Sie verkaufen hier eine Grundgesetzänderung, Herr Merz, als notwendige Anpassung an neue Herausforderungen. Tatsächlich ist es der Startschuss für hemmungslose Schuldenmacherei.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Merz, statt einer Großen Koalition haben wir jetzt eine „SchuKo“,

(Stephan Brandner [AfD]: Es gibt keine Große Koalition! Wer ist denn da groß bei denen?)

eine Schuldenkoalition, die bereit ist, den Wohlstand von morgen für kurzfristige Wahlgeschenke zu opfern. Herr Merz, Sie führen künftig die erste Schuldenkoalition der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt hatten wir gehofft, dass die Verhandlungen mit den Grünen das Paket noch einmal besser machen. Leider mussten wir uns dann vom Gegenteil überzeugen: Es ist schlechter geworden, schlechter für die junge Generation, schlechter für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, schlechter für die Häuslebauer – übrigens auch schlechter für die Mieter, liebe Kollegen der SPD –, schlechter für Unternehmer, schlechter für die Menschen in unserem Land.

Ich frage mich: Welche Bedeutung – Herr Kollege Linnemann hat ja so hart am Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands gearbeitet – hat dieser Satz noch: „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen, sie sind die erdrückende Zinslast unserer Kinder“, meine Damen und Herren? Welche Bedeutung haben eigentlich noch die Grundsätze der CDU/CSU, wenn diese Abstimmung heute gelaufen ist?

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der AfD)

Ich sage Ihnen: Für die Freien Demokraten ist die Schuldenbremse eben kein Selbstzweck. Sie schützt die Generationen unserer Kinder und Enkel vor politischer Handlungsunfähigkeit, und sie sichert in Wahrheit, dass man in Notlagen auch Schulden machen kann, meine Damen und Herren. Und genau diese Notlage, die kann kommen, ja. Aber bereits jetzt verkaufen Sie die Zukunft, liebe Kollegen der Union. Das ist der historische Fehler an diesem heutigen Tag und in dieser Sitzung des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der FDP)

Bereits nach der ersten Lesung haben wir über unfassbare 1 000 Milliarden Euro neue Schulden gesprochen, die Union und SPD in den kommenden Jahren aufnehmen wollen. Allein das wäre schon der größte Anstieg in der Staatsverschuldung der Geschichte unseres Landes. Wir würden uns damit einreihen in die hochverschuldeten Staaten der Eurozone. Doch das war eben erst nur der Anfang. Dann kamen die Gespräche mit den Grünen.

Ich hatte kurzfristig die Hoffnung, Frau Kollegin Haßelmann, dass es doch noch aus den dreieinhalb Jahren Ampel eine gewisse Lernkurve gibt

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und Sie ein bisschen fiskalpolitische Stabilität in diese Verhandlungen bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Aber diese Hoffnung ist bitter enttäuscht worden, meine Damen und Herren. Denn natürlich ging es nur um mehr wirkungslose Klimaregulierung, darum, dass die Regierung mehr Freiräume hat beim Ausgeben und nicht weniger und dass es künftig noch mehr Schulden gibt als weniger.

Die „Bild“-Zeitung sagt heute: Im Deutschen Bundestag steht die „teuerste Entscheidung aller Zeiten“ an. Herr Merz, das, was Sie hier heute machen, ist Ihr ganz persönlicher Green Deal, und er führt Deutschland in die falsche Richtung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Jetzt haben wir es eben in Ihrer Rede noch einmal gehört; Sie haben es gerade angedeutet, Herr Merz. Sie haben gesagt: Jetzt kommen ja die Koalitionsverhandlungen; jetzt wird es in den Verhandlungen um die wahre Reformpolitik und die wahre Reformagenda gehen, die Deutschland – da sind wir in der Sache durchaus einer Meinung – so dringend braucht. – Aber die Frage ist doch: Geht das? Linke Fiskalpolitik und bürgerliche Wirtschaftspolitik, geht das wirklich zusammen, meine Damen und Herren?

Man muss sich übrigens auch mal verhandlungstaktisch die Frage stellen, ob es wirklich so klug ist, erst alles aus der Hand zu geben, in der Hoffnung, dann in Koalitionsverhandlungen den künftigen Koalitionspartner zu überzeugen. Ich glaube, das funktioniert nicht. Jedenfalls habe ich bei der SPD in den letzten dreieinhalb Jahren andere Erfahrungen gemacht, liebe Kollegen der Union.

(Beifall bei der FDP)

Aber es lohnt sich ein Blick auf die Folgen dessen, was heute entschieden wird. Während in den vergangenen dreieinhalb Jahren in einer Ampelkoalition mit Christian Lindner als Bundesfinanzminister die Staatsquote in Deutschland deutlich unter die 50-Prozent-Marke gesunken ist, hat das Kiel Institut für Weltwirtschaft jetzt ausgerechnet, dass die Staatsquote mit dem neuen Schuldenpaket schon dieses Jahr auf 50,5 Prozent und nächstes Jahr auf 51,5 Prozent steigen wird, meine Damen und Herren. Herr Merz, Sie sorgen für die höchste Staatsquote in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das tun Sie mit dem, was Sie heute entscheiden.

(Beifall bei der FDP)

Das zeigt doch, dass Sie heute nicht nur eine haushaltspolitische Entscheidung treffen, die Ihnen dann mehr Spielraum zum Regieren gibt; nein, mit der bewussten Entscheidung – der sehr bewussten Entscheidung! – eines jeden Unionsabgeordneten sorgen Sie mit dem heutigen Tag für eine höhere Staatsquote. Sie treffen vor allen Dingen die Entscheidung über den wirtschaftspolitischen Kurs Ihrer Kanzlerschaft, Herr Merz – ein Kurs, der dem Einzelnen schon beim Kauf des nächsten Autos sehr wenig zutraut, ein Kurs, der durch Regeln und Subventionen dem Unternehmer vorschreiben will, welche Investitionen getätigt werden sollen. Ich will es Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, Herr Merz: So wenig wie es einen vegetarischen Schlachthof gibt, so wenig gibt es einen ausufernden Staat, der die wirtschaftliche Freiheit hochhält. Das funktioniert nicht.

(Beifall bei der FDP)

Eigentlich soll ja das Grundgesetz die staatliche Gewalt und die Regierung binden und einschränken, damit sie nicht übergriffig wird, auch gegenüber zukünftigen Generationen. Stattdessen tun Sie mit dieser Grundgesetzänderung das exakte Gegenteil – Frau Kollegin Haßelmann hat es gerade angesprochen –, beispielsweise beim erweiterten Sicherheitsbegriff.

Nur an dem einen Beispiel will ich es deutlich machen, welche Absurdität heute beschlossen werden könnte: Künftig können auch die Nachrichtendienste in Deutschland und ihre Beamten mit Schulden bezahlt werden. Wer heute die Kernaufgaben des Staates mit Schulden bezahlt, der hat offensichtlich keinerlei Gefühl für solide Haushalts- und Fiskalpolitik, Herr Kollege Merz.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Es werden hier Verschiebebahnhöfe eingerichtet. In den kommenden Jahren stehen mit Ihrem Sondervermögen dem Bund fast 270 Milliarden Euro zusätzliche Schuldenaufnahme zu, die weder in die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes noch in echte Infrastrukturinvestitionen fließen werden. Nein, es ist in Wahrheit Spielgeld, das eine kommende Koalition auf dem Rücken der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland zusammenhalten will, meine Damen und Herren; darum geht es in Wahrheit.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt könnte man viele Ökonomen wie Frau Grimm und andere hier zu Wort kommen lassen. Aber ich möchte einen Ökonomen zitieren, meine Damen und Herren, der nicht gerade zum ordoliberalen Fanklub der Freien Demokraten gehört, nämlich Moritz Schularick, einen der Verfasser der Ideen Ihres Megaschuldendeals. Herr Merz, selbst Herr Schularick, dieser Kritiker der Schuldenbremse – das ist ja Ihr neuer Lieblingswirtschaftswissenschaftler –, sagt, dass die Investitionsquote von 10 Prozent, ab der man alles mit Schulden finanzieren kann, viel zu ambitionslos ist. Christian Lindner hat als Finanzminister dafür gesorgt, dass die Investitionsquote des Bundes im Bundeshaushalt sehr deutlich über 10 Prozent liegt.

Herr Merz, es steht ernsthaft zu befürchten, dass auch Teile des explodierenden Sozialetats in Zukunft aus Schulden bezahlt werden. Sie wollen nicht in die Zukunft investieren, sondern in einen ausufernden Sozialstaat. Und das ist doch nun wirklich nicht die Definition von bürgerlicher Politik in der Bundesrepublik Deutschland; es ist das Gegenteil, was Sie hier tun.

(Beifall bei der FDP)

Herr Merz, den Wortbruch müssen Sie mit sich, Ihrer Partei und den Wählerinnen und Wähler der Union ausmachen; das ist für mich keine Frage. Aber das, was Sie hier heute tun, ist eben das Gegenteil dessen, was Deutschland als wirtschaftspolitische Agenda braucht. Ich habe es gerade gesagt: Ich glaube nicht, dass man linke Fiskalpolitik mit bürgerlicher Wirtschaftspolitik zusammenbringen kann, wenn ich mir zum Beispiel anschaue: willkürlicher Mindestlohn ohne die Tarifpartner, Zwangsquoten für grünen Stahl, mehr Mütterrente statt echter Rentenreform, Mietpreisbremse, Tariftreuegesetz, weitere Lieferkettenbürokratie, keinerlei Einsparungen

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

und jetzt natürlich auch noch die Festschreibung der Klimaneutralität bis 2045.

(Zuruf des Abg. Nils Gründer [FDP])

Herr Kollege Merz, es geht in Deutschland in diesen wirtschaftlich zugegebenermaßen sehr, sehr schwierigen Zeiten auch um die Lebenschancen eines jeden Einzelnen in unserem Land. Die Union hat sich mit der Abstimmung am heutigen Tag gegen eine echte Wirtschaftswende und wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik Deutschland entschieden. Und das ist Ihnen nach der Bundestagswahl vorzuwerfen: dass Sie diese Entscheidung mit der namentlichen Abstimmung später treffen. Sie tun das Gegenteil dessen, was an dieser Stelle richtig wäre.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: ... und was er versprochen hat!)

Den Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Der Kollege Ralph Brinkhaus, Ihr Vorgänger im Amt, hat es aus meiner Sicht vor wenigen Tagen wunderbar auf den Punkt gebracht: „Wenn viel Geld da ist, dann ist der Reformdruck nicht mehr da. Das heißt: Viel Geld, keine Reformen.“ Das wird Ihre Kanzlerschaft kennzeichnen, Herr Kollege Merz.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sagte eingangs: Das hier ist eine historische Sitzung des Deutschen Bundestages. Es ist zugleich eine für uns, weil es die vorerst letzte Sitzung für die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ist. Ich sage das ohne Groll und ohne Bitterkeit; die Wähler haben das so entschieden. Die demokratische Mitte des nächsten Bundestages, bestehend aus Union, SPD und Grünen,

(Stephan Brandner [AfD]: Nee, nee, das sind die nicht!)

trägt für die nächsten Jahre die Verantwortung für unser Land.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

In dieser besonderen Situation und nach der Entscheidung heute ist es aus meiner Sicht ein Stück weit paradox, dass es im nächsten Bundestag keine liberale politische Kraft geben wird. Doch ich bin überzeugt: Es wird in den kommenden Jahren eine Renaissance liberalen Denkens und liberaler Politik geben,

(Stephan Brandner [AfD]: Das machen schon wir hier von der AfD!)

weil wir von fiskalischer Solidität als Grundlage einer freien Gesellschaft zutiefst überzeugt sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Sie sind abgewählt worden, weil Sie nicht geliefert haben! – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Wir erleben das, und ich hier vorne erlebe das gerade an den Zwischenrufen der AfD. Die einen bekämpfen den Staat, indem sie Hass und Misstrauen in seine Institutionen säen. Und die anderen drohen jetzt den Staat so sehr zu umarmen, dass er handlungsunfähig werden könnte, insbesondere mit Blick auf die kommenden Generationen. Dabei muss die Antwort eine andere sein: eine Politik, die dem Einzelnen etwas zutraut, und ein Staat, der in seinen Kernaufgaben stark ist.

Meine Damen und Herren, der sorgsame Umgang mit der hart erarbeiteten Freiheit eines jeden Einzelnen wird ein Kernanliegen der Freien Demokraten sein. Ja, dieses Anliegen wird in den kommenden Jahren ein Anliegen der außerparlamentarischen Opposition sein; aber die Freien Demokraten nehmen genau diese Aufgabe an.

Ich sage: Herzlichen Dank und auf Wiedersehen!

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7630034
Wahlperiode 20
Sitzung 214
Tagesordnungspunkt Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a)
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