18.03.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 214 / Tagesordnungspunkt 1

Boris Pistorius - Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir stehen vor Entscheidungen von historischer Bedeutung. Sicherheit und Zukunft unseres Landes hängen davon ab. Jeder weiß es: Deutschland fährt auf Verschleiß. Unsere Infrastruktur ist in die Jahre gekommen –

(Stephan Brandner [AfD]: Seit 30 Jahren! Und 20 Jahre regieren Sie!)

von der Energieversorgung über die Straßen und Schienenwege bis hin zu Krankenhäusern und Schulen. Wir brauchen dringend Investitionen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig stehen wir vor einer der größten, wenn nicht der größten sicherheitspolitischen Herausforderung in der Geschichte unseres Landes –

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

eine Herausforderung, die wir allein nicht werden meistern können. Wir brauchen ein starkes Europa, das in der Lage ist, unseren Wohlstand, unsere Freiheit und unsere Sicherheit zu verteidigen: für uns, aber vor allem auch für die kommenden Generationen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Europäer müssen erwachsen werden. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Wir brauchen ein neues, ein gemeinsames sicherheitspolitisches Bekenntnis. Es geht um das Tragen von Verantwortung: für unsere eigene Verteidigung, für die Menschen auf unserem Kontinent und für unser Bündnis. Eine Verantwortung, meine Damen und Herren, die wir genau jetzt, hier und heute, übernehmen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Die heutige Abstimmung duldet deshalb auch keinen Aufschub.

Die Entscheidung wird mit den Mehrheiten des alten Bundestags getroffen, bevor sich der neue konstituiert. Und ja, das stößt auf Kritik. Aber, meine Damen und Herren, wer heute zaudert, wer sich heute nicht traut, wer meint, wir könnten uns diese Debatte noch über Monate leisten, der verleugnet die Realität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe der Abg. Dr. Marcus Faber [FDP] und der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sie und ich wissen: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Deswegen, lieber Herr Dürr: Wir verkaufen nicht die Zukunft, wie Sie in Ihrem religiösen Eifer für die Schuldenbremse glauben machen wollen. Wir sichern die Zukunft für dieses Land.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Sie verraten sie!)

Russland stellt mit Abstand die größte Bedrohung für die europäische Sicherheit dar. Putin geht auch nach den Angeboten für Waffenstillstandsverhandlungen und anderem mit unverminderter Härte gegen die Ukraine und ihre Zivilbevölkerung vor. Auch seine öffentliche Reaktion auf die Verhandlungen in Dschidda macht deutlich, dass er keinen Frieden will – jedenfalls keinen, der nicht unter seinen Bedingungen stattfindet. Auch wenn derzeit über eine Waffenruhe diskutiert wird, meine Damen und Herren, bleiben der Ausgang dieses Krieges und die langfristige Sicherheit der Ukraine ungewiss. Deswegen wird es letztlich auf uns ankommen, auf uns Europäerinnen und Europäer. Wir müssen für unsere eigene Sicherheit und die unseres Kontinents sorgen, und zwar deutlich mehr, deutlich besser und deutlich geeinter als in den vergangenen Jahrzehnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber, meine Damen und Herren, das bedeutet eines gleichzeitig nicht – und das sage ich ganz unmissverständlich –:

(Martin Reichardt [AfD]: Oh!)

Unsere Verbindung mit den USA, mit unseren langjährigen amerikanischen Alliierten, werden wir nicht infrage stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen und wir brauchen das enge transatlantische Bündnis und die Partnerschaft. Was wir heute entscheiden, wird diese Partnerschaft langfristig stärken, weil sie unser Bündnis damit noch stärker macht und auf zwei Beine stellt, nämlich Nordamerika und Europa.

Ich habe mich vor diesem Hintergrund vor wenigen Tagen erneut mit meinen vier Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Italien, also der Group of Five, die ich am Tag nach Trumps Wiederwahl ins Leben gerufen habe, in Paris getroffen. Wir haben besprochen, wie wir die Ukraine langfristig unterstützen, auch über das Ende eines Krieges hinaus, und wie wir unsere eigene Verteidigungsfähigkeit sichern können. Gleichzeitig wollen wir unsere eigene Verteidigung entschlossen und schnell vorantreiben, weil das das Gebot der Stunde ist. Und: Wir müssen und wir wollen dabei europäischer denken und handeln, meine Damen und Herren.

Die NATO wird im Juni ihre Fähigkeitsziele beschließen, um auf die veränderte Bedrohungslage zu reagieren. Und sie verändert sich, meine Damen und Herren. Sie hat sich verändert durch Putins Krieg gegen die Ukraine. Sie verändert sich durch eine Verlagerung des amerikanischen Engagements mehr in den Indopazifik. Unsere Verantwortung wird größer und damit auch die Last, die wir zu tragen haben als Europäerinnen und als Europäer. Wir Deutsche werden in Europa dabei eine zentrale Rolle übernehmen müssen. Das wird in allen europäischen Hauptstädten so gesehen. Das bedeutet: mehr Truppen, mehr Ausrüstung, schnellere Einsatzbereitschaft. Meine Damen und Herren, kurz gesagt: Der Finanzbedarf dafür wird massiv steigen.

Ich bin mir bewusst: Unser heutiger Vorschlag hat eine Tragweite, die weit hinausgeht über die bisherige Zeitenwende. Die Zeitenwende war der Wendepunkt hin zu einer neuen Epoche;

(Zuruf von der AfD)

denn vor der stehen wir jetzt. Wir stehen vor einer neuen Epoche für Europa, für Deutschland, für die NATO und für die kommenden Generationen. Heute geht es eben auch und vor allem um die Sicherheit unserer Kinder und Enkelkinder. Wir schlagen daher ein umfassendes Finanzierungspaket vor. Es stellt sicher, dass unsere Verteidigungsfähigkeit gestärkt wird, ohne unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden.

(Dr. Marcus Faber [FDP]: Das steht da nicht drin!)

Es geht um drei Dringe:

Erstens. Wir schaffen ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur und den Klimaschutz. Länder und Kommunen dürfen Kredite aufnehmen für Investitionen; dazu hat Lars Klingbeil gerade alles Notwendige gesagt.

Zweitens. Wir entkoppeln den Verteidigungshaushalt von der Schuldenbremse. Damit schaffen wir mehr Flexibilität und mehr Planungssicherheit, die wir und auch die Rüstungsindustrie dringend brauchen.

(Zuruf des Abg. Dr. Marcus Faber [FDP])

Meine Damen und Herren, unsere Sicherheit darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen weg vom fiskalisch Machbaren hin zu verteidigungsbereiten Streitkräften,

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ging früher auch ohne Schuldenbremse!)

für das Hier und Jetzt und für morgen, meine Damen und Herren. Damit gilt zukünftig für unsere Sicherheitsvorsorge ein einfacher Satz: Bedrohungslage steht vor Kassenlage.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um zu verhindern, dass diese Mittel an anderer Stelle fehlen, sollen alle Ausgaben für die Bundeswehr, die über 1 Prozent des BIP hinausgehen, nicht mehr auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Wir sorgen damit für eine stabile Finanzierung unserer Streitkräfte, unseres Zivil- und Bevölkerungsschutzes und unserer Nachrichtendienste – und das eben, ohne andere dringend notwendige Investitionen zu gefährden. Das ist neu, und das ist historisch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So können wir unsere gesamtstaatliche Verteidigungsfähigkeit stärken und Deutschland in jeder Hinsicht widerstandsfähiger machen. Dabei ist klar – um das deutlich zu sagen –: Mehr Mittel sind keine Blankoschecks. Sie werden effizient und wohlüberlegt eingesetzt werden, und sie obliegen weiterhin der parlamentarischen Kontrolle.

(Zurufe der Abg. Dr. Marcus Faber [FDP] und Martin Reichardt [AfD])

Drittens. Wir werden die Beschaffung für die Bundeswehr weiter massiv beschleunigen und effizienter machen. Ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz wird dafür sorgen, nicht mehr Jahre oder Jahrzehnte ins Land gehen lassen zu müssen, um dringend benötigtes Material günstig und effizient zu beschaffen.

Meine Damen und Herren, die Zeiten, in denen wir uns in der Hoffnung wiegen konnten, andere würden schon für unsere Sicherheit sorgen, sind vorbei. Unsere Bündnispartner erwarten zu Recht, dass Deutschland aus seinem sicherheitspolitischen Schatten tritt; und das geht nur mit einer starken Bundeswehr. Wir müssen dafür die Truppe in allen Bereichen besser aufstellen: bei der Luftverteidigung, bei der Artillerie, bei der Logistik, in der Weltraumüberwachung sowie im Cyber- und Informationsraum. Wir brauchen mehr Drohnen, Marschflugkörper und mehr seegestützte Fähigkeiten. Wir brauchen mehr Personal, aktive Soldatinnen und Soldaten ebenso wie Reservisten. Und all das kostet viel Geld.

Gerade als ehemaliger Landespolitiker sehe ich die Bedeutung für die Länder und Kommunen. Wer tagtäglich mit den Menschen vor Ort spricht, der weiß, die Bürgerinnen und Bürger erwarten Lösungen, keine endlosen Debatten ohne richtige Ergebnisse.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie erwarten konkretes Handeln für die Sicherheit und für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel, ihrer Familie und ihrer Freunde. Mit diesem Beschluss können die Länder endlich in den Bevölkerungsschutz investieren, in Krankenhäuser, in Bildung. Und wir werden dafür sorgen, dass die Mittel schnell und unbürokratisch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

Verehrte Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sprach anfangs von der historischen Bedeutung der heute anstehenden Entscheidung. Sie alle haben heute die historische Chance, mit Ihrer Zustimmung zu unserem Vorschlag die Sicherheit und den Wohlstand unseres Landes für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. In den letzten Wochen und Monaten mussten wir uns zu oft auf der internationalen Bühne überraschen lassen. Zwar haben wir jeweils entschieden reagiert, aber ganz ehrlich, meine Damen und Herren, ich möchte, dass wir agieren, ich möchte, dass wir vor die Lage kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen dafür sorgen, dass uns die Ereignisse nicht irgendwann einholen oder sogar überholen.

Lassen Sie uns handeln und die Zukunft Deutschlands und Europas gestalten! Ich baue auf die Stimme jedes einzelnen Mitglieds dieses Hauses. Packen wir es an!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7630036
Wahlperiode 20
Sitzung 214
Tagesordnungspunkt Änderung d. Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h, 87a)
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