14.05.2025 | Deutscher Bundestag / 21. WP / Sitzung 3 / Tagesordnungspunkt 2

- Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir haben vorhin gleich zu Eingang des heutigen Tages das Leben und Wirken von Margot Friedländer wirklich auf bewegende Weise gewürdigt. Der Kollege Alexander Hoffmann hat es ja gewissermaßen in einen Haltungsauftrag transponiert. Ich gehe in diesem Punkt einen Schritt weiter:

Die Essenz der Lebenshaltung dieser wunderbaren, großartigen Frau verstehe ich nicht nur als Vorbild, sondern auch geradezu als einen programmatischen Auftrag für die Kulturpolitik. Margot Friedländers unermüdliches Engagement für die Aufarbeitung und die Erinnerung der nationalsozialistischen Verbrechen, aber eben auch ihr Einsatz für Versöhnung und Demokratie, vor allem aber die hohe Würde der Humanitas, das sollte uns Leitbild sein für unseren politischen Auftrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD)

Das Friedländer-Geschenk – ich nenne es ein Geschenk, was diese Frau uns hinterlassen hat –, das Geschenk der Menschlichkeit an unser Land und auch an die Gesellschaft ist wirklich kostbar, und deswegen müssen wir es schützen. Ich habe darum die Amtszeit begonnen in einem demonstrativen Schulterschluss mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Nancy Faeser [SPD])

und mit einem Aufruf, Antisemitismus in Deutschland konsequenter zu bekämpfen. Es gilt für mich dort eine Nulltoleranzpolitik gegen Antisemitismus. Warum? Weil es zum innersten Kern unserer moralischen Integrität gehört, dass wir aufstehen, wenn Jüdinnen und Juden sich nicht mehr sicher fühlen in Deutschland und Europa. Und die Wahrheit ist: Sie fühlen sich nicht mehr sicher.

Wir erleben gerade heute einen geradezu erschreckenden Fall beim Eurovision Song Contest, der an diesem Wochenende mehr als 150 Millionen Zuschauer in seinen Bann ziehen wird. Sie werden es mitbekommen haben: Die Boykottaufrufe, die Drohungen, auch die verbalen Angriffe auf die Sängerin Israels, die selber bei dem Hamas-Massenmord auf das Nova-Musikfestival nur überlebte, weil sie sich unter Leichen versteckte, sind aus meiner Sicht ein unerträglicher Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Doch Margot Friedländers Vermächtnis hat auch für die Erinnerungskultur konkrete Folgen. Die Singularität des Holocaust muss unmissverständlich klar bleiben. Verharmlosung, Geschichtsrevisionismus oder auch Relativismus haben hier keinen Platz. Sie sind fehl am Platz. Deswegen werden wir Kulturprojekte, die antisemitische Ziele auch nur im Ansatz oder versteckt verfolgen, nicht mehr finanziell fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Es hat ein zweites, historisch wirklich bedeutsames Element der Kulturpolitik in diesen Tagen Schlagzeilen gemacht: die Einigung mit dem Hause Preußen. Das ist wirklich ein gewaltiger Erfolg für den Kulturstandort Deutschland. Und die Einigung über den Verbleib der Kunstgegenstände der Hohenzollern steht nun vor einem Abschluss. Das ist ein 100 Jahre alter Konflikt, ein bitterer Konflikt, um Streitigkeiten um Tausende von Kunstobjekten, die für das Verständnis Preußens und damit für unsere Geschichte insgesamt von zentraler Bedeutung sind. Nun sind sie für die öffentliche Hand gesichert, und die Öffentlichkeit ist damit der große Gewinner. Das reicht von spektakulären Cranach-Gemälden bis zum Sterbesessel Friedrichs des Großen, die nun zukunftssicher in unseren Museen zu sehen sein werden.

Ich danke in diesem Zusammenhang den Ländern Brandenburg und Berlin. Ich danke den Kulturpolitikern aller Parteien der politischen Mitte und insbesondere auch meiner Amtsvorgängerin, die sich dafür sehr eingesetzt und diesen Konsens ermöglicht hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden diesen parteiübergreifenden Konsens auch in anderen Fragen brauchen wie beim Kulturgutschutzgesetz, das zur Novellierung ansteht, und auch bei den Vorschlägen, die ich zur Erhaltung der Medienvielfalt und Meinungsfreiheit machen werde. Erlauben Sie mir, da zwei kurze Leitlinien zu skizzieren, die wichtig sind:

Zum einen werden wir auf mehreren Ebenen die Europäisierung der Medienpolitik vorantreiben. Das reicht von der Deutschen Welle, die ihren Auftrag weiten wird, bis hin zur KI-Regulierung. Europa ist nicht nur unsere Herkunft, Europa ist nicht nur unsere Zukunft, sie ist diesbezüglich auch unsere Zunft.

Zum anderen werden wir die freiheitliche Wettbewerbsorientierung der Medienpolitik deutlich stärken. Das betrifft insbesondere den Umgang mit Onlineplattformen und ihren fast monopolistischen Strukturen. Demokratie setzt die freie Debatte voraus. Wir müssen darum alles tun, um die Räume des Diskurses weit zu halten und die Medienvielfalt zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Und wir müssen uns – da treffen sich die beiden Leitlinien Europa und Freiheit – von der Abhängigkeit amerikanischer und chinesischer Digitalkonzerne emanzipieren. Denn unsere Verletzlichkeit in diesem Zusammenhang ist schon viel zu groß geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Geleitet wird die Kultur- und Medienpolitik der nächsten Jahre von einem einfachen Grundmotiv Friedrich Schillers, nämlich dem, wonach die Kunst eine Tochter der Freiheit ist. Deswegen sollte Politik auch nicht versuchen, Kultur und Medien zu instrumentalisieren, sie für unsere Zwecke, übrigens auch wohlgemeinte, einzuspannen. Kultur darf keine subventionierte Assistentin des Staates sein. Sie ist auch keine Platzanweiserin der politischen Korrektheit. Sie ist keine NGO mit Orchester und Museum.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Freiheitliche Kulturpolitik glaubt vielmehr an ihre originäre Kraft, an die Weite von Bildung, an die Freiheit im Denken, an die Magie der Ästhetik, also auch an die Schönheit des Zweifels, an die Kunst an sich. Wir setzen daher auf die offene Bühne und nicht auf die geschlossene Gesellschaft.

Es gibt ein uraltes Sprichwort über das deutsche Bildungsbürgertum, und das besagt: Die deutsche Kultur ist verliebt ins Gelingen. Ich finde das ein schönes Leitmotiv für Deutschland und für sein kulturelles Bewusstsein insgesamt. Und das könnte auch eine politische Haltung der Regierung in der nächsten Legislatur werden. Unsere Kulturpolitik rückt damit – und da muss ich Sie leider sehr enttäuschen – nicht nach rechts,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

sie rückt auch nicht nach links,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Das hat er ja gesagt! Genau das!)

sondern sie bleibt eng stehen an der Seite einer freien und kreativen Kultur.

Denn ihre Integrität basiert auf einer einfachen Erkenntnis: dass die Achtung der Würde des Einzelnen der Schlüssel zu allem ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und da gibt es eine große Distanz zwischen der politischen Mitte

(Mirze Edis [Die Linke]: Wir sind auch hier, Herr Minister!)

und dem, was Sie als kulturelle Ligatur verbreiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn gute Kulturpolitik agiert nicht von oben herab aus einer bestimmten politischen Haltung; sie stärkt die Kräfte von innen heraus.

Insofern freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Chantal Kopf das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7630988
Wahlperiode 21
Sitzung 3
Tagesordnungspunkt Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
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