Paula PiechottaDIE GRÜNEN - Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen in der GKV
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ates Gürpinar, ich bin euch sehr dankbar, dass ihr jetzt in die inhaltliche Arbeit einsteigt, weil es zeigt, dass ihr Politik – anders, als das gerade manche hier gesagt haben – eben nicht darauf begrenzt, einmal pro Tag aus dem Plenum rausgetragen zu werden. Aber dazu gehört auch, dass man sich ernsthaft mit euren Anträgen auseinandersetzt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wenn ich die bisherige Kritik ein bisschen platt fand, muss ich zum Beispiel zur Beitragsbemessungsgrenze doch sagen – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Die so hochzusetzen, würde im aktuellen System zwangsläufig dazu führen, dass viele Tausende Menschen in diesem Land in die private Krankenversicherung wechseln
(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Oh!)
und dann eben der gesetzlichen nicht mehr zur Verfügung stehen. Das funktioniert nicht, genauso wie es nicht funktioniert, einfach nur die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu fordern. Das würdet ihr nicht mal mit den Landesregierungen, an denen ihr beteiligt seid, durch den Bundesrat kriegen, weil das natürlich auch Einnahmeausfälle für Bund und Länder bedeuten würde.
An der Stelle jetzt noch mal zurück zur Bundesregierung. Leider ist Frau Warken heute nicht da. Wir sind sehr nett und haben sie nicht herbeizitiert; ich glaube, das werden wir nicht jedes Mal so machen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Warken ist ja jetzt schon relativ berühmt dafür, dass sie die GKV als „Notfallpatient“ bezeichnet hat. Jetzt möchte ich, ähnlich wie Kollege Pantazis, schon sagen, dass es mir auch als Ärztin so vorkommt, als ob sie diesen Notfallpatienten GKV zur Notaufnahmetür reinfahren lässt, ein paar Geldscheine draufschmeißt, drei Formulare ausfüllt und so lange wartet und nichts macht, bis dieser Patient auf der Intensivstation ist. Das passiert tatsächlich in manchen deutschen Notaufnahmen, und deswegen wäre die Notfallreform superwichtig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber bei diesem GKV-System können wir es uns nicht leisten, dass Frau Warken jetzt noch zwei Jahre warten will, bis wirklich was passiert.
Wenn es ganz konkret darum geht, Geld für höhere Steuerzuschüsse in die Pflegeversicherung und in die GKV freizumachen, dann wäre es zum Beispiel eine Möglichkeit, jetzt Transparenz in Sachen Masken herzustellen. Wir müssen als Steuerzahler in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich noch 3,5 Milliarden Euro für die Maskengeschäfte von Jens Spahn bezahlen, zusätzlich zu dem, was wir bislang bezahlt haben.
Frau Abgeordnete, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Kommt darauf an, von wem.
Vom Kollegen Gürpinar, Linkspartei.
Zu Masken?
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ist das ein Ja oder ein Nein?
Das ist ein Ja.
Bitte.
(Martin Reichardt [AfD]: Ist das niedlich! O Gott! – Weiterer Zuruf von der AfD: Ich glaube, die gehen heute Abend noch aus!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bei den ersten Reden versucht, mich zurückzuhalten; ich habe es nicht ganz geschafft. Bei Ihnen, Frau Piechotta, muss ich eine kurze Anmerkung machen.
Sie haben, glaube ich, den ersten Satz unter Punkt eins gelesen, dass die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf 15 000 Euro erfolgen soll. Den zweiten Satz haben Sie leider vergessen zu lesen – und es waren nur fünf Seiten –, nämlich dass die Versicherungspflichtgrenze logischerweise dementsprechend auch angehoben werden soll und damit die Möglichkeit zum Übergang in die PKV für die betreffenden Personen wegfällt. Drittens möchte ich sagen, dass dort auch drinsteht, dass die PKV perspektivisch als solche gar nicht mehr existieren soll.
Also: Wieso haben Sie noch mal gesagt, dass wir die PKV fördern und nicht die gesetzlichen Krankenkassen? Und wären Sie dabei, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, wenn alle Teil der gesetzlichen Krankenversicherung wären, wie es meines Erachtens die Grünen auch mal gefordert haben? Die letzte Frage: Wenn Sie noch bis September 2025 regiert hätten, hätten Sie und die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen dann dafür gesorgt, dass wir in eine Reform der Krankenversicherung einsteigen, oder nicht?
(Beifall bei Abgeordneten der Linken)
Frau Kollegin Piechotta, Sie haben nach dieser Antwort, die präzise in diese Richtung gerichtet sein sollte, noch 4,3 Sekunden.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich bin jetzt in der Beantwortung der Frage. – Lieber Ates Gürpinar, vielen Dank für die vier Fragen, wenn ich richtig mitgezählt habe.
Das Spannende ist ja tatsächlich – und das sind Debatten, die seit vielen, vielen Jahren geführt werden –: Wie gestaltet man die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, für die wir sind, für die die SPD ist und für die auch relevante Teile der Union sind,
(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Nein! Das können Sie vergessen!)
die das in der letzten Wahlperiode tatsächlich auch vorgeschlagen haben, bis sie von ihren eigenen Leuten zurückgepfiffen wurden,
(Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht, das stimmt! Helge Braun zum Beispiel!)
tatsächlich so, dass man an der Stelle nicht zu einer Schwächung des GKV-Systems kommt, sondern zu einer Stärkung? Sie wissen aber selber ganz genau, dass wir hinsichtlich der Beitragsbemessungsgrenze und auch hinsichtlich der Versicherungspflichtgrenze von den Gerichten starke Vorgaben dahin gehend bekommen haben, dass wir diese eben nicht bis ins Unendliche ausweiten können, weil das Versicherungsprinzip am Ende gelten muss. Deswegen sind wir da eben nicht, wie der Antrag aus meiner Sicht suggeriert, völlig frei in der Bestimmung der Höhe. Das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich ist es so, dass wir als Grüne uns immer dafür einsetzen, dass wir zu einer Überwindung der Trennung in PKV und gesetzliche Krankenversicherung kommen, und dass wir seit vielen Jahren dafür werben. Wenn es in diesem Land mal dazu kommt, dass Die Linke auch auf Bundesebene tatsächlich koalitionsfähig ist, weil sie ihre Außenpolitik überdenkt,
(Zurufe von der Linken – Simone Borchardt [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)
dann haben wir vielleicht in diesem Deutschen Bundestag auch eine Mehrheit für die Einführung der Bürgerversicherung. Ich freue mich darauf. Wir werden das gemeinsam schaffen.
An der Stelle vielen herzlichen Dank. Und bis zum nächsten Mal, Frau Warken – in Abwesenheit. Danke, Herr Kippels, dass Sie da sind!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 21 |
Session | 10 |
Agenda Item | Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen in der GKV |