Thomas RöwekampCDU/CSU - Verteidigung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir geht es wahrscheinlich wie vielen von Ihnen. Insbesondere in Gesprächen mit den eigenen Kindern, aber auch mit jungen Menschen wird die Frage gestellt: Glauben Sie, glaubst du, es wird Krieg in Deutschland geben? Und anders als vor 15 Jahren, kommt nicht automatisch die Antwort: Nein, niemals.
Wenn man sich das Geschehen in der Ukraine anschaut, dann muss man nüchtern feststellen: Wir in Deutschland sind natürlich nicht im Krieg, aber wir befinden uns schon lange nicht mehr im Frieden. Der Krieg, den Russland in der Ukraine führt, führt es gegen uns: gegen unsere Demokratie, gegen unsere Freiheit, gegen unseren Frieden, gegen unseren Wohlstand, gegen unsere gesellschaftliche Ordnung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist Krieg in Europa, meine Damen und Herren, und darauf müssen wir eine Antwort geben.
Der vorliegende Haushaltsentwurf gibt diese Antwort. Der vorliegende Haushaltsentwurf ist nur dadurch möglich geworden, dass wir gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen in der letzten Legislaturperiode noch die Grundlage dafür geschaffen haben, dass wir die der NATO gegebenen Zusagen auch tatsächlich einhalten. Dabei steht aber genauso fest: Mit Geld gewinnt man keinen Krieg. Meine persönliche Lebenserfahrung ist: Geld wirkt nicht abschreckend, schon gar nicht auf Putin. Wir werden auf der Grundlage dieses Haushalts in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren darüber reden, wie wir aus dem Geld militärische Fähigkeiten machen können. Es kommt sehr darauf an, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir das Geld für unsere Verteidigung ausgeben können.
An dieser Stelle zeigt sich aus meiner Sicht der deutliche Unterschied insbesondere zur AfD-Fraktion. Wir kommen nicht nur nicht aus derselben Denkschule; wir haben vielmehr in der Frage von Krieg und Frieden grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen. Wir diskutieren nicht darüber, ob wir aus dem Solidaritätsbündnis der NATO aussteigen wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Wir auch nicht!)
Wir wollen die Europäische Union nicht beenden. Wir wollen mit Putin keine Sicherheitspartnerschaft eingehen. Wir wollen uns gemeinsam mit der NATO wirksam gegen eine mögliche russische Aggression verteidigen können. Das ist etwas anderes als eine andere Denkschule. Das ist eine grundsätzlich andere Auffassung von Krieg und Frieden, von Bedrohung und von gesellschaftlicher Verteidigungsfähigkeit. Deswegen wird es nie eine Gemeinsamkeit mit Ihnen in der Sache geben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden begleitend zu dem Geld, das wir jetzt zur Verfügung stellen, darüber reden müssen, Herr Minister, wie wir die der NATO gegebenen Fähigkeiten personell unterlegen können. Dazu gibt es offensichtlich einen ersten Vorschlag. Aber klar ist: Es muss verbindliche Vereinbarungen darüber geben, in welchen Schritten wir den Aufwuchs bei der Bundeswehr gestalten wollen. Zunächst wollen wir versuchen, das über Freiwilligendienste zu generieren.
(Falko Droßmann [SPD]: Das gelingt!)
Aber das bedeutet auch: Wenn das nicht gelingt, ist der nächste Schritt zwangsläufig. Der nächste Schritt ist: Wir müssen noch in dieser Legislaturperiode in der Lage sein, wenn es die sicherheitspolitische Lage erfordert oder wenn es die Verteidigungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr notwendig machen, wieder auf die Wehrpflicht zurückzugreifen, um unseren Fähigkeitsbeitrag in der NATO leisten zu können.
(Beifall bei der CDU/CSU – Gerold Otten [AfD]: Jetzt sind wir wieder in unserer Denkschule!)
Der zweite Teil meiner Rede betrifft die Frage: Was bedeutet das eigentlich für die Beschaffung? Und auch da steht fest: Es gibt Verbesserungsbedarf. Wir werden noch in diesem Sommer, auch hier im Parlament, miteinander über ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz reden, das die Voraussetzung dafür schaffen soll, dass wir für die Bundeswehr schneller, zielgerichteter und auch in größeren Mengen produzieren können. Übrigens ist das erforderlich, damit wir in Deutschland die industriellen Kapazitäten für die Rüstungsgüter vorhalten können, die wir für unsere eigene Truppe, aber auch für die Europäische Union und insbesondere für die NATO brauchen.
(Jan Ralf Nolte [AfD]: Die CDU schwächt Deutschland!)
Darüber hinaus müssen wir über Regulatorik reden. Wir müssen über Zuständigkeiten und Fähigkeiten reden. Ich werbe sehr dafür, die Zuständigkeiten bei den Verteidigungsfähigkeiten zusammenzulegen. Es kann nicht sein, dass wir uns gegen einen möglichen Drohnenangriff in Deutschland mit 17 unterschiedlichen Behörden verteidigen wollen. Die Sicherheitsarchitektur, die wir in Deutschland haben, atmet einen anderen Geist. Sie atmet nicht die gegenwärtige hybride Bedrohung, sie atmet nicht die militärischen Fähigkeiten, über die wir reden, und sie atmet auch nicht eine schnelle und zügige Antwort.
Der letzte Teil, zu dem ich etwas sagen möchte, ist viel grundsätzlicherer Art. Wir müssen sicherlich über den Haushalt, über Beschleunigung und über personellen Aufwuchs reden. Aber am meisten Sorgen macht mir die Frage: Ist unsere Gesellschaft eigentlich resilient genug für die Frage von Krieg und Frieden? Wenn man sich die Umfrage vom letzten Freitag anschaut, dann sieht man: Die Mehrheit ist für einen personellen Aufwuchs bei der Bundeswehr und sogar für eine Wehrpflicht. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man: Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass sich jemand um die Verteidigung kümmern müsste. Die Botschaft aus der Gesellschaft an uns als politische Entscheidungsträger ist: Wir haben ein Problem mit Krieg und Frieden, kümmere dich bitte darum. – Die Antwort einer resilienten Gesellschaft muss aber lauten: Es gibt eine Bedrohung unseres Friedens, unserer Freiheit, unserer gesellschaftlichen Ordnung, und jeder Einzelne ist bereit, dafür einen Beitrag zu leisten. Das ist eine resiliente Gesellschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich werbe dafür, dass wir die Zeit, die wir jetzt haben, dazu nutzen, nach draußen zu gehen und mit den Menschen darüber zu reden, dass die Bewahrung von Frieden, die Gewährleistung von Freiheit, die Sicherstellung von Demokratie und auch ein gewohnter und vertrauter Umgang mit Wohlstand nur dann gelingen kann, wenn man diese Aufgabe nicht immer nur an andere, an die NATO, an die Vereinigten Staaten oder an die Wehrdienstleistenden und die Soldatinnen und Soldaten delegiert. Vielmehr kann das nur dann funktionieren, wenn auch jeder selbst bereit ist, sich für Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand einzusetzen.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächstes hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Dr. Sebastian Schäfer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Bodo Ramelow übernimmt den Vorsitz)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 21 |
Session | 17 |
Agenda Item | Verteidigung |