18.11.2013 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 2 / Tagesordnungspunkt 2

Michael Grosse-BrömerCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich bei der Debatte immer gestört hat, ist, dass sie in erster Linie durch Empörung und Aufgeregtheit geprägt wird.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Glauben Sie, dass irgendjemand in diesem Haus es gut findet, dass deutsche Staatsangehörige widerrechtlich abgehört werden?

(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Glauben Sie, dass irgendjemand gut findet, dass die Kanzlerin oder sonstige Regierungsmitglieder abgehört werden?

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu der Debatte gehört nicht nur Aufgeregtheit. Zu der Debatte gehören auch Aufklärung, notwendige Forderungen, gemeinsames Handeln und im Übrigen Vorschläge, wie alles besser werden kann.

Es ist zu wenig, nur zu fragen: Was sollen denn die internationalen Abkommen? Wenn Ihnen internationale Abkommen von Anfang an als unwirksam erscheinen, dann können Sie internationale Politik gleich sein lassen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch gar keiner behauptet!)

Die Debatte um die NSA muss geprägt sein von Lösungsvorschlägen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Da, muss ich sagen, waren Sie, von Herrn Steinmeier abgesehen, relativ blank, insbesondere Sie, Herr Gysi.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Ihr Innenminister?)

Wir und mit uns die Bundesregierung haben uns insbesondere im Rahmen des Parlamentarischen Kontrollgremiums in den letzten Wochen und Monaten intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben klare Maßnahmen ergriffen. Es ist deklassifiziert worden; es gab einen Deklassifizierungsprozess; Herr Ströbele, Sie wissen das ja alles, weil Sie dabei waren. Wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: „Es ist nichts passiert“, so ist das definitiv falsch. Das ist eine falsche Behauptung.

Zur notwendigen Aufregung, zur notwendigen Sorge über möglicherweise ungerechtfertigte Abhörmaßnahmen gehört auch der Hinweis, dass es uns im Rahmen der Aufklärung gelungen ist, darauf hinzuweisen, dass die zwischenzeitlich behauptete massenhafte Ausspähung deutscher Staatsangehöriger – das wurde ganz konkret behauptet – so, wie behauptet, nie stattgefunden hat.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?)

Wenn Sie ehrlich sind, sagen Sie, dass Sie wissen, dass wir das anhand einer Codierung konkret überprüft und festgestellt haben: Die Zusammenarbeit, die zwischen dem BND und der NSA in diesem Fall angeblich stattgefunden hat, war ein Teil der Auslandsaufklärung und hat nichtdeutsche Staatsangehörige betroffen. Auch so etwas muss man bei der nüchternen Analyse und Bewertung des Sachverhaltes sagen können und darf sich nicht nur aufregen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will darauf hinweisen, dass wir gar nicht weit voneinander entfernt sind. Wir haben doch gesagt: Wir können Herrn Snowden informatorisch befragen. – Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sogar übereinstimmend darauf hingewiesen, dass es eine Prüfung geben muss, ob und was Herr Snowden noch zur Aufklärung beitragen kann, und das, obwohl er auch nach Ihrer Auffassung ja gar keine Dokumente mehr hat. Man muss ganz klar sagen: Wenn es um den Zeugen Snowden geht, ist der Generalbundesanwalt gefragt. Wird er ein Ermittlungsverfahren einleiten, dann brauchen wir auch Zeugen. Wenn wir kein Ermittlungsverfahren haben, werden wir auch keine Zeugen haben. Auch das muss ich Ihnen nicht erklären.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Bundesregierung? – Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wir haben den übereinstimmenden Willen und den übereinstimmenden Wunsch, aufzuklären und für die Zukunft Lösungen anzubieten. Zur Ehrlichkeit gehört dann aber, auch zu sagen: Die Abschöpfung von Daten im Ausland durch fremde Dienste werden weder das Parlamentarische Kontrollgremium noch welche Bundesregierung auch immer verhindern können. Ich weiß nicht, wie Sie glauben, russischen, chinesischen oder womöglich amerikanischen Geheimdiensten vorschreiben zu können, was sie zu tun haben.

Herr Kollege Grosse-Brömer, Herr Ströbele möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Nein. Herr Ströbele hat nach eigenem Bekunden so lange geredet wie seit langem nicht mehr. Ich möchte jetzt fortfahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Das ist aber schade!)

– Ich habe im PKGr zu diesem Thema sehr viele Debatten mit Herrn Ströbele geführt, und wir haben sehr viele Fragen erörtert; das müssen wir jetzt nicht alles öffentlich wiederholen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich würde es gerne hören!)

Wir haben festzustellen – das ist das Ergebnis nüchterner Analyse –: Die Verhältnismäßigkeit beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist, jedenfalls im Zusammenhang mit der NSA, ein Stück weit verloren gegangen. Das mag an 9/11 liegen, das mag an einer Traumatisierung liegen; welches die Gründe sind, können wir nur vermuten. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir zumindest für Deutschland eine Verbesserung herbeiführen können. Da, glaube ich, müssen wir ganz klar feststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vor terroristischen Anschlägen und zur Verhinderung schwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforderlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise der amerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutschland verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahrheit zu dieser Debatte. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir ein Abhören künftig verhindern können. Denn – auch daran besteht kein Zweifel – das Abhören der Kanzlerin, das Abhören von Ministern, das Abhören von Bürgerinnen und Bürgern ohne konkreten Tatverdacht gehört sich nicht, durch gar keinen Dienst und erst recht nicht durch den amerikanischen Geheimdienst in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass man klar darauf hinarbeiten muss, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich teile die Auffassung der Bundesregierung, dass wir auch zukünftig in vielfältiger Weise auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen sein werden. Dass das transatlantische Bündnis eine gewisse Bedeutung hat, bestreitet selbst Herr Gysi nicht.

Ich bekomme in diesen Tagen viele Zuschriften von Bürgern. Manche fordern – ein bisschen mit der Gysi’schen Argumentation von vorhin –, dass wir uns von den Amerikanern rigoros abnabeln. Andere fordern, dass wir den Amerikanern eine Lektion erteilen, indem wir das Freihandelsabkommen auf keinen Fall abschließen. Wieder andere fordern – wie Herr Gysi –, dass wir auf jeden Fall Herrn Snowden Asyl gewähren, um einmal zu verdeutlichen, wie unabhängig wir sind.

Ich sage Ihnen: Wenn Sie juristisch argumentieren, dann seien Sie auch konsequent! Im Grundgesetz stehen die Vorschriften zum Asylrecht. Auf dieser Grundlage finden Sie keinen Grund dafür, Herrn Snowden Asyl zu gewähren.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Whistleblower!)

Jetzt kann man darüber nachdenken, ob es andere Möglichkeiten gibt, etwa nach dem Aufenthaltsgesetz.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)

Darüber kann man nachdenken. Man kommt aber nicht daran vorbei, abzuwägen: Ist es zum Schaden oder zum Nutzen Deutschlands, Herrn Snowden aufzunehmen?

(Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Nein, ich bringe das jetzt eben zu Ende. – Sie werden jetzt argumentieren: Ja, das ist genau richtig für Deutschland; denn dadurch emanzipieren wir uns von den Vereinigten Staaten von Amerika.

Ich habe eine andere Auffassung; ich halte keinen dieser Wege für richtig. Ich glaube, Verärgerung und Wut sind verständlich, aber sie sind keine guten Ratgeber. Lösungen finden wir nur zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist jedenfalls unser Ansatz. Um Missstände zu beheben, reicht es nicht, die anderen zu beschimpfen, sondern man muss gemeinsam Lösungen suchen.

Ich finde es gut, dass sich Außenminister Kerry entschieden hat, eine Versöhnungsreise anzutreten. Er wird ausreichend Zeit haben, sich in Deutschland aufhalten. Ich glaube, das ist das richtige Signal in dieser Debatte.

Ich will zum Abschluss sagen: Ich glaube, dass die intensiven Bemühungen der Bundesregierung, Datenschutz und Datensicherheit auf europäischer und internationaler Ebene zu stärken, richtig sind. Dafür muss man sich weiter einsetzen, und dieser Einsatz lohnt sich. Aber auch wir Parlamentarier sollten uns an dem Versuch beteiligen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deswegen hat die Union im Parlamentarischen Kontrollgremium vorgeschlagen – ich glaube, das findet sogar die Zustimmung Herrn Ströbeles –, dass wir uns mit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen im Senat, im Repräsentantenhaus zusammensetzen, insbesondere mit denen, die den amerikanischen Geheimdienst kontrollieren. Dann kommen wir ein bisschen runter, dann empören wir uns nicht nur, dann sind wir nicht nur aufgeregt, sondern dann arbeiten wir konkret an einer Lösung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, es ist der wesentlich sinnvollere Weg, daran zu arbeiten, dass wir besser werden, dass wir Skandale vermeiden und gemeinsam wieder gut zusammenarbeiten. Das ist der Punkt.

Was die konkrete Umsetzung betrifft, haben mein Kollege Dr. Krings und mein Kollege Michael Kretschmer klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit, wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wie Sicherheitsforschung, wie Aufklärung, Transparenz stattfinden kann. Der Kollege Dr. Krings wird dazu nachher noch etwas sagen.

Herr Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie jetzt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Ja, bitte – aber nur, weil meine Redezeit gerade zu Ende ist.

Ich wollte Ihnen die Möglichkeit verschaffen, noch etwas ausführlicher zu werden.

Herr Grosse-Brömer, Sie haben gerade die Forderung nach Aufnahme von Herrn Snowden mit dem Hinweis auf das Asylrecht abgebügelt, allerdings eingeräumt, es gebe natürlich eine andere Möglichkeit nach dem Aufenthaltsgesetz. Nach § 22 Aufenthaltsgesetz gibt es die Möglichkeit, Einzelpersonen aufzunehmen, und zwar aus zwei Gründen: entweder wenn es den politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht oder wenn es aus humanitären Gründen geboten ist.

Würden Sie nicht sagen, dass es den politischen Interessen Deutschlands entsprach, dass wir von Herrn Snowden Informationen über die Abhörpraxis der NSA gegen Staatsbürger und selbst die Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland bekommen haben? Meinen Sie nicht auch, dass es ein humanitäres Gebot ist – weil Russland Herrn Snowden nur für begrenzte Zeit Aufenthalt gewährt und Russland eine Diktatur ist –, dass wir als Land der Freiheit und Partner der Vereinigten Staaten sagen: „In einem solchen Fall nehmen wir den auf“?

Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man für diese Aufnahme sein kann und trotzdem als Transatlantiker sagen kann: „Uns verbindet gerade mit den Vereinigten Staaten eine Wertegemeinschaft für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Wir haben an diesem Punkt einen fachlichen Dissens, aber keinen Dissens der Grundwerte, und diese Grundwerte gebieten gerade eine Aufnahmeentscheidung der Bundesrepublik“?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Grosse-Brömer.

Herr Kollege Beck, ich habe vorhin schon versucht, das ein Stück weit deutlich zu machen, aber Sie haben mir vielleicht nicht zugehört. Ich will das gerne wiederholen.

Ich finde, es muss die Abwägung geben, von der Sie gesprochen haben: die Abwägung der Interessen von Herrn Snowden mit den Interessen Deutschlands an der Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des transatlantischen Bündnisses. Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung. Ich gebe Ihnen in einem recht: Ich glaube, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, die Debatte um die künftige Sicherheit. Man kann das auch mit den Worten des amerikanischen Präsidenten sagen: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist künftig auch technisch umzusetzen. Hier müssen wir uns stärker einmischen, zumindest in Bezug auf Deutschland; denn darüber hinaus sind wir ja nicht zuständig.

Ich komme bei dieser Abwägung zu einem anderen Ergebnis als Sie; das will ich Ihnen klar sagen. Mir ist nämlich noch nicht klar, in welcher Form Herr Snowden noch weiter gehende Zeugenaussagen machen kann, und ich glaube, dass die Fortentwicklung des transatlantischen Bündnisses für die Bundesrepublik Deutschland und deren Interessen wichtig ist.

Jenseits der Tatsache, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, hat Herr Snowden auch massiv gegen strafrechtliche Vorschriften in seinem Land verstoßen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat Rechtswidriges öffentlich gemacht!)

Das gehört ebenfalls zur Gesamtbewertung. Lassen Sie es mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung; man kann sie sicherlich erst nach längerem Nachdenken treffen, und es werden vielleicht auch unterschiedliche Interessen vorangestellt. Ich glaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wir Herrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht in Deutschland aufnehmen sollten.

Ich will zum Abschluss sagen: Wir haben in puncto Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsame politische Herausforderung. Deswegen glaube ich, dass Herr Steinmeier mit dem „Völkerrecht im Netz“ Richtiges gesagt hat. Das sind neue Herausforderungen, um die wir uns kümmern müssen, aber eben nur national. Wir sollten nicht so tun, als könnten wir den agierenden Geheimdiensten weltweit vorschreiben, wie sie sich verhalten. Man kann das bedauern, aber es ist so. Wir haben insgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiensten, beim Abhören gewährleistet wird. Wir sollten unseren Beitrag dazu vorrangig im Parlamentarischen Kontrollgremium leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort hat der Kollege Oppermann.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/2873487
Wahlperiode 18
Sitzung 2
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA
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