Thomas OppermannSPD - Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit den ersten Enthüllungen und Berichten über Dokumente von Edward Snowden im Juni hören wir jetzt fast im Wochenrhythmus von neuen Enthüllungen. Zuletzt war es ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem beschrieben wurde, wie unsere Sicherheitsbehörden mit dem deutschen Tochterunternehmen der Computer Sciences Corporation zusammenarbeiten. Ich finde, dieser Bericht offenbart ein grundlegendes Problem; denn wenn es zutreffen sollte, dass die CSC Teil jenes nachrichtendienstlich-industriellen Komplexes ist, also jenes Geflechtes von Geheimdiensten und Technologieunternehmen in den USA mit mehreren Zehntausend Beschäftigten, dann müssen wir uns heute fragen, ob wir etwas falsch machen, wenn wir solche Unternehmen daran beteiligen, Staatstrojaner zu testen oder die verschlüsselte Kommunikation in Regierungsnetzen zu entwickeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Solange wir kein rechtlich verbindliches Abkommen über den Schutz vor Spionage haben, gehören solche Aufträge auf den Prüfstand.
Unser Land hat in einem gemeinsamen Kraftakt von Wirtschaft, Bund und Ländern das Lissabon-Ziel, nach dem 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen, erreicht. Wir geben in jedem Jahr 75 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass wir auf vielen Teilmärkten die Technologieführerschaft haben. Das ist die wichtigste Voraussetzung für unsere Exporterfolge. Aber was nützt das alles, wenn hart erarbeitete Wissens- oder Technologievorsprünge für die Wettbewerber und die Konkurrenten mehr oder weniger offen einsehbar sind oder leicht ausgekundschaftet werden können?
(Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)
Unsere Unternehmen erleiden Milliardenverluste durch Industriespionage. Wir können sie nicht effektiv genug davor schützen. Deshalb müssen wir auch über die Rückgewinnung oder zumindest über die partielle Wiederherstellung technologischer Souveränität nachdenken. Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunikation, Verschlüsselung und weitere Vorsorge. Das bedeutet vor allen Dingen mehr Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Damit können wir nur die Kernbereiche unserer Unternehmen schützen – Frank-Walter Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sie alle international verzweigt und verflochten sind –, aber das müssen wir tun. Insofern sollte die NSA-Affäre ein absoluter Weckruf für alle sein. Wir müssen ja nicht dümmer sein, als die Polizei erlaubt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung jetzt ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt. Ein solches Abkommen darf sich aber nicht auf den Schutz von Regierungen und Unternehmen beschränken, sondern muss auch der Überwachung der privaten Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger klare Schranken setzen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir wissen bis heute nicht – auch wenn das zwischenzeitlich anders gesehen wurde –, in welchem Umfang die NSA durch Programme wie Prism die private Kommunikation deutscher Staatsbürger überwacht. Im Sommer hatte die NSA gegenüber der Bundesregierung versichert, es gebe keine massenhafte Ausspähung deutscher Bürger. Aber die NSA hat auch versichert, sie halte sich in Deutschland an deutsches Recht. Spätestens seit dem Lauschangriff auf die Bundeskanzlerin wissen wir, dass das nicht stimmt. Warum sollten die Vertreter der NSA der deutschen Regierung die Wahrheit sagen, wenn sie zugleich den eigenen Kongressabgeordneten über das Ausmaß der Überwachung nach dem Patriot Act in den USA mehrfach die Unwahrheit gesagt haben?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde, es war grenzenlos naiv, das alles zu glauben.
Das Vertrauen ist in der Tat tief gestört. Es kann nur durch Aufklärung und Vereinbarung klarer, verbindlicher Regeln wiederhergestellt werden. Die Aufklärung müssen, finde ich, zuerst unsere amerikanischen Partner leisten; denn wir können doch nicht allein auf die Dokumente von Edward Snowden verwiesen werden. Das wäre doch etwas seltsam.
Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ja, bitte.
Herr Kollege Oppermann, Sie haben eben gesagt, dass Sie die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen im Grundsatz gut finden. Ich habe den Medien entnommen, dass diejenigen, die darüber verhandeln, die Chefs der Geheimdienste sind. Finden Sie es nicht ein bisschen absurd, dass die Chefs von NSA und BND miteinander darüber verhandeln, wie künftig nicht mehr bespitzelt werden soll?
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich nenne das geplante Abkommen lieber Anti-Spionage-Abkommen, weil ich dann weiß, was damit gemeint ist. Das wird zurzeit zwischen der Bundesregierung und dem Weißen Haus verhandelt. Wenn es am Ende nur ein Stillhalteabkommen zwischen zwei Geheimdiensten wäre, wäre mir das entschieden zu wenig. Ich finde, es muss ein Regierungsabkommen werden. Es muss rechtsverbindlich sein, und die Menschen in diesem Lande müssen, wenn neues Vertrauen entstehen soll, sich auf so etwas auch verlassen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wir sollten die Aufklärung trotz allem nicht allein den Regierungen überlassen, sondern auch auf die Zusammenarbeit der Parlamente setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich finde es ausgesprochen ermutigend, dass viele Kongressabgeordnete die Kritik an der ausgeuferten NSA- Überwachung teilen. Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, lehnt die Abhörmaßnahmen gegen Politiker von US-Verbündeten kategorisch ab und fordert die vollständige Unterrichtung der Mitglieder des Geheimdienstausschusses im Senat. Viele Abgeordnete beider Fraktionen und in beiden Häusern zweifeln daran, dass der NSA-Komplex noch politisch steuerbar oder demokratisch kontrollierbar ist. Ich finde, dass der Bundestag und der US-Kongress in dieser Frage einen intensiven Austausch betreiben sollten; denn wir dürfen nicht zulassen, dass die ausgeuferte Überwachungspraxis der NSA Deutschland und Amerika spaltet.
(Beifall bei der SPD)
Die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, nicht nur, aber besonders wenn es um den Schutz unserer Soldaten in Afghanistan oder um den Schutz vor Terroranschlägen in Deutschland geht. Wir sind auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesen. Mit vertrauensvoller Zusammenarbeit ist aber nicht vereinbar, wenn wir von unseren engsten Verbündeten ausspioniert werden. Ich finde, das ist auch eine Frage des wechselseitigen Respekts souveräner Partner, die zwischen Freund und Feind, zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Gysi, ich habe mich gefragt, welches Verständnis von Souveränität Sie haben, als Sie sagten: Deutschland ist erst dann souverän, wenn wir Edward Snowden hierher holen und als Zeugen befragen. – Der Souveränitätsbegriff, von dem Sie ausgehen, erinnert mich mehr an Carl Schmitt: Souverän ist, wer Mutproben gewinnt. „ Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Das ist nicht der Souveränitätsbegriff unseres demokratischen Staates.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Souverän ist nach unserem demokratischen Verständnis, wer aufgrund des Rechts Gesetze geben oder aufheben kann. Souverän ist ein demokratischer Staat, wenn er verantwortlich und klug handelt, wenn er die verschiedenen Interessen abwägt. Nicht souverän ist ein Staat, der einseitige Entscheidungen trifft. Das ist Unilateralismus, Herr Gysi. Das kommt Ihnen vielleicht aus früheren Zeiten bekannt vor, hat aber mit der Debatte, die wir heute führen, gar nichts zu tun.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen, Herr Gysi. Erstens geht es darum, dass wir die Ausspähungen aufklären und die schrankenlose Überwachung durch US-Geheimdienste beenden. Zweitens geht es darum, dass wir die Partnerschaft mit den USA intakt halten. Wir dürfen sie nicht preisgeben. Wir müssen sie wieder auf jene Wertebasis zurückführen, auf der sie gegründet wurde, nämlich auf Demokratie, Freiheit und Herrschaft des Rechts. Diese Werte sind mit schrankenloser Überwachung der Privatsphäre unvereinbar. Drittens geht es um eine humanitäre Lösung für Edward Snowden, nicht um eine einseitig entschiedene Lösung. Herr Gysi, wir haben auch mit dem Vertreter Ihrer Partei im Parlamentarischen Kontrollgremium eine sehr nachdenkliche Diskussion geführt, nachdem uns Herr Ströbele über das Gespräch mit Herrn Snowden in Moskau informiert hatte. Wir waren uns am Ende darüber einig, dass dies nicht im Zuge einer Mutprobe entschieden werden kann, weil damit insbesondere Edward Snowden gar nicht gedient wäre. Ihm ist wahrscheinlich nur mit einer verhandelten Lösung gedient.
Ein demokratischer Staat, der in Partnerschaft mit anderen lebt, entscheidet nicht einseitig über bestimmte Fragen, sondern sucht nach Verhandlungslösungen, und zwar im Rahmen des Rechts. Es geht darum, diesen Konflikt politisch und rechtlich und nicht durch einseitige Entscheidungen zu bewältigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Der nächste Redner ist Dr. Konstantin von Notz.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/2873513 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 2 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA |