Paul LehriederCDU/CSU - Mindestlohngesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ging es wie meinen Vorrednern. Als der Gesetzentwurf der Linkspartei eingebracht wurde, war mir völlig klar: Wir diskutieren über einen Mindestlohn von 10 Euro. Nichts anderes habe ich in den letzten Monaten hier in diesem Hohen Haus von Ihnen, Herr Klaus Ernst, und den Mitgliedern Ihrer Partei vernommen.
Jetzt lese ich in Ihrem Gesetzentwurf in § 4:
Sie haben bereits erklärt, dass Sie – Copy and Paste – einen SPD-Antrag zugrunde gelegt haben. Aber bitte schön: Dann müssen Sie auch die Begründung überarbeiten.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist der Kompromiss! Das ist das, was die SPD und die Grünen wollen – eigentlich! Sagen sie!)
Im dritten Absatz Ihrer Begründung schreiben Sie:
Wenn Sie also schon Anträge abschreiben, passen Sie wenigstens die Begründung an; sonst sieht man, welche Lohnhöhe diese Leistung wert ist.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe das Gefühl – Sie haben sich ja schon ein Stück weit entlarvt –, dass es Ihnen nicht um die Menschen in unserem Land geht. Ihnen haben Sie bis vor wenigen Wochen vorgegaukelt: Unter einem Stundenlohn von 10 Euro ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Jetzt kommen Sie, lieber Kollege Klaus Ernst, und sagen: 8,50 Euro reichen auch. Das ist doch Trickserei. – Frau Präsidentin, Herr Kollege Ernst will mir eine Frage stellen.
(Heiterkeit)
Wollen Sie antworten?
Ja, natürlich. Das ist abgesprochen, Frau Präsidentin; ich räume es ein.
Ach, abgesprochen? Das könnten Sie mir ja vorher sagen. Dann kann ich mich darauf einstellen. – Herr Kollege Ernst, Sie haben also eine Frage.
Herr Kollege Lehrieder, ich wollte nur darauf hinweisen: 8,50 Euro kommt vor 10 Euro.
(Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD: Ah!)
So weit kann ich auch rechnen.
(Anette Kramme [SPD]: Volksschule Sauerland!)
Ja, zur Volksschule müsste er vielleicht noch einmal gehen, dann würde er auch merken, dass es bei der Rente anders ist.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal darauf hinweisen: 8,50 Euro ist eine Höhe, mit der gegenwärtig alle Parteien hier im Deutschen Bundestag einverstanden sind; letztendlich haben alle im Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt, auch mit Zustimmung unserer Partei, die, wie Sie wissen, Regierungspartei in Brandenburg ist. Das bedeutet, wir hätten für diesen Gesetzentwurf eine Mehrheit, wenn sich jede Partei an das halten würde, was sie bei der Bundestagswahl gesagt hat, und an das, wofür sie selber im Bundesrat gestimmt hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Können Sie mir folgen, wenn ich sage, dass es aus Sicht eines Menschen, der einen Mindestlohn von 10 Euro für richtiger hält, durchaus akzeptabel ist, 8,50 Euro zu fordern, wenn man dafür eine Mehrheit hat, weil ja 8,50 Euro, wie gesagt, vor 10 Euro ist und das deshalb ein richtiger Schritt wäre? Das ist unsere Position, die wir hier eingebracht haben, Herr Lehrieder. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich doch Folgendes: Wenn es im Bundestag jetzt eine Mehrheit dafür gibt, einen Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen, und zwar ohne Ausnahme und nicht erst ab 2017, warum führt man ihn dann nicht einfach ein? Wir haben sie doch deswegen gewählt. – Können Sie sich das vorstellen?
Lieber Kollege, ich stelle eine Gegenfrage: Wofür stehen Sie jetzt eigentlich? Stehen Sie für einen Mindestlohn von 10 Euro, den Sie noch vor wenigen Wochen für richtig gehalten haben,
(Zurufe von der LINKEN: Ja!)
oder ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro aus Ihrer Sicht inzwischen ausreichend? Herr Kollege Ernst, ich unterstelle Ihnen schlicht und ergreifend, dass Sie jetzt einen Mindestlohn von 8,50 Euro fordern, um unsere neue Lebensabschnittsgefährtin ein bisschen zu ärgern,
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
um die SPD ein bisschen in die Bredouille zu bringen, und nicht aus Überzeugung.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Er hat das böse Wort gesagt!)
Lieber Kollege Klaus Ernst, nicht lachen, hören Sie mir lieber zu; das ist wichtig. Wenn es Ihnen um die Menschen gegangen wäre, dann hätten Sie weiterhin 10 Euro gefordert. Ich stelle fest: Die Linkspartei hat das Ziel eines Mindestlohns in Höhe von 10 Euro zumindest vorübergehend aufgegeben – Punkt. Das ist der Erkenntnisgewinn dieses Abends.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein, das haben wir nicht aufgegeben! – Michael Schlecht [DIE LINKE]: Wir wollen 12 Euro!)
Sie können sich setzen, Herr Ernst. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich kein großer Fan eines politisch festgesetzten Mindestlohns bin und gerne bei unserem bisherigen, bewährten Modell geblieben wäre, nach dem die Lohnfindung allein Aufgabe der Tarifpartner war. Nicht mit einem politischen Mindestlohn, sondern mit einer marktwirtschaftlich organisierten Lohnuntergrenze sind wir in den letzten Jahren gut gefahren, wie die arbeitsmarkt- und die sozialpolitische Bilanz der unionsgeführten Bundesregierung ganz deutlich zeigt. Wir haben es trotz Krise geschafft, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Wir haben es sogar geschafft, sie unter die 3-Millionen-Marke zu bringen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nicht die Politik geschafft!)
– Auch die Politik, Frau Kollegin Müller-Gemmeke.
Klar ist allerdings auch, dass man in einer Koalition Kompromisse eingehen muss, insbesondere dann, wenn die Vorstellungen sehr weit auseinanderliegen, wie das bei der Festsetzung von Lohnuntergrenzen der Fall war. Ich denke, wir haben mit dem gestern präsentierten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD einen guten und vor allem fairen Kompromiss gefunden, mit dem wir dafür Sorge tragen, dass es den Menschen in unserem Land besser geht und neue Chancen entstehen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn eine Herzensangelegenheit unseres Partners ist. Unter Führung unserer Arbeitsministerin Frau von der Leyen haben wir mit der sogenannten Low Pay Commission, der Lohnfindungskommission – ich möchte ein gutes deutsches Wort dafür benutzen –, eine Möglichkeit zur Stärkung der Tarifvertragsparteien gefunden. Zum 1. Januar 2015 soll es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro geben. Die Höhe des jeweiligen Mindestlohns wird von einer Kommission bestehend aus jeweils drei Vertretern von Gewerkschaften – das sollte Sie freuen, Herr Ernst – und Arbeitgebern plus einem Vorsitzenden in regelmäßigen Abständen geprüft, gegebenenfalls angepasst und sodann mittels einer Rechtsverordnung staatlich erstreckt und somit allgemeinverbindlich. Jede Partei kann zusätzlich einen wissenschaftlichen Berater für die Mindestlohnkommission benennen, der jedoch kein Stimmrecht erhalten wird. Mit seinem Sachverstand soll er die Arbeit der Lohnfindungskommission begleiten.
Ich sage aber auch ganz deutlich, dass durch die Einführung eines Mindestlohns keine Arbeitsplätze verloren gehen dürfen. Hierfür hat sich die Union mit aller Kraft eingesetzt, und das wird sie auch zukünftig tun. Frau Nahles, Sie haben ausgeführt, dass wir eine Regelung wollen, die allen Menschen nutzt. Dabei müssen wir auch an die denken, die möglicherweise durchs Raster fallen, wenn der Mindestlohn zu schnell eingeführt wird und deswegen in manchen Regionen oder Branchen tatsächlich Arbeitsplätze vernichtet werden. Wir sollten deswegen genau hinsehen, wenn wir in das Gesetzgebungsverfahren einsteigen. Ich bitte in diesem Zusammenhang um die konstruktive Mitwirkung der Freunde von der Linkspartei. Mal sehen, was Sie da Gutes einbringen können.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war jetzt ein Angebot, oder? Das habe ich jedenfalls so verstanden!)
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens werden wir einige Aspekte zu berücksichtigen haben:
Die Einführung eines bundesweiten Mindestlohns ohne regionale Ausnahmen bereitet mir insbesondere mit Blick auf die ostdeutschen Länder große Sorgen. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr, dass zahlreiche Arbeitsplätze wegfallen. Denn in den neuen Bundesländern arbeitet bekanntermaßen ein Viertel der Menschen für weniger als 8,50 Euro pro Stunde; im Westen sind es lediglich 12 Prozent.
Auch bei unserer europaweit gelobten dualen Ausbildung müssen wir ganz genau hinschauen. Da Lehrlinge derzeit im Schnitt zwischen 670 und 740 Euro im Monat verdienen, sehe ich die Gefahr, dass Schulabgänger sich zunächst kurzfristig einen Mindestlohnjob suchen, bei dem sie pro Stunde mehr als das Doppelte verdienen, statt eine Ausbildung zu beginnen. Auch dieses Risiko, diese Gefahr sollten wir in der Gesetzgebung berücksichtigen. Wir sollten darüber nachdenken und uns insofern hier auch ehrlich machen.
Schwierigkeiten können sich auch im Bereich der Werkverträge oder bei den sogenannten Niedriglöhnern ergeben, die nicht zu einem festen Stundenlohn arbeiten. Hier besteht die Gefahr, dass der Mindestlohn umgangen wird und die Schwarzarbeit zunimmt.
Durch den nun erstmalig kommenden einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verlieren die Tarifparteien – dies wurde bereits angesprochen – bedauerlicherweise an Einfluss. Das sollte auch Ihnen Sorge machen.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Einfach immer noch mehr Sorgen!)
Allerdings konnten wir in den Verhandlungen erreichen, dass es den Tarifpartnern bis Ende 2016 weiterhin möglich ist, Übergangsfristen festzulegen, und dass derzeit geltende Tarifverträge bis dahin fortgelten. Das heißt konkret, dass die Tarifpartner bis zur endgültigen Einführung des Mindestlohns auch Abschlüsse vereinbaren können, die unter 8,50 Euro liegen. Von den Vorrednern wurde bereits darauf hingewiesen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/2904153 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 3 |
Tagesordnungspunkt | Mindestlohngesetz |