Reinhard BrandlCDU/CSU - Bundeswehr-Einsatz OAF (Türkei)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines vorausschicken: Das Leid der Menschen in Syrien lässt einen manchmal schier verzweifeln. Jeden Tag lesen wir neue Nachrichten über Tod und Vertreibung – auch heute wieder; Frau Brantner, Sie haben es angesprochen –, und das, obwohl gleichzeitig in Genf Friedensverhandlungen stattfinden.
Es wird in diesem Konflikt keinen Sieger im militärischen Kampf geben. Vielmehr kann Frieden in Syrien nur über den Verhandlungsweg erreicht werden. Insoweit ist es zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass sich in Genf gerade zu der Stunde, in der wir hier debattieren, die Oppositionsparteien mit den Regierungsparteien zumindest in einem Raum befinden und indirekt miteinander reden. Ich hoffe, dass die internationalen Anstrengungen, dort eine Lösung herbeizuführen, in den nächsten Wochen und Monaten fruchten werden.
Deutschland tut, was möglich ist, um das Leid der Menschen in Syrien zu lindern. Wir sind einer der größten Geber von bilateraler Hilfe. Der Kollege Kiesewetter hat die 440 Millionen Euro seit 2012 angesprochen. Wir unterstützen die besonders betroffenen Nachbarländer in vielerlei Hinsicht, nehmen selber Flüchtlinge auf und helfen jetzt ganz aktuell, die syrischen Chemiewaffen zu vernichten.
Wir können als Deutschland nicht alles leisten, aber die Vernichtung dieser Chemiewaffen ist zum Beispiel ein Beitrag, den wir leisten können, weil wir dafür die Technologie und das Know-how haben. Wir stellen uns dieser Verantwortung und bringen diesen Beitrag ein, und das ist wichtig und richtig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD])
Meine Damen und Herren, das ist internationale Gemeinschaft: Jeder leistet entsprechend seinen Möglichkeiten und seinen Fähigkeiten einen Beitrag zur Lösung des großen Problems.
Ein solcher Beitrag ist auch der Schutz der Türkei vor fehlgeleiteten Raketen. Diese Hochtechnologiefähigkeit der Raketenabwehr haben im Bündnis nur wir, die USA und die Niederlande. Die Türkei selber hat sie nicht.
(Abg. Sevim Dagdelen [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Da ist der Wunsch einer Zwischenfrage; ich würde sie zulassen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gut, Kollege Brandl. Jetzt, am Beginn der Legislaturperiode, scheinen sich neue Freundschaften in Bezug auf Zwischenfragen und Antworten zu bilden.
(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wir wollen es nicht übertreiben!)
– Ja, ich werde genau beobachten, wie sich das hier weiterentwickelt. – Kollegin Dagdelen, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage oder Bemerkung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollege, danke, dass Sie es zugelassen haben, Sie kurz zwei Dinge zu fragen. Denn Sie haben ja gesagt: Dieser Einsatz dient dem Schutz der Türkei.
Erstens. Vor dem Hintergrund, dass ich es sehr bedauere, dass in dieser Debatte bis jetzt kein Wort, kein kritisches Wort über die Unterdrückung in der Türkei gefallen ist, möchte ich Sie fragen: Ist es nicht eher so, dass die Bundeswehr mit diesem Einsatz das AKP-Regime und Erdogan schützen soll?
Zweitens: Wie gehen Sie in den Koalitionsfraktionen damit um, dass laut Umfragen von unabhängigen Instituten in der Türkei – auch aktuellen Umfragen – eine große Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei gegen diesen Patriot-Einsatz in der Türkei ist? Es gab massenhafte Demonstrationen und Proteste gegen die Bundeswehr und auch gegen diesen Einsatz. Wie gehen Sie damit eigentlich um?
Wir nehmen die Stimmung in der Türkei sehr zur Kenntnis, wobei ich Ihnen sagen muss, dass es nicht so eindeutig ist, wie Sie sagen. Ich habe auch andere Stimmen aus der Türkei gehört. Wir haben erst in der letzten Woche mit türkischen Vertretern gesprochen, die den Einsatz der Deutschen sehr begrüßen.
Ich möchte Ihnen eines zur Bedrohungslage in der Türkei sagen: Auf türkischem Gebiet gab es seit dem Ausbrechen des Bürgerkriegs 309 Verletzte und 94 tote Zivilisten. Die Zahl ist vom November; jetzt werden es sicher schon wieder mehr sein.
Unsere Patriot-Systeme sind seit einem Jahr im Einsatz; wir haben darüber diskutiert. In diesem Jahr haben diese Systeme über 300 Abschüsse von Kurzstreckenraketen festgestellt. Diese Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von etwa 700 Kilometern. Wenn die Rakete startet, wissen Sie nicht, wo sie einschlagen wird. Es dauert eine gewisse Zeit, bis Sie errechnen können, wo der Einschlagpunkt ist.
Dass die Menschen in diesem Gebiet Angst haben, liebe Frau Kollegin, ist doch nachvollziehbar. Sie müssen sich das ganz praktisch vorstellen. Das ist ein Kriegsfall. Sie wissen nie, wer dahinter steht, wer zum Beispiel die Koordinaten für die Rakete eingibt, welche Motive er hat und ob er immer rational handelt. Sie wissen beispielsweise nie, ob die Rakete Giftgas mit sich führt. Dieses Risiko konnte im letzten Jahr deutlich minimiert werden, auch mit deutscher Hilfe. Aber aus Deutschland heraus die Bedrohungslage in der Türkei infrage zu stellen, finde ich schon ziemlich vermessen. – Liebe Frau Kollegin, die Frage ist jetzt beantwortet.
(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Die ist nicht beantwortet!)
Wir leisten unseren Beitrag im Rahmen der Bündnissolidarität. Die Türkei hat bei der NATO und damit auch bei uns um diesen Beitrag nachgefragt. Gerade Deutschland hat jahrzehntelang von der Solidarität im Bündnis dahin gehend profitiert, dass unsere internationalen Partner in unserem Land stationiert waren und im Falle eines Falles eingegriffen hätten. Davon haben wir profitiert. Unsere Partner haben unsere Sicherheit garantiert. Jetzt leisten wir einen Beitrag zur Sicherheit und zur Stabilität im Bündnis.
Ich finde, wir sollten das tun. Ein solcher Einsatz ist doch rein defensiv. Ich verstehe, ehrlich gesagt, gar nicht, was die Linken immer gegen solche Einsätze haben. Wenn Sie grundsätzlich gegen Bundeswehreinsätze sind, dann sagen Sie das. Sagen Sie doch: Wir lehnen einen solchen Einsatz aus grundsätzlichen Erwägungen ab. – Aber inhaltlich können Sie diesen Einsatz doch nicht kritisieren. Er ist rein defensiv. Es geht nicht darum, jemanden mit Raketen anzugreifen, sondern es geht nur darum: Wenn eine Rakete aus Syrien auf türkisches Gebiet fliegt, dann soll sie abgeschossen werden, bevor sie in Kahramanmaras oder in einer anderen Großstadt einschlägt. Dagegen kann man nichts haben.
Das ist ein wertvoller Beitrag, den wir im Bündnis leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich denke, wir sollten diesen Beitrag nicht verwehren. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei.
Mir liegen zwei Erklärungen der Kolleginnen Dagdelen und Kiziltepe nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir nehmen sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3084058 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 10 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehr-Einsatz OAF (Türkei) |