Johannes Singhammer - Bundeswehreinsatz ISAF
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich auf Bemerkungen von zwei Kollegen in der Debatte eingehen. Herr Kollege Gysi, Sie haben den Vorwurf erhoben, die Bundesrepublik Deutschland habe sich im Rahmen des ISAF-Mandats mit den Drogenbaronen in Afghanistan gemein gemacht. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen, Herr Gysi. Das weise ich mit voller Entschiedenheit zurück. Es war oft Gegenstand der Debatten in diesem Hause – der Entwicklungsminister hat das gesagt –, ob wir in die Auseinandersetzung um den Drogenanbau aktiv eintreten sollten. Aus guten Gründen haben wir darauf verzichtet, das zu tun. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir uns mit den Drogenbaronen gemein gemacht haben. Einen solchen Rückschluss lasse ich Ihnen an dieser Stelle nicht durchgehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Trittin, Sie haben ausführlich über den Beginn des Mandats gesprochen. Sie waren damals quasi hautnah daran beteiligt. Der Kollege Annen hat sehr anschaulich deutlich gemacht, welch große Zäsur dieses Mandat für unser Land war. Ich würde aber nicht davon sprechen, dass das Mandat gescheitert ist und dass wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, allesamt nicht erreicht haben.
Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?
Ja, bitte.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Schon wieder – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE], an die CDU/ CSU gewandt: Ja, da müssen Sie durch!)
Danke schön. – Herr Mißfelder, bestätigen Sie denn die Tatsache, dass der Halbbruder von Präsident Karzai, Ahmed Wali, einer der größten Drogenbarone in ganz Afghanistan war und deswegen auch ermordet wurde,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann gibt es Sippenhaft? Mann, habt ihr ein Niveau! Ein Niveau habt ihr!)
dass große Teile des afghanischen Parlaments einen Drogenhintergrund bzw. eine paramilitärischen Hintergrund haben,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Recht verträgt nicht jedes Ihrer Mitglieder das Licht! Das steht heute in der Zeitung!)
dass der Gouverneur von Masar-i-Scharif, Mohammed Atta, einer der brutalsten Herrscher in der gesamten Region ist und Privatmilizen unterhält sowie dass es keine Pressefreiheit in der ganzen Region gibt? Das ist ein offenes Geheimnis. Das können Sie in sämtlichen Tageszeitungen lesen; das können Sie bei der BBC sehen, überall. Über Jahre hat die ISAF brutale Warlords unterstützt und ein Drogenregime mit ermöglicht, weil sie diese Leute nie angegangen ist; denn sie hat sie gebraucht im Kampf gegen die Taliban.
Was die Familie Karzai betrifft, so würde ich mich niemals hier hinstellen und sagen, dass alles einwandfrei gelaufen ist. Ich glaube, jeder von uns weiß, wie schwierig führende Politiker in Afghanistan einzuschätzen sind.
Dem von Ihnen geäußerten Generalverdacht würde ich allerdings schon widersprechen. Niels Annen hat es ja gerade beschrieben. Es bewerben sich zurzeit elf oder zwölf Kandidaten um das Präsidentenamt, wobei der Ausgang der Präsidentschaftswahl ungewiss ist. Wir haben über die Jahre unzählige Parlamentarierdelegationen aus Afghanistan bei uns gehabt. Ich wehre mich einfach dagegen, dass so getan wird, als ob jeder Funktionsträger oder jeder Würdenträger in Afghanistan automatisch ein Schwerverbrecher wäre. Dem ist einfach nicht so.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
– Natürlich ist uns das bekannt, was die Familie Karzai angeht, selbstverständlich. Nur, Sie können sich, wenn Sie vor Präsident Karzai stehen, sei es auf der Münchner Sicherheitskonferenz oder bei anderen Begegnungen, nicht die Leute backen. Wir sind doch nicht in der Position, jemanden aus unseren Reihen zum afghanischen Präsidenten zu bestimmen. Wir haben vielmehr mit den Leuten, die wir dort vorgefunden haben, in irgendeiner Form kooperieren müssen. Da gibt es nun einmal Persönlichkeiten, die extrem zwielichtig sind; es gibt aber auch gute Beispiele. Einer der engsten Berater von Präsident Karzai, Herr Spanta, war für die Grünen jahrelang im Stadtrat in Aachen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch keine Sippenhaft!)
Mit dem haben Sie gute Gespräche geführt und wir auch.
Wir arbeiten daran, dass Good Governance, also gute Regierungsführung, überhaupt eine Chance in diesem Land hat. Und nur deshalb haben wir militärisch eingegriffen, um dafür überhaupt wieder Spielraum zu bekommen. Das war der Beweggrund für unsere Aktivitäten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will auf das zurückkommen, was Herr Trittin gesagt hat. Sie waren bei der Formulierung der ursprünglichen Ziele beteiligt. Zwar möchte ich nicht jedes Wort von Joschka Fischer auf die Goldwaage legen, aber es gehört zur kritischen Betrachtung auch dazu – darüber sind wir uns im Auswärtigen Ausschuss doch einig –, uns zu fragen: Waren vielleicht die Ziele zu hoch, die wir uns gesetzt haben? Den kompletten Einsatz als gescheitert zu bezeichnen, geht mir zu weit; aber vielleicht waren die Ziele etwas bzw. wesentlich zu hoch gegriffen.
Einen wichtigen Punkt möchte ich meinen eigentlichen Bemerkungen voranstellen, auch mit Blick auf den Beitrag, den der Bundespräsident in München geleistet hat. Das ist in dieser Debatte schon mehrmals von uns gesagt worden. Von uns glaubt niemand, dass es rein militärische Lösungen von Konflikten gibt. Wir wählen immer den politischen Ansatz. Wir glauben aber, dass es, um überhaupt wieder politischen Spielraum zu erreichen, manchmal als äußerstes Mittel notwendig ist, Militär einzusetzen. Deshalb diskutieren wir hier auch so intensiv. Deshalb ist auch das Parlament in einem so großen Umfang wie bei kaum einem anderen Politikfeld eingebunden und trifft letztendlich die Entscheidung autonom. Das geschieht alles vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland den Parlamentsvorbehalt haben. Das soll auch so bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Neu?
Ja, auch wenn ich ihn noch nicht kenne.
(Zuruf von der CDU/CSU: Der ist ja auch neu!)
Herr Kollege Mißfelder, vor über vier Jahren kam es zu diesem Vorgehen in Kunduz, bei dem über hundert Menschen getötet worden sind. Ich habe seitdem nie von irgendeiner Bundesregierung oder auch von Regierungsfraktionen ein Wort des Bedauerns über die getöteten und verletzten Opfer gehört.
(Stefan Rebmann [SPD]: Stimmt nicht!)
Stimmt nicht!
(Zuruf von der LINKEN: Eine Entschuldigung!)
Eine Entschuldigung. – Sind Sie in der Lage, im Rahmen dieser Diskussion – heute findet ja auch eine gewisse Aufarbeitung statt – eine Entschuldigung gegenüber den Opfern und den Hinterbliebenen auszusprechen?
Ich weiß nicht, ob ich als Parlamentarier überhaupt in der Position bin, mich für etwas zu entschuldigen, nachdem wir als Regierungsfraktion ja die Bundeswehr vor allem gegen Verdächtigungen in Schutz nehmen mussten. Ich sage Ihnen: Es gab selbstverständlich jederzeit und von Anbeginn im Rahmen der Vorfälle von Kunduz ein tiefes Bedauern. Selbstverständlich.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber keine Entschuldigung!)
Glauben Sie denn, es sei uns egal gewesen, was damals passiert ist? Wir versuchen ja bis heute, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, inklusive eine Antwort auf die Frage zu finden, ob wir nicht die richtigen technischen Antworten darauf geben müssen, was Unterstützung der Soldaten, aber auch Aufklärungsmöglichkeiten der Soldaten angeht.
Vorhin wurde über Drohnen unter einem anderen Gesichtspunkt diskutiert; es ging vor allem um Fragen wie extralegale Tötungen, die von den USA ausgehen. Ich möchte diesen Punkt ebenfalls ansprechen, weil oft etwas vermengt wird, was nichts miteinander zu tun hat: Der Vorfall bei Kunduz 2009 wäre beim Einsatz einer Drohne anders abgelaufen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vor diesem Hintergrund sage ich an dieser Stelle: Zu einer kritischen Betrachtung gehört auch, dass wir all den Soldatinnen und Soldaten den besten Schutz sowie die besten Möglichkeiten der Aufklärung zur Verfügung stellen, um Risiken zu minimieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
– Vielen Dank.
Das gibt mir die Gelegenheit, auch im Namen meiner Fraktion an diesem wichtigen Tag so vielen Menschen, die im Einsatz waren oder im Einsatz sind – die Veteranen sind vorhin schon erwähnt worden – und die hervorragende Arbeit für unser Land leisten, und deren Angehörigen an dieser Stelle zu danken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Natürlich ist dieser Einsatz eine Zäsur. Als das zugrundeliegende Mandat am 16. November 2001 auf den Weg gebracht worden ist, ist dem keine einfache Abstimmung vorausgegangen; schließlich war sie mit der Vertrauensfrage verknüpft. Nach wie vor unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 stehend, hat Gerhard Schröder damals von der „uneingeschränkten Solidarität“ mit Amerika gesprochen. Dieser Solidarität sind wir wie noch nie zuvor in der Geschichte unseres Landes gerecht geworden. Schon damals hat Deutschland einen starken Beitrag geleistet. Selbst wenn damals – übrigens in allen Parteien – sehr strittige Diskussionen geführt worden sind, muss ich sagen, dass diese Diskussionen definitiv zu einem Reifungsprozess in unserem Land beigetragen haben. Ich glaube, dass die kritische Betrachtung zu Beginn der Diskussionen genauso wie jetzt, viele Jahre danach, dazugehört. Es gilt zu evaluieren, was gut und was schlecht gelaufen ist.
Für uns bleiben nach dem Strategiewechsel, der in London eingeleitet worden ist, bestimmte Aspekte wichtig, an denen wir festhalten wollen. Dazu gehört zum Beispiel der Grundsatz „Gemeinsam hinein, gemeinsam heraus“. Auch das ist – das hat der Bundesaußenminister schon gesagt – ein Ausdruck von Verantwortung.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die meisten sind schon weg!)
– Herr Gehrcke, natürlich sind andere aus Afghanistan schon herausgegangen. Das sage ich auch mit Blick auf Verbündete von uns. Wir leisten aber einen besonderen Beitrag, indem wir an diesem Grundsatz festhalten.
Es ist auch nicht einfach, diese Entscheidung hier alle zwölf Monate oder in Wahlkämpfen zu verteidigen. Wir haben aber in Deutschland einen demokratischen Diskurs und haben die Entscheidung zur Diskussion freigegeben, und wir haben uns in Wahlkämpfen hingestellt und gesagt: Dafür stehen wir ein. – Ich glaube, es war die richtige Entscheidung, zu sagen: Gemeinsam hinein und auch gemeinsam heraus.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dieser wichtige Beitrag ist auch ein Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr insgesamt.
Die Opfer sind vorhin schon angesprochen worden. Jedes Opfer ist eines zu viel, sei es ein ziviles oder sei es ein Soldat.
Wir wollen die Sicherheitsarchitektur in Afghanistan weiter stärken. Dafür soll es eine Anschlussmission geben. Das Notwendige ist dazu gesagt worden. Wir erwarten Rechtssicherheit für diejenigen, die für uns dort weiter tätig sein wollen. Wir erwarten aber auch Sicherheit insgesamt. Der Bundesentwicklungsminister hat deutlich gemacht, welche Rahmenbedingungen für die Entwicklungshelfer wir für die Zukunft erwarten. Das wird uns vor große Herausforderungen stellen. Die Situation und damit die Sicherheitslage kann natürlich angespannter werden, wenn die ISAF-Mission insgesamt beendet wird.
Wir stehen jetzt unmittelbar vor der Herausforderung der Präsidentschaftswahlen und vor der Frage, wie es in dem Land politisch weitergeht. Auch die Provinzräte stehen zur Wahl an. Eines muss ich an dieser Stelle schon sagen: Selbst wenn es viel daran auszusetzen gibt, selbst wenn einem nicht jeder Kandidat, der sich bewirbt, passt, wäre es früher, unter der Herrschaft der Taliban, unvorstellbar gewesen, dass sich Frauen überhaupt zur Wahl stellen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es wäre unvorstellbar gewesen, dass es überhaupt eine Auswahl gibt, dass es Richtungsdiskussionen um die beste Ausrichtung dieses Landes gibt. Alles, was jetzt geschieht, findet noch auf niedrigem Niveau statt. Ich rede das hier auch nicht schön. Ich sage nicht, dass wir alle unsere Ziele erreicht haben. Aber nichtsdestotrotz ist nicht alles schlecht in Afghanistan.
In der Debatte sind die Teilhabe am Bildungs- und Gesundheitswesen angesprochen worden. Wenn wir zurückblicken werden, dann werden wir immer sagen können, dass es in dem Bereich, wo wir tätig waren, Erfolge gibt: Insbesondere die Infrastruktur ist ausgebaut worden, die Elektrifizierung ist vorangetrieben worden, Straßen sind gebaut worden, Brunnen sind gebaut worden. Das sind Erfolge, selbst wenn das hier manchmal belacht worden ist und manche gesagt haben: Dafür ist ein Militäreinsatz doch nicht da. – Wir haben immer einen gesamtheitlichen Ansatz verfolgt und gesagt: Im Zentrum dieser Mission steht nicht nur die militärische Absicherung, sondern auch der zivile Beitrag, der hoffentlich nachhaltig sein wird.
Wir setzen bei dem Anschlussmandat darauf, dass die Sicherheitsstrukturen sich nachher ohne uns tragen. Deshalb wollen wir die Polizeiausbildung vorantreiben, was eine sehr große Herausforderung ist; die Themen sind schon angesprochen worden.
Dazu gehört auch eine kritische Überprüfung; wir wollen ja darüber im Auswärtigen Ausschuss groß diskutieren. Ich nehme übrigens die Hinweise der evangelischen Kirche als Einladung wahr, uns damit auseinanderzusetzen. Ich teile nicht alles, was dort formuliert worden ist; es ist aber auch nicht alles falsch, was dort aufgeschrieben worden ist. Deshalb möchte ich dieses Angebot annehmen und darüber diskutieren: Wie geht es eigentlich nach ISAF weiter, und wie kann sich die Gesellschaft hier auch weiterhin verantwortlich gegenüber den Menschen in Afghanistan zeigen?
Es ist vorhin gesagt worden, dass wir mit der heutigen Debatte ein freundschaftliches Signal in Richtung des afghanischen Volkes aussenden wollen. Das wollen wir auch tun. Deshalb noch einmal mein klares Bekenntnis – ich richte es an diejenigen, die uns in den vergangenen Jahren massiv unterstützt haben –: Wir wollen auch für Ihre Sicherheit garantieren und für das, was in dem Rahmen möglich ist – mit Aufenthaltsgenehmigungen hier und mit Sicherheit vor Ort; denn wir wollen nicht, dass diejenigen, die uns über Jahre geholfen haben, schutzlos denen ausgeliefert sind, die eventuell auf Rache sinnen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3125933 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz ISAF |