Hans-Christian StröbeleDIE GRÜNEN - Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße ganz besonders die Vertreterinnen und Vertreter der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt hier im Raume; ich freue mich, dass Sie unserer Diskussion heute folgen wollen.
(Beifall im ganzen Hause)
In dieser Debatte geht es um den Bericht des Untersuchungsausschusses. Wenn ich mich mit den Vorgängen um den NSU beschäftige, bin ich noch immer empört und fassungslos. Ich habe versucht, Erklärungen dafür zu finden, warum die Sicherheitsbehörden in Deutschland – Verfassungsschutz und Polizei – bundesweit mehr als zehn Jahre lang, so unendlich lange, so dramatisch versagt haben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt leider!)
– Leider. – Wir haben nicht den einen Grund dafür feststellen können; aber wir haben eine ganze Reihe von Gründen gefunden, die immer wieder eine Rolle gespielt haben – ich will einige davon aufzählen –: bürokratische Ignoranz, so nach dem Motto „Sind wir überhaupt zuständig?“, Inkompetenz, Konkurrenzdenken, Vorurteile, aber auch das Selbstverständnis des Verfassungsschutzes: „Wir sind doch nicht zur Unterstützung der Polizei da! Wir sind doch eine eigene Polizei. Was mischen die sich hier ein? Wir sind ein eigener Sicherheitsbereich.“
Wir haben auch in Teilen der Sicherheitsbehörden – nicht überall, aber in Teilen; das muss man so sagen – institutionellen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gefunden.
Der Fall ist mit dem Aufdecken des skandalösen Versagens der Sicherheitsbehörden nicht beendet. Gestern hat mich ein Journalist vom MDR angesprochen – ich glaube, Sie auch, Herr Binninger –, weil man herausbekommen hat, dass Uwe Böhnhardts Handy drei Wochen nachdem er untergetaucht war abgehört worden ist. Wir fragen uns: Warum eigentlich nur für knapp einen Monat? Über dieses Handy hat sich eine ganze Reihe von Personen bei ihm gemeldet, die alle zum NSU-Umfeld gehören; einer von ihnen sitzt inzwischen beim Oberlandesgericht München auf der Anklagebank. Diese Maßnahme ist dann abgebrochen worden. Am selben Tag, als sie abgebrochen wurde, sind die Aufnahmen gelöscht worden. Keiner weiß, warum. Die Aufnahmen sind jedenfalls nicht ausgewertet worden. Gegen die Personen, die man identifizieren konnte, ist nichts unternommen worden. – Da fragt man sich, wie so etwas kommt. In solchen Situationen fällt es mir schwer, an das Zusammentreffen so vieler Zufälle zu glauben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Wir haben der Öffentlichkeit in Deutschland und insbesondere den Angehörigen der Opfer versprochen, möglichst alles aufzuklären. Wir waren uns beim Verfassen des Untersuchungsausschussberichtes natürlich einig, dass wir damit nicht alles aufgeklärt haben. Ein Teil muss jetzt beim Oberlandesgericht München weiter aufgeklärt werden. Wenn ich solche Sachverhalte erfahre wie gestern, dann weiß ich, dass auch wir Abgeordnete weiter aufklären müssen, und das verspreche ich auch der Öffentlichkeit. Dafür brauchen wir nicht gleich einen neuen Untersuchungsausschuss, sondern das können wir im Innenausschuss und müssen wir im Parlamentarischen Kontrollgremium tun. Und um diese Aufklärung müssen sich auch die Bundesregierung und die Länderregierungen kümmern. Deshalb sollten wir einfordern, dass auf der Tagesordnung unserer parlamentarischen Institutionen regelmäßig Berichte zur Entwicklung des Rechtsextremismus – vor allen Dingen des gewaltbereiten und gewalttätigen Rechtsextremismus – in Deutschland stehen, in denen es um folgende Fragen geht: Was machen die da? Was machen V-Leute da? Inwieweit sind V-Leute in solche Taten möglicherweise verwickelt? Welche V-Leute hat man da überhaupt angestellt?
In den neuesten Veröffentlichungen aus Berlin und Thüringen tauchen immer neue V-Leute auf, die im Umfeld des NSU-Trios tätig gewesen sind. Der Verdacht erhärtet sich, dass sie eine größere Rolle gespielt haben als nur die, ihren V-Leute-Führern hin und wieder einen Tipp zu geben. Was haben sie dazu beigetragen, dass dieses NSU-Trio so lange verborgen bleiben konnte? Haben sie nicht zumindest bei den Behörden, denen sie berichtet haben, die Gewissheit gefördert, die gewaltbereite rechtsextreme Szene im Griff zu haben, weil sie dort ja ihre V-Leute eingesetzt haben? Dabei wurde allerdings übersehen, dass diese nie etwas berichtet haben, was zur Aufdeckung der Zusammenhänge oder gar zur Festnahme dieses Trios geführt hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist der Einsatz von V-Leuten im rechten Bereich nicht zu vertreten. Sie kosten nicht nur viel Geld, sondern sie schaden auch mehr, als sie nützen, weil sie eine Sicherheit vortäuschen, die letztlich gar nicht gegeben ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grünen haben in einem Sondervotum eine ganze Reihe von Punkten aufgelistet, um die sich die Behörden zusätzlich kümmern müssen. In Bezug auf den Verfassungsschutz sind wir anderer Auffassung als die Mehrheit. Das will ich hier jetzt im Einzelnen nicht mehr darlegen.
Ich erwarte nun, ein halbes Jahr nach der Vorlage des Berichtes, vom Bundesinnenminister, dass er uns von ersten Maßnahmen und auch darüber berichtet, was im Innenministerium geschehen ist, um solches Versagen in Zukunft zu verhindern. Ich erwarte auch, dass wir – nicht nur, weil wir es den Angehörigen der Opfer versprochen haben, sondern auch, weil wir es uns selbst und unserer Gesellschaft schuldig sind – alles tun, um aufzuklären und solches Versagen mit solchen entsetzlichen Folgen in Zukunft zu verhindern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Jetzt hat Herr Bundesinnenminister Dr. de Maizière das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3144807 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 17 |
Tagesordnungspunkt | Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses |