14.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 11+ZP4

Norbert Lammert - Kommission zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir einen wunderschönen guten Morgen! Für zurzeit insgesamt 13 Auslandseinsätze haben wir der Bundeswehr ein Mandat erteilt. Das heißt, wir befassen uns in erster und zweiter Beratung des jeweiligen Antrages in 22 Sitzungswochen des Deutschen Bundestages 26-mal mit einer Mandatsverlängerung. Wenn wir alle einmal ehrlich sind, müssen wir feststellen: Das ist in vielen Fällen zu einer rein förmlichen Routine geworden,

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Für Sie vielleicht!)

die der Aufgabe – da gebe ich allen recht –, die das Parlament haben muss, nicht gerecht wird.

Ich kämpfe seit 2005 dafür, dass wir uns einmal grundsätzlich mit der Rolle und auch der verfassungsrechtlichen Verantwortung des Parlaments auseinandersetzen. Dass wir das heute in einer grundsätzlichen Debatte über die Form unserer Beteiligung tun, das müssten Sie alle als eine Stärkung des Parlamentes sehen; das müssten Sie alle begrüßen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

– Herr Trittin, ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, das auch in Ihren Zwischenrufen zu tun.

Insofern will ich gerne begründen, warum ich die Einsetzung einer solchen Kommission für erforderlich halte. Wir sind uns in diesem Hause, zumindest zum größten Teil, darüber einig: Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner Verantwortung in der globalisierten Welt auch künftig nachkommen will, wird es einen wirksamen außenpolitischen, sicherheitspolitischen und auch militärischen Beitrag dazu leisten müssen. Unser Außenminister hat zu Recht auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt:

Impulsgeber einer europäischen Verteidigungspolitik zu sein, heißt insbesondere, die militärische Integration, also nicht Alleingang, sondern Integration, in Europa voranzubringen, einschließlich im Übrigen der europäischen Rüstungszusammenarbeit. Das aber bedeutet konkret mehr Verantwortung Deutschlands und mehr gegenseitige Abhängigkeit, auch mit Blick auf militärische Einsätze als äußerstes Mittel bei der Mandatierung von Bundeswehreinsätzen.

Der Außenminister hat in München weiter gesagt:

Das gilt ebenso für die europäische Verteidigungspolitik. Darum arbeiten wir an der Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der EU. Wie notwendig das ist, machen doch die verschiedenen Herausforderungen in Afrika deutlich, die wir im Moment vordringlich behandeln und die europäische und deutsche Interessen direkt berühren.

In diesem Zusammenhang möchte ich, bevor Legenden entstehen, in aller Deutlichkeit sagen, was für uns alle selbstverständlich ist:

Erstens. Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Er darf aber auch nicht verweigert werden, wenn europäische und deutsche Interessen betroffen sind.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Selbst der Kriegsdienst darf verweigert werden!)

Zweitens. „ Wir wollen“, so heißt es in der Koalitionsvereinbarung, die seit ein paar Monaten existiert, „dass gemeinsame europäische Einsätze zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit Europas vorrangig in unserer geografischen Nachbarschaft durchgeführt werden.“

Einsätze jenseits dieser Nachbarschaft sollten vermehrt regionalen Partnern und Organisationen wie der Afrikanischen Union oder ECOWAS übertragen werden, und diese sollten dafür ertüchtigt werden. Was wir in Mali und künftig in Somalia tun, ist genau das, was wir vereinbart haben: diese Länder bzw. Regionalorganisationen so zu ertüchtigen, dass sie ihre Sicherheitsprobleme künftig weitgehend eigenständig regeln können und dass europäische Soldatinnen und Soldaten ihr Leben dafür nicht riskieren müssen. Der Weg dorthin ist allerdings noch weit; deshalb werden wir in Afrika wahrscheinlich noch weitere Einsätze zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit Europas leisten müssen.

(Zuruf von der LINKEN: Aha!)

– Das liegt doch auf der Hand. Den Kopf in den Sand zu stecken, macht doch das Leben der Menschen in Deutschland, in Europa und auch in Afrika, die direkt unter diesen Bedrohungen zu leiden haben, nicht sicherer.

Tatsache ist aber auch: Unsere Fähigkeiten und Kapazitäten sind begrenzt. Es ist deshalb unbestritten, dass erhebliche Fortschritte, insbesondere in den Bereichen Transport, Luftbetankung, medizinische Versorgung und Aufklärung, erforderlich sind. Zugleich aber haben alle EU-Länder mit rückläufigen Verteidigungsbudgets zu kämpfen. In der Konsequenz heißt das, dass wir diese notwendigen Fortschritte nur durch Zusammenlegung von Kapazitäten und durch eine vertiefte Aufgabenteilung erreichen können. Deswegen haben wir uns in unserer Koalitionsvereinbarung dafür ausgesprochen, soweit sinnvoll und möglich nationale militärische Fähigkeiten und Kapazitäten im Rahmen von Pooling und Sharing zu nutzen. Mit anderen Worten: Nationale Streitkräfte werden integriert und sind voneinander abhängig. Deutschland ist heute beispielsweise durch die AWACS-Aufklärungsflugzeuge, durch Battle Groups und durch das Eurocorps in gegenseitiger Abhängigkeit mit seinen europäischen Partnern.

Konzepte vertiefter Aufgabenverteilung funktionieren allerdings nur, wenn sich die Partner darauf verlassen können, dass Deutschland grundsätzlich zu einem Einsatz seiner Streitkräfte bereit ist. Die deutsche Politik – damit auch hier keine Legenden entstehen – muss selbstverständlich weiterhin bei jeder einzelnen Mission entscheiden, ob deutsche Streitkräfte daran teilnehmen oder ob sie aus gravierenden Gründen nicht daran teilnehmen sollen. Allerdings sage ich auch: Letzteres muss eher ein Einzelfall bleiben, sonst würde Deutschland von unseren Partnern als Hinderungsgrund angesehen werden mit der Konsequenz, dass Pooling und Sharing mit Deutschland nur leere Worthülsen sind.

Das alles hat auch seine Bedeutung für die Rechte des Bundestages bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Dazu möchte ich drei Grundsatzbemerkungen machen:

Erstens. Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche Deutschlands; er ist vielmehr eine Stärke,

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

weil die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr eine Grundlage für die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer Einsätze in der Gesellschaft darstellt.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum stärken wir dann nicht unsere Stärken?)

Zweitens. Der Parlamentsvorbehalt war – das hat der Kollege Annen schon völlig zu Recht gesagt – noch nie ein Grund für Deutschland, sich einem Einsatz zu entziehen, aber er war sehr wohl ein möglicher Rechtfertigungsgrund, politisch nicht gewollte Entscheidungen gar nicht erst auf die Tagesordnung zu setzen. Insofern geht es mit Blick auf eine zunehmende Integration europäischer Streitkräfte um die Frage, ob die Beteiligungsrechte des Bundestages von unseren Partnern – zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt – als Hinderungsgrund angesehen werden in Bezug darauf, sich mit Deutschland in eine vertiefte Integration wie beispielsweise eine Anlehnungspartnerschaft zu begeben. Das wird zu klären sein. Wenn dies so gesehen wird, dann stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen und welche Veränderungen wir für erforderlich halten.

Drittens. Durch die zunehmende Integration europäischer Streitkräfte wird es künftig möglich sein – auch das spreche ich ganz offen an –, dass deutsche Soldaten in einen EU- oder NATO-Einsatz gehen, den die deutsche Regierung und der Deutsche Bundestag aus eigener Initiative – ich betone: aus eigener Initiative – nicht auf die Tagesordnung gesetzt hätten. Ich erinnere beispielsweise an die Entscheidung, im Zusammenhang mit dem Libyen-Konflikt deutsche Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen über Afghanistan einzusetzen, obwohl man das eigentlich nicht wollte.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eben darum geht es!)

– Ja, darum geht es. Nur halten wir es für richtig, dass wir das auch ansprechen. Wir halten es für richtig, dass wir sicherheitspolitisch handlungsfähig sind. Wir betreiben hier doch kein Versteckspiel. Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese drei Aspekte, die ich gerade genannt habe, gilt es in Einklang zu bringen, wenn es um die Sicherung der Parlamentsrechte geht. Deshalb hat die Kommission einen doppelten Auftrag:

Erstens. Sie soll rechtlich und politisch prüfen, wie auf dem eben beschriebenen Weg fortschreitender Bündnisintegration die Parlamentsrechte gesichert werden können.

Zweitens. Der Auftrag, zu prüfen, wie Parlamentsrechte gesichert werden können, impliziert, dass die Kommission Handlungsoptionen erarbeiten soll, wie der fortschreitenden Bündnisintegration durch Pooling und Sharing sowie eine Anlehnungspartnerschaft durch eine Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Rechnung getragen werden kann.

Diese Aufgabe soll binnen Jahresfrist erledigt werden, sodass wir noch im Laufe dieser Legislaturperiode gegebenenfalls entsprechende Anpassungen vornehmen können.

Lassen Sie mich abschließend noch einige Aspekte der Arbeit der Kommission ansprechen, die deutlich machen, warum wir die Einsetzung einer solchen Kommission für notwendig und für ein Gebot der Transparenz halten. Die Arbeit der Kommission soll sich auf folgende Aspekte konzentrieren:

Erstens soll sie die verschiedenen, künftig zu erwartenden Formen militärischer Integration aufzeigen. Ich habe bereits die Stichworte AWACS und multinationale Kooperation im Rahmen von Pooling und Sharing sowie eine Anlehnungspartnerschaft genannt. Weitere Beispiele sind integrierte Hauptquartiere und Stäbe, aber auch Ad-hoc-Hauptquartiere, wie wir sie zurzeit im Zusammenhang mit dem Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik in Larissa und Bangui haben. Wichtig ist dabei, dass die Kommission untersucht und aufzeigt, in welchen Bereichen durch die zunehmende Integration möglicherweise ein Spannungsverhältnis zur derzeitigen Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung besteht.

Zweitens ergibt sich daraus die Aufgabe, Handlungsoptionen vorzuschlagen, wie ein solches Spannungsverhältnis überwunden werden kann. Dabei soll es – wie es in unserem Auftrag heißt – um die gesamte Bandbreite möglicher Instrumente gehen, beispielsweise das Rückholrecht – wie wir es übrigens bereits im Gesetz haben; das ist also nichts Neues –, befristete Einspruchsmöglichkeiten, Vorabzustimmung, Berichtspflichten, Zitierrechte oder die Einrichtung von spezifischen Gremien. Nicht zuletzt gehört dazu – es wurde gerade genannt – auch die Weiterentwicklung des Instruments einer Abstufung der Intensität der parlamentarischen Beteiligung. Auch dafür ist bereits jetzt im Parlamentsbeteiligungsgesetz mit dem vereinfachten Zustimmungsverfahren ein Beispiel gegeben.

Drittens – dies ist eine pure Selbstverständlichkeit; ich erwähne es aber noch einmal – muss die Formulierung konkreter Handlungsoptionen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfolgen.

Ich denke, allein diese Punkte machen deutlich, warum es sinnvoll und angemessen ist, für diese schwierige Aufgabe – das sage ich mit Blick auf die Grünen – externe Fachleute hinzuzuziehen.

Meine Fraktion ist sehr dankbar, dass sich unser ehemaliger Kollege und Verteidigungsminister Volker Rühe bereit erklärt hat, den Vorsitz für eine solche Kommission zu übernehmen.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Genau der Richtige!)

– Ja, wir finden auch, dass er genau der Richtige ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat als Verteidigungsminister und als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses detaillierte Erfahrungen mit Bundeswehreinsätzen, seit das Bundesverfassungsgericht im Juli 1994 die Parlamentsbeteiligung vorgeschrieben hat.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schon vorher vorgeschrieben!)

Er kennt sich sehr genau aus mit der Entwicklung militärischer Integration. Er weiß um die Stimmungslage gegenüber Deutschland und die Erwartungen im Bündnis und in der EU, und er hat nach wie vor ein sehr hohes Ansehen hier im Lande wie auch im Bündnis. Wir freuen uns ganz besonders, dass ihm mit Walter Kolbow ein sehr erfahrener und von uns hochgeschätzter Kollege zur Seite steht.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja schon alles klar!)

CDU/CSU und SPD waren sehr daran interessiert – ich will das noch einmal sagen –, diesen Antrag gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen einzubringen. Herr Schmidt, dies war leider nicht möglich, weil die Grünen eine völlig andere Kommission und einen erheblich veränderten Auftrag wollten.

(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten eine andere Meinung! Das gibt es! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Parlamentsrechte stärken! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie sich vor: Das nennt sich Demokratie!)

– Ja, es ist Demokratie, dass wir uns dem stellen und dass wir Ihnen das Angebot machen, dort mitzuarbeiten.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar kein Angebot gemacht! Wo ist Ihr Angebot?)

Wenn Sie dieses Angebot nicht annehmen, ist auch dies Ihre freie Entscheidung. Nur dürfen Sie sich hinterher nicht beschweren, nicht dabei gewesen zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Herr Trittin, es war gerade die Frage, ob man den Vergleich mit einem Vierbeiner wählen darf. Das mache ich nicht, Herr Präsident – keine Angst. Aber Sie, als Zweibeiner, tragen mir einen zu großen Federkranz, lieber Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der in unserem Antrag beschriebene Ansatz erlaubt eine ergebnisoffene Kommissionsarbeit – das will ich noch einmal ausdrücklich sagen – mit der Chance auf konkrete Verbesserungsvorschläge und eine bessere Wahrnehmung des Parlamentes. Die Änderungen, die Sie von den Grünen vorgeschlagen haben, würden die Kommissionsarbeit bereits a priori einschränken und begrenzen. Das ist im Sinne notwendiger und zugewandter Parlamentsbeteiligung und im Sinne unserer verfassungsgemäßen Verantwortung nicht sachgerecht und kommt unserem Selbstverständnis als Parlamentarier nicht entgegen.

Die Erwartungen an die Arbeit der Kommission sind hoch. Sie übernimmt eine schwierige Aufgabe. Es geht auch in diesem Bereich um das, was Außenminister Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat:

Die Koalition ist dazu bereit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt der Kollege Frithjof Schmidt das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3210890
Wahlperiode 18
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Kommission zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr
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