Matthias W. BirkwaldDIE LINKE - Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Mitte Januar gibt es einen Entwurf der Bundesregierung für das Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetz. Seitdem wird darüber diskutiert. Manche Menschen glauben sogar, dass das, was drinsteht, schon beschlossen sei. Dem ist aber gar nicht so. Weil es nur und ausschließlich einen Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt, findet die erste Lesung noch nicht einmal im Bundestag statt, sondern im Bundesrat. Und wann? Heute. Weil das so ist und weil wir Linken sagen: „Dieses Rentenpaket muss auch im Deutschen Bundestag diskutiert werden“, haben wir unsere Anträge eingebracht, die wir heute beraten.
Mit diesen Anträgen werden wir Ihnen unsere linken Alternativen darstellen. Ich will auch mit Kritik nicht sparen. Damit fange ich einmal an.
Man kann sagen: Ja, es gibt Leistungsverbesserungen, die ersten in der Rente seit 1977. Das will ich durchaus anerkennen. Aber insgesamt muss man schon sagen, dass Ihr Rentenpaket nach dem Motto gestrickt ist: Manches wird besser, aber nichts wird gut. Warum? Das Allerwichtigste, das repariert werden muss, fehlt nämlich in Ihrem Rentenpaket. Das ist der Punkt, dass das Rentenniveau dringend wieder angehoben werden muss.
(Beifall bei der LINKEN)
Seit dem Jahr 2000 sinkt das Rentenniveau. Damals lag es noch bei 53 Prozent. Das sicherte den Lebensstandard im Alter. Heute liegt es bei 47,9 Prozent, und, wenn nichts geändert wird – so steht es schon im Gesetz –, wird das Rentenniveau bis auf 43,7 Prozent im Jahr 2030 sinken. Das heißt, alle Ihre schönen Verbesserungen, Frau Staatssekretärin, werden durch das sinkende Rentenniveau, gegen das Sie nichts tun, wieder aufgefressen. Deswegen sage ich: Das Rentenpaket enthält Schritte in die richtige Richtung, aber es ändert nichts an dem zentralen Problem, und das ist falsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer im Jahr 2001 eine Rente von 1 000 Euro hatte, wird, wenn sich nichts ändert, bei einem Rentenbeginn im Jahr 2030 nur 810 Euro Rente bekommen. Das ist das Problem. Deswegen müssen wir eine wirkliche Rentenreform machen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, reicht nicht.
Der zweite Punkt. Sie haben die Rente ab 63 vorgeschlagen. Dazu sage ich Ihnen: Auch das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber so, wie Sie es vorgeschlagen haben, ist es eine Mogelpackung. Viele Menschen wissen ja überhaupt nicht, dass die Rente ab 63 nach diesem Gesetzentwurf nur für anderthalb Jahrgänge vorgesehen ist, nämlich für die Menschen, die 1952 geboren sind, sowie für die Menschen, die ab Juli 1951 geboren sind. Für alle anderen Menschen gilt die Rente ab 63 nicht. Sie müssen mit mehreren Monaten mehr rechnen. Wenn sie im Jahr 1964 oder später geboren wurden, dann gilt für sie die Rente ab 65. Das ist also eine Mogelpackung. Insgesamt profitieren auch viel zu wenig Menschen davon. Nach den Aussagen der Bundesregierung sind es nur 50 000 zusätzlich. Das reicht nicht.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: 200 000!)
Wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf eine anständige Rente und auf den Ruhestand.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie diskutieren außerdem allen Ernstes darüber, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Berechnung der Rente ab 63 nicht zählen sollen. Ja, Sie sagen: Okay, Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I zählen wir dazu, aber Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe respektive Zeiten von Hartz IV zählen wir nicht dazu. Ich frage Sie jetzt: Was ist denn der Unterschied zwischen einem Maurer, der einmal vier Jahre am Stück arbeitslos gewesen ist und demzufolge auch Arbeitslosenhilfe- oder Hartz-IV-Zeiten hatte, und einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Die Lebensleistung ist aus meiner Sicht die gleiche. Deswegen sagen wir Linken: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Berechnung der Rente ab 63 bzw. ab 65 berücksichtigt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Übrigen ist 63 schon viel zu spät. Es gibt eine neue Studie vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. In einem Artikel dazu mit der Überschrift: „Vor der Ziellinie ausgebrannt“ steht – ich will Ihnen ein kurzes Zitat nennen –:
Bauarbeiter sind im Durchschnitt 57,6 Jahre alt, wenn sie aufhören, zu arbeiten, Krankenschwestern 60,9 Jahre. Das zeigt: Selbst diese Berufe haben keine Chance, die Rente ab 63 zu erreichen.
Deswegen sagen wir Linken: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, soll die Chance haben, ab 60 abschlagsfrei in Rente zu gehen. Das wäre sozial und gerecht.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum so spät? Warum nicht mit 50?)
Das ist ein guter Vorschlag. Was würde seine Umsetzung bedeuten? Es würde bedeuten, dass ein Fliesenleger, der mit 20 Jahren angefangen hat, auf den Knien auf dem Fußboden herumzurutschen, und eine Altenpflegerin, die 40 Jahre lang Patienten geschleppt hat, endlich ab 60 in Rente gehen dürften. Das wäre völlig richtig. Deswegen sagen wir: Wir müssen insgesamt die Rente erst ab 67 wieder abschaffen.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Wer zahlt das?)
Denn alle anderen, die nicht 40 oder 45 Beitragsjahre haben, schaffen noch nicht einmal das. Die Rente erst ab 67 ist eine gigantische Rentenkürzung. Sie zu beseitigen, würde Durchschnittsverdienende nur 7,26 Euro kosten. Ich habe keinen gefunden, der das nicht machen will. Deswegen: Weg mit der Rente erst ab 67!
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt will ich noch etwas zur Mütterrente sagen. Derzeit kriegt eine Frau, die ein Kind vor 1992 geboren hat, für dieses Kind im Westen 28,14 Euro und im Osten 25,74 Euro auf dem Rentenkonto gutgeschrieben. Ich bitte Sie! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sind Kinder auf dem Rentenkonto in Ost und West unterschiedlich viel wert? Das ist absolut nicht akzeptabel. Wir wollen den vollen Satz für alle Kinder, egal ob sie in Köln oder in Leipzig oder in Dresden geboren worden sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Kollege Birkwald, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss und sage noch: Die Mütterrente muss aus Steuermitteln finanziert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und diese darf nicht allein den Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen übergeholfen werden.
(Beifall des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es darf nicht sein, dass die Sprechstundenhilfe für ihren Arzt die Mütterrente finanziert; der ist nämlich im Versorgungswerk.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)
Das sagt nicht nur die Linke; das sagen eigentlich fast alle Fachleute. Das Beispiel gerade ist vom Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung. Hören Sie auf ihn!
Wir brauchen insgesamt eine Rente, von der man leben kann, die vor Altersarmut schützt und den Lebensstandard sichert.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Als nächster Redner hat der Kollege Albert Stegemann das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3211412 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 21 |
Tagesordnungspunkt | Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung |