20.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 23 / Zusatzpunkt 2

Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine mutige Bürgerbewegung hat in der Ukraine eine Regierung gestürzt, die für Korruption und Unfreiheit stand. Ein Teil der Menschen, die das gemacht haben, hat dafür einen extrem hohen Preis bezahlt, den höchsten Preis, den man sich vorstellen kann; denn diese Menschen haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Das verdient unsere Solidarität und unsere Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Menschen in der Ukraine haben es verdient, dass alle anderen Länder um sie herum ihre demokratischen Entscheidungen achten, dass alle anderen Länder um sie herum darauf achten, in welche Richtung sich die Ukraine entwickeln will, und dass sie darauf achten, dass die Ukraine kein geostrategisches Spielfeld ist, das man in die eine oder andere Richtung zerren kann. Das ist von großer Bedeutung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die russische Regierung tritt mit der Annexion der Krim das Völkerrecht mit Füßen. Hier herrscht nicht das Recht, sondern das Unrecht des Stärkeren. Für jeden, dem an friedlichen Konfliktlösungen gelegen ist, dem an Abrüstung gelegen ist, der dafür kämpft, dass es in der Welt weniger Atomwaffen gibt, ist diese Entwicklung ganz besonders bitter. Denn die Ukraine war eines der ersten Länder, die freiwillig auf Atomwaffen verzichtet haben. Dafür gab es eine Reihe von Garantiestaaten. Einer dieser Garantiestaaten war Russland.

(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: So ist es!)

Insofern geht es hier nicht nur um das Völkerrecht als solches; vielmehr hat Russland explizit die Unabhängigkeit, die Freiheit und die territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Bei allem Streit, ob das russische Vorgehen völkerrechtswidrig war, ist das ein ganz klarer Bruch dieses Vertrages. Das muss jeden ganz besonders hart treffen, der wirklich für friedliche Lösungen eintritt. Es muss besonders scharf verurteilt werden, was Russland da gemacht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist wichtig, dass es Europa gelingt, mit einer Stimme zu sprechen. Es ist wichtig, dass wir auf die russische Regierung einwirken – sowohl diplomatisch als auch wirtschaftlich –, dass sie ihren Kurs ändert.

So wichtig es ist, dass man da einwirkt und entsprechend Druck ausübt: Wir wissen andererseits, dass niemandem daran gelegen sein kann, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt. Die Situation ist brandgefährlich. Es gab bereits erste Tote. Umstritten ist, was die Ursache dafür war. Eine zentrale Aufgabe der europäischen Außenpolitik ist es, eine weitere Eskalation auf der Krim zu verhindern. Jeder Schritt, den wir tun, muss deeskalierend wirken. Deshalb sind Reaktionen, die nervös oder hysterisch wirken, falsch. Schnellschüsse, auch solche politischer Natur, können am Ende Menschenleben kosten. Folglich ist es wichtig, dass wir klug und abgewogen reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grüne unterstützen den Dreistufenplan der EU. Wir Grüne sind fest davon überzeugt, dass das Zünden der zweiten Stufe richtig war. Jetzt sagen viele: Das hilft alles nichts. Putin ist mit der Annexion der Krim vorgeprescht. Das beeindruckt die russische Regierung überhaupt nicht. – Aber besonnene Reaktionen sind in einer so schwierigen Krise klug. Will denn irgendjemand fordern, dass man auf Putin’sches Großmaulheldentum mit gleicher Münze reagiert? Das ist doch keine europäische Art der Politikgestaltung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber man muss sich klarmachen, dass Putin und die russische Regierung trotzdem unbeirrt an ihrem Kurs festhalten. Deshalb ist es wichtig, weitere Schritte zu erwägen, wie man auf die russische Regierung erfolgreich einwirken kann.

Einen ersten kleinen Schritt gab es bereits: Der Export eines Gefechtsübungszentrums wurde abgesagt. Aber das reicht nicht. Schauen wir uns an, wie viele Waffen allein Deutschland nach Russland exportiert hat: 2011 für 140 Millionen Euro, 2012 für 40 Millionen Euro. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen ein Waffenembargo in Richtung Russland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schluss sein muss auch mit dem achselzuckenden Darüber-Hinweggehen, dass Investoren, Oligarchen aus Russland – zum Teil steckt Gazprom dahinter, zum Teil stecken andere Putin-nahe Investoren dahinter – in großem Umfang Energieinfrastruktur, offensichtlich sogar zu überhöhten Preisen, ausgerechnet jetzt in Deutschland aufkaufen. Die Regierung tut so, als wenn sie da machtlos wäre. Erstens stimmt das nicht, und zweitens ist es jetzt an der Zeit, das Außenwirtschaftsgesetz zu benutzen und dafür zu sorgen, dass das Erpressungspotenzial nicht noch höher wird. Das heißt: Stoppen Sie diese Art von Politik!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)

Es ist allerdings auch von großer Bedeutung, dass wir von Energieimporten insgesamt unabhängiger werden. Deshalb ist es schlichtweg falsch, was die Bundesregierung gerade macht: Sie würgt die Energiewende ab, sie stoppt die Energiewende.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da haben Sie etwas missverstanden!)

Es ist grundfalsch, in welche Richtung sich die Klimapolitik auf EU-Ebene gerade bewegt, nämlich dahin, Klimaziele abzuschwächen, so zu tun, als wenn die Klimakatastrophe nicht stattfinden würde. Selbst wenn Ihnen der Klimaschutz und das Überleben zukünftiger Generationen nicht so wichtig sind:

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn! – Christian Petry [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie müssten doch wenigstens erkennen, dass es wichtig wäre, wie sich anhand dieser Krise zeigt, von Importen fossiler Rohstoffe unabhängiger zu werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie zum EU-Gipfel gehen: Sorgen Sie dafür, dass es wieder eine koordinierte Energiepolitik gibt! Frau Merkel, Sie haben selber davon gesprochen, dass wir einen Energiebinnenmarkt brauchen, dass wir eine koordinierte Energiepolitik brauchen. Und was machen Sie? Sie machen das Gegenteil! Früher gab es vernünftige Ziele – sie waren zwar schwach, aber immerhin vorhanden – für den Ausbau erneuerbarer Energien auf EU- Ebene für die einzelnen Länder. Sie haben zugelassen, dass das gestrichen wurde. Was soll denn das Ganze? Wohin wollen Sie denn damit kommen? Am Ende wird Frankreich wieder auf Atom setzen, wird Großbritannien auf Atom setzen; andere Staaten – wie Polen – setzen stark auf fossile Energieträger. Das erhöht doch nur die Abhängigkeit von Importen aus Krisenländern. Auch Uran muss importiert werden. Steinkohle muss weitgehend importiert werden. Selbst bei Erdöl ist Russland einer der größten Exportstaaten, auch für uns. Schon allein aus Unabhängigkeitsgründen, aus Klimaschutzgründen: Ändern Sie Ihren Kurs!

Aber auch aus Wettbewerbsgründen sollten Sie Ihren Kurs ändern. Sie haben viel von der Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Wenn die südlichen Krisenstaaten die Möglichkeit hätten, Energie selbst zu erzeugen – Europa importiert für 500 Milliarden Euro fossile Energieträger –, dann hätten sie eine ausgeglichene Handelsbilanz. Es genügt nicht, von Wettbewerbsfähigkeit zu sprechen; man muss dafür sorgen, dass diese Staaten eine Perspektive haben. Eine Perspektive ist der Green New Deal, eine Perspektive sind erneuerbare Energien, und eine Perspektive ist Energieunabhängigkeit; denn das stärkt die lokale Wirtschaftskraft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, ändern Sie Ihren Kurs in Bezug auf die europäische Politik, was Banken angeht, was erneuerbare Energien angeht, was Klimaschutz angeht! Dann hätten Sie eine Chance, dass von den Zielen, von denen Sie hier gesprochen haben, auch in der Realität etwas umgesetzt werden kann.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3229190
Wahlperiode 18
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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