20.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 23 / Zusatzpunkt 2

Klaus-Peter WillschCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich danke Manfred Grund für diese richtige historische Einordnung. Ich will Herrn Gysi auch noch einmal ein bisschen auf die Sprünge helfen.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Geschichtsvergessen ist das!)

Sie stellen gerne Bezüge zum Gebiet des früheren Jugoslawien her. Auch ich sehe da Parallelen; denn Milosevic hat dort alle Staaten in seinem Umfeld mit Aggressionskriegen überzogen, weil er gesagt hat: Da ist irgendwo ein Serbe, und deshalb ist das serbisches Territorium. – Sie haben das vielleicht nicht mitbekommen, weil Sie damals in Belgrad waren und Milosevic das Händchen gehalten haben, statt auf der richtigen Seite zu stehen. Sie scheinen nichts aus der Geschichte gelernt zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland, zwischen Deutschen und Russen, zwischen den Menschen der beiden Länder, sind eng. Wir hatten hier in Berlin die Ausstellung „Russen und Deutsche: Tausend Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“ im letzten und vorletzten Jahr. Das war ein Publikumsmagnet. Viele Menschen haben die Ausstellung besucht. Sie war ein Beitrag zum Russland-Jahr in Deutschland und zum Deutschland-Jahr in Russland.

Gleichwohl müssen wir leider erkennen, dass Konflikte und Denkmuster, die wir schon überwunden glaubten, wieder aufbrechen oder wieder sichtbar werden. Man kann vieles persönlich für nicht richtig halten, aber trotzdem entschuldigen oder nachvollziehen. Man kann versuchen, die Welt durch die Augen des anderen zu sehen, und das haben wir auch oft getan. Aber mit dem, was in den letzten Tagen und Wochen auf der Krim passiert ist, ist Moskau mehr als nur einen Schritt zu weit gegangen. Das ist nicht hinnehmbar.

Was können wir tun? Ein Übergehen zur Tagesordnung ist nicht möglich. Wir alle hoffen, dass die ersten Stufen der von der EU ergriffenen Sanktionsmaßnahmen hinreichen. Aber auch sie werden nur gelingen, wenn wir an unserer Entschlossenheit, im Zweifelsfall auch weiter zu gehen, wirtschaftliche Sanktionen ernsthaft in Betracht zu ziehen, keinen Zweifel lassen. Dazu gehört, dass wir uns unserer energiepolitischen Abhängigkeit bewusst sind, wenn wir darüber reden, und dass auch die andere Seite weiß, dass wir uns dieser Abhängigkeit bewusst sind. Deshalb bin ich auch führenden Wirtschaftsvertretern dankbar, die deutlich gemacht haben: Völkerrecht bleibt Völkerrecht, und es darf nicht darüber hinweggegangen werden.

Eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, die ich Ihnen wirklich zur Lektüre empfehle – sie ist hervorragend –, zeigt das hohe Destabilisierungspotenzial bezüglich der Versorgung mit Gas und Öl auf. Russland ist Europas Energielieferant Nummer eins. 30 Prozent des in der EU benötigten Gases kommen von dort, beim Öl sind es 35 Prozent. Auf Deutschland bezogen sind die Werte noch etwas höher.

Aber natürlich sind wir auch gegenseitig voneinander abhängig. Die Talfahrt des Rubel-Kurses zum Euro in den letzten Wochen von 1: 40 auf 1: 50 zeigt schon, dass sich auch die russische Wirtschaft nicht so leicht eine Eiszeit erlauben kann. Moskau kann nicht ignorieren, dass sich der russische Haushalt zu etwa 55 Prozent aus Erlösen von Gas- und Ölgeschäften speist.

Herrn Hofreiter, der jetzt wieder bei uns ist,

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war die ganze Zeit da!)

möchte ich zurufen, dass ich sehr wohl nachvollziehen kann, wenn er die Frage aufwirft, ob es angesichts dieser Analyse richtig ist, im Bereich der Gasversorgung eine vertikale Integration zuzulassen. Wir sind bei der Versorgung abhängig, und nun sollen wir auch noch unseren strategischen Speicher in einen Einflussbereich geben, in den er nach meinem Dafürhalten nicht gehört. Deutschland hat knapp ein Viertel der 100 Milliarden Kubikmeter Gasspeicherkapazität. Deshalb muss darüber nachgedacht werden, ob der Deal zwischen BASF/ Wintershall und Gazprom richtig ist, ob der Verkauf von Dea durch RWE richtig ist.

Wenn man über dieses Thema geostrategisch nachdenkt, muss man sich aber auch überlegen, ob der überhastete Ausstieg aus der Kernenergie richtig ist.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Kernenergie ist nämlich auch geeignet, Abhängigkeit zu verringern.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man merkt halt, dass Sie die Energiepolitik nicht genau kennen, nämlich: 90 Prozent des Erdgases verbrennen wir für das Heizen der Häuser! Das hat mit Strom nichts zu tun! Mit Atomkraft heizen wir nicht!)

Wenn man offen geostrategisch diskutieren will, muss man sich darüber Gedanken machen, ob es richtig ist, leichtfertig auf eigene Energiegewinnungsmöglichkeiten wie Fracking zu verzichten. Wenn wir schon über die Frage einer unabhängigen Energieversorgung reden wollen, dann machen wir das bitte auf breiter Grundlage und verhängen keine Denkverbote.

Noch einige Gedanken zur Zukunft in der Ukraine.

Wichtig wird sein, dass wir darauf achten, dass Rechtsstaatlichkeit herrscht. Manfred Grund hat es angesprochen: Es darf nicht eine Oligarchenclique durch eine andere ersetzt werden. Wenn sich der IWF jetzt Gedanken über die Zahlungsfähigkeit der Ukraine macht, dann wird es wichtig sein, dass dort ein Bail-in bezüglich Oligarchenvermögen stattfindet. Das meiste von diesem Vermögen ist nämlich dem Volk geraubt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Früher war es Volkseigentum, und irgendwelche Personen haben es sich in der Transformationszeit unter den Nagel gerissen.

Wo wir gerade beim IWF sind: noch ein Gedanke zur Situation im Euro-Raum, ohne jetzt Grundsatzdebatten anzufangen.

Aber bitte einen kurzen Gedanken.

Einen kurzen Gedanken. – Wir haben es mit sinkenden Renditen bei Staatsanleihen zu tun, wobei offenbleibt, ob das auf eine wirkliche Verbesserung der Situation oder auf die in meinen Augen unrechtmäßige Zusage, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, zurückzuführen ist. Egal wie es ist: Entscheidend ist, dass die Spielräume, die durch eine geringere Verschuldung bedingt sind, nicht, wie bei der Einführung des Euro, genutzt werden, um munter die Verschuldung zu erhöhen, sondern dass sie genutzt werden, um Strukturreformen anzugehen und Defizitquoten zu senken. Davon sind wir leider noch ein großes Stück entfernt. Ich bitte die Troika und die Bundesregierung darauf zu achten, dass in der richtigen Richtung agiert wird und neue Spielräume genutzt werden.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wir müssen leider feststellen, dass die Schuldenstände dort allen kraftvollen Beschlüssen zum Trotz weiter steigen. Wir müssen uns mit diesem Thema weiterhin sehr sorgsam beschäftigen.

Frau Präsidentin, ich danke für Ihre Geduld. Sie haben mir eine Minute Redezeit mehr gegeben. Das ehrt Sie

(Heiterkeit)

und macht mir Freude, weil ich so noch meine letzten Gedanken vortragen konnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Okay. Ich mache sehr gerne Freude. – Das Wort zu einer Kurzintervention zum Beitrag des Kollegen Grund hat jetzt Dr. Wolfgang Gehrcke.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht doch nur direkt nachdem jemand gesprochen hat!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3230988
Wahlperiode 18
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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