Volker BeckDIE GRÜNEN - Adoption durch Lebenspartner
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kollegin Winkelmeier-Becker, ich nehme Ihnen ab, dass Sie es in der Sache gut meinen und eigentlich auch eine aufgeklärte Position vertreten wollen. Es ist Ihnen bloß noch nicht ganz gelungen.
Sie haben gerade selber zu Recht gesagt – das ist Praxis –, dass Jugendämter häufig gerade gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften Pflegekinder aufziehen lassen, weil sie oftmals niemand anderen finden als ein gleichgeschlechtliches Paar, das bereit ist, sich insbesondere um ältere Pflegekinder zu kümmern, weil diese Kinder und Jugendliche nicht ganz einfach sind, vielleicht schon Vorprägungen haben und man sich als erziehender Elternteil ein bisschen mehr anstrengen muss.
Wenn aber diese Pflegekinder, weil die Herkunftsfamilie familienrechtlich auf sie verzichtet, zur Adoption freigegeben werden, dann wollen Sie nicht zulassen, dass diese Kinder gemeinschaftlich adoptiert werden. Was ist das für ein Unsinn?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Warum müssen diese Eltern ein, zwei Jahre warten, bis sie gemeinsam familienrechtlich für die Kinder Verantwortung tragen, obwohl sie es tatsächlich unter Umständen schon seit Jahren tun? Ihnen geht es bei dieser Position nicht um das Kindeswohl. Ihnen geht es um Vorteile. Ihnen geht es um Bauchgefühl und um falsche Rücksichtnahmen am rechten Rand unserer Gesellschaft in Ihrer Partei und bei der AfD.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das finde ich skandalös. So macht man keine Rechtspolitik.
Aber nun zu Ihnen, Herr Minister. Sie haben mit schönen Worten einen Gesetzentwurf begründet, wobei ich dachte: Die Rede hätten Sie besser zu unserem Gesetzentwurf gehalten als zu dem Ihrem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich will Ihnen eines mitgeben: Sie sind Justizminister, nicht der Notar des Bundesverfassungsgerichts.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie haben heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es hinbekommt, an der Rechtslage schlichtweg gar nichts zu ändern. Das, was Ihr Gesetzentwurf aufschreibt, gilt so seit dem 19. Februar 2013 durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits unmittelbar. Schön ist nur, dass wir jetzt eine neue Fundstelle dafür bekommen, nämlich das BGB und das Lebenspartnerschaftsgesetz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Gesellschaftspolitisch und rechtspolitisch weniger ambitioniert als dieser Gesetzentwurf, Herr Minister, kann man überhaupt nicht sein.
Aber ganz ohne Aussage ist Ihr Gesetzentwurf in der Tat nicht. In der Begründung – komischerweise spricht in der Begründung der Koalition jetzt die Koalition für die Bundesregierung – heißt es:
– zum Adoptionsrecht –
Außer einem Nein zur gemeinschaftlichen Adoption hat Ihr Gesetzentwurf also keine Substanz. Das finde ich für die Sozialdemokratie schon beschämend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie sind im Wahlkampf vollmundig angetreten: für 100 Prozent Gleichstellung, für die Öffnung der Ehe – ich habe die Anzeige dabei – und für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und künftigen Ehen im Adoptionsrecht.
Dass Sie das mit der Ehe nicht hinbekommen, Frau Kollegin, ist geschenkt. Ich weiß, wie schwierig das ist und dass das für die Union eine hoch ideologische Frage ist. Dass Sie das aber bei der Adoption noch nicht einmal versucht haben, finde ich in der Tat beschämend. Von 100 Prozent Gleichstellung, den Wählerinnen und Wählern versprochen, ist 0 Prozent Rechtsänderung übriggeblieben. Weniger geht nun wirklich nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie haben als Notar nicht einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ordentlich umgesetzt. Sie haben offensichtlich in Ihrem Ministerium noch nicht einmal jemanden beauftragt, das Urteil bis zum Ende durchzulesen. In Randnummer 104 steht – der Kollege hat das schon teilweise zitiert –:
Dann sagt das Bundesverfassungsgericht, dass die Bestimmung im Lebenspartnerschaftsgesetz, die das Adoptionsrecht beschränkt, verfassungswidrig ist. Aber das Bundesverfassungsgericht gibt Ihnen, dem Gesetzgeber, die Aufgabe auf, diese Frage zu klären. Es weist darauf hin, dass das nicht nur über die Einführung der gemeinschaftlichen Adoption geht.
Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen klar auf den Weg gegeben: Sie dürfen beim Adoptionsrecht nicht zweierlei Recht für Ehe und Lebenspartnerschaft bestehen lassen. Genau das tun Sie aber mit Ihrem Gesetzentwurf. Ich finde, Ihr Gesetzentwurf ist ein Fall für die Haftpflichtversicherung, Herr Notar; denn Sie haben hier einen Schaden herbeigeführt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht nicht nur um Recht und Gesetz und darum, ob Sie Ihre Wahlversprechen eingehalten haben. Das Problem ist schlichtweg: Adoptionskindern muten Sie zu, erst nach ein, zwei Jahren durch ein Sukzessivadoptionsverfahren tatsächlich zu einer Familie mit zwei Elternteilen zu kommen, die sorgeberechtigt und unterhaltspflichtig sind und gegenüber denen das Kind Erbansprüche hat. Zuvor haben diese Kinder nur ein Elternteil. Das ist eine sozial- und familienrechtlich instabilere Situation. Das gereicht dem Kind nur zum Schaden. Wer in dieser Debatte noch einmal das Wort „Kindeswohl“ in den Mund nimmt und diese Position verteidigt und vertritt, sollte vor Scham im Boden versinken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Dr. Karl-Heinz Brunner.
(Beifall bei der SPD)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Beck, dann wäre ich der Nächste, der vor Scham im Boden versinken müsste. Ich tue es aber nicht; denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns das Bundesverfassungsgericht wieder einmal gezeigt hat, wo es langgeht. Es sagt glasklar: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. – Dies gilt bei einer Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner und – noch viel wichtiger – für alle Kinder dieses Landes. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber eigentlich hätten wir selbst darauf kommen müssen. Ich weiß, dass der große Teil der Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch darauf gekommen ist. Leider haben wir dies noch nicht – ich sage das ganz bewusst – über alle politischen Gegensätze hinweg selbst in die Hand genommen. Mein Wunsch ist, dass wir die Parteigrenzen außer Acht lassen und sagen: Wir müssen die Kinder und die Familien in den Mittelpunkt stellen. Lieber Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie in Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich auch kein besseres Ergebnis erzielt hätten.
(Beifall bei der SPD)
Ja, wir freuen uns, wenn in Deutschland Kinder großgezogen werden, wenn sie geborgen, gefördert, umsorgt und geliebt sind, egal welche sexuelle Orientierung die Eltern haben. Wir wollen Familien, Solidarität und gemeinsames Einstehen für die Kinder, ganz egal in welcher Konstellation. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, und wir stehen dazu. Wir, die SPD, stehen dafür ein, ohne Zögern, ohne Lavieren und ohne Angst. Aber ich weiß, dass dies in Deutschland und auch in diesem Hohen Haus keine hundertprozentige Zustimmung erfährt. Ich weiß, dass sich manche Kolleginnen und Kollegen unseres geschätzten Koalitionspartners noch immer schwertun, den Schritt in Richtung Gleichstellung so zu gehen, wie ich und vielleicht auch andere in diesem Hause ihn gerne gehen würden. Ich akzeptiere dies. Gerade deshalb möchte ich Sie gerne mitnehmen, Ihnen den Weg erleichtern und Ihnen dazu fünf Argumente an die Hand geben.
Erstens haben wir im Koalitionsvertrag bereits festgelegt, rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften schlechterstellen, zu beseitigen – das haben wir noch vor uns –, und wir haben – das haben wir heute vorliegen – den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vereinbart. Das machen wir jetzt.
Zweitens. Familie hier, Ehe da, Lebenspartnerschaft dort – das sind in unserer Gesellschaft keine Gegensätze mehr. Ich sage ganz deutlich: Familie ist da, wo Solidarität herrscht, wo Menschen füreinander einstehen, wo ein Kind in behüteten Verhältnissen aufwachsen kann, wo es sich gut entwickeln kann, dort, wo es daheim ist. Das hat nichts mit Mann und Frau, sondern das hat etwas mit Liebe zu tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Kinder in homosexuellen Ehen entwickeln sich psychisch ganz normal.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass sie es schwerer hätten als Dicke, Dünne, Kleine oder Große, von Diskriminierung ganz zu schweigen. Schließlich hat das das Staatsinstitut für Familienforschung in Bamberg bestätigt, und die müssen es wissen.
Viertens. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden in der Bevölkerung meist Homoehe genannt, nicht Partnerschaft, sondern Ehe. Selbst die Bild-Zeitung schreibt nur Homoehe. Damit ist klar, dass eingetragene Lebenspartner wie Ehepartner leben und zweifelsohne die Verantwortung für sich und für ihre Kinder und Angehörigen übernehmen wie Ehepartner und so, wie wir das in Deutschland wollen. Gut, dass der allgemeine Sprachgebrauch schon etwas weiter ist als die Gesetzgebung.
Fünftens: die Realität. Es gibt sie schon längst, die Stiefeltern, die Pflegeeltern, die Patchworkfamilien, die ihren Kindern Schutz und Geborgenheit geben. Das verdient Anerkennung. Unterschiede werden gelebt, öffentlich, unabhängig von jedem Schubladendenken. Warum sollten wir einen anderen Maßstab anlegen, warum soll es bei Sukzessivadoptionen Ausnahmen geben? Wenn irgendjemand die Gleichstellung bremsen möchte, dann ist es, glaube ich, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eh schon zu spät. Der Zug fährt schon. Das nächste Gesetz ist vor der Tür.
(Beifall bei der SPD)
Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber er darf es nicht allein bleiben. Dazu sollten wir künftig keinen Wink unseres Bundesverfassungsgerichts mehr benötigen. Haben wir den Mut, die Augen für die Realität zu öffnen und die Fragen zu beantworten, die wir für unsere Gesellschaft beantworten müssen. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In was für einer Gesellschaft sollen unsere Kinder aufwachsen? Füreinander einstehen, sorgen, lieben und beschützen – was ist uns das wert? Glauben Sie mir: Wenn wir diese Fragen fern von parteipolitischem Kalkül und fern von unseren parteipolitischen Unterschieden sehen, dann steht am Ende nicht nur die Gleichstellung, sondern auch die Ehe für Schwule und Lesben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bei der Präsidentin, dass sie mir ein paar Sekunden hinzugegeben hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Frau Dr. Sütterlin-Waack für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3231390 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 23 |
Tagesordnungspunkt | Adoption durch Lebenspartner |