Thomas OppermannSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Frau Katrin Göring-Eckardt eben aufmerksam zugehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen, dass sich unser Land im Augenblick in einem ausgesprochen schlechten Zustand befindet.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört, Herr Oppermann! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser zuhören!)
Da haben Sie, Frau Göring-Eckardt, an der Wahrnehmung der allermeisten Menschen in diesem Lande komplett vorbeigeredet.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situation verloren.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)
In der Tat, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wende, gleichzeitig den höchsten Stand der Beschäftigung.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch den höchsten Stand an prekärer Beschäftigung!)
Wir haben Überschüsse in allen Sozialversicherungen. Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte dieses Landes.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die größten Infrastrukturprobleme!)
Bund, Länder und Unternehmen zusammen geben in diesem Jahr 80 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Auch wenn ich weiß, dass damit nicht alle Probleme in diesem Land schon gelöst sind – die Wahrheit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausgesprochen gut da, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann!)
So etwas zu sagen – ich weiß das aus eigener, noch gar nicht so lange zurückliegender Erfahrung –, fällt in der Opposition schwer,
(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])
aber Sie hätten allen Grund gehabt, darauf hinzuweisen; denn, Frau Göring-Eckardt, Sie waren bei den Grünen doch schon einmal Fraktionsvorsitzende, nämlich als Rot-Grün vor zehn Jahren die Arbeitsmarktreformen ganz entschlossen angepackt hat.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider verscherbeln Sie das alles!)
Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil daran, dass dieses Land heute wirtschaftlich so stark ist.
(Beifall bei der SPD)
Ich finde, auch die Grünen können sich einmal über die wirtschaftlichen Erfolge in diesem Land freuen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Jetzt kommt es darauf an, alles dafür zu tun,
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstbeschwörung!)
dass diese wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt, und dafür zu sorgen, dass alle Menschen davon profitieren. Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an der ökonomischen Stärke teilhaben können, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dass es uns im Augenblick so gut geht, ist keineswegs selbstverständlich. Die Krise auf der Krim hat uns gezeigt, wie schnell die Stabilität in Europa in Gefahr geraten kann. Russland hat auf der Krim eigenmächtig Grenzen verschoben. Das war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es gut, dass die internationale Gemeinschaft auf Verhandlungen und Diplomatie setzt, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Konflikte können militärisch entschieden werden; aber sie können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Steinmeier von Anfang an klargemacht haben: Es gibt keine militärischen Optionen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dieser Konflikt muss mit diplomatischen und politischen Mitteln bearbeitet werden, zum Beispiel mit den direkten Verhandlungen, die die Bundeskanzlerin angesprochen hat.
Die Menschen in der Ukraine kämpfen gegen Korruption und Gewalt. Sie kämpfen für Demokratie und für freie Wahlen. Ich wünsche mir, dass sie am 25. Mai in der Ukraine diese freien Wahlen ohne Störungen, ohne Behinderungen durchführen können und dass die Einheit ihres Landes erhalten bleibt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Angesichts dieser existenziellen Fragen, mit denen sich die Ukrainer auseinandersetzen müssen, empfinde ich es – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – schon als einen gewissen Luxus, dass wir hier und heute im Bundestag die Vorlage eines strukturell ausgeglichenen Haushalts beraten dürfen; ich glaube, das sollte man auch einmal erwähnen. Dieser Haushalt ist nicht selbstverständlich. Das ist eine Zäsur. Darauf mussten die Bürgerinnen und Bürger 46 Jahre lang warten. 46 Jahre haben wir neue Schulden aufgetürmt. Damit ist jetzt Schluss. Das ist eine ganz klare Botschaft an die jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen damit aufhören, Politik auf dem Rücken der jungen Generation zu machen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich bedanke mich bei Bundesfinanzminister Schäuble, dass er uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. Dafür müsste er eigentlich eine John-Maynard-Keynes-Medaille bekommen, wenn es so etwas gäbe. Wir schaffen angesichts des hohen Schuldenstandes zwar keine echten Reserven,
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist richtig! Eine sehr gute Aussage!)
aber wir tun in wirtschaftlich guten Zeiten das Mindeste, was wir tun können: Wir legen einen ausgeglichenen Haushalt vor, damit wir in schlechten Zeiten auch wieder handlungsfähig sein können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Auf diese Weise hat die letzte Große Koalition – darauf ist schon hingewiesen worden – entscheidend dazu beigetragen, dass wir heute wirtschaftlich stark sind. Ich möchte ganz besonders Peer Steinbrück und Olaf Scholz erwähnen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass Deutschland in der Krise von 2009 seine industrielle Basis behalten hat. Ohne Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogramm wäre vieles unwiederbringlich verloren gegangen. Gut, dass wir das verhindert haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sollten aber natürlich auch nicht vergessen, dass jetzt ein strukturell ausgeglichener und im nächsten Jahr ein vollständig ausgeglichener Haushalt nicht allein das Verdienst der Bundesregierung und der Politik sind; denn wir profitieren zweifellos auch von der Schwäche der anderen.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von den Sozialkassen!)
Wir profitieren von historisch niedrigen Zinsen durch die Euro-Krise. Statt wie in 2008 40 Milliarden Euro zahlt der Bund in 2014 voraussichtlich nur noch 30 Milliarden Euro Zinsen. Das sind zwar 25 Prozent weniger, aber es sind immer noch 10 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Mit anderen Worten: 10 Prozent der Steuereinnahmen führen wir direkt an Kapitalanleger ab, die jahrzehntelang von wachsender Staatsverschuldung profitiert haben. Diese Art der Umverteilung können wir in Zukunft beenden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Egal wie die jeweilige ökonomische Theorie zum Schuldenmachen ausfällt: Faktisch verengen Schulden und Zinsen den Spielraum für die gesamte Politik. Sie begrenzen die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir wollen einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist ein ausgeglichener Haushalt ein Haushalt für die Zukunft dieses Landes.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir sagen Ja zur Schuldenbremse. Aber die Schuldenbremse darf keine Investitionsbremse werden.
(Lachen der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] – Katja Kipping [DIE LINKE]: Ist sie aber!)
Über die schwarze Null kann sich die schwäbische Hausfrau nur dann richtig freuen, wenn ihr Haus auch in Schuss ist.
Ein ausgeglichener Haushalt und öffentliche Investitionen sind kein Widerspruch. Beides ist gleichzeitig möglich, wenn wir Haushaltsüberschüsse erwirtschaften und sie in die richtige Richtung lenken. Das tun wir. Wir investieren in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr in Bildung, 3 Milliarden mehr in Forschung, 5 Milliarden Euro für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur und 700 Millionen Euro in den Städtebau. Wir entlasten Länder und Kommunen,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 2018!)
damit sie selber wieder in die Lage kommen, in Bildung und Infrastruktur zu investieren.
Ich sage ganz klar: Die 6 Milliarden Euro, die wir den Ländern für die Entlastung in den Bereichen Kita, Bildung und Hochschule zugesagt haben, brauchen sie dringend; denn die Länder haben es natürlich schwerer als der Bund, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Im Bund haben wir eine Personalkostenquote von gut 8 Prozent; in den Ländern haben wir eine Personalkostenquote von gut 38 Prozent. Mit anderen Worten: Niemand will, dass die Länder für die Haushaltskonsolidierung Polizeibeamte, Lehrer oder Professoren nach Hause schicken. Sie müssen diesen Personalbestand erhalten, teilweise sogar aufbauen. Das sollten wir berücksichtigen und dafür sorgen, dass dieses Geld möglichst bald zu den Ländern kommt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn es neue Spielräume im Haushalt geben sollte, müssen wir über ihre Verwendung reden. Ich plädiere dafür, dass wir dann Prioritäten setzen. Dazu gehören für mich Investitionen in eine moderne Infrastruktur und in bessere Bildungschancen. Was die Infrastruktur angeht: Die 5 Milliarden Euro reichen vermutlich nicht aus für eine durchgreifende Verbesserung der Situation. Deshalb möchte ich Herrn Dobrindt, der im Augenblick nicht anwesend ist, zurufen: Wenn Sie den schnellstmöglichen Weg wählen, die Einbeziehung der Bundesstraßen in die Maut zu erreichen, dann haben Sie dabei die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
(Beifall bei der SPD)
Im Übrigen warten unsere Kommunen auf weitere Entlastung durch die Reform der Eingliederungshilfe.
Schließlich sind wir uns auch darüber einig, dass es in dieser Wahlperiode eine BAföG-Erhöhung geben muss. Es kann nicht sein, dass wir 10 Milliarden Euro für die Rente verwenden, aber am Ende kein Geld für BAföG haben. Das muss zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Viele Menschen wundern sich beim Blick auf ihren Gehaltszettel, wie wenig Geld von einer Lohnerhöhung übrig bleibt. Der Grund dafür ist die Steuerprogression. Sie ist übrigens eine Errungenschaft des modernen Staates, weil sie ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft sicherstellt, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen, und weil sie dadurch die Kluft zwischen den Gewinnern und Verlierern unserer Gesellschaft verkleinert. Aber wenn die Progression so gestaltet ist, dass Lohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steuern gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann ist das weder fair noch gerecht. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir über den Abbau der kalten Progression reden müssen, aber – das sage ich mit Blick auf die Debatte, die wir gestern hatten – ohne solide und vollständige Gegenfinanzierung wird das nicht möglich sein. Auf keinen Fall wollen wir, dass nach einer Tarifreform weniger Geld für Investitionen, Bildung, Infrastruktur und kommunale Entlastung zur Verfügung steht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir brauchen beides: ein gerechtes Steuersystem und Investitionen für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, in den ersten hundert Tagen haben die Ministerien gute Arbeit gemacht; in den nächsten hundert Tagen wird das Parlament die Hauptrolle spielen. Wir werden ein halbes Dutzend wichtiger Gesetze beraten und verabschieden. Gestern hat das Kabinett die EEG-Reform beschlossen. Bei dieser Reform geht es um nichts weniger als die Akzeptanz der Energiewende. Ich sage: Wenn wir mit der Reform weiter zugewartet hätten, dann wäre absehbar gewesen, dass dieses Jahrhundertprojekt im Volkszorn der Verbraucher und in der Wut über die Abwanderung industrieller Arbeitsplätze untergegangen wäre. Ich bin deshalb froh, dass Sigmar Gabriel das verhindert hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Er hat es geschafft, gegenüber einer Vielzahl von Partikularinteressen das allgemeine Wohl durchzusetzen. Er hat es geschafft, gegen die Europäische Kommission die Industrierabatte zu verteidigen. Frau Göring-Eckardt, das hat doch nichts mit Lobby für die Industrie zu tun.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Womit denn sonst?)
Das ist Lobby für hochwertige industrielle Arbeitsplätze in Deutschland.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich lade Sie gerne zu einer Personalversammlung eines Unternehmens ein, das stromintensiv produziert und im internationalen Wettbewerb steht.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ging auch sehr schnell! Ich habe noch in Erinnerung, was Sie uns vor der Wahl vermittelt haben!)
Dann können Sie diese Thesen ja noch einmal vortragen.
Wir begrenzen den Anstieg der Strompreise für Verbraucher und erhalten die Fähigkeit der stromintensiven Industrie, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen in Deutschland weiter zu produzieren. Das hinzubekommen, war gewiss ein politischer Kraftakt. Dafür danke ich dem Wirtschaftsminister.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Schon in der letzten Woche hat das Kabinett mit dem Mindestlohn eines der wichtigsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet für Millionen von Menschen in diesem Land eine ganz spürbare direkte Verbesserung ihres Lebens. Die meisten der 4 Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euro verdienen, bekommen die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. Aber nicht nur das: Ihrer Arbeit werden Wert und Würde zurückgegeben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dass wir jetzt für alle Arbeitnehmer eine gesetzliche Lohnuntergrenze bekommen, ist eine der wichtigsten Sozialreformen der letzten Jahrzehnte. Der Mindestlohn gehört in eine lange Reihe fortschrittlicher sozialer Gesetze in Deutschland. Das begann 1883 mit der Absicherung im Krankheitsfall; 1927 gab es die Absicherung bei Arbeitslosigkeit. 1957 kam die dynamische Rente. 1995 kam der Schutz bei Pflegebedürftigkeit, der jetzt von Gesundheitsminister Gröhe und der Koalition auf eine neue Stufe gehoben wird. Diese Reformen sollten die Arbeitnehmer dort schützen, wo sie der freie Markt nicht schützt. Jetzt ergänzen wir die soziale Marktwirtschaft um einen Schutz, der bisher gefehlt hat: der Schutz vor Hungerlöhnen, vor Löhnen, bei denen man den ganzen Tag arbeiten muss, von denen man aber nicht leben kann. Diese Löhne wird es in Zukunft nicht mehr geben. Ich bedanke mich bei Andrea Nahles dafür, dass sie das so schnell vorangetrieben hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In der Gesetzesberatung werden wir alles besprechen. Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir einfach ganze Branchen oder Altersgruppen vom Mindestlohn ausnehmen, ohne dass neue grobe Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt herbeigeführt würden. Dann entwickeln findige Unternehmer daraus sofort wieder ein Geschäftsmodell. Solche Anreize wollen wir nicht. Diese Anreize wollen übrigens auch die Arbeitgeber nicht: Ein Unternehmer, der ordentliche Löhne zahlt, will keine Konkurrenz durch Unternehmer, die mit Billiglöhnen arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge sorgen für fairen Wettbewerb und gute Sozialpartnerschaft. Beides wollen wir stärken.
Genauso wie der Mindestlohn ist auch das Rentenpaket ein Gebot der Gerechtigkeit und des Respekts. Denn eine erfolgreiche Wirtschaft hängt nicht nur davon ab, dass wir kreative Unternehmer und eine hohe Produktivität haben, sondern sie hängt auch davon ab, dass die Menschen das Gefühl haben, dass es in diesem Lande fair und gerecht zugeht. Deshalb schließen wir mit der Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke. Wir wollen, dass die Lebensleistung von Müttern nicht nur in Sonntagsreden gewürdigt, sondern auch finanziell honoriert wird.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das gilt auch für die Langzeitarbeitnehmer. Von allen Menschen, die 2012 in Altersrente gegangen sind, taten dies 39 Prozent bis zum Alter von 63. Dabei nehmen sie zum Teil erhebliche Abschläge bei ihrer Rente in Kauf. Wer im Alter von 63 dann schon 45 Jahre gearbeitet hat, der empfindet solche Abschläge als eine ganz grobe Ungerechtigkeit. Viele von denen haben schon mit 15 oder 16 zu arbeiten begonnen. Diesen Arbeitnehmern wurde nichts geschenkt. Die mussten hart arbeiten, und deshalb wollen wir, dass sie jetzt nach 45 Beschäftigungsjahren schon mit 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich finde, wir sollten damit aufhören, Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, als „potenzielle Frührentner“ zu bezeichnen. Viele von denen haben länger gearbeitet als die, die regulär in Rente gehen.
(Beifall bei der SPD)
Ich sehe nicht die Gefahr einer Entlassungswelle; die darf und wird es nicht geben. Erstens haben die Arbeitgeber es selber in der Hand. Ich glaube nicht, dass sie erfahrene und qualifizierte Arbeitnehmer vor Renteneintritt in die Arbeitslosigkeit schicken. Zweitens werden wir im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, dass es keine Vorteile bringt, wenn Arbeitnehmer zwei Jahre vor der Rente freiwillig in die Arbeitslosigkeit gehen. Drittens gibt es bei vielen den Wunsch, den Übergang von der Arbeit in die Rente zwischen 60 und 67 und auch in der Zeit danach flexibler zu gestalten. Wir sind bereit, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Union dafür nach Wegen zu suchen; da sind wir gesprächsbereit. Es gilt natürlich das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hineingekommen ist. Aber es gibt auch ein zweites Gesetz. Dieses Gesetz besagt: Kein Gesetzentwurf aus dem Kabinett darf in der parlamentarischen Beratung schlechter werden.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das schließt sich von vornherein aus! Es ist immer besser!)
Es gilt sozusagen auch ein Verschlechterungsverbot. Daran werden wir uns orientieren müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist das Oppermann’sche Gesetz!)
Wir beschränken uns aber nicht auf ökonomische Stärke und soziale Gerechtigkeit. Wir wollen auch, dass Deutschland ein modernes, tolerantes und weltoffenes Land bleibt. Mit dem Doppelpass und der Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten schaffen wir Meilensteine im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der Gleichstellung von Männern und Frauen. Darauf haben die Menschen in diesem Lande lange gewartet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft würden in den nächsten Jahren 400 000 junge Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, zu einer schwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Dabei haben viele von ihnen zwei Herzen in einer Brust. Zusammen mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz bin ich der Meinung, dass die Integration in Deutschland erfolgreicher wird und besser gelingt, wenn wir die jungen Menschen nicht mehr zu dieser Entscheidung zwingen.
(Beifall bei der SPD)
Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maizière haben dazu einen sehr guten und unbürokratischen Kompromiss erarbeitet.
Die beiden Minister sind auch angesprochen, wenn es um das Thema Vorratsdatenspeicherung geht. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt entschieden. Wenn sowohl das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, als auch das höchste europäische Gericht die geltenden Formen der Vorratsdatenspeicherung verwerfen, dann sollten wir einen Moment innehalten und überlegen, was das bedeutet. Ich glaube, dass ein schneller nationaler Alleingang jetzt nicht die richtige Antwort ist.
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen genau überlegen, wie wir das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit bestimmen wollen. Wir müssen sehr sorgfältig überlegen: Wie viel Freiheit sind wir bereit herzugeben für mehr Sicherheit? Das ist die Grundlage, auf der wir jetzt miteinander sprechen müssen, wenn es darum geht, wie mit der Situation umzugehen ist. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gute Entscheidung treffen werden.
Meine Damen und Herren, Manuela Schwesig ist die erste Frauenministerin in Deutschland, die mit der Mehrheit dieser Koalition eine gesetzliche Frauenquote für börsennotierte Unternehmen auf den Weg bringt.
(Beifall bei der SPD)
Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich künftig selbst verbindliche Vorgaben machen. – Jetzt müssten meine Freunde von der CDU/CSU eigentlich klatschen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir warten, was noch kommt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
– Gut. – Für die einen gilt eine gesetzliche Regelung, für die anderen eine Selbstverpflichtung. Das Schöne daran ist: Wir können sehen, was besser funktioniert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Die Unternehmen werden jetzt in einen Wettbewerb um die qualifiziertesten Frauen eintreten.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist jetzt schon so!)
Ich sage Ihnen: Dieser Wettbewerb wird nicht scheitern; denn noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen in Deutschland wie heute.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, den Kommunen, die derzeit mit steigenden Mieten und wachsenden sozialen Problemen zu kämpfen haben, sagen wir ganz klar: Wir lassen sie nicht im Stich! Deshalb haben wir schnelle Hilfen für die Städte verabredet, die sich allein nicht helfen können. Bauministerin Barbara Hendricks wird dazu die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ mehr als verdreifachen. Damit helfen wir auch den Städten, die von einer punktuell konzentrierten Zuwanderung besonders betroffen sind.
Und, ja, wir brauchen in den großen Ballungszentren die Mietpreisbremse; nicht überall, aber wir brauchen sie dort, wo alteingesessene Mieter durch steigende Mieten aus ihrem Stadtviertel verdrängt werden. Wir brauchen sie dort, wo die soziale Mischung in unseren Städten bedroht ist. Und wir brauchen sie nicht zuletzt dort, wo Familien keine Wohnung mehr in der Nähe von Kita und Schule finden. Deshalb muss es in bestimmten Fällen die Möglichkeit geben, den dramatischen Anstieg der Mieten zu stoppen. Das tun wir.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Genauso müssen wir auf dem Markt der Immobilienmakler aufräumen. Dort gibt es eine große Ungerechtigkeit: Viele Menschen bezahlen Maklergebühren, obwohl sie nie in ihrem Leben einen Makler beauftragt haben. Hier führen wir jetzt das Prinzip „Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch“ ein. Das ist soziale Marktwirtschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In den nächsten Wochen und Monaten kommt einiges auf uns zu. Bis zur Sommerpause werden wir in den Ausschüssen und im Plenum intensiv über die Gesetzentwürfe beraten. Ich freue mich auf die Beratungen in der Koalition, auf die Beratungen mit Volker Kauder und mit Gerda Hasselfeldt. Ich glaube, die Große Koalition wird am Ende zeigen, dass wir auch bei schwierigen Gesetzen zu vernünftigen Kompromissen kommen. Das wird Deutschland ökonomisch stärker und moderner machen, und es wird das Leben der Menschen in diesem Lande Stück für Stück verbessern.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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