Ewald SchurerSPD - Arbeit und Soziales
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich eine alte und gute Übung aufnehmen und mich auch im Namen der Berichterstatter der Fraktionen beim BMAS für die guten und rechtzeitig bereitgestellten Unterlagen bedanken, durch die wir überhaupt erst beratungsfähig sind. Ich möchte auch den Berichterstattern für den bisher gepflegten guten Stil, Dialoge zwischen Opposition und Koalition zu führen, meinen Dank aussprechen.
Meine Rede beginnt damit, dass ich wiederholen darf, was die Frau Ministerin gesagt hat: Wir haben einen Haushalt mit einem Volumen von 122,3 Milliarden Euro. Das sind 41 Prozent des gesamten Etats des Bundes – eine Größenordnung, die, von der Quantität her, für sehr viel spricht. Er enthält folgende Bausteine – sie wurden schon genannt –: 88,5 Milliarden Euro an Zuschüssen für die Rentenversicherung und – nicht zu vergessen – für die Grundsicherung im Alter, 31,5 Milliarden Euro für die Arbeitsförderung, 1,5 Milliarden Euro für die Entschädigung von Kriegsopfern und immerhin 0,8 Milliarden Euro für die Beförderung von Menschen mit schweren Behinderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesen Kapiteln und Titeln stehen immer auch Inhalte; das ist von der Frau Ministerin schon so intoniert worden. Ich will drei Beispiele herausgreifen:
Eine über Jahre von den kommunalen Spitzenverbänden erhobene Forderung an den Bund war, die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung komplett zu übernehmen. Der Koalition, SPD und Union, ist es nun gelungen, mit dem Entwurf die Voraussetzungen dafür zu schaffen, künftig die Kommunen an dieser Stelle zu 100 Prozent zu entlasten. Ich finde, das ist ein großer Erfolg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Des Weiteren haben wir bei den Mitteln gemäß SGB II, wie schon angesprochen, endlich für eine Trendumkehr gesorgt, nachdem es hier in den letzten Jahren – das darf ich kritisch in Richtung der Freundinnen und Freunde von der Union sagen – zu einer relativ starken Ausholzung gekommen ist. Mit den Mitteln in Höhe von viermal 350 Millionen Euro, sprich 1,4 Milliarden Euro, werden wir – auch wenn es hier schon Kritik gab – in der Lage sein, die Vermittlung von langzeitarbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt in vielen Fällen deutlich zu verbessern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das ist ein wesentlicher Schritt, ein erster Punkt, bei dem es aber nicht bleiben darf; wir müssen diese Leistungen verstetigen. Wir müssen die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen qualitativ und quantitativ ein wenig aufmörteln.
Ich spreche nun ein Programm an, das in der Öffentlichkeit sehr viel Kritik, aber auch Lob bekommen hat, nämlich das Sonderprogramm MobiPro-EU. Es ist der Versuch, einen solidarischen Beitrag zur Ausbildung von jungen Menschen und Fachkräften aus europäischen Ländern, vornehmlich aus Mittelmeerstaaten, zu leisten. Das Programm ist erfolgreich. Im Augenblick gibt es aufgrund der großen Nachfrage einen technischen Stopp; aber das Programm wird in der Substanz weitergeführt, so meine Information.
Ich möchte an dieser Stelle auf etwas hinweisen, das keine Selbstverständlichkeit ist: Jenseits aller Streitigkeiten über die Ausgestaltung des Rentenpakets gibt es in der Öffentlichkeit Respekt dafür – auch ich will meinen Respekt und meine Anerkennung aussprechen –, dass die Ministerin und ihr Haus in der Lage waren, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das gesamte Rentenpaket nach kurzer Zeit verabschiedet werden kann – wir werden bis Mitte oder Ende Mai darüber beraten und es dann verabschieden – und schon zum 1. Juli 2014 in Kraft treten kann. Das ist für die Koalition, wie ich finde, ein sehr großer Erfolg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich komme jetzt auf ein Thema zu sprechen, das meines Erachtens im Augenblick neben dem Thema Mindestlohn im Brennpunkt steht: die Debatte um die Rente mit 63. Frau Deligöz, Sie haben gerade im Zusammenhang mit dem Rentenpaket von einer Kampagne der Bundesregierung gesprochen; das war aber nur eine kleine Informationskampagne. Ich vernehme, dass es draußen in der Öffentlichkeit eine Kampagne gibt, für die die sogenannte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gerade Millionen von Euro einsammelt. Überall im Lande wird mit wirklich bitteren polemischen Thesen versucht, das Vorhaben der Rente mit 63 zu zerschießen, aber ohne Erfolg; denn die jüngsten Umfragen besagen, dass sogar die große Mehrheit der jungen Menschen sagt: Wer 45 Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, der oder die verdient eine uneingeschränkte Rente mit 63.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Rente mit 63 ist ein riesiger Erfolg für uns. Die Kampagne dagegen ist ein Misserfolg für die Protagonisten des alten ordo- oder neoliberalen Geistes – die stecken meines Erachtens in erster Linie hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Oder heißt sie vielleicht Initiative Alte Soziale Marktwirtschaft? Ich bringe das bewusst ein bisschen durcheinander; denn ich sehe da keine inhaltliche Substanz. Für mich ist das eine große Kampagne, bei der versucht wird, mit Missinformation gegen den Sozialstaat zu Felde ziehen und die öffentlichen Systeme wie etwa die gesetzliche Rente im Lande zu diskreditieren.
Das geschieht vor dem Hintergrund, dass wir sozusagen gestern eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hatten: 2008, 2009 und 2010 wurden Billionen von Euro auf ökonomischer Ebene vernichtet. So haben Millionen von Menschen in Großbritannien ihre Alterssicherung, die in Pensionsfonds angelegt war, verloren. Nun tun diese Protagonisten so, als sei nichts gewesen. Die Krise war ein Blattschuss für die privaten Versorgungssysteme, die damals durch die Geschäfte von Lehman Brothers und Co. den Bach runtergegangen sind. Vor diesem Hintergrund finde ich es unsittlich und unseriös, so zu argumentieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Ich komme auf die Substanz zu sprechen, die für mich ein ganz wichtiger Punkt ist. Laut Berechnungen des BMAS hatten – unter Berücksichtigung der bisherigen Gesetzmäßigkeit bei der Rente – 150 000 Menschen die Absicht, mit 63 Jahren, aber mit Abschlägen, in Rente zu gehen. Durch die neuen Gesetzmäßigkeiten kämen bis zu 50 000 Menschen dazu. Es geht also insgesamt um rund 200 000 Menschen. Es sind also keine Millionen, wie es die Kampagnenführer, die ich genannt habe, suggerieren. Es ist ersichtlich, dass sie provozieren wollen. Wir wissen: Wenn die Rente mit 63 kommt, dann wird uns das im ersten Jahr 900 Millionen Euro kosten.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es in unserem Land eine große Zustimmung für die Rente mit 63 gibt, und das trotz der zum Teil demagogischen Kampagnen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen, dass ich es schade finde, dass auch Leitmedien in unserem Lande wie Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung und andere ständig und ohne jegliche Korrektur von der Initiative Alte/Neue Soziale Marktwirtschaft abschreiben und so die Kampagne weiterführen.
Richtig ist: 80 Prozent der Menschen in unserem Lande sind für die Rente mit 63. Selbst zwei Drittel der jungen Menschen sagen – ich wiederhole mich –: Das ist verdient und nicht geschenkt. Richtig ist, dass auch andere Bestandteile des Rentenpaketes traumhafte Zustimmungswerte von zum Teil 70, 80 oder 90 Prozent erhalten. Die Menschen haben ihre eigene Auffassung von Ökonomie, die von ihrer Lebenserfahrung oder von ihrer individuellen Lebensleistung abhängig ist.
(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtiger wird es dadurch nicht!)
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Um zur Versachlichung beizutragen, wäre es wichtig, sich die aktuelle Situation im Lande hinsichtlich der Verrentung anzuschauen, um das Programm „Rente mit 63“ in die gesellschaftliche Realität einbetten zu können. Nach den Werten der Hans- Böckler-Stiftung – sie greift auf die Daten der Deutschen Rentenversicherung und auf die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg zurück – liegt der Altersdurchschnitt bei der Verrentung im Bereich Hoch- und Tiefbau bei 57,6 Jahren und bei Maschinisten – dies sind immerhin ein paar Hunderttausend – bei 59,6 Jahren. Bei Elektroberufen – hier arbeiten Millionen von Beschäftigten – liegt der Durchschnittswert heute bei 60,1 Jahren und bei Kaufleuten im Handels- und Warenbereich bei 61,1 Jahren. In den Sozial- und Erziehungsberufen ist der Wert mit 62,9 Jahren am höchsten. – Nur wer diese Werte kennt, kann überhaupt erst einschätzen, worüber wir reden. Das tun die Protagonisten, die ich genannt habe, nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Kollege Schurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?
Natürlich.
Herr Schurer, Sie haben das reale Renteneintrittsalter in bestimmten Branchen aufgezählt. Die Werte lagen bei ungefähr 60 Jahren, teilweise sogar darunter. Ich frage Sie: Ist es nicht richtig, dass genau die Personen, die zu den genannten Zeitpunkten in Rente gehen müssen, überhaupt nichts von der Rente mit 63 haben, da sie ja erkennbar vor dem 63. Lebensjahr in Rente gehen? Es ist doch so, dass sie trotzdem erstens über ihre Beitragszahlungen und zweitens durch das niedrigere Rentenniveau, das Ihr Paket bewirkt, dafür zahlen müssen. Finden Sie das gerecht?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es schade, dass Sie bei dem Spiel mitmachen, einzelne Gruppen innerhalb der Rentenversicherung gegeneinander auszuspielen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich benenne es doch nur!)
Die Kritik der Grünen ist relativ unstet: Teilweise strapazieren Sie die Werte der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, teilweise kommen Sie mit einem Gerechtigkeitskodex daher.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Sie haben doch die Zahlen genannt! Das sind doch Ihre Zahlen!)
– Das ist meine Antwort. – Die Rente mit 63 kann in der Tat nicht alle Widersprüche innerhalb des Rentensystems auflösen,
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen neue! Das ist das Problem!)
aber sie ist eindeutig ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit für jene Menschen, die nach 45 Beitragsjahren ihre Rente selbst erwirtschaftet haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Baustein, zur Mütterrente. An die Freundinnen und Freunde der Union gerichtet, sage ich: Ich wünsche mir, dass jetzt nicht so viele Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion wie wild durch die Gegend hoppeln – Ostern steht vor der Tür – und in den Medien und überall sonst aufgeregt sagen: Das mit der Rente mit 63 geht nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass wir Sozialdemokraten dem Projekt der Mütterrente geschlossen, denke ich, zustimmen werden,
(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!)
obwohl es sich bei diesem sozialpolitisch induzierten Projekt – sprich: gewollten Projekt – um eine rein versicherungsfremde Leistung handelt.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Da haben Sie recht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum stimmt ihr dann zu?)
Die Gelder dafür kommen erst einmal aus der Rücklage der Deutschen Rentenversicherung und müssen später – wir Sozialdemokraten glauben, in der nächsten Legislaturperiode – auf Dauer steuerlich refinanziert werden. Darüber kann man reden. Meine Bitte ist: Sorgt innerhalb des eigenen Ladens für ein bisschen Ordnung. Wir Sozialdemokraten sagen: Jawohl, die Mütterrente ist verdient. Ein weiterer Rentenpunkt für vor 1992 geborene Kinder ist verdient. Dazu stehen wir Sozialdemokraten. Macht in der Union aber bitte nicht den Fehler, alles frei laufen zu lassen. Wir haben in der Opposition schon genügend Desorientierte; das ist bei der Opposition zum Teil reine Sekundärargumentation. Das reicht doch schon.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist nicht hilfreich! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Teile der Opposition!)
Zur Erwerbsminderungsrente: 180 000 Menschen waren 2012 davon betroffen. Die Zurechnungszeit wird um immerhin zwei Jahre erhöht, gerechnet wird also bis zum 62. statt bis zum 60. Lebensjahr. Das ist für Menschen, die auf diese Rente angewiesen sind, eine gute Geschichte.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Tropfen auf den heißen Stein!)
Wir werden auch den Rehadeckel anheben.
Noch eine letzte Aussage – Frau Präsidentin, wenn Sie erlauben –: In der Rentendebatte hat man manchmal den Eindruck, dass es nur um Kosten geht. Ich sage dazu: Die Rente wird auch künftig durch Beiträge, ergänzt durch eine Steuerfinanzierung, gesichert werden. Auch in 10, 20 und 30 Jahren wird es die gesetzliche Rente als großen Baustein der Alterssicherung der Menschen immer noch geben und geben müssen. In der Rentendiskussion wird oft der Fehler gemacht, zu glauben, dass es sich bei der Rente nur um Kosten handelt. Das sind aber nicht nur Kosten. Die Rente ist im Zusammenhang mit der Wertschöpfung der Volkswirtschaft zu sehen. Sie bemisst sich an den Produktivitätsfortschritten der Volkswirtschaft, denn daran orientiert sich – nach Möglichkeit – die Lohnpolitik. So trägt die Rente volkswirtschaftlich – makro- und mikroökonomisch – zur Bereicherung bei.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Bei der Ausschüttung der Rente handelt es sich um Milliardenwerte, über die durch Konsum und Leistung Menschen, die noch im Arbeitsleben stehen, beschäftigt werden. Deshalb ist es ein großer humanistischer Fehler, zu glauben, dass wir, wenn wir über die Sozialversicherungssysteme reden, nur über Kosten reden. Das stimmt nicht. Diese Milliarden, bei denen es um verschiedene Rentenbestandteile geht, fließen wieder in die Wirtschaft und sind für die Ökonomie und für die Zukunft des Landes fundamental. Insofern trägt der Haushalt 2014 zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Sicherheit der Menschen in der Zukunft bei.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber, geschätzter Herr Schiewerling!
(Beifall bei der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Danke! Das wird gefährlich oder teuer!)
– Herr Schiewerling, hören Sie mir einmal zu. Meine Zeit läuft sonst weg. – Sie klopfen sich hier immer schön auf die Schulter – das tun viele von der CDU/CSU, aber auch von der SPD –, wie toll auf dem Arbeitsmarkt alles läuft, auch bezogen auf die letzten Jahre.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wenn etwas gut läuft, dann muss man es auch sagen! – Kerstin Griese [SPD]: Tue Gutes und rede darüber!)
Sie sagen immer gerne, wie viele Menschen in den letzten Jahren in Arbeit gekommen sind. Soll ich Ihnen einmal ein paar andere Zahlen nennen? Wir haben in den letzten Jahren einen enormen Wandel am Arbeitsmarkt erlebt. Wir haben insgesamt 2,6 Millionen Menschen, die einen Zweitjob brauchen.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Haben, nicht brauchen! Das ist ein Unterschied, Frau Kollegin!)
Wir haben 1,4 Millionen Menschen, die aufstocken müssen. Wir haben 7,5 Millionen Menschen, die einen Minijob haben.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die sind nicht alle arm!)
Wir haben fast 800 000 minijobbende Rentner. Jetzt sagen Sie mir nicht, die haben zu viel Zeit und wollen deshalb noch arbeiten.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Nein, weil sie etwas dazuverdienen wollen!)
Nein, sie haben kein Geld. Deswegen müssen sie zusätzlich noch einen Minijob machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben 2 Millionen Kinder, die bei uns in Deutschland in Armut leben. Das ist doch beschämend.
Ich will Ihnen noch einige Zahlen nennen, Herr Schiewerling: Wir haben 1,1 Millionen langzeitarbeitslose Menschen, Tendenz steigend.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Tendenz fallend, Frau Kollegin!)
Wir haben 183 000 Menschen, die behindert sind und arbeitslos sind, Tendenz in den letzten Jahren steigend. Wir haben 650 000 arbeitslose Menschen, die über 55 Jahre alt sind, Tendenz steigend. Deshalb muss ich Ihnen ehrlich sagen: Die Bilanz, die Sie hier immer ziehen, entspricht nicht der Realität. Die richtige Bilanz ist die, die ich Ihnen jetzt genannt habe.
(Beifall bei der LINKEN)
Dazu hat auch die Agenda 2010, meine Damen und Herren von der SPD, einen Beitrag geleistet.
(Katja Mast [SPD]: Genau!)
Wir beraten heute – es ist schon öfter gesagt worden – das Herzstück des Haushaltes, den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier geht es nicht um Wohltaten, über die die Begünstigten sich freuen dürfen oder für die sie dankbar sein müssen. Dieser Haushalt zeigt, wie ernst Sie es mit der sozialen Gerechtigkeit bei uns in Deutschland meinen.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Richtig!)
Da ist zum Beispiel die langzeitarbeitslose Textilarbeiterin aus Sachsen, die Hoffnung hat, aus den Geldern der Arbeitsmarktförderung eine Weiterbildung bezahlt zu bekommen und dann hoffentlich auch Arbeit zu finden. Da sind die Friseurin aus dem Ruhrgebiet und die Kellnerin in Mecklenburg-Vorpommern, beide arbeiten zu Niedriglöhnen und stocken zusätzlich mit Hartz IV auf. Da sind auch die über 460 000 Rentnerinnen und Rentner, deren Alterssicherung so niedrig ist, dass sie diese durch Sozialleistungen aufstocken müssen. Mit diesem Etat werden keine Wohltaten finanziert, sondern dringende Unterstützungs- und Hilfeleistungen, die oft nicht einmal ausreichen. Das ist beschämend.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Jahr 2010 beschloss die damalige schwarz-gelbe Koalition ein Kürzungspaket, das auch heute noch den Haushalt prägt. Um nur einiges zu nennen: Die Rentenbeiträge für Hartz-IV-Beziehende wurden abgeschafft, das Elterngeld auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet, Gelder der Arbeitsmarktförderung in Millionenhöhe wurden zusammengestrichen, und Kosten wurden auf die Kommunen abgewälzt. Zählt man all diese Kürzungen zusammen, kommt unter dem Strich heraus, dass der Haushalt in dem Bereich eigentlich um 13 Milliarden Euro höher sein müsste. Aber so hoch ist er nicht.
Die Kollegin Bettina Hagedorn von der SPD hat damals in den Haushaltsberatungen gesagt – ich möchte sie zitieren –:
Sie sagte weiter, an die Regierung gerichtet:
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das, was Sie damals gesagt haben, ist richtig. Aber es ist falsch, dass Sie heute davon nichts mehr hören wollen, liebe Kollegin Mast.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dieser Haushalt schreibt die falsche Politik der Vergangenheit einfach fort. Er ist sozial ungerecht. Er verwehrt vielen Menschen die Möglichkeit, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Nehmen wir als Beispiel die Arbeitsmarktpolitik. Hier hat es in den zurückliegenden Jahren einen regelrechten Kahlschlag gegeben. Im Bereich Hartz IV wurden die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik fast halbiert.
Was bedeutet das für die arbeitslose Textilarbeiterin aus Sachsen, die gerne eine Weiterbildung zur Mechatronikerin machen will? Dies ist eigentlich eine tolle Idee, denn dieser Beruf gehört zu den Mangelberufen, wie die Bundesagentur für Arbeit feststellt. Ihr Problem ist jedoch, dass sie keinen Rechtsanspruch auf eine Qualifizierung hat. Die Mittel sind knapp. Statt einer neuen Berufsausbildung bekommt sie eine kurzfristige Maßnahme. Das ist billiger, und sie verschwindet aus der Statistik. Das ist leider die bittere Realität, liebe Frau Ministerin Nahles.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Bereich von Hartz IV sind 2013 nur noch 55 000 Erwerbslose in einer Maßnahme für eine berufliche Weiterbildung gefördert worden. Vor drei Jahren waren es noch 85 000. Ähnlich schlimm sieht es im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung aus. Die Quittung für diesen Kahlschlag bekommen wir Jahr für Jahr mit der steigenden Zahl an langzeitarbeitslosen Menschen. Das von der Bundesarbeitsministerin angekündigte neue Programm für Langzeitarbeitslose ist hier allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hatte vorhin eine Frage dazu gestellt. Auch die Ausgaben für Personal in den Jobcentern will die Koalition weiterhin deckeln. Dabei wissen wir doch, wie wichtig eine gute individuelle Betreuung bei der Vermittlung ist. Deswegen muss der Personaletat aufgestockt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Nein, diese Koalition will keine Wende in der Arbeitsmarktpolitik.
Ich komme zum Schluss. Es ließen sich noch zahlreiche Beispiele aufzählen, die zeigen, dass dieser Haushalt sozial ungerecht ist. Sie sagen immer zu uns: Wir müssen einen ausgeglichenen Haushalt haben. – Aber dann müssen Sie bitte schön auch sagen, dass die Erwerbslosen, die Alleinerziehenden sowie die Rentnerinnen und Rentner die Zeche dafür zahlen sollen. Sagen Sie auch gleich dazu, dass Sie ruhig zuschauen, wenn die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter auseinandergeht.
Kollegin Zimmerman.
Meine Damen und Herren, Ihnen fehlt der Wille und der Mut, die Reichen zu besteuern. Das sieht man wieder einmal ganz deutlich.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wie gut, dass Ihnen das noch eingefallen ist! Sonst hätte ja auch etwas gefehlt!)
Der Kollege Stephan Stracke hat für die CDU/CSU- Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3294415 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 30 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |