Brigitte PothmerDIE GRÜNEN - Arbeit und Soziales
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Nahles, Sie wissen, ich bin eine glühende Unterstützerin des gesetzlichen Mindestlohnes und stehe bei der Durchsetzung dieses Projektes nun wirklich auf Ihrer Seite,
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Seit’ an Seit’!)
aber ich würde Ihnen gerne einmal sagen: Sie sind nicht nur die Ministerin für die Arbeitsplatzbesitzerinnen und -besitzer, sondern Sie sind auch die Ministerin für die Arbeitslosen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sosehr ich Ihr Engagement bei der Durchsetzung des Mindestlohnes schätze, so enttäuscht bin ich doch über den wirklichen Mangel an Engagement, wenn es um die Belange von Arbeitslosen und Abgehängten geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Griese [SPD]: Da haben Sie ihre Rede nicht gehört!)
– Liebe Frau Griese, Sie wollen mir doch nicht im Ernst sagen, dass eine solche Rede diesen Mangel wirklich beseitigen könnte.
(Kerstin Griese [SPD]: Sie hat das klar und deutlich gesagt!)
So bescheiden kann wirklich nur die SPD sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Griese [SPD]: Das ist aber billig!)
Ich weiß, das ist ein schwerer Vorwurf, aber ich finde, er ist leicht begründbar: In der letzten Legislaturperiode, Frau Ministerin, haben Sie gemeinsam mit uns den schwarz-gelben Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik kritisiert.
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Was? – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN], an den Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU] gewandt: Herr Fischer ist auch da!)
Zu Recht, kann ich nur sagen. Das Problem ist aber, dass diese Kritik bis heute nichts an Berechtigung eingebüßt hat. Sie wissen ganz genauso gut wie ich: Wenn wir jetzt nicht in die Qualifizierung von Arbeitslosen investieren, dann werden wir sie ein Leben lang alimentieren. Das ist ein Drama für die Betroffenen, das ist teuer, und das ist schlecht für die Volkswirtschaft. Ich nenne jetzt nur noch einmal das Stichwort Fachkräftemangel.
In der Opposition haben Sie 2013 mit genau dieser Begründung 1,6 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik gefordert. Heute sind das noch 350 Millionen Euro. Frau Nahles, es ist Ihre Aufgabe, uns zu erklären, welche arbeitsmarktpolitischen Wunder sich in der Zwischenzeit ereignet haben sollen, dass das Geld jetzt plötzlich nicht mehr notwendig ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese 350 Millionen Euro, die im Laufe der Legislaturperiode angeblich auf 1,4 Milliarden Euro aufwachsen sollen, sind wirklich eine fiktive Summe, die nur auf dem Papier steht.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Stimmt nicht! – Kerstin Griese [SPD]: Jedes Jahr 350 Millionen!)
Wenn die Jobcenter wirklich nur die Hälfte des Geldes bekommen würden, das Sie angekündigt haben, dann könnten sie froh sein. Ich nehme es Ihnen persönlich übel, dass Sie in diesem Bereich schon jetzt mit Taschenspielertricks arbeiten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen sie doch überall! – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Wo ist der Trick?)
Den Gipfel finde ich aber wirklich, dass Sie den Anteil, den Ihr Ministerium erbringen muss, damit das unsägliche Betreuungsgeld gezahlt werden kann, den Arbeitslosen aufdrücken. Die Arbeitslosen sollen die 500 Millionen Euro aufbringen, die das Betreuungsgeld kostet. Das mag nicht viel Geld sein, aber ich finde, das ist an Symbolkraft nicht mehr zu toppen.
Sie handeln nach dem Motto „Die Etats der Jobcenter reichen sowieso von vorne bis hinten nicht; da kommt es auf die 500 Millionen Euro auch nicht mehr an“. Ich halte das für eine ungeheure Unverschämtheit.
Aber ich rede nicht nur vom Geld. Ich rede auch von den Strukturen und den inhaltlichen Angeboten. Auch da ist von den großen Versprechen eigentlich nichts mehr übrig geblieben. Das ist schlecht für die Langzeitarbeitslosen.
Vielleicht erinnern Sie sich noch: Als Projektitis- Projekt haben Sie einst die Bürgerarbeit von Frau von der Leyen verspottet. Jetzt haben Sie auch ein Projektitis-Projekt. Das hat nur einen anderen Namen und ist in der Dimension viel kleiner.
Ihr Projektitis-Projekt heißt „Perspektiven in Betrieben“. Diejenigen, die sich auskennen, wissen, dass wir dieses Projekt bereits kennen: als Modellprojekt in verschiedenen Bundesländern. Die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd. 2013 sind genau 33 Personen über dieses Projekt in Arbeit gekommen. Für 2014 haben Sie sich etwas Gigantisches vorgenommen: Es sollen tatsächlich 35 werden, die Sie darüber in Arbeit bringen. Wollen Sie uns wirklich allen Ernstes erklären, Frau Nahles, dass das Ihr Angebot für Langzeitarbeitslose ist? Mit Verlaub, armseliger geht es nicht mehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielleicht noch ein paar Fakten: Von 2010 bis 2013 sind 190 000 Plätze in der öffentlich geförderten Beschäftigung weggefallen und damit sechsmal mehr, als Sie schaffen wollen. Hinzu kommen noch die 26 000 Bürgerarbeitsplätze, die 2014 auslaufen. Zusammen sind das 216 000 Plätze, die für die Arbeitslosen fehlen.
Auf diese Förderlücke reagieren Sie jetzt mit einem Programm, das irgendwann – wann genau, weiß niemand – auf 30 000 Personen angewachsen sein soll. Das ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Jeder erkennt sofort, dass die Dimension des Problems und die Dimension der Lösung in keiner Weise zusammenpassen. Mehrere Hunderttausend Leute werden nach Hause geschickt und sind auf Angebote angewiesen, und Sie kommen mit diesem ganz, ganz kleinen Karo. Frau Nahles, ich finde, das ist beschämend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich hatte darauf gesetzt, dass Sie nach jahrelangen Debatten jetzt den verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt und den Passiv-Aktiv-Transfer auf den Weg bringen. Dafür haben wir doch gemeinsam gestritten. Auch die grün-roten und die rot-grünen Länder sind dafür in Vorleistung getreten.
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Sie warten jetzt händeringend darauf, dass Sie ihnen die Möglichkeit des Passiv-Aktiv-Transfers eröffnen.
Kollegin Pothmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich danke Ihnen. Ich komme zum Schluss. – Sie lassen also nicht nur die Arbeitslosen im Stich; Sie lassen auch Ihre eigenen Länder im Stich.
Sie wissen genau wie ich: Die bisherige Politik für Langzeitarbeitslose ist gescheitert.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Die wollen Sie aber wiederholen!)
Wir brauchen einen richtigen Paradigmenwechsel. Dafür brauchen wir neue Strukturen.
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Und ein Ende der Redezeit!)
Dafür brauchen wir genügend Geld, und wir brauchen eine Ministerin, die auch für die Belange von Arbeitslosen brennt. Alle drei Punkte sind leider nicht in Sicht.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr wolltet doch nicht regieren!)
Die Kollegin Katja Mast hat nun für die SPD- Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3294449 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 30 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |