Michael KretschmerCDU/CSU - Friedliche Revolution in der DDR
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die freundlichen Wünsche. – Ich habe nur eine Erinnerung an den 7. Mai 1989, nämlich die, dass ich Klaus Feldmann abends im Fernsehen gesehen habe und mit allem gerechnet habe: mit 80 Prozent, mit 85 Prozent, vielleicht auch mit 90 Prozent. Ich als 14-Jähriger war sprachlos, als dann 99 Prozent verkündet wurden. Ich glaube, in diesem Moment war auch mir klar: Hier wird übel betrogen. Das letzte Mäntelchen von Legitimität, das es noch gab und das für die DDR so wichtig war, ist an diesem Tag weggerissen worden. In der Tat hat an diesem Tag alles begonnen, was dann im Wendeherbst endete.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte nicht „Wendeherbst“!)
Ich verstehe die Rede der Kollegin Lemke nicht. Ich verstehe nicht, wie man das, was 1989 endete, Gott sei Dank endete – jedes Mal, wenn ich zum Brandenburger Tor komme, ist es für mich ein unglaublicher Moment, dort durchgehen zu können; ich erinnere mich, wie wir davor gestanden und dieses Unverständnis verspürt haben, dass da das eigene Land endet, dass es da nicht weiter geht, dass man eingesperrt ist –, in irgendeinen Zusammenhang mit den Einsätzen in Bosnien und der schwierigen Entscheidung, die wir verantwortlich getroffen haben, bringen kann.
Ich verstehe nicht, wie man in diesem Moment, in dem es darum geht, diese Diktatur in einer friedlichen Revolution zu überwinden, über Internetüberwachung reden kann, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was eigentlich gewesen wäre, wenn die DDR über diese Möglichkeiten verfügt hätte. Hätte es dann diese friedliche Revolution überhaupt gegeben, oder wären all diese Leute, die sich wie auch meine Eltern engagiert haben, irgendwo im Gefängnis oder im Nirgendwo gelandet?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen kann ich nur sagen: Gott sei Dank ist das alles vorbei. Was für ein Glück für mich, für meine Schwester, die zwei Jahre jünger ist, und für meinen Bruder, der sieben Jahre jünger ist! Was für eine gigantische Lebenschance, die wir alle bekommen haben, in Bezug auf den Zuwachs an Lebenserwartung, die Gesundheit, die Umwelt! Wir stehen heute in der Verantwortung, daraus etwas zu machen. Wir müssen den jungen Leuten in den neuen Bundesländern sagen: Ihr habt alle Chancen, macht etwas daraus! Wir haben großartige Chancen in der Wissenschaft, in der Bildung, in der Wirtschaft.
Wenn ich lese, dass die deutsche Einheit 2 Billionen Euro gekostet hat, dann muss ich sagen: Ich finde, das ist gut angelegtes Geld.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Denn 1989/90 endeten nicht nur ein Land und eine Diktatur; vielmehr ist auch ein neues Deutschland entstanden. Der Satz ist richtig: Ein besseres Deutschland als das, das wir heute haben, gab es nie. – Das, was die deutsche Einheit gekostet hat, ist gut angelegtes Geld.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich bin froh darüber, dass wir mit unserem Koalitionsvertrag auch einen Beitrag dazu leisten, dass die DDR nicht in Vergessenheit gerät. Mit DDR meine ich ein System der Unterdrückung, eine Ideologie des Sozialismus und des Kommunismus. Darum geht es im Kern: deutlich zu machen, dass diese Ideologie zu Unfreiheit und zu großen Verbrechen führt. Es geht nicht um die DDR als irgendetwas, sondern es geht um eine wirklich schlimme, linke, kommunistische, sozialistische Ideologie. Wir sind dafür dankbar, dass die Robert-Havemann- Gesellschaft eine wichtige Aufgabe erfüllt. Wir werden sie in diesem Jahr und in der Zukunft mit zusätzlichen Mitteln unterstützen.
Wir sind froh darüber, dass Rainer Eppelmann mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur klarmacht und auch heute noch Erkenntnisse dazu produziert, wie die SED-Diktatur im Kern gewirkt hat. Ich habe nullkommanull Verständnis dafür, dass man hier berichtet, dass man am 7. Mai 1989 erlebt hat, wie die eigenen SED-Leute die Wahlergebnisse gefälscht haben, und dass man nonchalant dazu übergeht, zu erzählen: Dann saß ich am Runden Tisch und habe da mitdiskutiert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Eine richtig gute Aussage wäre doch gewesen, Herr Kollege Hahn: Deswegen bin ich am 7. Mai 1989 aus der SED ausgetreten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE])
Das Ganze ist auch eine Frage des Umgangs mit der Geschichte. Natürlich gab es in der DDR eine CDU. Aber was hat diese Partei nach der Wiedervereinigung an Aufarbeitung, an einer Bewertung von Geschichte geleistet?
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie ist an der Macht gewesen!)
Das alles sind Dinge, die Sie als direkte Nachfolgepartei der SED,
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)
als Partei, die sich bewusst die Stasi als Machtinstrument gehalten hat, nie geleistet haben. Von Ihnen gab es keine Entschuldigung für die Opfer,
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!)
kein Anerkenntnis für das Unrecht in der DDR,
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Alles falsch!)
übrigens auch heute nicht in Ihrer Rede.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Insofern besteht hier ein großer Unterschied im Umgang mit der Geschichte.
Herr Kollege Kretschmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak?
Bitte.
Herr Kollege Kretschmer, würden auch Sie, wie ein Großteil des Hauses, zur Kenntnis nehmen – Wiederholung 587 –, dass sich die SED bereits auf dem Sonderparteitag der SED-PDS entschuldigt hat, dass auf diesem Parteitag ein Referat gehalten worden ist, in dem wir mit dem Stalinismus als System unwiderruflich gebrochen haben, dass wir in unserer Partei beispielsweise Beschlüsse haben, die besagen, dass man, bevor man kandidiert, seine Biografie offenlegen muss? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es einen Vergleich mit der Treuhandanstalt gegeben hat, nach dem wir finanziell bei null angefangen haben?
(Lachen bei der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja lächerlich!)
– Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Sie haben das Geld der CDU Ost eingesackt.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
Deswegen wollen Sie nicht hören, wie es bei uns war.
(Beifall bei der LINKEN)
Würden Sie also zur Kenntnis nehmen, dass wir einen 25-jährigen Prozess der permanenten Aufarbeitung der eigenen Geschichte hinter uns haben
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ja wie in einer Comedyshow!)
und mit dem Stalinismus als System unwiderruflich gebrochen haben?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich nehme zur Kenntnis, dass es keine andere Partei im Deutschen Bundestag oder in einem Länderparlament gibt, in dem Stasimitarbeiter Parlamentsabgeordnete sein können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist etwas, was ich zur Kenntnis nehme und was ich in vielen Länderparlamenten gesehen habe.
Meine Damen und Herren, wie wichtig es ist, die eigene Geschichte aufzuarbeiten und ein klares Verhältnis dazu zu haben, sehen wir meines Erachtens gerade in Russland und in der Ukraine. Es ist total wichtig, Klarheit zu haben und dem entgegenzutreten, dass der russische Präsident sagt: Der Untergang der Sowjetunion ist die größte Katastrophe des 21. Jahrhunderts. – Nein, so ist es nicht. Für uns ist es wichtig, dass die Geschichte vernünftig aufgearbeitet wird und auch lebendig bleibt. Deswegen werden wir in den nächsten Wochen eine Kommission einberufen, die für die zukünftige Arbeit der Stasi-Unterlagen-Behörde Empfehlungen ausspricht. Uns ist wichtig, dass es diese Institution weiter gibt. Wir sind froh darüber, dass wir im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbaren konnten, dass die ehemalige Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg zu einem Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand wird.
Meine Damen und Herren, noch einmal: Am 7. Mai 1989 begann etwas Großartiges, eine große Geschichte für unser Land. Es ist ein großer Tag, und es ist gut, dass wir ihn heute so miteinander begehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Steffi Lemke zu einer Kurzintervention.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3387557 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 32 |
Tagesordnungspunkt | Friedliche Revolution in der DDR |