Wilfried OellersCDU/CSU - Tarifautonomie
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in der ersten Lesung den Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Das verfassungsrechtlich verankerte hohe Gut der Tarifautonomie hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Tarifvertragsparteien in allen Bereichen stets erfolgreich gemeinsame Regelungen und Lösungen erarbeitet haben. Dies war zum Teil mit harten Verhandlungen verbunden, die zu Kompromissen führten, in denen die Interessen beider Tarifvertragsparteien akzeptabel berücksichtigt worden sind – und das auch in schwierigen Zeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Daher ist es nur konsequent, dass die Tarifautonomie durch das hier vorliegende Tarifpaket weiter gestärkt werden soll.
Bei der näheren Betrachtung des Gesetzentwurfs gilt es jedoch, einige Aspekte nochmals zu bedenken. Ich komme zunächst zur Öffnung des Arbeitnehmer-Endsendegesetzes für alle Branchen: Diese ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie die Tarifautonomie stärkt. Ich bitte jedoch, auf die Bestimmungen zur Definition der einzelnen Branchen ein gewisses Augenmerk zu legen, um klare Trennungen zu regeln, damit es hier zu keinen Überschneidungen kommt. Zur Klarstellung sollte hier insbesondere auch eine gesetzliche Regelung erfolgen.
Zur Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen nach dem Tarifvertragsgesetz sei Folgendes erwähnt: Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz ist ein bewährtes Instrument, mit dem einheitliche Standards branchenbezogen geregelt werden können. Allerdings stellt das Erreichen der erforderlichen starren Quote in Höhe von 50 Prozent der in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer zunehmend ein Problem dar, wenn es darum geht, auf der Arbeitgeberseite die Voraussetzungen zu erfüllen.
Diese starre Grenze wird nun aufgehoben. Durch den nunmehr erforderlichen gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien und das damit verbundene gemeinsame Handeln wird die Tarifautonomie gestärkt. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu prüfende öffentliche Interesse sollte allerdings im besonderen Maße vorliegen, um zu verhindern, dass bereits eine relative überwiegende Bedeutung eines Tarifvertrages zu dessen Allgemeinverbindlichkeit führen kann.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das besondere öffentliche Interesse sollte weiterhin als Korrektiv gegeben sein. Dies gilt auch für die AVE von Tarifverträgen über eine gemeinsame Einrichtung. Diese sollten im Übrigen auch nicht in Konkurrenz zu anderen Tarifverträgen stehen, an die ein Arbeitgeber bereits gebunden ist, damit die Tarifautonomie an dieser Stelle weiterhin gestärkt bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zum Mindestlohngesetz sei Folgendes erwähnt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen einen auskömmlichen Lohn erhalten. Hierfür hat sich die Union bereits in der Vergangenheit durch die Aufnahme von 14 Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingesetzt und damit jeweils bundesweit einheitliche Mindestlöhne eingerichtet, zuletzt für die Fleischindustrie. Damit konnten die Tarifpartnerschaft gestärkt und branchenbezogene Besonderheiten berücksichtigt werden. Letzteres war insbesondere deswegen wichtig, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Lohn erwirtschaftet werden muss.
In einigen Bereichen besteht noch ein Lohnniveau von unter 8,50 Euro. Um in diesen die Lohnhöhe von 8,50 Euro zahlen zu können, ist es erforderlich, gewisse Übergangszeiten einzuräumen, damit sich das Marktniveau und damit das Erwirtschaften von Löhnen der Lohnsteigerung anpassen können. Eine Möglichkeit ist, alle bestehenden Tarifverträge für eine Übergangszeit weiter gelten zu lassen. Für den stark betroffenen Bereich der Saisonarbeit sollte ebenfalls eine Übergangsregelung geschaffen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Darüber hinaus sollte auch berücksichtigt werden, dass die Lohngestaltung in Deutschland sehr vielschichtig ist: Bei den Zeitungszustellern wird ein Stücklohn gezahlt. Beim Taxigewerbe liegt die Besonderheit vor, dass Einnahmen bzw. Preise durch die Kommunen festgelegt werden. Hier sollten Lösungen gefunden werden.
Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sind noch weitere Bestandteile des Mindestlohngesetzes zu überdenken. Gewollt ist, einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einzuführen. Hierzu steht die Union. Nicht vereinbart ist allerdings, dass mit dem Mindestlohngesetz weitere allgemein geltende Regelungen hinsichtlich der Handhabung von Überstunden oder Dokumentationspflichten eingeführt werden sollen. Dies führt zu mehr Bürokratie, was gerade nicht beabsichtigt ist.
Beide Themenbereiche sollten genauso wie die Thematik der Verwirkung wie bisher im Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien liegen. Ebenso wenig ist das Mindestlohngesetz dafür da, strengere Haftungsregelungen einzuführen. Die Unternehmerhaftung ist derart weitgehend angelegt, dass sie eine Haftungskette ermöglicht, die unverhältnismäßig ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Begrüßenswert ist, dass der gemeinsame Wunsch besteht, eine Altersgrenze für die Inanspruchnahme des Mindestlohns einzuführen, damit kein Anreiz geschaffen wird, nach dem Schulabschluss eher ohne Ausbildung ein Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro einzugehen als eine Ausbildung zu absolvieren, in der man zunächst weniger verdient. Ob eine Altersgrenze von 18 Jahren an dieser Stelle allerdings richtig gewählt ist, muss infrage gestellt werden, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Schulabsolventen ihre Ausbildung im Alter von über 18 Jahren beginnen. Eine Anpassung erscheint mir hier geboten zu sein, um das erfolgreiche duale Ausbildungssystem in Deutschland zu stärken.
Zur Arbeit der Mindestlohnkommission ist zu erwähnen, dass diese hinsichtlich der Entwicklung des Mindestlohns keine starre gesetzliche Vorgabe erhalten sollte. Eine Orientierung an dem Tariflohnindex ermöglicht keine uneingeschränkte Gesamtbetrachtung aller zur Neuberechnung des gesetzlichen Mindestlohns heranzuziehenden Umstände.
Nach einer ersten Festlegung des Mindestlohns durch den Gesetzgeber soll es im Weiteren die gemeinsame Aufgabe der Tarifvertragsparteien sein, den Mindestlohn weiterzuentwickeln, und zwar unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen und sozialen Gesamtbetrachtung. Da der gesetzliche Mindestlohn eine Neugestaltung des bisherigen Lohnsystems darstellt, sollte eine Evaluierung möglichst zeitnah nach Inkrafttreten erfolgen. Auch wenn noch über Einzelheiten gesprochen werden muss, so sind wir uns einig, dass die Tarifautonomie gestärkt werden muss und der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro kommt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich erteile das Wort der Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3488513 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Tarifautonomie |