06.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 40 / Tagesordnungspunkt 30

Simone RaatzSPD - Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gehring, ich bin schon ein bisschen verwundert, dass Ihre Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, es wirklich schafft, einen SPD-Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr zu 100 Prozent, nahezu wortwörtlich, als ihren eigenen in diese Debatte einzubringen

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative!)

und dazu nicht ein Wort zu sagen. Man kann das natürlich verschmitzt machen. Ich verstehe es ja. Es ist Aufgabe der Opposition, ein paar Themen zu setzen und zu sagen: Guckt mal, das habt ihr vergangenes Jahr gemacht. – Aber Sie sollten es wirklich nicht so unkritisch zu 100 Prozent übernehmen. Vielleicht haben Sie es nicht ganz zu 100 Prozent übernommen. Dann sind es 99,9 Prozent; denn es sind wirklich nur zwei Punkte anders und auch die haben Sie aus Vorlagen von Nordrhein-Westfalen und Hamburg abgeschrieben.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Strategisches Know-how müssen Sie noch lernen!)

Ein bisschen Kreativität hätte ich mir sehr gewünscht, weil – da stimme ich, wie viele andere auch, mit Ihnen überein – gute Arbeit in der Wissenschaft ein ganz wichtiges Thema ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke, dass wir uns des Themas „gute Arbeit in der Wissenschaft“ in dieser Legislatur unbedingt annehmen müssen. Hier wurden schon einige Argumente genannt.

Kollegin Raatz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Klein-Schmeink?

Gerne.

Kann ich, nachdem Sie darauf hingewiesen haben, dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen dem entspricht, was rot-grün regierte Länder in den Bundesrat eingebracht haben, davon ausgehen, dass Sie diesem Gesetzentwurf im weiteren Verfahren zustimmen werden?

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Mein Gott! Das ist billige Spielerei! Das ist überflüssig wie nur was!)

Ich denke, Sie haben verfolgt, dass wir weiter an einer Vorlage arbeiten werden, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner. Ich werde in den paar Minuten Redezeit, die ich habe, schon einige Punkte benennen, an denen wir über die Bundesratsinitiative hinausgehen. Prinzipiell entspricht Ihr Gesetzentwurf dem vom vergangenen Jahr, den wir damals gerne durchgebracht hätten. Aber seitdem ist ein bisschen Zeit vergangen, und wir werden das nun weiterentwickeln. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dabei unterstützten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Im vergangenen Jahr wurde intensiv über dieses Thema debattiert; ich war noch nicht dabei, aber konnte die Debatte nachverfolgen. Die Zahlen haben sich seitdem nicht verändert: 83 Prozent der hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen – da muss ich meiner geschätzten Kollegin Frau Dinges-Dierig ein klein wenig widersprechen – sieht die Lage nicht besser aus. Sicherlich ist die Situation an einigen Instituten schon ganz gut – wir hatten einen Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaft im Ausschuss zu Gast –, aber an manchen Instituten gibt es eine Befristungsquote von 80 bis 90 Prozent. Ich kann mir überhaupt nicht erklären, wie gerade an außeruniversitären Forschungseinrichtungen solch eine Befristungsquote zustande kommt. Da muss dringend etwas geändert werden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich einmal anschaut, wohin unsere Spitzenwissenschaftler gehen,

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie kommen nach Deutschland!)

dann sieht man: zum großen Teil in die USA. Warum? Wie ist da die Befristungsquote? Sie liegt bei 14 Prozent. Das ist natürlich etwas anderes. In England liegt sie bei 28 Prozent. Ich denke, daran sollten wir uns orientieren und auch messen lassen.

Es wurde schon gesagt: Die Hälfte der befristeten Beschäftigungsverhältnisse an den Einrichtungen in Deutschland ist auf weniger als ein Jahr angelegt; über 20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sogar mit Sechsmonatsverträgen leben. Das können wir nicht fortführen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht deutlich: Hier ist etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Diesem Missstand müssen und werden wir einen Riegel vorschieben. Wir werden mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes – ich denke, dass wir da zukünftig unseren Koalitionspartner an der Seite haben – Mindeststandards einführen; denn dies allein den Hochschulen zu überlassen, hat, wie wir gesehen haben, nicht zu dem Ergebnis geführt, das wir uns wünschen. Wir wünschen uns für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler planbare und verlässliche Karrierewege; das wurde hier schon gesagt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Drei unserer Kernforderungen, die sich im Gesetzestext wiederfinden werden, will ich an dieser Stelle benennen – ich staune und freue mich, dass wir diesbezüglich sogar etwas weiter sind als die Linken –:

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was?)

Erstens. Wichtig ist für uns, dass zukünftig sowohl in der ersten als auch in der zweiten Qualifizierungsphase eine Vertragslaufzeit von mindestens 24 Monaten gilt. Natürlich können Sachgründe dagegen sprechen – Sie haben einige genannt –, aber das ist die Ausnahme. Wenn Sachgründe dagegen sprechen, dann kann man sicherlich einmal davon abweichen; aber prinzipiell wollen wir in der Qualifizierungsphase Vertragslaufzeiten von mindestens 24 Monaten.

Zweitens. Die Drittmittelbefristung wird zukünftig an die Dauer der Drittmittelförderung gekoppelt. Das heißt, bei Dreijahresverträgen gibt es einen Beschäftigungsvertrag über drei Jahre.

Drittens ist uns die Tarifsperre sehr wichtig. Die Linken haben 12 Monate genannt. Ich gehe etwas weiter und sage: 24 Monate. Das ist doch etwas.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber immer sicher! Ohne Ausnahme! Nicht wie bei Ihnen: mit Hintertür!)

Ich denke, das allein reicht nicht, um die Situation für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachhaltig zu verbessern. Dazu gehört in jedem Fall auch, dass die Grundfinanzierung unserer Hochschulen deutlich verbessert wird, um dem Stellenkürzungswahn Einhalt zu gebieten. In Sachsen – das ist Wahnsinn – sollen über 1 000 Stellen gestrichen werden; keiner weiß, wie. Dem muss Einhalt geboten werden. Wir müssen – das ist unser Ziel – mehr dauerhafte Stellen im Hochschul- und Forschungsbereich einrichten.

(Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])

Die komplette Übernahme der Kosten für das BAföG durch den Bund wurde schon von meiner Kollegin erwähnt. Die Aufhebung des Kooperationsverbots steht auch bevor. Das eröffnet zeitnah Spielräume für die Länder. Dieser Spielraum muss – da bin ich ganz an Ihrer Seite – aber auch genutzt werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Für Sachsen bedeutet das 84 Millionen Euro. Damit kann man doch etwas machen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Damit muss man etwas machen!)

Bei der Verlängerung des Paktes für Forschung und Innovation sollten wir auch daran denken, mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen messbare Zielvereinbarungen zu treffen, die eine wirklich signifikante Reduzierung der Befristungsquote sicherstellen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es ist einiges zu tun. Ein erster wichtiger Schritt wurde bereits unternommen. So haben wir die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gemeinsam mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir sind uns also einig, dass es hinsichtlich der prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft einen dringenden Handlungsbedarf gibt. Der nächste Schritt wird sein, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und im Dialog mit den Betroffenen und den Fachgemeinschaften von GEW oder Verdi in den nächsten Monaten an einer Lösung zu arbeiten, die attraktive Beschäftigungsverhältnisse schafft und so das deutsche Wissenschaftssystem international wieder wettbewerbsfähiger macht. Anderenfalls werden wir – das wurde schon gesagt – unsere Spitzenleute und guten Nachwuchswissenschaftler verlieren, weil sie aus dem System ausscheiden oder abwandern. Ich denke, damit wäre keinem geholfen.

Ich lade also die Fraktionen, aber auch Sie persönlich, Herr Gehring, ganz herzlich dazu ein, sich jetzt in den Prozess der Ausgestaltung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes konstruktiv einzubringen,

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Nicht nur abschreiben, sondern mitarbeiten!)

und zwar nicht durch Abschreiben von Gesetzentwürfen, sondern mit eigenen Ideen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auf Ihre gespannt!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der Kollege Tankred Schipanski hat für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3492629
Wahlperiode 18
Sitzung 40
Tagesordnungspunkt Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
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