03.07.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 46 / Tagesordnungspunkt 4

Stephan StrackeCDU/CSU - Einführung eines Mindestlohnes

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition unter Führung von Angela Merkel ist erfolgreich. Seit 1. Juli 2014 ist die Mütterrente da. Das nutzt über 9 Millionen Frauen, aber auch Männern in diesem Land, die in ihrem Leben viel geleistet haben. Jetzt bringen wir ein Gesetzespaket auf den Weg, das zum einen die tarifliche Bindung in diesem Land weiter stärken wird und zum anderen einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreibt. Das nutzt 4 Millionen Menschen in diesem Land, und das ist gut.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir stellen faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen sicher, indem wir die Sozialpartnerschaft stärken, und wir schaffen gleichzeitig einen Mindestschutz für Beschäftigte. Ich finde, das, was wir auf den Weg bringen und Ihnen vorlegen, ist ein guter Kompromiss, der die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetzt und dabei auch die Belange der Wirtschaft mit in den Blick nimmt und beachtet.

Dabei lassen wir uns von einem Grundsatz leiten, nämlich: Gute Leistung muss sich lohnen und soll auch fair bezahlt werden. Dafür zu sorgen, das ist Aufgabe der Sozialpartnerschaft. Die Sozialpartner haben ihre Aufgaben in den letzten Jahren hervorragend erledigt. Beispielhaft will ich an dieser Stelle die Branchenmindestlöhne nennen: Es liegen bereits 90 Prozent aller Branchenmindestlöhne über 8,50 Euro und knapp 80 Prozent bei 10 Euro und mehr. Ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, dass Sozialpartnerschaft in diesem Land gut funktioniert, auch wenn es das eine oder andere Mal wie beim Fleischereihandwerk eines Schubses bedarf. Aber insgesamt können wir feststellen: Das funktioniert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen wollen wir in dieser Frage die Sozialpartnerschaft stärken; denn wir wissen auch, dass die direkte Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen stärken wir zum einen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung und stellen damit sicher, dass die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften das Arbeitsleben künftig wieder weitgehend gemeinsam ordnen. Wir tun dies, indem wir das 50-Prozent-Quorum abschaffen und an diese Stelle ein konkretisiertes öffentliches Interesse rücken. Ich glaube, das ist eine gute Reform.

Ein zweiter Ansatz dieser guten Reform ist es, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu verändern. Die Branchenmindestlöhne haben sich bewährt. 4 Millionen Menschen fallen darunter. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir fortsetzen, indem wir das Gesetz für alle Branchen entsprechend öffnen.

Wir beseitigen die weißen Flecken, die im Rahmen der tarifvertraglichen Bindung entstanden sind, durch einen Mindestlohn. Die gesetzliche Umsetzung haben wir im Dialog mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aller Branchen erarbeitet, um dabei mögliche Probleme zu berücksichtigen.

Wichtig war uns immer: Wir wollen einen Mindestlohn mit Augenmaß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist das zentrale Ergebnis unserer Verhandlungen. Wir haben eine Mindestlohnkommission. Diese Mindestlohnkommission haben wir gestärkt. Es gab bei dem einen oder anderen die Vorstellung, man setzt sich hier zusammen und hat eine bloße Notarfunktion gegenüber dem, was beispielsweise das Statistische Bundesamt feststellt. Genau diesen Automatismus – unter Umständen bei der Anpassung der Mindestlöhne nach oben – wollen wir nicht. Die Sozialpartner haben anfangs gesagt: Wir brauchen eigentlich gar keine Geschäftsstelle. Ein bloßes Sekretariat würde vielleicht genügen. – Klar, wenn man zum Kaffeetrinken zusammenkommen will, dann braucht man unter Umständen nur ein Sekretariat. Aber genau das ist nicht unser Ansatz, sondern unser Ansatz ist es, dass wir verantwortungsvoll vorgehen, wenn es darum geht, Mindestlöhne zu überprüfen und unter Umständen zu einer Erhöhung zu kommen. Dieser Verantwortung müssen und sollen auch die Sozialpartner gerecht werden. Genau deswegen haben wir die Mindestlohnkommission in unserem Gesetz stärker in die Pflicht genommen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

indem wir beispielsweise eine Evaluation vornehmen lassen, bei der vor allem der Blick darauf gerichtet werden soll: Wie ist der Schutz der Arbeitnehmer? Wie ist es mit den Wettbewerbsbedingungen? Wie ist die Beschäftigung in bestimmten Branchen und Regionen?

Es ist im Übrigen nicht die einzige Evaluation, sondern wir wollen eine breite wissenschaftliche Expertise im Land darüber haben, wie der gesetzliche Mindestlohn wirkt. Deswegen sagen wir: Der Mindestlohn soll evaluiert werden. Aber die Bundesregierung soll das Gesetz auch insgesamt evaluieren. Bevor sich dann die Mindestlohnkommission im Jahre 2016 an die Arbeit macht, sollen zusammen mit dem IAB bereits gewisse Grunddaten festgestellt werden, damit wir Sicherheit darüber haben, wie es sich insgesamt auswirkt.

Ein Mindestlohn mit Augenmaß bedeutet auch immer, dass wir diesen an der Lebenswirklichkeit messen. Deswegen war für uns eine Regelung wichtig, die die Praktikantenverhältnisse umfasst. Auch wir als Bundestagsabgeordnete erleben es doch oft, wenn wir beispielsweise Lebensläufe von Bewerberinnen und Bewerbern bekommen, dass sie sehr viele Praktika machen, ganz überwiegend nach Abschluss eines Studiums. Es ist nicht Ausdruck von Wertschätzung gegenüber zum Teil sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass sie auf Praktika verwiesen werden und nicht eine Anstellung erhalten, sei sie auch befristet. Deswegen verändern wir das. Wir sagen, die Generation Praktikum hat keine Zukunft mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen verändern wir dies im Rahmen des Mindestlohngesetzes, indem wir zum einen Pflichtpraktika vom Mindestlohn ausnehmen und zum anderen die Attraktivität von freiwilligen Praktika erhalten. Wir sind mit einem Vorschlag von vier Wochen gestartet und kommen nun mit einer Regelung von drei Monaten heraus. Ich glaube, das ist eine gute Lösung.

Eine weitere gute Lösung sind die Sonderregelungen, die wir getroffen haben, gerade auch was die Befürchtungen von einzelnen Branchen angeht, Befürchtungen, die beispielsweise an uns herangetragen wurden vonseiten der Obst- und Gemüsebauern, die Angst haben um ihre Zukunft, oder aus dem Bereich des Gaststätten- und Hotelgewerbes. Beides hat ja die Ministerin mit großer Absicht auch in den Blick genommen. Wir haben jetzt entsprechende Regelungen im Rahmen eines Maßnahmenbündels getroffen. In diesem Zusammenhang danke ich ganz herzlich unserem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, der hier wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet hat, damit dieses Maßnahmenbündel tatsächlich gut ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kost und Logis werden auf den Mindestlohn angerechnet, und zwar dauerhaft. Das ist eine gute Regelung. Hier können bis zu 450 Euro im Monat bei der Monatsabrechnung ausgewiesen werden.

Wir weiten den Begriff der kurzfristigen Beschäftigung aus. Als kurzfristig gilt eine Beschäftigung bis zu 70 Tagen bzw. drei Monaten – befristet auf vier Jahre.

Was in der Praxis auch von wesentlicher Bedeutung ist: Wir schützen den redlichen Arbeitgeber, der auf die Richtigkeit von ausländischen Sozialversicherungsbescheinigungen vertraut. Wir haben uns darauf verständigt, dass er von der unter Umständen drohenden doppelten Beitragszahlung – das ist die Gefahr – freigestellt wird. In dem Fall, dass er an die Sozialversicherung des Herkunftslandes zahlt und sich herausstellt, dass das zu Unrecht geschehen ist, gilt diese Zahlung gegenüber der deutschen Sozialversicherung als geleistet, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Höhe. Ich finde, das ist ein guter Kompromiss, und das zeigt, dass wir hier für die Saisonarbeit insgesamt gute Maßnahmen getroffen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Menschen mit Behinderung. Mit Blick auf Arbeitsverhältnisse, für die in Zukunft der Mindestlohn gilt, darf es nicht dazu kommen, dass Menschen, die in Integrationsfirmen beschäftigt sind – da gibt es auch Zuschüsse –, die Ersten sind, die dann auf der Straße landen. Deswegen haben wir uns politisch dahin gehend verständigt, dass wir unter Umständen die Fördermöglichkeiten anpassen werden, wenn es zu Verwerfungen kommen sollte. Auch das ist ein gutes Ergebnis.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Tack [SPD])

Klar ist natürlich auch: Der Mindestlohn muss kontrolliert werden. Wir haben hier die goldene Mitte gefunden, was den administrativen Aufwand angeht. Deswegen wird das BMF im Rahmen einer Verordnungsermächtigung in Zukunft im Einvernehmen mit dem BMAS die Art und Weise der Erfüllung der Dokumentationspflichten gegebenenfalls anpassen. Auch das ist etwas, was der Wirtschaft insgesamt guttut.

Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Birkwald?

Ja, herzlich gern. Meine Zeit wäre jetzt abgelaufen.

Ich verstehe auch nicht, warum der Kollege das jetzt macht; aber gut.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen! Auch an Sie, Herr Stracke, vielen Dank! – Außerdem: Ihre Zeit ist zum Glück noch nicht abgelaufen; nur Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Das ist doch ein bedeutsamer Unterschied.

(Heiterkeit – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Eine richtige Einschätzung!)

Sie haben eben über zahlreiche Ausnahmen beim Mindestlohn gesprochen. Sie haben in Ihrer Aufzählung aber eine Ausnahme nicht erwähnt, und das ist die Ausnahme der Zeitungszusteller und Zeitungszustellerinnen,

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das haben doch andere schon gesagt!)

die heute schon ein paar Mal angesprochen wurde.

Ein Thema ist dabei allerdings nicht behandelt worden. Wir haben gestern im Ausschuss zusammen darüber diskutiert. Heute lesen wir in der Beschlussempfehlung, dass unter bestimmten Bedingungen bei den Zeitungszustellern und -zustellerinnen das Wegegeld als Entgeltbestandteil auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden kann. Das heißt, die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller kriegen für ihren harten Job früh am Morgen und spät in der Nacht nicht nur lediglich 6,38 Euro im kommenden Jahr und 7,23 Euro im Jahr danach, sondern darauf soll zum Teil auch noch Wegegeld angerechnet werden. Da würde ich Sie bitten, a) uns einmal zu erläutern, wie das gedacht ist, und b) das zu bewerten.

Meine zweite Frage an Sie ist: Wie ist denn dann der Mindestlohn Ihrer Regierung überhaupt definiert? So weiß doch überhaupt niemand mehr, was gilt. Deswegen – Sie haben gerade über die Kontrolle gesprochen – hat heute ein Forscher vom DIW, Herr Brenke, gesagt: „Das Problem der Kontrolle ist überhaupt nicht gelöst.“ Wie das werden soll, ist unklar.

Zu den Zeitungszustellern will ich zum Schluss noch sagen: Diese Männer und Frauen, die jede Nacht bzw. morgens früh dafür sorgen, dass wir die Zeitung im Briefkasten haben, leisten einen knallharten Job, bei Wind und Wetter. Ich habe mich am 16. April von 3.30 Uhr bis 5.30 Uhr bei einem Selbstversuch davon überzeugen können. Ich sage: Sie brauchen den vollen Mindestlohn ab sofort.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Da sieht man einmal, was ein Rollentausch – angeblich – an Erkenntnisgewinn für den einen oder anderen bringen kann.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Machen Sie das doch auch mal!)

Bei uns ist das nicht nötig. Wir haben uns intensiv mit den Dingen beschäftigt. Insofern geht es vor allem darum, dass wir keine Sonderregelung auf den Weg bringen wollen, was das Wegegeld angeht. Es besteht bereits jetzt die gesetzliche Möglichkeit, dass das Wegegeld, solange es Entgeltbestandteil ist, auf den Mindestlohn angerechnet wird. Das ist nichts Neues. Wenn Sie das mit den Aufwendungen beispielsweise für Fahrtkosten vergleichen, so muss man sagen: Das ist selbstverständlich nicht auf den Mindestlohn anrechenbar.

Wir werden im Rahmen einer Durchführungsverordnung alle diese Fragen, auch was die Anrechenbarkeit angeht, klarstellen, sodass auch die Rechtspraxis in diesen Dingen hinreichende Klarheit hat. In dem Gesamtzusammenhang stellt es sich so dar, dass man nicht sagen kann: Wir haben es hier, was Ausnahmen angeht, mit einem Schweizer Käse zu tun. – Ganz im Gegenteil: Jede Ausnahme lässt sich gut begründen. Das betrifft die Praktikanten, das betrifft die Langzeitarbeitslosen; das betrifft die unter 18-Jährigen.

Insgesamt stellt dieses Gesetzgebungsvorhaben einen guten Kompromiss dar und verdient Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das war es jetzt offensichtlich. Danke schön, Herr Stracke. – Jetzt hat das Wort Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3594470
Wahlperiode 18
Sitzung 46
Tagesordnungspunkt Einführung eines Mindestlohnes
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