Axel SchäferSPD - 100 Jahre Erster Weltkrieg
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Unterschied zwischen 1914 und 2014 ist in einem Punkt völlig klar: Der Beginn des Krieges 1914 war, besonders in Deutschland, das Ergebnis der Erziehung für Verdun, also der Vorbereitung auf den Krieg. Ich glaube, die historische Beurteilung in Deutschland hat vor 50 Jahren einen entscheidenden Durchbruch erzielt, nämlich den, dass die Hauptverantwortung dafür beim Deutschen Kaiserreich lag; das ist der entscheidende Punkt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen in dieser Debatte aber schon ein bisschen differenzieren. Was die Kollegin Dagdelen hier dargelegt hat, zeigt eine andere Traditionslinie, und zwar die Traditionslinie der KPD, für die der Hauptfeind immer die SPD war. Wo das hingeführt hat – Stichwort „Sozialfaschismus“ etc. –, ist allgemein bekannt; das ist die andere Seite.
(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht, Herr Schäfer!)
Die Ausführungen, die der Kollege Lengsfeld zu Anfang gemacht hat, kann ich alle unterstreichen. Aber eines unterscheidet uns: Nein, man konnte am 15. Januar 1919 nicht die Stalinisierung der KPD und alles andere, was dann geschah, sozusagen vorwegnehmen und sagen: In den Worten und Taten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war das alles angelegt. – Das ist wirklich Unsinn.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Darüber sollten Sie sich ein bisschen besser informieren und sich auch mit Rosa Luxemburgs Aussage „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ auseinandersetzen. Gemeint waren diese Worte übrigens als Kritik an der Russischen Revolution und nicht als Kotau davor.
Ja, Kollege Gehrcke, in einem Punkt haben Sie unbestreitbar recht – das muss ein Sozialdemokrat auch vor diesem Auditorium sagen –: Die SPD hat seit genau 100 Jahren das Problem, dass die Auseinandersetzung um den Krieg zu einer Spaltung geführt hat, die uns an vielen Stellen schwerstens zu schaffen gemacht hat und die uns in Form weiterer Spaltungen – siehe Existenz der Linkspartei und WASG-Gründung – bis in die heutige Zeit zu schaffen macht; überhaupt keine Frage.
Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. 1914 hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, der wie 13 andere in der Fraktion auch gegen die Kriegskredite war, gesagt: „In der Stunde der Gefahr lassen wir das Vaterland nicht im Stich“. – Es gab die Vorstellung, dass man angegriffen werden könnte. Der russische Zarismus, der britische Imperialismus und die Revisionsbestrebungen auf territorialer Ebene – auch in Frankreich – haben dazu geführt, dass im Unterschied zu 1933/39 eben nicht diese Klarheit da war, sondern dass auch die Mitglieder des Parlaments – auch die, die gegen den Krieg waren – von der OHL und allen Verantwortlichen, die damals an der Regierung waren, ein Stück desinformiert und hinter das Licht geführt wurden. Das ist der grundlegende Unterschied.
Das Verdienst von Karl Liebknecht, damals als Erster widersprochen zu haben, ist völlig unbestritten. Sehr viele, die hinterher in der Sozialdemokratie geblieben oder zur Sozialdemokratie zurückgekommen sind, haben diesen Weg auch eingeschlagen. Viele von ihnen – ich denke an Kurt Eisner – haben damals für ihre demokratische und antimilitaristische Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
Warum können wir heute nicht einfach solch einen Antrag beschließen?
Ein Grund ist: Bei einem solchen Antrag ist es nicht möglich, apodiktisch einfach zu sagen: Das war es; das war die Geschichte. Wir müssen uns darüber schon differenziert auseinandersetzen, und wir müssen auch die Konsequenzen, die in der Demokratie gezogen worden sind, aus meiner Sicht anders würdigen und wertschätzen.
Das allerwichtigste demokratische Ergebnis dieses schrecklichen Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war, dass sich der Parlamentarismus, die Demokratie, die Frauengleichstellung und die Betriebsräte durchgesetzt haben. Das ist auch erkämpft worden und war der fundamentale Unterschied zu 1945, als es zur Niederlage und Befreiung kam.
Etwas anderes unterscheidet uns hier aber auch noch: Ganz viele, die 1914/1918 widerstanden und hinterher die Republik aufgebaut haben, wie insbesondere die Sozialdemokraten, aber auch die Liberalen und das Zentrum, haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, weil sie gegen diejenigen für Demokratie standen, die den Krieg herbeigeführt und hinterher mit der Durchstoßlegende die Demokratie kaputtgemacht haben. Das ist der eindeutige Unterschied zu 1945.
Es ist jetzt nicht die richtige Reaktion, dass wir über das Anbringen einer Gedenktafel nachdenken. Ich glaube, es ist wichtig für uns, dass wir eine Diskussion darüber führen; denn spätestens seit der Rede von Richard von Weizsäcker hat im Bundestag quer durch alle Parteien eine Entwicklung stattgefunden. Wir haben uns mit unserer Geschichte nach vorne gewandt auseinandergesetzt. Alle alten Ideologien, durch die viele Dinge beschönigt wurden – Deutschlands Rolle wurde so heruntergeredet, dass möglichst die anderen Schuld hatten und unsere Verantwortung relativiert wurde –, wurden beseitigt. Damit ist zum Beispiel der 30. Januar 1933 nicht mehr vom 8. Mai 1945 zu trennen.
Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss wirklich, in diesem Parlament mit dazu beizutragen, dass wir zu einer differenzierten, kritischen und selbstkritischen Debatte kommen. Gedenktafeln sind richtig und wichtig; für die 94 Reichstagsabgeordneten, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, ist das auch völlig unumstritten. Für alle weiteren Diskussionen steht die SPD zur Verfügung.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3595843 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 46 |
Tagesordnungspunkt | 100 Jahre Erster Weltkrieg |