09.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 57 / Zusatzpunkt 6

Helmut BrandtCDU/CSU - Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Die Frage nach einer Regelung für Anschlusstätigkeiten ausgeschiedener Regierungsmitglieder ist nicht neu. Sie wurde auch hier im Bundestag schon mehrfach ausgiebig erörtert.

Anlässe für eine Diskussion über das Thema Karenzzeit wurden immer gefunden, beispielsweise der jetzt anstehende Wechsel des Kollegen Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn, der Wechsel des ehemaligen Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Werner Müller zur Ruhrkohle AG oder die Tätigkeit des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder bei Gazprom

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Eckart von Klaeden!)

und – um hier die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht auszusparen – beispielhaft der Wechsel des Staatssekretärs im Landwirtschaftsministerium Matthias Berninger zu einem Süßwarenkonzern.

Die Liste ließe sich fraktionsübergreifend fortsetzen; insbesondere nach einem Regierungswechsel aufgrund eines Wechsels der Mehrheiten ist dies oft eine logische Folge. Ich sage das alles nur, um klarzustellen, dass dieses Thema alle betrifft oder betreffen kann. Insofern gibt es auch keinen Grund, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD])

Zuletzt haben wir im Januar dieses Jahres, zu Beginn der Legislaturperiode, als die Anträge, über die wir heute debattieren, eingebracht wurden, eine Debatte darüber geführt. Dass wir heute, zu diesem Zeitpunkt, dazu gezwungen werden, diese Diskussion wieder zu führen, ist wenig nachvollziehbar,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das denn? Zehn Monate haben Sie gebraucht, um nichts vorzulegen!)

weil alle wissen – und Sie auch, Frau Kollegin –, dass die Bundesregierung aufgrund der Koalitionsvereinbarung dabei ist – Sie konnten das gestern allenthalben der Presse entnehmen –, eine Regelung zu erarbeiten und einen Lösungsvorschlag vorzulegen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie gemacht, weil es auf der Tagesordnung stand! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch nur, damit es anders auf der Tagesordnung steht!)

– Wissen Sie, wenn das der Fall wäre, dann würde ich Ihnen sogar zustimmen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Referentenentwurf?)

Aber das ist ein zufälliges Ereignis. Ich habe schon vor 14 Tagen im Innenausschuss gesagt: Lassen Sie uns den Tagesordnungspunkt später behandeln, der Regierungsentwurf steht unmittelbar bevor.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt aber nicht!)

Ihr Kollege, Herr Beck, wollte es nicht glauben.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ist ja auch nicht so! Den gibt es ja nicht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann gibt es den denn?)

Nur aus diesem Grund diskutieren wir heute hier.

Natürlich ist auch die Tatsache, dass der frühere Minister Bahr zur Allianz wechselt, ein Anlass für Sie, all das noch einmal zu thematisieren. Ich weise aber auf Folgendes hin: Grundsätzlich besteht, glaube ich, Einigkeit darüber, dass Unternehmen, Verbände und auch NGOs ihre Wünsche und Forderungen an uns Politiker herantragen und natürlich auch versuchen, Einfluss auf unsere Entscheidungen zu nehmen. Das wird von allen in Anspruch genommen und auch gewünscht. Vor diesem Hintergrund kann es deshalb kaum verwundern, dass einige meist selbst ernannte Transparenzwächter feststellen: Da besteht sozusagen ein Anfangsverdacht, da könnte irgendetwas im Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit stehen. Dass diese unterschwellige Behauptung immer wieder vorgetragen wird, ist im Grunde genommen dem Neidkomplex zu verdanken.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: So ist es! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, um Gottes willen, das ist aber unterstes Niveau!)

Schlimmstenfalls geraten Politiker dann sogar in den Verdacht, sie hätten Entscheidungen, die sie während ihrer politischen Tätigkeit getroffen haben oder an denen sie beteiligt waren, sozusagen im Vorlauf auf ihre spätere Tätigkeit bei einem Arbeitgeber getroffen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas soll schon vorgekommen sein!)

– Sehen Sie, das ist genau der Stil: „Es soll vorgekommen sein!“ Sie können nicht einen einzigen Beleg für eine solche Behauptung vorlegen, aber sie wird aus den eben genannten Gründen dennoch immer wieder hervorgeholt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Rumänen und Bulgaren geht es um zwei, drei Fälle! Aber in dem jetzigen Fall ist es egal, solange es Einzelfälle sind! Das ist völlig inkonsistent! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kommt jetzt noch etwas Konkretes?)

– Etwas Konkretes hätte ich von Ihnen erwartet. Aber das habe ich noch nicht vorgefunden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)

Nein, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch folgende: Die Tatsache, dass bei solchen Gelegenheiten solche Verdächtigungen immer wieder neu geäußert werden, führte dazu – und das zu Recht –, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dass wir das regeln wollen, damit das nicht immer wieder auf die Tagesordnung kommt.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)

Die Frage ist aber, ob eine starre Karenzzeitregelung nicht letztlich einem Berufsverbot gleichkommt und ob eine Karenzzeit, wie beispielsweise von den Grünen vorgeschlagen, drei Jahre betragen kann und soll. Ich halte eine solch lange Karenzzeit für unverhältnismäßig. Das würde dazu führen, dass wir keinen Wechsel, auch keinen gewünschten Wechsel mehr von der Wirtschaft in die Politik und umgekehrt hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wäre im Grunde genommen die Einführung eines Berufsverbots durch die Hintertür. So lange Pausen kann sich im Grunde keiner leisten. Ich habe die Frage vorhin aufgeworfen: Welcher Manager, welche Managerin wäre zukünftig bereit, in ein ja regelmäßig schlechter dotiertes öffentliches Amt zu wechseln,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlecht dotiert ist das nun auch nicht!)

wenn er oder sie damit das Risiko eingeht, später nicht in den früheren Beruf zurückkehren zu können? Das ist doch eine vollkommen klare Sache. Im Endeffekt führt eine überlange, eine unangemessene Karenzzeit dazu, dass kluge Köpfe für uns alle, für die Politik insgesamt verloren gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, wir müssen die Lebenswirklichkeit der Politiker betrachten: Wir nehmen von NGOs, wir nehmen von Unternehmen, wir nehmen von Verbänden Ratschläge entgegen. Wir nehmen sie zwar nicht immer an, aber wir brauchen sie doch oft, um am Ende des Prozesses eine sachgerechte und vernünftige Lösung zu finden. Sollte man darauf zukünftig vollkommen verzichten?

In Einzelfällen kann es natürlich problematisch sein – das geben wir gerne zu –, insbesondere wenn der Job, der ergriffen wird, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ressort steht, in dem der Politiker tätig war. In einem solchen Fall besteht die Gefahr einer Interessenkollision. Dass dadurch der Anschein erweckt werden kann, dieser Politiker habe sich seine Stelle sozusagen erkauft, liegt auf der Hand. Dass dieser Anschein erweckt wird, wollen wir künftig vermeiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die Vorlage der Fraktion Die Linke zu sprechen kommen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Juristisch sauber!)

– Sie sind immer der Meinung, dass das juristisch sauber ist. Ich kann das allerdings nicht feststellen. – Sie wollen ja die Dauer der Karenzzeit sogar an die Dauer der Mitgliedschaft in der Bundesregierung knüpfen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, wegen dem Übergangsgeld!)

Dazu sage ich: Wenn eine Interessenkollision besteht, dann besteht sie unabhängig davon, ob die Mitgliedschaft lang oder weniger lang war. Es macht doch keinen Sinn, davon irgendetwas abhängig zu machen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch, vom Übergangsgeld!)

Meine Damen und Herren, nach meiner festen Überzeugung brauchen wir Fachleute aus der Wirtschaft in der Politik.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es wäre gut, die CDU hätte ein paar mehr!)

Wir wollen, dass dieser Wechsel auch in Zukunft möglich ist.

Angesichts der immer wiederkehrenden Diskussionen sind klare Regelungen allerdings besser, als es einer immer wieder provozierten – das ist heute ja modern – skandalisierenden öffentlichen Diskussion zu überlassen. Weil wir differenziert an diese Regelungen herangehen wollen und wollten, haben wir auch nichts überstürzt. Deshalb finde ich die Zeitplanung vollkommen angemessen. Der Koalitionsvertrag ist Ende letzten Jahres geschlossen worden. Wir haben jetzt Oktober, und die Regierung hat angekündigt, einen Gesetzentwurf vorzulegen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat die Regierung nicht angekündigt!)

– Sie lesen doch auch Zeitung, oder nicht?

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Den haben die beiden Fraktionen angekündigt!)

Ich muss doch zumindest erwarten, dass Sie sich darüber informieren lassen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War aber die Fraktion!)

Dann kommen immer noch Fragen auf, die Sie auch nicht in Ihren Anträgen beantworten. Wer stellt letztlich objektiv fest, ob eine Interessenkollision tatsächlich vorliegt? Wer entscheidet über die Höhe und Dauer des Übergangsgeldes, das dann auch zwangsläufig zu zahlen ist?

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Deswegen unser Vorschlag! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Im Antrag geregelt!)

Es ist auch zu überlegen, welche Branchen und Bereiche überhaupt mit einer Karenzzeit zu versehen sind. Ist zum Beispiel der Übergang eines Politikers in eine NGO auch fragwürdig? Sind NGOs und Wohlfahrtsverbände nicht im Grunde genommen genauso strukturiert und geführt wie ein Unternehmen?

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!)

All diese Fragen müssen doch vernünftig beantwortet werden.

Deshalb wollen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung abwarten. Wir wollen ihn kritisch würdigen, darüber diskutieren und dann eine sachgerechte Lösung finden. Ihre Anträge lehnen wir ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Brandt. – Nächste Rednerin in der Debatte: Halina Wawzyniak für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3966527
Wahlperiode 18
Sitzung 57
Tagesordnungspunkt Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder
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