16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 9

Clemens BinningerCDU/CSU - Änderung des Antiterrordateigesetzes

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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das wir heute zu behandeln haben, ist außergewöhnlich ernst: eine Terrorarmee, die in einem ganzen Landstrich zwischen Syrien und Irak herrscht und Schrecken verbreitet, ein Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel mit vier Toten, die Planung öffentlicher Enthauptungen in Australien durch IS-Kämpfer, die übrigens nicht in Syrien waren, sondern in Australien gelebt haben, 450 Personen aus Deutschland, die mutmaßlich als IS-Kämpfer in dieser Region unterwegs sind und irgendwann auch zurückkommen. Also, vor einer größeren Herausforderung, was die Bedrohungslage angeht, haben wir in diesem Land selten gestanden. Insofern muss ich sagen: Ich verstehe es bei allen Unterschieden, die wir ja immer haben können, überhaupt nicht, dass Linke und Grüne kein Wort darauf verwenden

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)

und stattdessen etwas beckmesserisch den Gesetzentwurf kritisieren und ganz andere Sorgen haben. Ihre beiden Beiträge gingen wirklich an der Lebenswirklichkeit vorbei, und zwar komplett vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr! –Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie doch die Argumente auseinander, Herr Binninger! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nicht mit Antiterrormaßnahmen die Rechtsstaatlichkeit aushebeln!)

Frau Mihalic, wenn Sie sagen: „Wir überbieten uns mit Vorschlägen“ – wobei es gar nicht so viele waren –, und schon den Vorschlag ablehnen, Ausweise bei der Ausreise zu kennzeichnen, damit man Personen abhalten oder wenigstens erkennen kann, entgegne ich Ihnen: Der Erste, der diesen Vorschlag in die politische Debatte eingebracht hat, war Volker Beck von den Grünen.

(Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ CSU]: Ach so! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Aha!)

Wen kritisieren Sie denn jetzt: uns oder sich selbst? Das hätte ich gern heute noch gewusst. Das war jedenfalls ganz dünnes Eis, auf dem Sie da unterwegs waren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Jelpke, in der Rechtsextremismusdatei, mit der wir uns ja heute auch befassen, sind ausschließlich amtsbekannte Neonazis verzeichnet. Die Sorgen, die Sie sich machen, kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. Eine der Lehren aus den Verbrechen des NSU war es doch, dass wir uns an den Kopf gefasst haben und gefragt haben: Wie kann es sein, dass Erkenntnisse über gewaltbereite Strukturen überall vorhanden sind, aber niemand sie zusammenführt? Sie schwadronieren jetzt, als ob man hier den Datenschutz für Neonazis missachten würde.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das vermischen Sie jetzt total!)

Das tun wir nicht. Das, was wir tun, ist eine wichtige und notwendige Maßnahme.

Da Sie das, was wir hier tun, ablehnen, hätte ich von Ihnen wenigstens einen Satz dazu erwartet, was Sie stattdessen vorschlagen. Nichts davon! Bei Ihnen hat man immer den Eindruck: Die Linken haben mehr Angst vor Sicherheitsbehörden als vor Extremisten. Das ist unfassbar und auch nicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege, der Abgeordnete von Notz würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Selbstverständlich, wenn Sie die Zeit anhalten, Herr Präsident!

Eine gute Idee. Das mache ich jetzt.

Was heißt „eine gute Idee“?

(Heiterkeit)

Bitte schön, Herr von Notz.

Herr Kollege Binninger, vielen Dank. – Eine Bemerkung darf ich vielleicht machen: Ich weise es für meine Fraktion und für die Kollegin Mihalic aufs Schärfste zurück, dass wir diese Problematik nicht ernst nehmen. Das wissen Sie auch; wir sagen das in der Diskussion immer wieder.

Ich will gleich eine Frage stellen. Ich habe mit Ihnen ja schon mehrere Diskussionen in dieser Form geführt, gerade auch zu diesem Thema, und jedes Mal, Herr Binninger, reden Sie und Ihre Fraktion mit der Inbrunst der Rechtschaffenheit über die Verfassungskonformität Ihrer Vorschläge hier im Haus.

An dem Punkt war ich noch nicht, aber Sie dürfen gerne vorweg fragen. Hervorragend!

Genau, ich schenke Ihnen Redezeit. Das ist ja ein guter Zug von mir. – Jedes Mal sagen Sie mit der Inbrunst der Überzeugung, wie unglaublich verfassungskonform Ihre Vorschläge sind. Jetzt haben Sie die Antiterrordatei genau so, wie wir es Ihnen vorhergesagt haben, von Karlsruhe um die Ohren gehauen bekommen, genau wegen der Punkte, die wir Ihnen genannt haben. Damals haben Sie auch schon gesagt: Die Grünen und die Linken kümmern sich nicht um Sicherheit. – Wir haben ganz schlicht eine Bitte: Legen Sie verfassungskonforme Gesetze vor! Das ist gut für die Sicherheit in Deutschland; denn die werden nicht gleich wieder von Karlsruhe eingesammelt.

Vor diesem Hintergrund würde ich gerne wissen: Warum sind Sie denn diesmal überzeugt, dass Sie nicht wieder falschliegen, wie in den letzten sieben Diskussionen, in denen es um ähnliche Problematiken ging?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege von Notz, um keine unnötige Schärfe in die Debatte zu bringen: Ich spreche Ihnen nicht grundsätzlich ab, dass Sie ein Problembewusstsein haben.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gütig!)

Aber ich habe die Erwartung, dass man, wenn wir hier im Deutschen Bundestag über so etwas sprechen, ein paar Sätze mehr zur Bedrohungslage verliert, als es die Opposition bisher getan hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir haben nicht mehr Redezeit! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Redezeit! – Weiterer Zuruf der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei bleibe ich auch. Und das kann man, wie ich glaube, zu Recht erwarten.

Jetzt zu Ihrer Frage. Ich war in meiner Rede noch gar nicht bei dem Punkt der verfassungsgemäßen Ausgestaltung, aber wenn Sie quasi vorweg danach fragen, will ich Ihnen trotzdem eine Antwort geben. Ich war bei der mündlichen Verhandlung und auch bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe, übrigens als einziger Abgeordneter – von der Opposition war niemand da. Ich glaube, ich kann deshalb relativ gut sagen, wie Karlsruhe dieses Gesetz bewertet hat. Man hat gesagt: im Grundsatz verfassungsgemäß, aber vier oder fünf Punkte müssen korrigiert werden.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Punkte haben wir auch in der Debatte genannt!)

– Das ist richtig, aber Ihre immer wieder aufgestellte Hauptthese, wir würden ein verfassungswidriges Gesetz vorlegen, wurde von Karlsruhe widerlegt.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die Punkte benannt in der Debatte!)

– Sie haben die Punkte so nicht benannt,

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, die haben wir benannt!)

was die Kontaktpersonen anbelangt.

Jetzt gab es Korrekturbedarf. Dem sind wir nachgekommen. Wir haben etwas gemacht, was Sie während der Zeit der rot-grünen Regierung nie gemacht haben – ich persönlich kann mich jedenfalls nicht erinnern –: Wir haben auf die Sachverständigen gehört. Wir haben zwei Punkte, die von den Sachverständigen bezüglich der Kontaktpersonen und der Projektdateien vorgeschlagen wurden, umgesetzt.

Ich glaube: Niemand von uns – Sie doch auch nicht – kann zu jedem Zeitpunkt vorhersagen, ob ein Gesetz in Karlsruhe in jedem Falle Bestand hat; so vermessen wird keiner sein. An die vielen Gesetze, die während der rot- grünen Regierungszeit in Karlsruhe gescheitert sind – sorry, das kann ich euch nicht ersparen; das Luftsicherheitsgesetz ist das Paradebeispiel –, will ich Sie jetzt nur kurz erinnern. Da muss niemand mit dem Finger auf – –

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren wir noch nicht da! Da können Sie uns nicht in Haftung nehmen!)

– Die Grünen waren da schon im Bundestag, Sie persönlich nicht. – Wir haben jetzt das getan, was wir tun können, damit dieses Gesetz verfassungskonform ist.

Frau Mihalic, Sie haben die im Gesetz enthaltene Definition der Projektdatei etwas ironisiert.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe sie zitiert! Wer versteht das denn?)

– Wer das versteht? Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, worum es da geht. Da geht es um Projekte wie jenes, das auf Rückkehrer aus Kampfgebieten in Syrien ausgerichtet ist. Genau dafür gilt diese Definition. Mit etwas gutem Willen versteht man sie auch.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie es mir!)

Nur wenn man es nicht verstehen will, muss man das Gesetz ironisieren. Aber das ist der falsche Weg, diese Debatte zu führen – der ganz falsche Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie es mir!)

Warum brauchen wir überhaupt eine solche Verbunddatei? Das ist doch die Ausgangsfrage. Bei aller Kritik – vielleicht kommen wir da nicht zusammen; das macht ja auch nichts – müssten Sie eigentlich eine eigene Antwort darauf parat haben. Warum brauchen wir also eine solche Verbunddatei? Wir brauchen sie, weil wir aufgrund unserer föderalen Struktur in Deutschland 37 verschiedene Behörden haben, die für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zuständig sind: Verfassungsschutz, Polizeien, LKA, BKA, MAD, BND und Bundespolizei. 37! Wenn wir wollen, dass diese Behörden im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger erfolgreich sind, dann müssen wir sicherstellen, dass die Informationen, die an 37 verschiedenen Stellen anfallen, auch zusammengeführt werden. Ich persönlich kann mir kein anderes Instrument vorstellen, als zu sagen: Die Informationen, die schon da sind, führen wir in einer Datei zusammen.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nicht verfassungsgemäß war, oder?)

– Wenn Sie einen anderen Vorschlag haben, dann sagen Sie es. Aber tun Sie nicht so, als ob wir das nicht bräuchten.

Wie war das in der Vergangenheit, wenn eine Polizei vom Verfassungsschutz eine Information über eine Person haben wollte? Beispiele aus dem NSU-Untersuchungsausschuss zeigen: Dauer der Beantwortung – neun Monate! Wir reden hier über Terrorismusbekämpfung. Da können wir uns keine neun Monate erlauben, sondern es muss im Zweifel innerhalb von Minuten feststehen, ob eine Person schon bekannt ist und irgendwo als militanter Rechtsextremist oder als gewaltbereiter Islamist aufgefallen ist. Deshalb brauchen wir dieses Instrument. Wir gestalten es mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf verfassungsgemäß aus. Die Punkte, die von den Sachverständigen moniert wurden, haben wir korrigiert.

Zu den Kontaktpersonen.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das muss sich erst noch zeigen!)

– Frau Jelpke, wir sollten schon redlich bleiben. – Der Sinn und Zweck, warum wir Daten von Kontaktpersonen speichern, ist doch folgender: Was machen Sie, wenn Sie übers Wochenende den Hinweis auf einen geplanten Anschlag durch zwei Personen bekommen? Die zwei Verdächtigen sind weg, sie sind verschwunden, keiner weiß, wo sie sind. Dann sind Sie doch darauf angewiesen, dass Sie irgendwo Daten einer Person gespeichert haben, die Ihnen helfen kann, die vielleicht weiß, wo sich ein Verdächtiger aufhält. Und wenn Sie diese Person erreichen wollen, dann brauchen Sie natürlich Telefonnummer, Adresse, E-Mail-Adresse oder Handynummer. Frau Jelpke, Sie können doch nicht kritisieren, dass wir die Telefonnummern von Kontaktpersonen speichern. Ja, was denn sonst! Sonst kann ich mit denen doch gar nicht reden. Was wäre denn das für ein Instrument?

Angesichts solcher Scheuklappen muss ich sagen: Es ist wirklich schade um die Debattenzeit, wenn man sie auf diese Weise verschwendet. Das passt auch nicht zur Realität. Wir speichern die Daten von Kontaktpersonen so, wie es Karlsruhe vorgegeben hat. Wir brauchen jedenfalls diese Personen,

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das sind unbescholtene Leute, nicht Verdächtige!)

und wir brauchen natürlich auch Daten, um mit diesen Personen im Bedrohungsfall – darum geht es doch – in Kontakt treten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein weiterer Punkt, den die Grünen und, ich glaube, auch Sie von den Linken vorhin angesprochen haben, ist der Eilfall. Wir haben den Eilfall, bei dem eine Behörde vorneweg auf alle Daten zugreifen kann, die über eine Person gespeichert sind, so streng geregelt, weil der Vorwurf bei der Gesetzgebung immer gelautet hat, mit dem Eilfall werde eine Hintertür geöffnet, und jede Dienststelle dürfe sich alle Daten ansehen; das werde im Rahmen des Eilfalls passieren. Es wurden dunkle Szenarien für den Datenschutz an die Wand gemalt.

Jetzt haben wir die Terrordatei evaluiert und stellen fest: Die Bestimmung des Eilfalles war so eng gewählt, dass er nur einmal angewandt wurde. Nun ziehen Sie daraus den Schluss, dass wir den Eilfall ja gar nicht bräuchten. Das überzeugt nicht. Solche Argumente gehen – nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch – ziemlich weit an der Sache vorbei.

Unsere Sicherheitsbehörden brauchen Instrumente, mit denen sie in die Lage versetzt werden, der derzeitigen Bedrohungslage, die uns noch eine ganze Weile beschäftigen wird, etwas entgegenzusetzen. Natürlich ist die Antiterrordatei nicht das einzige Instrument. Natürlich müssen wir uns auch um das Personal kümmern; das ist aber nicht Gegenstand der heutigen Debatte.

Auch mir persönlich bereitet es etwas Sorge – Sie haben es genannt –, dass es im Haushalt noch Sperrvermerke gibt. Das passt nicht in unsere Zeit, und es passt nicht zur Bedrohungslage. Deshalb müssen wir an dieser Stelle Korrekturen vornehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Ergebnis wird es immer so sein: Egal was wir an gesetzgeberischen Änderungen machen, egal was wir an Dateien einführen, am Ende sind es die Männer und Frauen in den Sicherheitsbehörden, die in der Lage sein müssen, diese Instrumente anzuwenden. Sie müssen wir ordentlich bezahlen. All das gehört dazu. Hier stehen wir in der Pflicht. Wir stehen aber auch in der Pflicht, alles zu tun, was der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land dient.

Gerade angesichts der schrecklichen Bedrohung durch den IS, die uns sicher und leider einige Monate oder sogar noch länger beschäftigen wird, ist festzuhalten: Die Antiterrordatei ist ein wichtiges Instrument. Wir bringen sie heute mit den entsprechenden Korrekturen auf den Weg. Es wäre ein gutes Zeichen gewesen, wenn Sie sich zu einer Zustimmung zu diesem Instrument hätten entschließen können. Wir werden es tun und damit einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes leisten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gerold Reichenbach, SPD- Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991690
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Änderung des Antiterrordateigesetzes
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