13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 10

Manfred GrundCDU/CSU - Sanktionen gegen Russland

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sprach zu uns der Genosse Wolfgang Gehrcke,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jawohl!)

erster Sekretär der Hauptabteilung für Desinformation und Propaganda bei der Deutschen Kommunistischen Partei, gestählt und argumentativ geschult durch viele Studienaufenthalte in der Sowjetunion bzw. in Moskau.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig! Und?)

Ich will den im Zusammenhang mit dem „Rechten Sektor“ gemachten Vorwurf des Nationalismus und der faschistischen Symbolik aufgreifen. Ich habe bei Itar- Tass, einer der russischen Nachrichtenagenturen, eine Aussage von Wladimir Putin sowohl auf Russisch als auch auf Deutsch gefunden. Ich lese Ihnen vor, was Wladimir Putin über Goebbels gesagt hat. Putin zitiert Goebbels: Je größer die Lüge, desto schneller wird sie geglaubt. Er sagte weiter über Goebbels: Er erreichte seine Ziele, denn er war ein sehr talentierter Mensch. – Falls Sie des Russischen noch mächtig sind, Herr Kollege,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nein, bin ich leider nicht!)

würde ich Ihnen diesen Artikel gerne geben. – Nur so viel dazu, was alles zurzeit unter Faschismus subsumiert wird und als argumentative Waffe eingesetzt wird.

In diesen Tagen hat der Hitler-Stalin-Pakt einen prominenten Verteidiger gefunden: Wladimir Putin hat diesen Pakt als Beispiel sowjetischer Friedenspolitik gewürdigt. Putin stellt sich damit in die Tradition deutsch- russischer Großmachtpolitik ohne Rücksicht auf das Schicksal anderer Völker und Staaten.

Denn was war der Hitler-Stalin-Pakt? Der Hitler- Stalin-Pakt hat den Zweiten Weltkrieg in Europa eingeleitet. Vor allem aber war der Hitler-Stalin-Pakt das schlimmste Beispiel einer Verständigung von Großmächten zulasten der Schwächeren in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das eigentliche Ziel des Paktes war die Aufteilung Ost- und Mitteleuropas. Der trügerische Frieden, die Verständigung zwischen Russland und Deutschland, wurde erkauft mit dem Krieg gegen Polen, dem sowjetischen Krieg gegen Finnland, der gewaltsamen Einnahme und Unterdrückung der baltischen Länder und Bessarabiens.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Geschichtsstunde!)

– Ja, Geschichtsstunde. Das ist notwendig.

(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)

Wenn sich Putin in diese Tradition stellt, zeigt er nur, dass er eine wirklich unabhängige Ukraine nicht akzeptieren kann, nicht akzeptieren will. Eine unabhängige Ukraine, die sich frei entscheidet, sich der Einflusssphäre von Moskau zu entziehen, muss nach dieser Logik bekämpft, kleingehalten und destabilisiert werden. Russen und Ukrainer sind beides Slawen, slawische Völker; aber, Herr Kollege Gehrcke, die Ukrainer sind nicht die Sklaven Russlands.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)

Die gesamte Friedensordnung, die zuerst in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg und in Gesamteuropa mit dem Helsinki-Prozess und dem Zerfall der Sowjetunion geschaffen wurde, beruht auf einer fundamentalen Absage an genau diese Logik, die nur die Ansprüche der großen Mächte gelten lässt. Die Prinzipien der Respektierung von Grenzen und nationaler Souveränität gilt es zu verteidigen, auch und gerade in der und für die Ukraine.

Von Anbeginn der Krise in der Ukraine haben wir militärische Maßnahmen ausgeschlossen. Das Mittel, das uns, das der Weltgemeinschaft bleibt, sind Sanktionen. Wir haben diese Sanktionen verantwortungsbewusst und gezielt eingesetzt: nicht zuerst gegen die Bevölkerung, sondern gegen diejenigen, die die Verantwortung für die Aggression in der Ukraine tragen und daran verdienen. Dabei haben wir in Kauf genommen, dass manche unserer Sanktionen nicht unmittelbar, sondern erst mit der Zeit wirken. Aber sie wirken, und sie wirken zunehmend.

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein Staat in Europa Gebiete eines Nachbarstaates zuerst besetzt und dann annektiert.

(Inge Höger [DIE LINKE]: Was war beim Kosovo?)

– Das war im Kosovo nicht so gewesen. – Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein Staat in Europa ohne jegliche Konsultationen mit den Vereinten Nationen oder anderen internationalen Partnern und ohne jegliche vorherige Vermittlungsbemühungen eine gewaltsame Sezession in einem Nachbarland gefördert, wenn nicht gar veranlasst, und das auch noch mit einer Invasion der eigenen Streitkräfte auf dessen Territorium.

Nur wenn Russland damit aufhört, die Ukraine weiterhin zu destabilisieren, können wir unsere Sanktionen zurückführen. Bisher haben sich alle Zugeständnisse, einschließlich derer in Minsk, als reine Kosmetik vonseiten Russlands herausgestellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Die Minsker Vereinbarungen – ohnehin eine Konzession der Ukraine unter dem Druck russischer Waffengewalt – sind längst wieder gebrochen worden, und zwar einseitig. Die territoriale Integrität der Ukraine wurde durch die Anerkennung der Wahlfarce in den separatistischen Gebieten im Osten der Ukraine seitens Russlands erneut verhöhnt. Der Waffenstillstand im Osten der Ukraine ist nicht nur brüchig; er wird systematisch unterlaufen – mit fortgesetzter Unterstützung Russlands für die Rebellen. Unverhohlen drohen die Rebellen in Donezk und Lugansk mit der Eroberung weiterer Gebiete der Ukraine. Und was sagt Russland zu alldem? Es hat schon mal eine Landkarte gezeichnet von „Novaja Rossija“, von Neurussland, unter Einschluss der Ost- und Mittelukraine, bis nach Odessa und bis nach Transnistrien.

Wir haben unsere Sanktionen wegen eklatanter Brüche des Völkerrechts verhängt. Russland hingegen setzt seit Jahren und bis auf den heutigen Tag wirtschaftliche Sanktionen gegen seine Nachbarstaaten ein. Es tut dies nicht nur ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung; es tut dies auch aus rein politischen Gründen, um russische Interessen durchzusetzen, und es bedient sich dabei aller möglichen Erklärungen und Vorwände:

2006 verhängte Moskau ein Embargo für den Import von Wein und Mineralwasser aus Georgien. Offizielle Begründung: Gesundheitsstandards. Weitere Sanktionen folgten unter anderen Vorwänden. Der wirkliche Grund: Russland wollte Georgien für seinen Westkurs abstrafen.

Zugleich verhängte Russland ein Embargo für den Import moldauischer Weine. Offizielle Begründung lautete wieder: Gesundheitsstandards. Der wirkliche Grund: Moskau wollte Moldau abstrafen, nachdem es die russischen Pläne zur Lösung des Transnistrien-Konfliktes abgelehnt und sich stärker der EU zugewandt hatte.

Ebenfalls 2006 stoppte Russland die Öllieferungen an Litauens einzige Raffinerie. Offizielle Begründung: Schäden an der Pipeline. Der wirkliche Grund: Russland wollte den Verkauf der Raffinerie an ein polnisches Unternehmen verhindern.

Bereits 2005 verhängte Russland ein Embargo für den Import von Fleisch aus Polen. Offizielle Begründung: Qualitätsstandards. In Wirklichkeit ging es um die kritische Haltung Polens gegenüber Russland.

Seit 2013 ist wieder ein russisches Verbot zum Import von moldauischen Weinen in Kraft. Kaum hatte Moldau das Assoziationsabkommen mit der EU ratifiziert, verhängte Russland ein weitgehendes Handelsembargo. Offizielle Begründung: Gesundheitsstandards. Aber wir alle wissen: Es geht nur darum, Moldau für seinen proeuropäischen Kurs zu bestrafen.

Herr Kollege, es gibt einen Wunsch nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von dem Abgeordneten Dr. Neu von der Fraktion Die Linke. Möchten Sie das zulassen?

Ja.

Bitte schön.

Herr Kollege Grund, es ist Ihnen ja bekannt, dass die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen nicht allein mit Blick auf die Banken und Oligarchen vorgenommen wurde, sondern die Wirtschaftssanktionen mit dem Abschuss der MH17 in Verbindung gebracht worden sind. Nun ist bis heute immer noch nicht bewiesen – es gibt eine Behauptung des BND, aber auch da gibt es widersprüchliche Aussagen –, dass Russland oder die Aufständischen dahinterstecken. Das heißt, es hat eine Sanktionsverschärfung auf Grundlage der Behauptung gegeben, Russland stecke dahinter, direkt oder indirekt, was aber bis heute nicht bewiesen ist. Mit anderen Worten: Sind Sie der Auffassung, dass die Verschärfung der Sanktionen gerechtfertigt ist, obwohl man nach rechtsstaatlichen Kriterien bis heute immer noch nicht beweisen kann, dass Russland direkt oder indirekt dafür verantwortlich ist? Sind Sie dieser Auffassung, ja oder nein?

Herr Kollege Neu, bis zum Abschuss der MH17 gab es überhaupt keine Sanktionen gegen Russland. Erst mit dem Abschuss sind Sanktionen diskutiert und in Kraft gesetzt worden.

Zurzeit gibt es Ermittlungen über den Abschuss der MH17; sie liegen in holländischer Hand. Das Problem ist, dass das Abschussgebiet im Bereich der Separatisten liegt, ständig beschossen wird und die holländische Ermittlungsgruppe es bis heute nicht gewagt hat, sich die letzten Trümmerstücke anzusehen. Hinzuzufügen ist, dass noch nicht einmal alle Leichenteile von den Separatisten an Holland überstellt worden sind.

In den letzten Tagen berichteten investigative Journalisten – vielleicht haben Sie es verfolgt –, dass sie nach ihren Untersuchungen davon ausgehen, dass im Gegensatz zu dem, was bisher angenommen worden ist, auch von unserem Bundesnachrichtendienst, die MH17 von einer Buk russischer Bauart, genommen aus russischen Beständen, abgeschossen worden ist. Nach diesen Untersuchungen wäre Russland viel stärker als bisher als Verantwortlicher ausgemacht. Ich vermute, dass über diese Ermittlungsergebnisse in den nächsten Tagen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Vielleicht nehmen wir uns dann noch einmal Zeit, uns darüber zu unterhalten, wer ein Interesse daran gehabt hat, diese MH17, ein ziviles Flugzeug, in 10 000 Meter Höhe abzuschießen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das möchte ich auch wissen, wer ein Interesse daran gehabt hat!)

Meine Damen und Herren, den russischen Standard für Sanktionen habe ich eben anhand der von mir aufgezählten Beispiele erklärt. Russland wird wegen eklatanter Verletzung des Völkerrechtes sanktioniert, nicht wegen Unbeständigkeit oder weil es nicht dem folgt, was der Westen Russland vorgibt. Vielmehr verletzt Russland Völkerrecht. Bevor wir unsere Sanktionen gegenüber Russland zurücknehmen, wäre es vielleicht angezeigt, dass zunächst Russland seine willkürlichen Sanktionen gegenüber seinen Nachbarn beendet.

Was ist mit den Rechten der Ukrainer, der Moldauer, der Georgier und der baltischen Staaten? Haben diese Nationen nicht das gleiche Recht auf Respekt, Nichteinmischung, freie Entwicklung und freie Entscheidung, das Russland für sich in Anspruch nimmt? Ich möchte klarstellen: Wir wollen ein gutes Verhältnis zu Russland. Ich sage nicht, dass Russland alles falsch gemacht hat. Auch sage ich nicht, dass wir alles richtig gemacht haben.

Ich habe mich oft genug für ein besseres Verständnis und ein Entgegenkommen gegenüber Russland ausgesprochen. In diesem Konflikt geht es aber nicht mehr nur um unterschiedliche Interessen, auch nicht mehr nur um die Frage, wie wir einen besseren Ausgleich zwischen diesen Interessen herstellen können, sondern es geht um eine fundamentale Differenz zwischen Macht und Recht in den internationalen Beziehungen.

Russland hat sich in der Vergangenheit immer wieder selbst auf völkerrechtliche Prinzipien wie territoriale Unversehrtheit und nationale Souveränität berufen, so in Tschetschenien oder im Kosovo. Es hat diese Prinzipien aber de facto in der Vergangenheit immer wieder unterlaufen, wenn dies – wie in Abchasien, Südossetien oder Transnistrien – den eigenen Interessen entsprach. In der Ukraine hat Putin dieses Prinzip der territorialen Integrität jetzt aber mit der Leichtigkeit eines Hasardeurs über Bord geworfen.

Herr Präsident, ich sehe, meine Redezeit geht langsam zu Ende.

(Zuruf von der LINKEN: Endlich!)

Das ist nicht falsch, die ist schon zu Ende.

Die ist schon zu Ende. – Wir sehen also zurzeit keinen Anlass, die Sanktionen zurückzunehmen. Ich hatte, Herr Kollege Gehrcke, nach den Berichten, die heute in allen, auch den internationalen, Medien zu lesen sind, nämlich dass Russland mit militärischen Einheiten in Richtung Ostukraine unterwegs bzw. dort angekommen ist, eigentlich vermutet, dass Sie Ihren Antrag einfach zurückziehen. Das haben Sie nicht gemacht. Deswegen gab es diese Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das werden Sie von mir nicht erleben! Das wissen Sie doch!)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4106218
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Sanktionen gegen Russland
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