Stefan HeckCDU/CSU - Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Sonntag feierte ganz Deutschland den Mauerfall vom 9. November 1989 und damit den endgültigen Niedergang des SED-Unrechtsstaats. Heute, nur wenige Tage später, beraten wir hier über die Erhöhung der SED-Opferrente. Das ist nach so langer Zeit beileibe keine Selbstverständlichkeit. Deswegen möchte ich mit einer eigentlich ganz naheliegenden Frage beginnen: Ist es nach nunmehr über 25 Jahren tatsächlich noch notwendig, sich im Deutschen Bundestag weiterhin mit dem Unrechtsregime eines inzwischen untergegangenen Staates zu befassen? Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist. Lassen Sie mich dafür drei Gründe nennen:
Es ist erstens notwendig, weil wir im Aufarbeitungsprozess immer weiter fortschreiten und bestehende Regelungen schon deswegen immer wieder überprüfen müssen. Es ist zweitens notwendig, weil der Umgang mit geschehenem staatlichen Unrecht immer auch ein Gradmesser für die Selbstachtung eines Rechtsstaats ist. Es ist drittens notwendig, weil wir – das finde ich eigentlich am wichtigsten – diejenigen niemals vergessen dürfen, die der zweiten Diktatur auf deutschem Boden als Erste den Gehorsam verweigerten. Die Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR verdienen unsere Solidarität und unsere Anerkennung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Entschädigung der Opfer staatlichen Unrechts auf deutschem Boden hat in der Bundesrepublik gute Tradition. Während sich die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg der Entschädigung der NS-Opfer mit dem zynischen Argument entzog, sie gehörten zu den antifaschistischen Siegern des Zweiten Weltkriegs – das gehört zur Geschichte dazu, Frau Wawzyniak –, war für die Bundesrepublik von Anfang an das klar, was Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag am 27. September 1951 gesagt hat – Zitat –:
Die Erklärung Adenauers wurde damals, wie das Protokoll vermerkt, im ganzen Hause mit lebhaftem Beifall bedacht, außer bei der KPD und auf der äußersten Rechten.
Die junge Demokratie – sie war damals ja erst wenige Jahre alt – hatte erkannt: Es bedarf zur Selbstachtung ihrer eigenen Werte sichtbarer Zeichen der Wiedergutmachung zugunsten derjenigen, die in den Zeiten totalitärer Diktatur schwer gelitten hatten.
(Zurufe der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])
Das haben wir auch in der Freude über die Wiedervereinigung nicht vergessen. Unsere Vorgänger im Deutschen Bundestag haben damals das nachgeholt, was die DDR versäumt hatte. Wir haben die Entschädigung für die NS-Opfer beschlossen, die in der Zeit bis 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR Opfer von Verfolgungsmaßnahmen wurden. Hier hat sich die SED 40 Jahre lang ihrer gesamtdeutschen Verantwortung entzogen.
Liebe Frau Wawzyniak, es ist eigentlich kein weiterer Beweis dafür mehr erforderlich, dass Sie in dieser Frage keine besonders glaubwürdigen Vertreter sind.
(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie können unserem Gesetzentwurf trotzdem zustimmen!)
Herr Minister, Sie haben es gesagt: Eine finanzielle Entschädigung kann geschehenes Leid niemals rückgängig machen. – Aber sie ist das Mindeste, was wir für die Opfer tun können. Staatliches Unrecht auf deutschem Boden geht uns alle etwas an.
Inzwischen konnten 47 000 Menschen von der sogenannten Opferrente profitieren. Allein diese Zahl sollte Anlass genug sein, dass wir uns heute wieder mit diesem Thema beschäftigen, zumal – auch das haben Sie gesagt – die Beträge der Opferrente seitdem nicht erhöht worden sind. Wir tragen damit den berechtigten Interessen der Opferverbände Rechnung. Was die Höhe der Entschädigung angeht – auch da gibt es ja ganz unterschiedliche Forderungen –, glaube ich, dass wir gut beraten sind, weiterhin an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Höhe der Entschädigungsleistungen für die NS-Opfer die Obergrenze für die Entschädigungsleistungen für die Opfer des SED-Unrechts bildet. Die monatliche Beihilfe für NS-Opfer beträgt nach dem Abkommen gegenwärtig 310 Euro. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns angemessen, dass die monatlichen Zuwendungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz um 50 Euro auf nunmehr 300 Euro angehoben werden. So bleibt auch die Verhältnismäßigkeit zwischen den Opfergruppen und den dahinterstehenden Schicksalen gewahrt.
Ich möchte noch einmal sagen: Kein Geldbetrag kann das Leid rückgängig machen. Eine Opferrente wird immer einen symbolischen Charakter haben. Wir sollten heute, denke ich, auch anerkennen, dass die Opfer willkürlicher SED-Haft mit den genannten Beträgen bessergestellt werden als jemand, der nach erlittener Untersuchungs- oder gar Strafhaft als unschuldig entlassen und entschädigt wird. Die Situationen sind nur schwer vergleichbar, aber es gibt ja auch den Fall, dass jemand sozusagen ganz rechtsstaatlich, aber am Ende doch unschuldig bestraft wurde und der Zahlung einer staatlichen Entschädigungsleistung als Wiedergutmachung bedarf, die das Gesetz heute schon vorsieht. Die Gewährung einer Geldrente bleibt aber mit guten Gründen den Opfern totalitärer Diktatur vorbehalten. Damit erkennen wir das besondere Unrecht an, das diesen Opfern widerfahren ist.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und 177 Tage Knast reichen nicht, oder was?)
Frau Wawzyniak, gerade weil die Opfer willkürlicher Haft in der DDR zu Recht in privilegierter Weise entschädigt wirken, müssen wir den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die wirklichen Opfer eingrenzen und Missbrauch erschweren. Deswegen halte ich auch nichts von Ihren Vorschlägen, die Erhöhung jetzt an eine Art Beweislastumkehr zu knüpfen, bis hin zu einem Amtsermittlungsgrundsatz, oder sie an eine Kausalitätsvermutung zu koppeln. Wir müssen doch dafür sorgen, dass vor allem diejenigen weiterhin von der Gewährung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben, die wissentlich und willentlich mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die hinreichend nachweisen können, dass sie Opfer dieses verbrecherischen Regimes waren.
Uns ist es wichtig, dass wir auch weiterhin dafür sorgen, dass diejenigen, die eine Stasivergangenheit haben, die schwerste Verbrechen begangen haben, von der Gewährung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben. Deshalb ist es wichtig, dass der Beweis über das Vorliegen der Rehabilitierungsvoraussetzungen, wie es das Gesetz vorsieht, weiterhin vom Antragsteller erbracht werden muss. Die privilegierte Entschädigung durch eine Opferrente wollen wir auch weiterhin auf die wirklich bedürftigen Opfer beschränken. Das, Frau Wawzyniak, ist auch der Sinn der Mindesthaftdauer von 180 Tagen in diesem Gesetz.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: 175 waren nicht so schlimm, oder was?)
– Selbstverständlich, Frau Wawzyniak, ist jeder Tag, den ein Unschuldiger in Haft verbringt, ein Tag zu viel.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!)
Deshalb bekommen auch Opfer der SED-Diktatur, die kürzer als diese Mindesthaftzeit eingesessen haben, eine Entschädigung, nämlich eine einmalige Entschädigung gemessen an der Haftzeit.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)
Aber eine Haftzeit von wenigen Tagen oder Wochen kann eben nicht verglichen werden mit dem Leid, dem Unrecht und auch den psychischen Folgen, die Menschen erlebt haben, die über ein halbes Jahr im Gefängnis eingesessen haben.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch absurd!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ich will zum Abschluss noch einmal in besonderer Weise auf Ihre Vorschläge eingehen. Sie haben ja hier in beeindruckender Offenheit gesagt, dass es Ihre Partei war, die bis 1989 das Unrecht in der DDR an allererster Stelle verantwortet hat.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!)
Damals war an Entschädigung derjenigen, die Unrecht erlebt haben, nicht zu denken. Ich habe von den NS-Opfern gesprochen, die in der DDR 40 Jahre auf ihre Entschädigung gewartet haben. Insofern ist es schon beachtlich, dass ausgerechnet Sie sich hier heute an die Spitze derjenigen stellen, die eine Entschädigung fordern.
Frau Wawzyniak, bei all dem, was Sie hier gesagt haben, was Sie hier ja wortreich und konziliant vorgetragen haben, habe ich einen Satz vermisst. Wenn Sie wirklich etwas für die Wiedergutmachung des durch Ihre eigene Partei verursachten Unrechts tun wollen, dann schlage ich Ihnen vor: Stellen Sie sich hier vorne hin, und sagen Sie uns ohne Wenn und Aber, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Definieren Sie „Unrechtsstaat“!)
Damit tun Sie mehr für die Opfer dieses Systems als mit Ihren Vorschlägen, die heute hier vorliegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie wollten doch etwas zu unseren Vorschlägen im Detail sagen! Kommt das noch?)
In dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird zum einen ein wichtiger Punkt des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD umgesetzt. Zum anderen würdigen wir – und das ist noch viel wichtiger – durch die Erhöhung der SED-Opferrente den Einsatz all derjenigen Menschen, die in der DDR, ungeachtet persönlicher Nachteile, für Freiheit und Demokratie gekämpft haben und dafür verfolgt und eingesperrt wurden. Die Erhöhung der Opferrente ist ein wichtiger Ausdruck unserer Wertschätzung ihres Einsatzes.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Keul.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112566 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR |