Katja KeulDIE GRÜNEN - Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wie ich zur Zeit der Mauer im Westen groß geworden ist, hat in der Regel wenig Bezug zu Opfern von SED-Unrecht gehabt.
Mir ist die Realität erstmals als Scheidungsanwältin begegnet, als eine Mandantin aus unerfindlichen Gründen trotz meiner unterstützenden Hinweise die Formulare zum Versorgungsausgleich partout nicht ausfüllen konnte oder wollte. Sie kam aus dem Osten, aber im Übrigen schien es ein Routinefall ohne besondere Umstände zu sein.
Irgendwann brach es während einer Beratung aus ihr heraus, wobei sie am ganzen Körper zitterte: Sie war als Jugendliche als asozial eingestuft und bereits mit 16 inhaftiert worden. Was sie mir an diesem Tag schilderte, hat mir erstmals auch emotional nahegebracht, was SED-Unrecht bedeutet.
Die Bundesregierung hat uns heute einen Gesetzentwurf zur Aufstockung der Opferrente für die von der politischen Verfolgung in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik Betroffenen vorgelegt. Zum 1. Januar 2015 soll die monatliche Zuwendung nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes um 20 Prozent, die monatliche Ausgleichszahlung nach § 8 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes von 184 auf 214 Euro aufgestockt werden. Dies sind die ersten Erhöhungen seit der Einführung der Zuwendungen im Jahre 2007 bzw. 2003 und damit längst überfällig.
Der eingeschlagene Weg ist zu begrüßen. Auch vor dem zeitlichen Hintergrund des 25. Jahrestages des Mauerfalls hat dies durchaus eine symbolische Wirkung. Doch ist dies auch ausreichend?
In der Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag heißt es ausdrücklich, dass die Rehabilitierung aus rechtspolitischen, humanitären und sozialen Gründen geboten sei, um das Unrecht und seine Auswirkungen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu beseitigen. Eine Erhöhung um 50 Euro erscheint mir zur Umsetzung dieses Zieles zu wenig.
Seit der Einführung der Opferrente werden die Außerachtlassung bestimmter Opfergruppen sowie das Kriterium der finanziellen Bedürftigkeit vonseiten des Dachverbandes der SED-Opfer zu Recht kritisiert. Die Rente dient als Ausgleich für das erlittene Unrecht und wird ohne hinreichenden Grund zu einer Sozialleistung gemacht. Herr Maas, Sie haben gesagt, man will die wirtschaftlichen Bedingungen für die Opfer verbessern. Aber wenn der höhere Betrag auf Sozialleistungen angerechnet wird, dann ändert sich für die Betroffenen nichts.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Um dem eigentlichen Ziel gerecht zu werden, sollte sie also einkommensunabhängig ausbezahlt werden.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es!)
Ebenso ist die Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf ehemalige Häftlinge, die mindestens 180 Tage im Gefängnis verbringen mussten, sehr problematisch. Was ist denn mit denen, die nur wenige Wochen im Stasigefängnis malträtiert wurden? Sind sie deshalb keine Opfer? Was ist mit den verfolgten Schülerinnen und Schülern, wie die eingangs erwähnte Mandantin? Was ist mit den aus dem Grenzgebiet Zwangsausgesiedelten? Diese Gruppen erhalten bislang keine Ausgleichsleistungen. Das ist ungerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Auch die Leistungssportler der DDR, denen die Einnahme von Dopingmitteln oft ohne deren Wissen bereits im Kindes- und Jugendalter staatlich verordnet wurde und die bis heute mit den schweren gesundheitlichen Langzeitfolgen dieser Vorgehensweise zu kämpfen haben, müssen in den Kreis der Anspruchsteller mit aufgenommen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Die dadurch erlittenen Einbußen wie Schwerbehinderungen und Persönlichkeitsstörungen werden für diese Personen mit zunehmendem Alter gravierender, sodass es mit einer Einmalzahlung in diesem Bereich nicht getan ist.
Meine Fraktion hat bereits im Februar 2013 einen Antrag zur Einführung einer Rente für Dopingopfer der DDR eingebracht. Getan hat sich bislang nichts. Herr Maas, Sie haben sich kürzlich zusammen mit Herrn de Maizière auf einen Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz verständigt. Die Dopingopfer wurden jedoch auch hier nicht berücksichtigt. Das ist bedauerlich.
Mit der jetzigen Gesetzesänderung bewegt sich die Bundesregierung lediglich mit kleinen Schritten in die richtige Richtung. Die Opfer benötigen jedoch eine deutlichere und offensivere Gangart, um die angemessene Anerkennung – und darum geht es ja, jedenfalls mehr als um die Beträge – des erlittenen Unrechts zu erfahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Aus diesem Grund fordern wir Grüne, dass alle Betroffenen der Zersetzungsmaßnahmen des Staatssicherheitsdienstes in die Gewährung der Opferpension einbezogen werden und vollständig auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichtet wird. Zudem sollen Personen mit einer Haftzeit von weniger als 180 Tagen zumindest eine anteilige besondere Zuwendung erhalten.
Der zu diesem Thema vorgelegte Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke greift einige der genannten Punkte auf, etwa die Unabhängigkeit vom Einkommen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode Ihrem Entschließungsantrag zugestimmt. Wir werden jetzt den vorliegenden Gesetzentwurf prüfen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir zusammenkommen. Ich hoffe auch, dass die Anhörung in der nächsten Sitzungswoche weitere Wege aufzeigt, wie wir angemessen mit dem Thema umgehen können.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Der Kollege Matthias Bartke spricht jetzt für die Sozialdemokraten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112567 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR |