Volker UllrichCDU/CSU - Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mauer ist vor 25 Jahren gefallen – und damit der SED-Unrechtsstaat. Die Opfer leiden noch heute. „ Zu viele Verbote und zu wenig Rechte gab es in diesem Land“ – das schreibt der Autor Jürgen Brand in seinem Buch „Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers“. Er wollte frei sein, seine Meinung äußern, und war dann Opfer von Stasibespitzelung und Bedrängung. Er musste 20 Monate inhaftiert in einer Stasihaftanstalt verbringen. Dort wurde er in Einzelhaft gehalten, durfte nicht schreiben und nicht lesen. Er befand sich in Isolation und ist durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedrängt worden.
„Die Haft dauert an“, schreibt Angelika Cholewa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch sie wollte frei sein und in den Westen übersiedeln. Bei einem Fluchtversuch an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei wurde sie verhaftet und musste über drei Jahre in DDR-Haft verbringen. Sie wurde in der Haft schwer krank und bekam nicht die notwendige medizinische Versorgung. Ganz im Gegenteil: Man hat ihr sogar noch gedroht und vorgemacht, dass ihre Mutter im Sterben liege und sie diese nur sehen dürfe, wenn sie Mitglied der Stasi werde.
Jürgen Brand und Angelika Cholewa sind nur zwei von vielen Hunderttausend Opfern dieser Diktatur. Wenn beinahe 40 000 Menschen zurzeit eine SED-Opferrente beziehen, dann geht es um 40 000 Schicksale. Es handelt sich um 40 000 Menschen, die allesamt länger als ein halbes Jahr in Stasihaft waren und über ein halbes Jahr Verzweiflung und schreckliche Erlebnisse durchmachen mussten. Wer vor dem Hintergrund dieser Schicksale immer noch nicht erkannt hat, welche Dimension der Unrechtsstaat der SED hatte, der verhöhnt die Opfer, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Wir müssen bei der Bemessung der SED-Opferrente eine kluge und rechtsstaatlich exakte Abwägung vornehmen. Natürlich kann gesagt werden, dass 350, 400 oder 450 Euro immer noch besser seien als das, was wir in diesem Gesetzentwurf vorschlagen. Der entscheidende Punkt aber ist, dass wir bei der Bewältigung der Leiden der Opfer zweier Diktaturen auf deutschem Boden die Frage der Gleichmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben. Deswegen meine ich, sollten die Opfer der SED-Diktatur so behandelt werden wie die Opfer der NS-Diktatur, nicht schlechter, aber auch nicht besser. Dieser Staat behandelt diese Opfergruppen gleich, weil damit auch das Signal ausgeht: Wir wollen weder auf dem Boden dieses Landes noch in Europa jemals wieder Zustände wie in der SED-Diktatur oder während des NS-Regimes haben.
Natürlich kann Geld eine verwundete Seele nicht heilen oder den Rechtsstaat wieder in die Balance bringen; aber wir sind vor dem Hintergrund unserer Geschichte und dem, was die Opfer durchgemacht haben, sowie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstachtung verpflichtet, sensibel mit diesem Thema umzugehen und die SED-Opferrente an dieses Niveau anzupassen. Die Tatsache, dass wir erst im Jahr 2007 – übrigens auch damals unter der Führung einer Großen Koalition – die SED-Opferrente eingeführt haben, zeigt, dass wir da vielleicht zu lange gezögert haben.
An dieser Stelle sei auch den Opferverbänden gedacht und gedankt, die dieses Thema über viele Jahre hinweg im Bewusstsein der Öffentlichkeit halten und die Opfer vertreten, die angesichts des ihnen beigefügten Leides oftmals gar nicht in der Lage sind, ihre Erfahrungen in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Ich habe mich lange genug geschämt, sagt ein Opfer der SED-Diktatur. Das Symbol und die Botschaft dieser heutigen Debatte müssen auch sein: Es darf und es muss sich kein Opfer mehr schämen. Die Symbolik muss auch sein: Die Opfer der SED-Diktatur sind nicht allein. Sie haben unsere Solidarität und unsere Unterstützung, weil es unser aller Anliegen ist, dass sie rehabilitiert werden und einen Ehrenplatz in der Mitte unserer Gesellschaft finden.
Vielen Dank.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Retrieved from | http://dbtg.tv/fvid/4112615 |
Electoral Period | 18 |
Session | 67 |
Agenda Item | Rehabilitierung politisch Verfolgter der DDR |