Thomas OppermannSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 04
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass es der Koalition gestern Abend gelungen ist – die Bundeskanzlerin hat das schon erwähnt –, sich auf die wesentlichen Inhalte der Frauenquote zu einigen. Das zeigt, dass wir in der Koalition auch bei kontrovers diskutierten Themen entscheidungsfähig sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Quote kommt, und sie kommt genau so, wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie kommt mit Gesetzeskraft, ohne Ausnahmen, ohne Härtefallklauseln. Das ist ein großer gesellschaftlicher Fortschritt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese Quote hat durchaus eine historische Dimension; denn mit ihr wird die Gleichberechtigung in den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten der Unternehmen in Deutschland einen gewaltigen Sprung nach vorne machen. Das ist vor allem ein starkes Signal an die qualifizierten Frauen in diesem Land. Sie sind keine Belastung für die Wirtschaft. Sie sind eine Bereicherung und eine Verstärkung für die Wirtschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte allen in beiden Koalitionsfraktionen und in der Bundesregierung danken, die auf diese Einigung hingearbeitet haben. Vor allem aber möchte ich der Frauenministerin Manuela Schwesig danken, dass sie so hartnäckig, so selbstbewusst und so erfolgreich für diese Quote gekämpft hat. Es ist gut, dass wir eine starke Frauenministerin haben.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU])
Vor einigen Wochen hat uns die Konjunkturprognose 1,3 Prozent Wachstum für das nächste Jahr vorhergesagt, übrigens so viel wie seit Jahren nicht mehr. Aber wer die Debatte in Deutschland verfolgt, hat das Gefühl, dass wir in einer anderen Welt leben. Bei den Grünen ist eine bessere Rente für Mütter und Langzeitarbeitnehmer eine Belastung für die Konjunktur.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bei den Wirtschaftsprofessoren ist ein ausgeglichener Haushalt eine Bedrohung für künftige Generationen. Der Mindestlohn ist schuld daran, dass die Wirtschaft weniger wächst. Wer solche Gegensätze aufbaut, verunglimpft nicht nur Arbeitnehmer und Rentner in diesem Land, sondern spielt auch Dinge gegeneinander aus, die nur zusammen funktionieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Unsere Konjunktur funktioniert nur mit einer guten Binnennachfrage. Künftige Investitionen funktionieren nur mit einer soliden Haushaltsführung. Eine erfolgreiche Wirtschaft funktioniert nur mit sozialer Gerechtigkeit. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag diese Dinge zusammengebracht, statt falsche Alternativen aufzubauen.
Eine falsche Alternative, lieber Toni Hofreiter, ist es auch, wenn Sie den Klimaschutz gegen die Wirtschaft in Stellung bringen.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch ihr!)
Um es ganz klar zu sagen: Wir stehen zu dem Ziel, bis 2020 die CO 2 -Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, und wir stehen auch zum Umbau unseres Energiesystems. Bis 2050 werden 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Aber wozu wir auch stehen, ist, dass dieser Umbau sozialverträglich gestaltet wird, dass die Strompreise auch für die Wirtschaft bezahlbar bleiben und dass der Strom verlässlich aus der Leitung kommt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sozialverträglich, bezahlbar und verlässlich, an diesen Kriterien hängt die Akzeptanz der Energiewende. Die bekommen Sie eben nicht mit der Brechstange, wenn Sie gleichzeitig aus Atomstrom und Kohlestrom aussteigen wollen.
Natürlich muss auch der Kraftwerkspark einen fairen Beitrag zur Senkung der CO 2 -Emissionen leisten. Deshalb hat Sigmar Gabriel der Energiewirtschaft eine klare Marschroute vorgegeben. Die Kraftwerksbetreiber müssen bis 2020 mindestens 22 Millionen Tonnen CO 2 - Emissionen einsparen. Wie dieses Ziel erreicht wird, entscheiden die Unternehmen. Das halte ich für eine kluge Lösung, die Ökonomie und Ökologie zusammenbringt.
Deshalb gibt es keinen Grund zu Alarmismus, weder bei den Gegnern der Kohle noch bei ihren Befürwortern. Den einen geht der Beitrag der Kohle zu weit, den anderen geht er nicht weit genug; das ist ein gutes Indiz dafür, dass Sigmar Gabriel mit seinem Vorschlag genau richtig liegt.
(Beifall bei der SPD)
Was wir jetzt brauchen, ist ein schneller Einstieg in die Energieeffizienz. Nur wenn wir es endlich schaffen, weniger Energie zu verbrauchen und Energie besser zu nutzen, werden wir langfristig das Klima schützen können.
Meine Damen und Herren, wir beschließen in dieser Woche einen historischen Haushalt: seit 46 Jahren zum ersten Mal ohne Neuverschuldung. Das haben wir trotz einer schlechteren Konjunkturentwicklung geschafft, ohne soziale Kürzungen und mit mehr Geld für Bildung, Forschung, Kommunen und Infrastruktur. Das ist insgesamt eine gute Botschaft für junge Menschen in diesem Land. Wir wollen keine Politik mehr zulasten künftiger Generationen machen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Denn selbst wenn wir uns heute zu Niedrigzinsen verschulden könnten, wozu uns einige raten, muss man doch sehen: Die Schulden bleiben uns über Jahrzehnte erhalten, und bei steigenden Zinsen müssen wir dafür teuer bezahlen.
(Zuruf von der LINKEN: Mehr Steuereinnahmen, das brauchen wir!)
Ich finde es ausgesprochen erfreulich und ich bin dem Finanzminister Schäuble sehr dankbar dafür, dass er für die Zeit ab 2016 Haushaltsreserven von 10 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen mobilisiert hat. Das ist ein starkes Signal für die Konjunktur in diesem Land. Wir sehen die Schwerpunkte für ein Investitionsprogramm bei der Infrastruktur, beim Netzausbau, bei energetischer Sanierung, beim Breitbandausbau, bei kommunalen Investitionen und im Städtebau.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sinkt dann die Investitionsquote?)
Ich glaube, wir dürfen uns im Ergebnis aber nicht darauf beschränken, nur die öffentlichen Investitionen zu steigern; wir müssen auch die privaten Investitionen ankurbeln. Deshalb ist es gut, dass eine Expertengruppe des Bundeswirtschaftsministers an Vorschlägen für mehr Investitionen arbeitet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Herr Kollege Oppermann, darf die Kollegin Haßelmann Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit einer Zwischenfrage. – Lieber Thomas Oppermann, Sie haben gerade aufgezählt, wo Sie überall investieren und wie stark diese Regierung bei Investitionen vorangeht. Allein, mit den Fakten passt das nicht zusammen. Vielleicht können Sie einen Teil Ihrer Redezeit darauf verwenden, uns das zu erklären. Sie feiern sich hier für Investitionen in Straßen- und Brückensanierung, in Breitbandausbau und viele andere Bereiche, senken aber im Bundeshaushalt gleichzeitig die Investitionsquote. Wie passen diese Fakten zusammen? Darauf können Sie uns sicher eine Antwort geben.
Das Zweite, was ich noch kurz anmerken möchte, ist: Ich finde, hier im Haus ist den Frauen aus allen Fraktionen zu danken, die sich seit Jahren für die Quote eingesetzt haben, und nicht nur einer Ministerin, die Ihrer Fraktion angehört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Ich hätte mich gerne, liebe Britta Hasselfeldt, auch bei den Grünen bedankt. Aber ich wollte Sie jetzt – –
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Haßelmann! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Liebe Kollegin Hasselfeldt – –
(Heiterkeit – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie heißt Haßelmann!)
– Haßelmann; die Nacht war kurz. – Ich hätte mich gerne auch bei den Grünen bedankt. Aber nachdem Ihr Fraktionsvorsitzender gesagt hat, das sei eigentlich gar keine Quote, wollte ich Sie nicht mit zu viel Lob überstrapazieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie heißt „Haßelfrau“! „Haßelmann“ geht gar nicht!)
Was die Investitionen angeht, dürfen Sie natürlich nicht nur auf den Haushalt schauen. Sie müssen auch auf die mittelfristige Planung schauen. Sie müssen sehen, dass diese Koalition die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausweiten wird, und Sie müssen sehen, dass der Investitionshaushalt für öffentliche Infrastruktur bis zum Ende der Wahlperiode insgesamt um 40 Prozent gesteigert wird, und zwar, unabhängig von dem geplanten Sonderprogramm für Investitionen, nachhaltig und dauerhaft. Damit zeigen wir, dass wir nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig das Problem des Investitionsstaus in Deutschland angehen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)
Was Investitionen in der Wirtschaft auch erleichtern könnte, wäre ein Bürokratieabbau. Wir haben in den letzten Jahren Kosten für Informationspflichten in Höhe von 12 Milliarden Euro eingespart. Trotzdem ist die deutsche Wirtschaft immer noch mit Bürokratiekosten in Höhe von 40 Milliarden Euro belastet. Ich weiß, jede einzelne bürokratische Regelung hat immer auch einen rationalen Kern. Jede einzelne Regelung lässt sich für sich immer irgendwie begründen. Aber in der Summe sind diese Regelungen für die Wirtschaft oft eine fast unerträgliche Belastung. Deshalb müssen wir dieses Problem angehen.
Sigmar Gabriel hat ein Paket zum Bürokratieabbau vorgelegt. Ich habe große Sympathie für die neue Regel „one in, one out“. Immer dann, wenn neue Bürokratie geschaffen wird, muss sie an anderer Stelle in gleichem Umfang abgebaut werden. Die letzte Große Koalition hat es geschafft, mit der Schuldenbremse die Neuverschuldung zu stoppen. Ich finde, diese Große Koalition muss jetzt mit einer Bürokratiebremse endlich dafür sorgen, dass die Bürokratie für Unternehmen gestoppt wird, dass Unternehmer und Arbeitnehmer sich wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können und dass sie wertschöpfende Tätigkeiten ausüben, ohne dabei von einem Übermaß an Bürokratie behindert zu werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nur 8 Prozent des Bürokratieaufwandes betreffen die Statistik. Über 30 Prozent betreffen die Steuererklärung. Ein Beispiel dafür ist die Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter. Da kauft ein Schreiner einen PC für 500 Euro. Anstatt die Kosten direkt vom Umsatz abziehen zu können, muss er sie umständlich auf drei Jahre verteilen. Ich sehe keinen fiskalischen Sinn in einer solchen Aufteilung, und ich sehe darin auch keine Möglichkeit, Steuerbetrug zu verhindern. Deshalb sollten wir in dieser Wahlperiode über diese Themen zu gegebener Zeit noch einmal sprechen.
Es ist eindeutig sinnvoller, Steuerbetrug dort zu bekämpfen, wo er uns wirklich Geld kostet, nämlich bei den transnationalen Unternehmen, die in Luxemburg und in den Niederlanden Steuerschlupflöcher nutzen, während unsere Mittelständler hier 30 Prozent Steuern zahlen müssen. Steuerdumping in der EU ist unerträglich. Es schadet unseren Unternehmen und geht zulasten aller Steuerzahler in diesem Land.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb finde ich es gut, dass sich Finanzminister Schäuble und Jean-Claude Juncker offen zeigen für die Einführung von Mindeststeuern in der Europäischen Union. Mindeststeuern für Unternehmen sind ein probates Mittel der Steuervermeidung. Wir wollen, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie auch erwirtschaftet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ausgeglichener Haushalt, Bürokratieabbau, Investitionen, das sind Weichenstellungen für die Zukunft. Aber für künftige Generationen ist auch wichtig, wie wir in der Welt miteinander Handel treiben. Ich bin davon überzeugt: Ein Land wie Deutschland, das 40 Prozent seiner gesamten Wirtschaftsleistung im Export verdient, darf sich nicht vom Handel abschotten, sondern muss dem internationalen Handel offen gegenüberstehen. Die EU und die USA bilden mit 800 Millionen Einwohnern den größten Markt der Welt. Für große Konzerne ist es kein Problem, auf diesen Märkten zu agieren. Aber unsere Mittelständler können es sich kaum leisten, teure Expertengruppen zu bezahlen, um die unterschiedlichen technischen Systeme zu überwinden oder gleich eine eigene Fabrik in den USA zu bauen. Deshalb ist eine gute Handelspartnerschaft mit den USA eine gute, große Chance für unsere mittelständischen Unternehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Unser Ziel ist es, bei TTIP die bestmöglichen Standards zu erreichen – für die Verbraucher, für die Arbeitnehmer, für die Umwelt. Natürlich muss der Zugriff auf unsere kommunale Daseinsvorsorge und auf unsere kulturellen Institutionen von vornherein ausgeschlossen bleiben. Dass in entwickelten Rechtssystemen Investor- Staat-Schiedsverfahren nicht mehr zeitgemäß sind, das ist inzwischen gründlich dargelegt worden. Wir treten dafür ein, dass alle Investoren, unabhängig davon, ob sie Inländer oder Ausländer sind, effektiven Rechtsschutz bekommen und dass er am besten vor staatlichen Gerichten aufgehoben ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für erfolgreiche Verhandlungen zu sorgen. Die Forderungen nach Verhandlungsabbruch sind abstrus; denn wenn wir nicht verhandeln, dann werden andere verhandeln. Die Standards, auf die andere sich verständigen, das werden nicht unsere Standards sein. Entweder die Globalisierung gestaltet uns, oder wir gestalten die Globalisierung. Ich bin eindeutig für Letzteres.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Oppermann, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das muss aber nicht sein!)
Danke, Herr Oppermann. – Ich habe die Debatte in Ihrer Partei zu diesem Thema in den letzten Monaten verfolgt. Sie haben einen Beschluss auf einem kleinen Parteitag gefasst. Wir haben das hier im Bundestag debattiert, insbesondere auch die Frage des Investorenschutzes. Die Position Ihres Parteitages war eigentlich so, dass, wenn ich dies richtig interpretiert habe, man dies nicht will. Jetzt nehme ich – auch in den Medien, auch von Herrn Gabriel – eine gewisse Abkehr von dieser Position wahr. Heißt das nun, dass Sie bereit sind, CETA, das Abkommen der EU mit den Kanadiern, auch dann zu akzeptieren, wenn darin ein Investorenschutz enthalten ist? Bedeutet das ebenfalls, dass Sie auch TTIP akzeptieren würden, wenn darin ein Investorenschutz enthalten wäre, obwohl Ihr Parteitag entschieden hat, dass man dies nicht will?
Wir sind jetzt dabei, TTIP zu verhandeln. Mitten in Verhandlungen genau zu definieren, unter welchen Voraussetzungen man zustimmt oder ablehnt, halte ich nicht für klug.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir für Investoren gleiches Recht wollen. Welches Recht ein Investor bekommt, kann nicht davon abhängen, woher er kommt. Wenn beispielsweise ausländische Investoren in schiedsgerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche einklagen können, aber zum Beispiel deutsche Investoren vor ordentlichen Gerichten nicht die gleichen Möglichkeiten haben, wäre das eine Ungleichbehandlung, die von vornherein nicht akzeptabel ist. Wir wollen keine Paralleljustiz. Wir wollen, dass in entwickelten Rechtsstaaten die Möglichkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit genutzt werden; da gehört die Lösung von Konflikten hin. In keinem Fall wollen wir, dass über schiedsgerichtliche Verfahren die Entscheidungen von demokratisch legitimierten Gesetzgebern delegitimiert werden. Das ist unsere Position, und für die treten wir jetzt auch in den Verhandlungen ein.
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
– Das ist unser Beschluss. Lesen Sie nach!
Meine Damen und Herren, auch 25 Jahre nach dem Mauerfall bleibt der Aufbau Ost eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch viele Regionen im Westen Deutschlands brauchen Unterstützung. Dass dafür die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach 2019 noch gebraucht werden, hat die Bundeskanzlerin schon vor einem Jahr klargestellt, und darin sind sich auch alle Fraktionen in diesem Hause einig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
Die rot-grünen Ministerpräsidenten und Finanzminister Schäuble haben vorgeschlagen, wie das gehen könnte. Der Soli würde in die Einkommensteuer integriert, und dabei könnte man auch das Problem der kalten Progression lösen. Das wäre ein Weg, wie man einen Teil des Soli an die Steuerzahler zurückgeben könnte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wer diesen Weg nicht gehen will – man mag das gut oder schlecht finden –, wer ihn schlecht findet und die Integration nicht will, der muss konkrete Vorschläge machen, wie ein anderer Weg aussehen könnte.
(Beifall bei der SPD)
Eines ist klar: Wir brauchen in Zukunft eine Solidarität zwischen den Regionen, die sich nicht nach Himmelsrichtungen, sondern nach dem Bedarf richtet, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
Dieser Bedarf ist so verschieden wie unser Land. Dresden und Leipzig sind heute attraktive Wachstumskerne, die qualifizierte Zuwanderer anlocken. Aber nicht überall im Osten ist das so. Das Saarland und Bremen haben mit einer erdrückenden Schuldenlast zu kämpfen.
NRW hat einen Strukturwandel hinter sich, der es in seiner Dimension durchaus mit dem Aufbau Ost aufnehmen kann. Seit der Kohle- und Stahlkrise im Ruhrgebiet sind 1,2 Millionen Arbeitsplätze allein im Bergbau und im Bereich Stahl weggefallen. Trotzdem gibt es im Ruhrgebiet heute mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als vorher. Ob in Marl, Essen, Dortmund, Duisburg oder Bottrop – in vielen Städten wurden innovative neue Zentren für Dienstleistungen, Wissenschaft und Industrie aufgebaut. Damit ist NRW heute sogar Nettozahler im Länderfinanzausgleich,
(Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])
wenn man auch den Umsatzsteuerausgleich zwischen den Ländern betrachtet. Ich finde, es ist eine enorme Leistung, die da vollbracht worden ist.
(Beifall bei der SPD)
Aber dieser Strukturwandel hatte auch seinen Preis, und diesen Preis hat NRW bisher weitestgehend allein bezahlt. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu ordnen. Wir können einzelne Länder, die einen tiefgreifenden Strukturwandel durchmachen, nicht alleinlassen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
genauso wenig wie wir Bayern
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist aber lange her!)
beim Strukturwandel vom Agrarland zu einem modernen Industrieland alleingelassen haben.
(Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: So weit kann man doch gar nicht mehr zurückdenken!)
Wir wollen nicht, dass sich die Gräben der Ungleichheit zwischen den Bundesländern weiter vertiefen. Das ist es doch, was unser Land eigentlich so stark macht: dass wir nicht auseinanderdriften wie etwa England und Schottland, wie Flandern und Wallonien, wie Spanien und Katalonien, wie Nord- und Süditalien. Nur ein Deutschland mit gleichwertigen Lebensverhältnissen ist auf Dauer ein erfolgreiches und lebenswertes Land. Das ist jedenfalls die Richtschnur, mit der wir in diese Verhandlungen hineingehen.
(Beifall bei der SPD)
Wir diskutieren im Rahmen der Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch darüber, wie wir den Kommunen mit hohen Soziallasten am besten helfen können. Das ist auch richtig so; denn wir wollen, dass auch die finanzschwachen Kommunen wieder investieren können. Wichtig ist: Egal wo wir am Ende die Kommunen entlasten – die Reform der Eingliederungshilfe muss in jedem Fall kommen.
(Beifall bei der SPD)
Die haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart; schließlich haben wir 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention einstimmig ratifiziert. Bei der Eingliederungshilfe steht bisher im Vordergrund, dass die Menschen mit Behinderungen versorgt und verwaltet werden. Beim neuen Teilhaberecht wird es darum gehen, was ein Mensch mit Behinderungen braucht, um gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
(Beifall bei der SPD)
Das muss nicht immer teurer sein. Es geht nämlich nicht nur darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern auch darum, wie wir es ausgeben. Wir wollen ein Teilhaberecht, bei dem das Geld bei den Menschen mit Behinderungen ankommt, das echte Teilhabe und Inklusion ermöglicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte zum Schluss noch auf die Außenpolitik zu sprechen kommen; denn die neuerlichen Gewaltausbrüche in der Ukraine und in Israel machen uns allen große Sorgen. Seit Monaten ist die Außenpolitik der Bundesregierung extrem gefordert. Ich finde, dass Außenminister Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unser Land mit großem Engagement und mit hohem persönlichen Einsatz außerordentlich gut vertreten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung ist zusammengeblieben; auch die Europäische Union und die NATO-Partner sind zusammengeblieben. Jetzt kommt es für die nächsten Monate darauf an, dass wir weiterhin zusammenbleiben. Wenn nun der Vorwurf in den Raum gestellt wird, es werde eine Nebenaußenpolitik betrieben, dann ist das völlig deplatziert. Die Außenpolitik ist in diesen Zeiten viel zu wichtig für unser Land, als dass wir sie für innenpolitische Ziele instrumentalisieren dürften, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist kein Widerspruch, den Dialog zu suchen und trotzdem klar zu sagen, was man von der russischen Politik hält und erwartet. Russland hat eine Verantwortung für das, was dort passiert. Russland hat die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine zu verantworten. Damit stellt Russland die europäische Friedensordnung infrage.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Das kann die EU nicht einfach akzeptieren. Deshalb war und ist die Entscheidung für gezielte Sanktionen richtig. Russland muss seine Guerillataktik beenden und aufhören, an der Spaltung der Ukraine zu arbeiten.
(Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])
Wladimir Putin muss klar bekennen, dass auch er weder Krieg noch Bürgerkrieg in Europa toleriert oder gar fördert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Dennoch müssen wir im Gespräch bleiben; denn es kann nur eine politische Lösung für diesen Konflikt geben. Es kann auch nur eine Lösung mit Russland geben; das muss uns immer bewusst sein. Das ist die Komplexität der Außenpolitik, mit der wir uns auseinandersetzen müssen und der wir uns mutig stellen müssen. Es reicht nicht, nach einem einfachen Schema – wie es die Linke gerne macht – Putin zu bejubeln und Israel zu kritisieren. Damit stellen Sie sich nur ins Abseits, aber zeigen keine Verantwortung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)
50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In dieser dramatischen Lage müssen wir unseren Beitrag leisten, damit die Flüchtlinge den nächsten Winter überhaupt überstehen können. Ich bin froh, dass wir in den parlamentarischen Beratungen die Haushaltsmittel für die zivile Krisenprävention und die humanitäre Hilfe um 313 Millionen Euro aufgestockt haben. Damit zeigen wir, dass wir internationale Verantwortung für diese Krise übernehmen wollen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Flüchtlinge in Deutschland gut unterbringen. Wir haben in diesem Herbst schon wichtige Verbesserungen beschlossen: Asylbewerber können schneller Arbeit finden und Sprachkurse besuchen. Wir haben die Residenzpflicht gelockert, und Asylanträge werden schneller bearbeitet. Aber das Wichtigste ist, dass wir jetzt auch die Kommunen in die Lage versetzen, die Flüchtlinge gut unterzubringen; denn es darf nicht sein, dass Kommunen mit der Unterbringung von Flüchtlingen aufgrund eines Geldmangels überfordert werden, und es darf nicht sein, dass durch überfüllte Provisorien Ressentiments gegenüber Flüchtlingen geschürt werden. Das müssen wir schon im Ansatz unterbinden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb ist es gut, dass die Regierung jetzt mit den Ländern darüber verhandelt, wie man die Kommunen unterstützen kann. Hier ist ein Kraftakt notwendig.
Mit dieser finanziellen Unterstützung helfen wir aber nicht nur den Kommunen, sondern ermutigen auch die Bürgerinnen und Bürger, die sich in unserem Land für die Flüchtlinge engagieren, die ihnen bei Arztbesuchen helfen, sie bei Behördengängen unterstützen und dazu beitragen, dass die Kinder in die Schule gehen können. Das alles zeigt, dass die große Mehrheit der Deutschen ganz klar sieht, dass wir Verantwortung für die Flüchtlinge haben. Das ist gelebte Verantwortung. Das ist praktische Solidarität. Ich möchte allen, die sich daran beteiligen, die dabei mitwirken, ganz herzlich danken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Volker Kauder.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bitte nicht so weinerlich!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4178346 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 04 |