26.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 69 / Tagesordnungspunkt I.9

Claudia Roth - Auswärtiges Amt Epl 05

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich über die einordnenden Worte der Parlamentspräsidentin sehr froh. Ich hoffe, dass sich auch diejenigen, die am 5. Dezember im Landtag von Thüringen zusammenkommen, gut überlegen, ob man mit Vertretern einer solchen Partei wirklich eine Koalition bilden will.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Herr van Aken, alles, was Sie gesagt haben, war falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, war inhaltlich falsch. Auch das, was Sie zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zu den zivilen Maßnahmen gesagt haben, die wir flankierend durchführen, war falsch. Im Rahmen der Vorbereitung des Afghanistan-Mandats diskutieren wir ausführlich über das, was wir im zivilen Bereich mit einem langfristigen Commitment zusätzlich machen können, und da sagen Sie: Sie haben nur Panzer im Kopf. – Das finde ich nicht richtig. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass so etwas in Haushaltsdebatten noch nicht geäußert worden ist. Wir haben bisher hier immer vernünftig miteinander diskutiert. Wir kennen Ihre Position, und Sie kennen unsere Position. Wir schließen militärische Maßnahmen als äußerstes Mittel von Politik nicht aus, aber sie sind nicht zentraler Bestandteil unserer außenpolitischen Agenda.

(Widerspruch der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte an das anknüpfen, was auf der Münchener Sicherheitskonferenz von drei Rednern angesprochen worden ist. Darüber gab es eine ausführliche und kontroverse Diskussion. Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haben vor ein paar Wochen die Gelegenheit gehabt, mit dem Bundespräsidenten zusammenzutreffen. Ich bin froh, dass es bei dieser Diskussion zu einer klaren Absage an alle unterstellten Tendenzen kam – zum Teil gab es diese Misstöne im Umfeld der Konferenz –, nämlich dass es nicht um den – ich zitiere den Bundespräsidenten – „Ansatz eines wilhelminischen Deutschlands“ geht.

Wenn ich über mehr Verantwortung nachdenke, dann heißt für mich „mehr Verantwortung“ definitiv nicht „mehr Soldaten“, sondern vor allem mehr Koordinierung. Damit komme ich zu einem Thema, das die Union seit langer Zeit beschäftigt. Als Franz Josef Jung als Verteidigungsminister in der NATO das Konzept des Comprehensive Approach durchgesetzt hat, haben wir uns im Rahmen des Weißbuchprozesses sehr viele Gedanken gemacht und uns gefragt: Wie kann vernetzte Sicherheit erreicht werden? Was müssen wir dafür tun? Der Begriff von der vernetzten Sicherheit passt sehr gut in die Debatte um mehr Verantwortung. Dadurch wird deutlich, dass die verschiedenen Maßnahmen, die wir wählen, zusammenpassen. Aber sie müssen noch stärker – und da können wir sicherlich noch mehr tun – aufeinander abgestimmt werden.

Es geht nicht nur um militärische Komponenten, sondern es geht auch darum: Wie kann man die Nutzung des äußersten Mittels von Politik, nämlich militärische Einsätze, mit diplomatischen Maßnahmen flankieren? Wie kann man sich langfristig zu seiner Verantwortung bekennen: für ganze Regionen, für einzelne Länder oder für Gruppierungen in Ländern? Das geht durch die Entwicklungszusammenarbeit sehr gut. Wie kann man insgesamt dafür sorgen, dass staatliche Strukturen überhaupt entstehen?

Als wir hier vor kurzem über Afrika diskutiert haben, haben wir alle festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Polizeiausbildung mehr leisten kann. Daher müssen wir uns fragen: Wo können wir Optimierungen durchführen? Ich bin froh, dass diese Debatte um mehr Verantwortung begonnen hat, selbst wenn ich erst einmal sehr kritisch war; denn viele hatten den Eindruck, mehr Verantwortung würde automatisch zu mehr Mandaten führen – das ist aber nicht passiert –, worüber wir hier in den Monaten danach sehr nüchtern und abwägend diskutiert haben. Darüber bin ich froh. Ich glaube, dass es dazu sehr viele Beiträge aus diesem Hause gab.

Wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, dann sollten wir nicht nur im Blick haben, was uns – mit einigen Abstufungen – fast jeden Tag beschäftigt, beispielsweise die Ukraine oder auch der Nahost-Konflikt – gestern standen die Verhandlungen mit dem Iran im Mittelpunkt –, sondern wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir dieses Jahr eine sehr große und wichtige Entscheidung gefällt haben. Diese Entscheidung wurde von einer Vertreterin der Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichnet; sie ist keinem leicht gefallen. Wir haben damals im Sommer mehrere Sondersitzungen des Auswärtigen Ausschusses durchgeführt und auch eine Sondersitzung im Plenum abgehalten, die rechtlich zwar nicht notwendig war, aber politisch doch den entsprechenden Rahmen gesetzt hat, um diese wichtige Entscheidung abzusichern. Ich meine die Lieferung von Waffen in den Nordirak, nach Kurdistan; auch Sie haben das angesprochen, Herr van Aken. Wir haben uns gut überlegt, an wen wir Waffen liefern.

Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, was diese Waffenlieferungen und unsere Maßnahmen, um Kurdistan und Nordirak zu unterstützen, angeht, dann muss ich sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Mittel so begrenzt eingesetzt haben. Ich bin froh, dass wir im Nordirak und in Kurdistan verlässliche Partner gefunden haben. Ich bin auch froh, dass wir die rote Linie gezogen haben, der PKK keine Waffen zur Verfügung zu stellen.

(Jan van Aken [DIE LINKE]: Ich habe über Medikamente geredet!)

Selbst wenn sie in den letzten Monaten in der einen oder anderen Schlacht auf der richtigen Seite gestanden hat, entsprechen die Ziele der PKK nach wie vor denen einer Terrororganisation. Wenn wir unser partnerschaftliches Verhältnis mit der Türkei, die wir aufgrund ihrer Schlüsselstellung in der Region brauchen, fortsetzen wollen, dann muss man die Warnungen, die aus der Türkei in Richtung PKK kommen, nach wie vor sehr ernst nehmen. Dann darf man nicht einfach sagen: Wir differenzieren gar nicht mehr zwischen den kurdischen Gruppierungen und sponsern alle. – Der Meinung bin ich nicht. Ich glaube, das, was wir getan haben, war richtig, und schließe nach wie vor aus, der PKK in irgendeiner Form Waffen zur Verfügung zu stellen.

Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Liebich?

Herr Liebich? – Ja.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD)

– Herr van Aken hat ja schon so viel geredet.

Es ist sein Recht. Er kann entscheiden, bei wem er es zulässt und bei wem nicht. – Herr Liebich, bitte.

Es ist sehr nett, dass Sie das zulassen. Ich bin mir sicher, Sie hätten es auch bei jedem anderen Kollegen oder jeder anderen Kollegin meiner Fraktion zugelassen.

Die Frage bezieht sich auf den Abschnitt Ihrer Rede, den wir gerade gehört haben. Sie haben begründet, warum es richtig ist, nur an einen Teil der kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer Waffen zu liefern. Wie gehen Sie aber damit um, dass die Kämpferinnen und Kämpfer der Peschmerga nunmehr zu den Kämpfern der PKK gekommen sind und gesagt haben: „Wir stehen an eurer Seite und unterstützen euch; wir kämpfen mit euch zusammen und haben auch Waffen dabei“? Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Waffen, die die Bundesregierung an die Peschmerga-Kämpfer geliefert hat, nicht im Kampf an der Seite ihrer Brüder und Schwestern in Rodschawa eingesetzt werden?

Grundsätzlich bin ich der Meinung – wir haben uns damit ausführlich beschäftigt –, dass es in den Kurdengebieten insgesamt dringend einer Militärreform bedarf. Wir wollen nicht, dass perspektivisch weiterhin jeder Stamm quasi über seine eigenen Einheiten verfügt. Vielmehr wären an dieser Stelle Zentralisierung und Demokratisierung dringend geboten.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Lieferungen sind aber vorher erfolgt!)

– Ja, weil Gefahr in Verzug war, Herr Nouripour. Wir standen im August bzw. Anfang September vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder existiert Kurdistan weiter, oder Kurdistan wird von ISIS überrollt. In dieser Situation haben wir uns für diesen schwierigen Weg entschieden, der – das beantwortet zum Teil Ihre Frage – von Anfang an das Risiko beinhaltet, dass man, wenn man Waffen aus der Hand gibt, nie wissen kann, wo diese Waffen letztendlich landen.

Ich weise aber darauf hin, dass bisher das Versprechen Talabanis und Barsanis, diese Waffen nicht an weitere Kampfeinheiten zu geben, nicht gebrochen worden ist. Es gibt zwar jetzt Formationen, die kooperieren – das stimmt –, aber bisher haben keine Waffenübergaben stattgefunden. Ich weiß nicht, ob dies in der Zukunft so bleibt. Ich hoffe, dass wir auf das Versprechen, das uns gegeben wurde, setzen können. Wir sind bislang auch nicht enttäuscht worden.

Zur Lage im Nahen Osten möchte ich noch anmerken – insbesondere nachdem wir von der Bundesregierung unmittelbar über die Iran-Gespräche informiert worden sind; ich bin froh über das, was der Bundesaußenminister dazu gesagt hat –, dass wir sicherlich in manchen Punkten weitergekommen sind, aber wir sind noch weit davon entfernt, mit dem Iran zu einem Ergebnis zu kommen.

Der Iran ist eine der größten Gefahren für die Existenz des jüdischen Staates Israel. Israel wird nicht nur vom Iran bedroht, sondern auch von innen heraus. Wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität Terrorakte dort stattfinden, dann muss man trotz vieler kritischer Punkte, die man hinsichtlich der israelischen Politik vorbringen darf und vorbringen muss, sehen, dass die einzige Demokratie in der gesamten Region unter enorm großem Druck steht und dass selbst Gotteshäuser keine Sicherheit bieten. Das ist aus meiner Sicht definitiv eine neue abstoßende und brutale Form von Gewalt, die wir alle verurteilen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen ist die Ursache nicht im israelischen Verhalten zu suchen; sie liegt vielmehr in einer besonders brutalen Ausprägung von Gewalt, die auch nicht durch Religion entschuldbar ist oder durch religiöse Motive verdeckt werden sollte. Ich glaube, das hat mit dem Islam viel weniger zu tun, als diejenigen, die den Dschihad für sich in Anspruch nehmen, behaupten. Das sind einfach Exzesse, die mit Toleranz und Respekt gegenüber Religionen insgesamt nichts zu tun haben.

Ein anderes wichtiges Thema, das meiner Fraktion sehr am Herzen liegt und das unser Fraktionsvorsitzender seit Jahren auf die Tagesordnung setzt – dieses Thema haben wir in diesem Jahr gerade vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingswellen im Nahen und Mittleren Osten besonders berücksichtigt; Syrien und der Nordirak sind bereits als Stichworte gefallen –, ist die Lage der Christinnen und Christen. Wir als CDU/CSU- Bundestagsfraktion haben uns insbesondere im Haushaltsausschuss dafür eingesetzt – lieber Alois Karl, dafür danke ich dir ganz besonders –, dass die Vertreter der Religion, die vor allem unser Land geprägt hat, in ihren Heimatländern einen sicheren Hafen und viel Unterstützung von außen bekommen. Uns kann es nicht egal sein, wie Christen im Nahen Osten präsent sind und dass Städte, die über Jahrtausende durch die Gemeinsamkeit der Religionen geprägt worden sind, über Nacht für christenfrei erklärt werden und dass dort entsprechende Ultimaten ausgesprochen werden. Wir haben daher nicht zugeschaut, sondern haben unsere Partner gestärkt, dagegen vorzugehen. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten gerade im humanitären Bereich alles getan, um die Situation der Christen in dieser Region zu verbessern.

Dabei sollten wir es nicht belassen. Wir sollten uns noch viel mehr Gedanken darüber machen, was nun im Winter passiert und wie wir auf eventuelle Epidemien reagieren können. Ich finde es sehr professionell, wie unsere Regierung – ich weise hier insbesondere auf das Zusammenspiel von Entwicklungshilfeministerium und Auswärtigem Amt hin – agiert hat. Das Technische Hilfswerk leistet hervorragende Arbeit. Wenn das unter mehr Verantwortung für Christinnen und Christen im Nahen Osten, wo sie in existenzieller Gefahr sind, zu verstehen ist, dann muss ich feststellen, dass wir in diesem Jahr sehr gute Arbeit geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zur Ukraine möchte ich nur Folgendes kurz anmerken, weil wir bereits eine intensive Diskussion in der Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zukunft des Petersburger Dialogs geführt haben. Sicherlich sind sich die Kritiker des Petersburger Dialogs nicht in allen Fragen einig. Wenn dieses Forum aber eine Zukunft haben soll, dann muss es dringend reformiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben völlig recht, Herr Minister: Es sollte kein Monolog sein. Wir sollten nicht nur unter uns darüber reden. Wir können uns sicherlich stundenlang über Russland und darüber streiten, wer wen wann besucht hat; das gehört dazu und hat häufig auch mit innenpolitischen Aspekten zu tun. Wenn wir aber den Petersburger Dialog als gesellschaftliches Vehikel zwischen unserer Gesellschaft und der russischen Gesellschaft aufrechterhalten wollen, dann bedarf es einer dringenden Reform. Mehr Offenheit wird dieser Organisation nicht schaden. Es darf keine Scheuklappen geben, weder in die eine noch in die andere Richtung.

Natürlich müssen am Petersburger Dialog auch regierungsnahe Vertreter aus Russland teilnehmen, am besten hochrangige. Ich wünsche mir, dass dieser Dialog auf höchstem Niveau stattfindet und dass dort die Spitzenvertreter beider Länder zusammenkommen, also diejenigen, die auch etwas zu sagen haben. Es nutzt nichts, daraus einen Debattierklub von NGOs zu machen, die nicht wissen, wie sie in ihrem Land vorankommen sollen. Auch diejenigen, die etwas entscheiden können, müssen mit am Tisch sitzen.

Ich bin dafür, dieses Forum zu verjüngen und es für Teilnehmer zu öffnen, die nicht schon zehnmal daran teilgenommen haben. Die entsprechenden Auswahlverfahren müssen aus meiner Sicht optimiert werden. Wir haben intensiv darüber diskutiert, dass der Lenkungsausschuss deckungsgleich mit den Mitgliedern ist. Ich selbst bin genauso wie der Außenminister nur Gast bei den Veranstaltungen. Aber eine Öffnung wird dieser Organisation überhaupt nicht schaden, sondern sozusagen zu einem Upgrade dieser Veranstaltung beitragen. Ich spreche mich für den Erhalt dieser Veranstaltung aus, aber unter der Bedingung, dass Reformen umgesetzt werden und dass diejenigen, die Verantwortung tragen, die Reformen aktiv vorantreiben und nicht darauf warten, dass Reformen vorangetrieben werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Kollege Mißfelder. – Nächster Redner in der Debatte ist Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4178855
Wahlperiode 18
Sitzung 69
Tagesordnungspunkt Auswärtiges Amt Epl 05
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta