27.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 70 / Tagesordnungspunkt I.14

Axel FischerCDU/CSU - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11

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Lieber Kollege Kurth, Sie sollten sich hier nicht so aufblasen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann mich noch daran erinnern: 2005 war die Rentenkasse auf Notkredite angewiesen. Seitdem – die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen – geht es bergauf. Seit die Grünen nicht mehr in der Bundesregierung sind, läuft es in Deutschland. Das muss man ganz klar sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2015 für den Bereich Arbeit und Soziales, den wir heute debattieren, ist ein rundum gelungenes Werk. Die ohnehin bereits ausgewogene Vorlage der Bundesregierung vom Sommer dieses Jahres haben wir einerseits an veränderte Rahmenbedingungen angepasst, andererseits haben wir wichtige eigene Akzente gesetzt, zum Beispiel bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik oder mit der Ausstattung der Geschäftsstelle der Mindestlohnkommission.

Mit einem Volumen von 125,5 Milliarden Euro – das sind fast 42 Prozent des Gesamtetats – sollen die Ausgaben für Arbeit und Soziales um 3,6 Milliarden Euro – das entspricht knapp 3 Prozent – über denen des Vorjahres liegen. Mit diesen moderaten Steigerungen leisten wir einen erheblichen Beitrag für einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden. Mit Wolfgang Schäuble als Finanzminister wird der Bund 2015 erstmals seit 1969 keine Kredite zur Deckung der Ausgaben aufnehmen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damals war übrigens Franz Josef Strauß Finanzminister einer christlich-sozialdemokratischen Koalition, also einer Koalition, wie wir sie jetzt wieder haben. Damit schließen wir den bereits eingeschlagenen Konsolidierungspfad für die Bundesfinanzen erfolgreich ab.

Die sogenannte schwarze Null erreichen wir trotz eingetrübter Konjunkturaussichten, trotz gestiegener Arbeitsmarktausgaben, trotz erheblich steigender Hilfen des Bundes für die Kommunen und trotz erheblicher Ausweitung der Leistungen für die Rentner. Dank einer über die Jahre hinweg auf Wachstum durch Investitionen, auf sparsames Haushalten und weniger auf Umverteilung ausgerichteten Politik haben wir heute eine solide finanzielle Basis für eine zukunftsorientierte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verteilen doch von unten nach oben!)

Die Wirtschaft entwickelt sich zwar etwas schwächer, aber der Arbeitsmarkt zeigt sich – und das trotz der Ereignisse in der Ukraine oder im Nahen und Mittleren Osten – sehr robust. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind weiter gestiegen. Mit rund 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als 30 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen in Deutschland brechen wir ständig neue Rekorde.

(Zuruf des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für das neue Jahr erwarten wir eine weiter sinkende Arbeitslosigkeit – mit dann weniger als 2,7 Millionen Arbeitslosen.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist mit dem demografischen Wandel?)

Ich kann mich noch an 5 Millionen und mehr Arbeitslose erinnern. Zwar hat sich die Anzahl der Arbeitslosen besser entwickelt, als wir es noch vor einigen Jahren erwartet haben, aber diese Entwicklung hat sich bislang leider nicht in einer entsprechend gesunkenen Anzahl an Bedarfsgemeinschaften oder Ausgaben für Langzeitarbeitslose niedergeschlagen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sieht man mal, wie schlecht die Sozialpolitik ist!)

Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren die Ausgaben für Hartz IV, also das Arbeitslosengeld II, für 2015 auf 20,1 Milliarden Euro erhöht. Zwar ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen von 2007 bis heute von 1,7 Millionen auf etwa 1 Million zurückgegangen, aber wir können und wollen uns nicht damit abfinden, dass die insgesamt positive Entwicklung am Arbeitsmarkt an diesem Teil der Arbeitslosen heute fast spurlos vorbeigeht. Deshalb bleiben die Ausgaben im Titel für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und die Verwaltungskosten hinsichtlich des SGB II mit 8 Milliarden Euro unverändert hoch.

Ausgabenreste aus den letzten Haushalten in Höhe von 350 Millionen Euro erweitern den arbeitsmarktpolitischen Spielraum. Wir finanzieren hieraus unter anderem anteilig das neue ESF-Langzeitarbeitslosenprogramm mit einem Volumen von 224 Millionen Euro sowie das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ mit 75 Millionen Euro in 2015.

Darüber hinaus haben wir unsere Spielräume genutzt, um auch für langzeitarbeitslose Jugendliche weitere Förderungsperspektiven zu eröffnen; der Kollege Schiewerling wird in seiner Rede noch darauf eingehen. Denn unabhängig vom Alter der Langzeitarbeitslosen und vom jeweiligen Programm ist es wichtig, konkret an den Vermittlungshemmnissen im Einzelfall anzusetzen. Egal ob alleinerziehend, fehlender Abschluss, fehlende Sprachkenntnisse, fehlender Arbeitswille oder Drogenabhängigkeit – wir wollen alle unsere Mitbürger in die Lage versetzen, an der Arbeitswelt teilzuhaben und ein selbstbestimmtes Leben in Arbeit zu führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Mast [SPD])

Dazu müssen wir aber neue Wege finden, neue Instrumente erproben und neue Strukturen schaffen. Wichtig ist, insbesondere den Kern von rund 150 000 Schwervermittelbaren anzugehen. Hierbei ist besonders Kreativität gefragt: neue Wege erkunden und Neues ausprobieren, um die Vermittlungshemmnisse zu beseitigen, Stichwort: Passiv-Aktiv-Tausch. Klar, dass hier alle an einem Strang ziehen müssen: Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen und auch die Bundesagentur.

Erste Erfahrungen mit Modellprojekten wie „Perspektive in Betrieben“ zeigen, wie auch arbeitsmarktferne Grundsicherungsempfänger Stück für Stück Integrationsfortschritte erzielen können. Wir werden hier weitere Modellprojekte auf den Weg bringen. Aber klar ist auch: Wir werden für spürbare Verbesserungen, insbesondere mit Blick auf die Vielzahl an Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen – die Frau Ministerin wies bereits darauf hin –, sicherlich einen langen Atem brauchen, und wir werden auch darauf achten müssen, dass die Kosten für diese Programme nicht wegen möglicher Mitnahmeeffekte aus dem Ruder laufen.

Meine Damen und Herren, eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Vermittlung in Arbeit sind motivierte und fachlich gut ausgebildete Vermittler.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer zu?

Wenn sie möchte, gern. Wenn die Uhr stehen bleibt, ist das kein Problem.

Ja, das ist jetzt schon geschehen; keine Sorge.

Herr Fischer, Sie haben gerade auf den Passiv-Aktiv- Transfer hingewiesen und deutlich gemacht, dass alle an einem Strang ziehen müssen. Kann ich Ihren Worten entnehmen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion zukünftig für den Passiv-Aktiv-Transfer einsetzen wird und dass der Fehler, den das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit von Frau Nahles beinhaltet, nämlich dass dieser Passiv-Aktiv-Transfer nicht vorgesehen ist, korrigiert wird, und zwar mit Ihrer Hilfe, Herr Fischer?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können davon ausgehen, dass wir, so wie ich es beschrieben habe, verschiedene Modellprojekte auf den Weg bringen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ausweichen!)

– Das hat mit Ausweichen überhaupt nichts zu tun. – Wir müssen neue Wege gehen und diese selbstverständlich innerhalb der Koalition beraten. Ich garantiere Ihnen nicht, dass das, was Sie darunter verstehen, passieren wird. Ich garantiere Ihnen aber, dass die Grundsätze der Koalition in diesem Bereich zum Tragen kommen. Ob das Ihnen dann gefällt oder nicht, wird uns im Zweifel egal sein. Wir werden es inhaltlich beraten. Denn uns ist wichtig, dass den Menschen geholfen wird, und nicht, dass die Ideologie, die Sie verbreiten, unbedingt durchgesetzt werden muss. Bei uns stehen die Menschen im Mittelpunkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])

Im ersten Halbjahr 2014 haben die Kommunen in Deutschland Überschüsse in Höhe von 5,3 Milliarden Euro erwirtschaftet – in einem halben Jahr wohlgemerkt. Wesentlich für diese vergleichsweise komfortable Finanzsituation ist die massive Entlastung der Kommunen in den vergangenen Jahren durch den Bund, und zwar insbesondere durch die Übernahme der Kosten der Unterkunft und der Hilfe zum Lebensunterhalt.

Bis zum Inkrafttreten des für 2018 vorgesehenen Bundesteilhabegesetzes legen wir jährlich 1 Milliarde Euro obendrauf. Für das Jahr 2015 beträgt die hierdurch entstandene Entlastung 5,4 Milliarden Euro. 4,9 Milliarden Euro sind dafür allein im Einzelplan 11 vorgesehen. 500 Millionen Euro kommen über die Umsatzsteuerbeteiligung der Kommunen noch hinzu.

Mit diesen Überschüssen sind viele Kommunen wieder in der Lage, langfristig zu planen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das freut uns und zeigt deutlich, wie wichtig uns die Selbstorganisation und Selbstverwaltung der Bürger vor Ort ist und wie groß wir Subsidiarität schreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])

Ich persönlich verbinde diesen großen Erfolg für die kommunale Selbstverwaltung auch mit dem Namen unseres langjährigen Kollegen Peter Götz, der wie kaum ein anderer über Jahrzehnte hinweg mit Herzblut für auskömmliche Kommunalfinanzen gekämpft hat.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Mit dem Rentenpaket, also mit Mütterrente und Rente mit 63, ist die Große Koalition fulminant in diese Legislaturperiode gestartet.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fulminant ins Haushaltsloch!)

Beide Rentenleistungen erfreuen sich übrigens größter Beliebtheit. So steigen die beitragsfinanzierten Leistungen der Rentenversicherung im kommenden Jahr um etwa 10 Milliarden Euro an. Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2015 für die Rentenversicherung, die Grundsicherung im Alter und im Falle von Erwerbsminderung steigen moderat von 88,4 auf 90,2 Milliarden Euro, also um knapp 2 Milliarden Euro. Die Absenkung des Rentenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte auf 18,7 Prozent im kommenden Jahr entlastet den Bundeshaushalt um rund 500 Millionen Euro. Die Rentenzuschüsse sind derzeit solide finanziert. Der in 2018 auf rund 101 Milliarden Euro absehbar steigende Bundeszuschuss ist in den kommenden Jahren finanzierbar.

Bei aller Freude über die derzeitige Finanzierbarkeit von Mütterrente und Rente mit 63 aus den Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung dürfen wir die Belastbarkeit der arbeitenden Generation und unserer Wirtschaft nicht überstrapazieren. Denn für alle sozialpolitischen Maßnahmen gilt, dass sie nur in der Höhe finanzierbar sind, wie die Leistungen vom aktiven Teil der Bevölkerung erbracht werden.

In diesem Zusammenhang ein kleines Gedankenspiel: 1970 lag die Lebenserwartung bei durchschnittlich gut 70 Jahren. Heute liegt sie mit gut 80 Jahren mehr als 10 Jahre höher. Das bedeutet, dass die Menschen heute 10 Jahre länger leben als 1970. Für die meisten ist dies ein Gewinn an Lebensqualität. 1970 lag das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 65 Jahren. Wenn Menschen heute mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen, dann gewinnen sie gegenüber früheren Rentnern bei kürzeren Lebensarbeitszeiten 12 Jahre Rentnerdasein dazu. Insofern verdeutlicht die Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63 für langjährig Beschäftigte auch die soziale Komponente der Rentenpolitik dieser Bundesregierung.

Aber so respektabel es ist, wenn Menschen möglichst früh aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden wollen: Wir dürfen die Kehrseite nicht vergessen: steigende Rentenausgaben, sinkende Renteneinnahmen und vor allem ein sinkendes Arbeitskräftepotenzial. Der demografisch bedingte zunehmende Fachkräftemangel verschärft sich damit weiter. Insofern darf es nicht verwundern, wenn Unternehmen mittlerweile beginnen, gutes Personal zu horten.

Meine Damen und Herren, während Südosteuropas Jugend teilweise verzweifelt nach Ausbildungsplätzen sucht, suchen Ausbildungsbetriebe bei uns händeringend geeigneten Nachwuchs. Derzeit ringen Europas Arbeitsvermittlungen und Arbeitsverwaltungen um eine einheitliche Strategie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Unter Leitung von BA-Chef Weise treffen sich die Verantwortlichen Anfang Dezember in Rom, um Erfahrungen auszutauschen und europaweit zu gemeinsamen, praktikablen Lösungen zu kommen; denn die Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Anliegen von allen. Ich denke, Herr Weise wird uns am 3. Dezember 2014 im Haushaltsausschuss darüber berichten können.

Wir jedenfalls wollen weiterhin – auch über 2015 hinaus – jungen Menschen Perspektiven weisen und ihnen die Hand reichen für einen gelungenen Einstieg in ein erfülltes Arbeitsleben. Denn auf ihrer Persönlichkeit und ihrer Tatkraft fußt die Zukunft unserer Wirtschaft, unserer Sozialsysteme und unserer Gesellschaft in einem alternden Europa. Dabei bezieht sich „alternd“ nicht nur auf die Demografie, sondern beschreibt auch eine Geisteshaltung; denn wir müssen, wie Papst Franziskus am Dienstag vor dem Europarat in Straßburg sagte, in Europa jene geistige Jugend wiederfinden, die „es fruchtbar und bedeutend gemacht hat“.

Abschließend bleibt mir nur noch, allen recht herzlich für die gute Zusammenarbeit zu danken: für das Ministerium Frau Nahles, der Hauptberichterstatterin Ekin Deligöz, Frau Lötzsch und Herrn Schurer sowie dem Kollegen Schiewerling und der ganzen Arbeitsgruppe. Ich glaube, wir haben einen Etat vorgelegt, dem man ohne Probleme zustimmen kann.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächster Redner hat der Kollege Ewald Schurer das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4184267
Wahlperiode 18
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
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