27.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 70 / Tagesordnungspunkt I.14

Ewald SchurerSPD - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dort, wo der Kollege aufgehört hat, möchte ich gleich weitermachen. Die Frau Ministerin ist sicherlich bei mir, wenn ich mich persönlich und auch im Namen der Haushälterinnen und Haushälter bei Herrn Bald bedanke, einem exzellenten Fachmann im BMAS,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

der über Jahre hinweg führend dazu beigetragen hat, dieses Haus so gut aufzustellen.

Der Dank an die Kolleginnen und Kollegen ist gerade ausgesprochen worden. Diesen Dank möchte ich wiederholen. Er geht auch an die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der Unionsfraktion – die Politiker der SPD-Fraktion sind sowieso spitze; das weiß jeder –, die mit großer Fachkenntnis diesen Haushalt mit entwickelt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn der Kollege Markus Kurth eine der großen Katastrophen der modernen Schifffahrt bemühen muss, um hier die Auswirkungen der Rentenpolitik darzustellen, ist das schon ein trauriges Beispiel und macht die fachlichen Defizite der Grünenfraktion in diesem Bereich klar.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig! Billig ist das! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Die Anleihen kommen ja immer von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Diese Bausätze tragen Sie ja in jeder Debatte vor. Zu mehr reicht es bei Ihnen nicht.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sie kennen mich doch überhaupt nicht! Erzählen Sie nicht so einen Quatsch! Ausgerechnet mir das vorzuwerfen, ist billig!)

Ich muss Ihnen dazu sagen – auch wenn Sie sich hier bis aufs Äußerste echauffieren –: Was Sie beschrieben haben, hat mit dem, was wir hier machen, nichts zu tun. Wir machen berechenbare, ordnungspolitisch saubere Haushaltspolitik im Bereich Rente und Arbeit und stemmen einen Haushalt über 125,5 Milliarden Euro. Das ist ganz großes Kino im Bereich des Haushaltswesens des Bundes. Das ist der Anteil von 42 Prozent, die der Kollege vor mir bereits genannt hat. Das lässt sich mit solch einer Schiffskatastrophe nicht vergleichen. Wir machen hier berechenbare Politik für die Menschen in Rente und Arbeit.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie leeren die Rentenkassen! Das machen Sie!)

Ich muss auch noch etwas anderes sagen – Herr Kurth, hören Sie doch einmal zu; die Nachhilfe ist bei Ihnen gerade richtig –:

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie was Vernünftiges erzählen würden, würden wir zuhören!)

Die Finanzierung unseres Rentensystems hängt in der Zukunft – das ist Volkswirtschaft; das ist auch für Sie ganz wichtig –

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

vom Grad der Beschäftigung und vom Fortschritt der Produktivität unserer Volkswirtschaft ab.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn wir das weiterhin so gut hinbekommen wie Schwarz-Rot zurzeit, haben wir allen Grund, sagen zu können: In den nächsten 10, 20 Jahren halten wir unsere Sozialsysteme sauber und berechenbar. Dann müssen wir keinen billigen Vergleich ziehen; dann müssen wir keinen Vergleich ziehen mit einer humanitären Katastrophe, bei der Tausende von Menschen ihr Leben gelassen haben. Das war ein ganz schwacher Einstieg. Da können Sie noch so schreien; das macht es nicht besser.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unterirdisch, was Sie hier darbieten! Das ist doch peinlich! Das hätten Sie doch nicht nötig!)

– Jetzt hören Sie doch einmal zu.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal etwas Vernünftiges, statt mich die ganze Zeit zu beschimpfen!)

– Sie haben doch schon reden dürfen. Beim nächsten Mal dürfen Sie wieder reden.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Mist! Das reicht mir!)

– Herr Kurth, das war inhaltlich keine gute Leistung. Sie müssen nicht gleich total ausrasten, wenn Sie mit Fakten konfrontiert werden. – Das ist kein gutes Benehmen, Frau Präsidentin.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie da machen, ist kein gutes Benehmen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine lebendige Debatte. Das ist gut; deshalb habe ich bisher auch nicht eingegriffen. Das werde ich auch nicht, solange es eine sachliche Auseinandersetzung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Mindestlohn: Mich hat der letzte Bericht der sogenannten Sachverständigen ein bisschen verunsichert. Ich dachte, ich bin im falschen Film,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind am falschen Platz!)

weil die Sachverständigen plötzlich versucht haben, mit esoterischen Mitteln – glauben, fühlen, tasten – die Wirtschaftslage bei uns zu analysieren. Ich muss ehrlich sagen: Das fand ich gar nicht lustig, weil ich von den Wirtschaftsweisen eine seriöse ökonomische Analyse erwarte. Ich erwarte Herleitungen, die wichtig sind, damit wir eine gute Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik machen können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die schreiben immer bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ab!)

Das, was von den Sachverständigen kam, folgte mir zu sehr dem Prinzip Glauben. Ein Appendix lautete: Ja, es gibt Sozialreformen – Mindestlohn und Rentenpaket –, und die machen wir automatisch verantwortlich für die leichten Konjunktureinbrüche im zweiten und dritten Quartal. – So ein Quatsch.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Ich will Sachverständige, die ich ernst nehmen kann, die nach ökonomischen und handwerklich sauberen Prinzipien etwas herleiten, mit dem wir in der Politik gut arbeiten können. Daher war ich ein Stück weit enttäuscht. Hinter dieser Enttäuschung steckt die Vermutung, dass das nicht nur esoterische Versatzstücke waren, sondern dass dies die Denkweise der Wirtschaftsweisen widerspiegelt, die noch zu sehr im Denkmuster der letzten 20 Jahre – neoliberale Wirtschaftsphilosophie – verharrt. Es gibt aber neue Philosophien. Auch der IWF sagt heute: Wir müssen bei uns die Nachfrage und die Sozialsysteme stärken, aber alles auf ökonomisch vernünftige Weise, seriös finanziert. Ich glaube, hier besteht Nachholbedarf, den wir in dieser Parlamentsdebatte gegenüber diesem doch sehr elitären Kreis, der für die deutsche Volkswirtschaft und damit auch für die Politik bedeutend ist, anmahnen dürfen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mal gucken, ob von der CDU jetzt einer klatscht! – Keiner! Und von der SPD auch nicht!)

Ich will auf einen Bereich eingehen, den mein Kollege schon angesprochen hat. – Danke, Axel Fischer! – Für mich ist, bei den vielen Hundert Haushaltstiteln, die wir ansprechen könnten, ganz wichtig, dass wir dem Mindestlohn eine Mindestlohnkommission zur Seite stellen, dass wir eine Geschäftsstelle mit dazugehörigem Personal stellen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanzieren.

(Beifall der Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe- Land] [CDU/CSU] und Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Diesbezüglich gilt mein ganz großer Dank den Freunden von der Union. So sind wir in der Lage, in den nächsten ein, zwei Jahren zu evaluieren: Welche Wirkungen wird der Mindestlohn am Arbeitsmarkt entfalten? Wie wird er sich auf Steuern und Sozialsysteme auswirken? Und wie wird er sich auf die Tarifverhandlungen auswirken? Bei den Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen geht es um Sekundärwirkungen. Wird die Lohnuntergrenze künftig nicht mehr unter 8,50 Euro liegen, sondern ein Stück oder deutlich darüber? Deswegen sind für mich die Mindestlohnkommission und die Geschäftsstelle von sehr großer Bedeutung.

Herr Kollege Schurer, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer zu?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Schurer, Sie werden mir sicher zustimmen, dass die Wirksamkeit des Mindestlohns entscheidend von der Frage abhängt, ob die Einhaltung des Mindestlohns gut kontrolliert werden kann und gut kontrolliert wird. Seit heute wissen wir – die Gewerkschaften haben dazu eine große Pressekonferenz durchgeführt –, dass es eine neue Verordnung geben wird, der auch die Arbeitsministerin Nahles zugestimmt hat. Diese neue Verordnung wird dazu führen, so die Aussage der großen Gewerkschaften, dass die Schlupflöcher deutlich größer werden, weil die Kontrolle nicht in dem erforderlichen Umfang möglich sein wird. Können Sie mir einmal erklären, welchen Sinn diese Verordnung hat? Schließlich haben Sie gerade gesagt, dass der Mindestlohn und damit auch die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns eine große Bedeutung hat.

Es ist wahr, dass über diese Verordnung aktuell debattiert wird. Das ist einmal ein guter Beitrag vonseiten der grünen Freunde.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sage ich jetzt nichts mehr!)

Darüber, wie die Verordnung wirken wird, ist noch zu debattieren. Diese Diskussion wird mit den Gewerkschaften zu führen sein.

Tatsache ist, dass das Mindestlohngesetz schon im Koalitionsvertrag so angelegt ist, dass wir versuchen, die Umsetzung und die Kontrolle auch durch neue Stellen beim Zoll zu gewährleisten. Ich gebe Ihnen recht, dass das nicht von heute auf morgen bzw. innerhalb eines Jahres in vollem Umfang möglich ist. Wir müssen sukzessive eine Struktur schaffen, um die Umsetzung des Mindestlohns künftig zu gewährleisten; auch da gebe ich Ihnen recht.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Verordnung!)

Ich vermute, hier besteht zwischen uns Konsens. Auch das ist ja mal eine schöne Geschichte.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Frage überhaupt nichts zu tun gehabt!)

Frau Präsidentin, ich will zur Entlastung der Kommunen kommen. Ich denke, wenn wir über den Haushalt für Arbeit und Soziales diskutieren, müssen wir auch erwähnen – das ist wichtig –, dass es eine große, berechtigte Erwartungshaltung der Kommunen gibt, im Sozialbereich entlastet zu werden. Für das Bundesteilhabegesetz reichen wir ab 2018 die vollen 5 Milliarden Euro aus, bis dahin jeweils 1 Milliarde Euro jährlich; auch das ist schon ein kleines Stück Entlastung. Künftig findet eine 100-prozentige Übernahme der Kosten für die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter statt. Dadurch kommt es bis 2018 zu einer Entlastung – auch da sollten meine grünen Freunde zuhören – in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige Entlastung, die den Kommunen wirklich weiterhelfen wird.

Auch im Zuge der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes werden erste Beträge fließen. Meine Fraktion bzw. meine Partei hat unter anderem angeregt – wir werden darüber noch diskutieren –, weitere Entlastungen der Kommunen auf den Weg zu bringen. Das ist in finanzieller Hinsicht nicht leicht. Aber wir wissen, dass wir auf dem Gebiet von Migration, Flucht und Asyl noch mehr leisten müssen, auch vonseiten des Bundes. Das betrifft aber nicht nur den Bereich Arbeit und Soziales, sondern von dieser Querschnittsaufgabe werden verschiedene Ministerien betroffen sein.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie ja morgen gern unserem Entschließungsantrag zustimmen!)

Ich hoffe, dass wir uns innerhalb der Koalition einigen werden. Weitere Entlastungen der Kommunen werden sicherlich mit den im Hinblick auf den Städtebau geplanten Maßnahmen verbunden sein, Stichwort „Soziale Stadt“. Hinzu kommen 6 Milliarden Euro für Kinderkrippen, Kitas, Schulen, Hochschulen und BAföG-Leistungen. All das spielt bei der Entlastung der Kommunen eine Rolle – nicht alles unmittelbar, aber teilweise mittelbar.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir unsere Bemühungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosen durch entsprechende Modelle verstärken wollen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosen“ – schöner Versprecher!)

Zu diesem Thema wird mein Kollege Ralf Kapschack sprechen; er wird die sozialdemokratische Programmatik insgesamt darstellen. Ich wünsche mir, dass wir auch weiterhin sehr sachliche Dialoge führen, Herr Kurth, und über die echten Probleme im Bereich Arbeit und Soziales in diesem Land sprechen, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen.

Herzlichen Dank für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Sabine Zimmermann.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4184294
Wahlperiode 18
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
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