Karl SchiewerlingCDU/CSU - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen des Haushalts der Bundesarbeitsministerin finden in – europäisch und weltweit – wirtschaftlich spannenden Zeiten statt, übrigens mit einem hohen Potenzial an volkswirtschaftlichen Fehlprognosen. Eine dieser Fehlprognosen ist, dass sich auf dem Arbeitsmarkt schon seit langem eine negative Entwicklung hätte bemerkbar machen müssen. Fast hysterisch haben manche ständig auf die Arbeitslosenzahlen geschaut, um zu sehen, wann sie denn endlich steigen. Tatsächlich sinken sie. Tatsächlich haben wir einen Aufwuchs an Beschäftigung: 500 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Liebe Frau Zimmermann, wenn diese Beschäftigungsverhältnisse alle so katastrophal wären, wie Sie sie beschreiben, dann hätten wir nicht diesen Aufwuchs im Bereich der Sozialversicherung. Glauben Sie denn, Minijobs machen Mehreinnahmen von 33 Milliarden Euro in der Sozialversicherung aus?
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ihre regelmäßig wiederkehrende Darstellung der angeblich katastrophalen Situation in Deutschland ist durch nichts, aber auch gar nichts gedeckt. Auch uns machen die Langzeitarbeitslosen – dazu sage ich gleich etwas – große Sorgen; überhaupt keine Frage. Aber hier ständig den Eindruck zu erwecken, als herrschte in Deutschland das nackte Elend, widerspricht völlig dem Gefühl der Menschen und widerspricht auch völlig der Realität.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat doch keiner gesagt!)
Herr Schiewerling, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Zimmermann zu?
Ja, einmal.
Vielen Dank, lieber Kollege Schiewerling. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Zahlen, die ich gebracht habe, keine Zahlen der Linken oder von mir sind, sondern Zahlen des Statistischen Bundesamtes? Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass ich nicht gesagt habe, dass die Lage katastrophal ist, sondern dass ich nur beschrieben habe, wie viele Millionen Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten, wie viele Millionen Menschen auf Grundsicherung angewiesen sind und wie viele Millionen Menschen bei uns in Deutschland in Armut leben?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Erstens. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Zahlen vom Statistischen Bundesamt sind. Zweitens. Ich nehme allerdings auch zur Kenntnis, dass Sie diese Zahlen des Statistischen Bundesamtes permanent so drehen und wenden, dass der Eindruck einer flächendeckenden Katastrophe entsteht. Daran können Sie nichts ändern, auch nicht durch die Art, wie Sie gerade Ihre Frage gestellt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie machen auch nur Schönfärberei! Da muss man was entgegensetzen!)
Meine Damen und Herren, die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind positiv. Vor zehn Jahren war Deutschland der kranke Mann in Europa; die Frau Bundesarbeitsministerin hat in ihrer Rede vorhin darauf hingewiesen. Heute sind wir die Lokomotive. Daran haben viele ihren Anteil, auch die Agenda 2010. Ohne die Flexibilisierung hätten wir das nicht geschafft. Diese Agenda wurde unter Gerhard Schröder auf den Weg gebracht, und ohne die umsichtige Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel würden wir nicht da stehen, wo wir heute stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie von den Linken können es drehen und wenden, wie Sie wollen, und das SGB II so oft angreifen, wie Sie wollen.
(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Zu Recht!)
Ich sage Ihnen: Das SGB II ist geschaffen worden, um vor absoluter Armut zu bewahren. Das SGB II ist geschaffen worden, um eine Grundsicherung zu schaffen, damit die Menschen nicht ins Bodenlose fallen. Das SGB II hat auch dazu geführt, dass wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik neue Wege gehen konnten, die vorher nicht möglich waren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich glaube, dass Ihre Analyse falsch ist. Allerdings – das ist richtig – haben wir schon in der letzten, christlich-liberalen, Koalition und in nahtloser Fortsetzung in der jetzigen Koalition dem Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt, wo einige glaubten, sie könnten durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes mit allem und jedem in Wildwestmanier umgehen und Arbeitsverhältnisse nach Belieben gestalten, einen Riegel vorgeschoben. Deswegen haben wir so viele Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen. Das fing in der christlich-liberalen Koalition an. Es sei übrigens in Demut erwähnt: Alle Branchen bis auf eine einzige Ausnahme wurden unter CDU-Kanzlern in das Entsendegesetz aufgenommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir wollen keine Dumpinglöhne, und wir wollen diese Verwerfungen am Arbeitsmarkt nicht.
(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das sind aber immer noch Realitäten!)
Dazu gehört auch, dass wir Mitte dieses Jahres das Tarifvertragsgesetz geändert haben und dass wir das Mindestlohngesetz gemacht haben. Das war ein wichtiger und richtiger Schritt, den wir hier gegangen sind. Wir haben einmalig einen Mindestlohn von 8,50 Euro gesetzlich beschlossen. Danach wird die Mindestlohnkommission über die Höhe des Mindestlohns entscheiden. Sie hat den Auftrag, die Gesamtentwicklung zu beobachten und zu bewerten und entsprechende Vorschläge für die Zukunft zu machen. Deswegen bin ich den Haushältern und dem Haushaltausschuss dankbar, dass sie dazu beigetragen haben, dass die Mindestlohnkommission kein Gremium von Frühstücksdirektoren wird, sondern so ausgestattet ist, dass sie tatsächlich ihren Auftrag erfüllen kann. Denn die zukünftige Entwicklung des Mindestlohns gehört dahin, wo wir sie vorgesehen haben, nämlich in die Hand der Tarifpartner.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ein Thema, das hier des Öfteren angesprochen wurde, ist die Kontrolle der Schwarzarbeit. Es ist zwar richtig, dass es 600 nichtbesetzte Stellen gibt. Das liegt aber nicht daran, dass diese Stellen nicht besetzt werden sollen, sondern daran, dass zukünftige Zollbeamte nicht wie Birnen am Baum wachsen. Sie müssen zunächst einmal ausgebildet und qualifiziert werden. Sie müssen am Arbeitsmarkt gewonnen und dann auch eingestellt werden. Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass wir sie einstellen können.
Das zeigt, dass diese Bundesregierung keineswegs Mindestlöhne unterlaufen will, wie es heute dargestellt wurde. Sie will sie auch vernünftig kontrollieren. Allerdings können wir nicht für jeden Betrieb zwei Mitarbeiter vom Zoll abstellen, um zu gewährleisten, dass niemand eine falsche Zahl in den Ordner schreibt. Dann hätten wir uns manches andere in der Geschichte Deutschlands sparen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen guten Entwicklungen machen aber auch wir uns große Sorgen um die Situation der Langzeitarbeitslosen. Insofern treffen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD, mit denen wir gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin an dieser Aufgabe arbeiten. Ich verstehe auch die Sorgen, die die Fraktionen der Grünen und der Linken vorbringen. Auch uns ist es nicht egal, wie es mit der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit weitergeht. Auch uns treibt um, dass Menschen es so schwer haben, den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden.
Deswegen ist es gut, dass wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, mit denen wir helfen können, immer wieder neu überprüfen und überarbeiten. Dazu gehört auch, dass wir Brücken bauen und einen Hilfeweg einschlagen müssen, der für einen längeren Zeitraum als auf ein halbes Jahr Hilfe angelegt ist. Die Förderung muss über viele Jahre gehen, um Menschen, die sich besonders schwertun, treppenartig, sukzessive an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, den Frau Bundesarbeitsministerin vorhin mit Blick auf die Behinderten angesprochen hat. Ich möchte das auch auf die Langzeitarbeitslosen beziehen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir in den Jobcentern, in den Unternehmen und in unserer Gesellschaft den Blick nicht länger darauf richten, was Menschen alles nicht können, sondern darauf, was sie alles können. Wir müssen bei ihren Stärken und Begabungen ansetzen, um sie weiterzuentwickeln. Denn ich glaube, dass manches, was sich als Defizit darstellt, abgearbeitet, beseitigt und zu etwas Positivem entwickelt werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Was uns und mich besonders umtreibt, ist die Lebenssituation der Langzeitarbeitslosen, aber vor allen Dingen auch der jungen Menschen, die aus Haushalten kommen, deren Eltern und Großeltern schon lange von Sozialhilfe leben. Wir machen die Erfahrung, dass diese jungen Menschen von niemandem erreicht werden. Sie werden nicht von den Jobcentern erreicht. Sie tauchen in der Schule ab. Sie sind nicht durch sozialstaatliche Institutionen zu erreichen. Sie sind aber da, und sie werden, wenn wir ihnen nicht konsequent helfen, denselben Weg nehmen wie ihre Eltern.
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wir müssen dagegen angehen. Sie leben in Lebenszusammenhängen, in denen sie das, was sie erleben, für die ganze Wirklichkeit halten.
Aber, meine Damen und Herren, diese jungen Menschen haben genauso Begabungen und Fähigkeiten wie die Kinder aus anderen Haushalten. Sie haben genau wie diese Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen. Denn wir können auf keinen verzichten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wir brauchen sie.
Es gibt genügend Initiativen, die mit großem Erfolg daran arbeiten. Ich kenne eine Initiative, die es geschafft hat, junge Menschen, auf die keiner einen Pfifferling gegeben hätte, nach zwanzig Jahren konsequenter Arbeit zur Fachhochschulreife zu bringen. Wissen Sie, diesen Blickwinkel zu schärfen und hier die Angebote zu entwickeln, das halten wir für einen wichtigen Teil. Deswegen bin ich den Haushältern, insbesondere unseren beiden Berichterstattern Axel Fischer und Ewald Schurer, mit tatkräftiger Unterstützung vieler in manchen Einrichtungen unserer Bundesregierung, dankbar, dass es gelungen ist, in diesem Bundeshaushalt die Möglichkeit für Modellprojekte für diese jungen Menschen zu eröffnen. Ich hoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr damit anfangen können. Das ist der Weg, den wir dringend benötigen, um gerade dort, wo niemand mehr herankommt und wo niemand mehr erreicht wird, diesen jungen Menschen zu helfen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Im Mittelpunkt steht dabei, meine Damen und Herren, das, was uns als Union in der Arbeitsmarktpolitik umtreibt: Es darf keiner verloren gehen. – Das ist nicht nur eine Frage des Geldes,
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch!)
das ist auch eine Frage des Klimas, das wir miteinander schaffen. Ich kann nur sagen: Ich glaube, dass wir da miteinander auf einem Weg sind oder uns auf diesen begeben, der deswegen erfolgreich sein kann – und ich hoffe, auch erfolgreich ist –, weil wir zwei Rahmenbedingungen haben, die uns diesen Weg erleichtern: auf der einen Seite eine gute Wirtschafts- und Beschäftigungslage, auf der anderen Seite die Nachfrage nach Fachkräften. Ich kann die deutsche Wirtschaft und alle anderen nur auffordern, den Blick bitte mit uns gemeinsam auf dieses Potenzial von jungen Menschen, auf das Potenzial derjenigen zu richten, die keine Berufsausbildung haben, obwohl sie 25 Jahre und älter sind, und mit uns gemeinsam diesen jungen Menschen eine neue berufliche Perspektive zu öffnen. Wir kommen in dieser Frage nicht weiter mit Ideologie, sondern nur, indem wir jeden Einzelnen in den Blick nehmen und jedem Einzelnen eine Chance geben. Ich sage Ihnen: Das ist ein wichtiges Anliegen der Union, und dafür werden wir uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit der Bundesarbeitsministerin einsetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten Satz sagen, zum Bereich der Rentenpolitik. – Herr Kollege Kurth, das reizt mich doch;
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Sie nicht auch noch!)
das ist Ihnen in herausragender Weise gelungen. – Nein, diese Rentenpolitik ist nicht verantwortungslos, sondern wir würdigen durch einen weiteren Rentenpunkt die Erziehungsleistung von Menschen – Frauen in erster Linie –, die dafür gesorgt haben, alles darangesetzt haben, dass die Kinder geboren und erzogen wurden, die heute dafür sorgen, dass es diese Wirtschaft überhaupt so gibt, wie es sie gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dieser Rentenpunkt, meine Damen und Herren, ist nicht allein beitragsfinanziert, dieser Punkt ist auch steuerfinanziert; da sind erhebliche Steuern eingeflossen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minimal!)
Wir haben nämlich in diesem Zusammenhang beschlossen, dass wir ab 2017/2018 eigens dafür 2 Milliarden Euro zusätzlich in die Rentenkasse fließen lassen werden, weil das notwendig ist, um damit eine Gesamtfinanzierung auf Dauer gesehen verantwortungsvoll sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, mit uns wird es keine verantwortungslose Rentenpolitik geben. Wir haben den Blick auf die junge Generation gerichtet. Wir werden auch weiter daran arbeiten, dass die Übergänge in die Rente gut gestaltet werden. Wir werden mithelfen, dass Menschen so lang wie möglich erwerbstätig sein können, weil wir auf keinen verzichten können bei der Aufgabe, dieses Land gemeinsam zukunftsfähig zu machen. Dafür steht dieser Haushalt, dafür steht diese Regierung, und dafür werden wir uns einsetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2018 sprechen wir uns wieder!)
Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort Ekin Deligöz.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4184499 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 70 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11 |