Julia VerlindenDIE GRÜNEN - Stromsperren
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Niemand sollte im Dunkeln sitzen, und es soll auch niemand frieren. Das gilt nicht nur in der Weihnachtszeit. Es ist aber Fakt, Herr Koeppen, dass immer mehr Menschen in Deutschland der Strom abgedreht wird. Für ein so reiches Land wie Deutschland ist das ein echtes Armutszeugnis. Sie, liebe Bundesregierung, haben in den letzten Jahren nichts dagegen getan; denn die Zahlen steigen weiter.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es geht hier nicht nur darum, Herr Koppen, dass Sie die EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt nicht richtig umsetzen. Es geht hier um ein handfestes soziales Problem, was Sie versucht haben wegzudiskutieren.
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das sind alles soziale Fakten!)
Menschen ohne Strom haben kein Licht. Sie können nicht mehr kochen, weil der Elektroherd kalt bleibt.
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Sie können kochen, wenn sie sich melden!)
Die Kommunikation funktioniert nicht, wenn der Handyakku leer ist. Das schränkt die soziale Teilhabe in einem unzumutbaren Maße ein, und – mehr noch – das ist entwürdigend und riskant.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Denn die Brandgefahr steigt, wenn in der Not auf Kerzen oder Campingkocher ausgewichen wird. Viele Heizungen laufen auch nicht ohne Strom. Also wird es kalt. Und das ist nicht nur unangenehm, es macht die Menschen auch krank.
Wir müssen dafür sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger ausreichend versorgt sind, und zwar mit Strom und Wärme, gerade jetzt im Winter. Wir sagen daher: Stromsperren für Privathaushalte müssen gesetzlich eingeschränkt werden. Die Versorger müssen verpflichtet werden, eine Ratenzahlungsvereinbarung anzubieten, statt Strom oder Gas einfach zu sperren.
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Gibt es doch jetzt schon! Gibt es alles!)
– Wenn Sie glauben, dass die Rahmenbedingungen schon existieren, können Sie die Sperren auch einschränken. Dann gibt es ja erst recht keinen Grund, Stromsperren zuzulassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dass Sie von der Großen Koalition die EU-Richtlinie nicht umsetzen, die verlangt, eine Grundversorgung mit Strom für schutzbedürftige Kundinnen und Kunden zu gewährleisten, ist das eine Problem. Das andere Problem – das wurde noch gar nicht ausreichend thematisiert – ist, dass Sie die Ursachen nicht anpacken. Faire Strompreise kann es nur geben, wenn die Energiewende gerecht finanziert wird.
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wenn Sie die Kohle abschaffen, wird es noch teurer!)
An dem Erfolg der Energiewende sollen alle teilhaben. Das heißt, dass die großen Versorger die Preissenkungen, die ihnen die erneuerbaren Energien heute schon bescheren, an die Kundinnen und Kunden weitergeben müssen. Das tun sie aber oft nicht. Dazu haben wir Zahlen vorliegen. Gerade in den sogenannten Grundversorgungstarifen, also den Versorgungstarifen, in die man automatisch rutscht, wenn man vor Ort mit Strom versorgt wird, werden die Kundinnen und Kunden zu oft abgezockt, weil die Preise viel zu hoch sind. Es gibt für viele Menschen keine Möglichkeit, einen Tarif- oder Anbieterwechsel vorzunehmen, weil derjenige, der keine gute Kreditwürdigkeit hat, nicht so schnell an einen günstigeren Vertrag kommt. Also kommen wieder hohe Rechnungen, Mahnungen und dann die Stromsperre. Das ist ein Teufelskreis. Diesem Teufelskreis müssen wir etwas entgegensetzen.
(Zuruf des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU])
– Herr Koeppen, wenn Sie eine Frage haben, dann können Sie sie mir gerne stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das war eine Anmerkung!)
Sie, liebe Bundesregierung, haben uns Grünen auf eine Kleine Anfrage zu dem Thema geantwortet, dass Sie die Entwicklung zu den Grundversorgungstarifen erst einmal beobachten und – ich zitiere – „zu gegebener Zeit ihre Schlussfolgerungen ziehen“ wollen. So viel soziale Kälte hätte ich gerade von einer Bundesregierung mit SPD-Beteiligung nicht erwartet, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])
Faire Preise heißt auch, dass Bürgerinnen und Bürger nicht für die Altlasten der Energiekonzerne verantwortlich sein dürfen, die jahrelang Gewinne aus klimaschädlichen Kohle- und Atommeilern eingestrichen haben, ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Wir dürfen also nicht zulassen, dass die Folgekosten dieser fossil-atomaren Geschäftsmodelle am Ende den Bürgerinnen und Bürgern aufgebürdet werden.
Was wir für die Menschen brauchen, sind ernsthafte Vorschläge und Unterstützungsangebote, damit Wärme und Strom auch für ärmere Menschen erschwinglich bleiben. Dabei geht es nicht darum, Strom und Wärme möglichst billig zu machen. Für uns Grüne ist klar: Jede eingesparte Kilowattstunde ist billiger und besser als eine verbrauchte Kilowattstunde. Gerade Menschen mit geringem Einkommen sind oft schon längst die Sparweltmeister unserer Nation, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Trotzdem reicht es oft nicht für die Stromrechnung oder die Heizkostennachzahlung. Deswegen müssen wir die Einnahmeseite dieser Menschen verbessern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sorgen Sie dafür, dass steigende Energiepreise im Existenzminimum berücksichtigt werden! Sorgen Sie dafür, dass endlich die Regelsätze beim ALG II, beim BAföG und beim Wohngeld erhöht werden!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Die Heizkosten sind für Privathaushalte ein wesentlich größerer Kostenpunkt als der Strom; das sollten wir nicht vergessen. Menschen mit geringen Einkommen können als Mieterinnen und Mieter wenig daran ändern, wenn ihr Haus schlecht gedämmt ist oder die Heizungsanlage vollkommen veraltet ist. Auch hier erleben wir kaum Engagement von Ihrer Seite, liebe Bundesregierung. Die Sanierung einkommensschwacher Stadtquartiere geht viel zu langsam voran, weil Sie einfach nicht bereit sind, dafür genügend Geld in die Hand zu nehmen.
(Marcus Held [SPD]: Dann wird es ja noch viel teurer für die Leute!)
– Ich verstehe Sie nicht. Sie müssen sich schon melden und ans Mikro treten.
(Lena Strothmann [CDU/CSU]: Sie schreien doch auch immer dazwischen! Gerade Sie!)
– Möchten Sie eine Frage stellen?
(Lena Strothmann [CDU/CSU]: Nein!)
– Okay. Dann lassen Sie mich doch einfach weiterreden.
Ihre Redezeit ist eh schon zu Ende. Deshalb wäre eine Frage gar nicht mehr möglich gewesen. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Das werde ich gerne tun. – Geben Sie sich doch jetzt, in der Adventszeit, endlich einen Ruck! Strom und Wärme gehören in unserer Gesellschaft untrennbar zu einem menschenwürdigen Leben. Wenn Sie schon nicht in der Lage sind, die Ursachen zu bekämpfen, also die Einkommenssituation dieser Menschen zu verbessern, dann sorgen Sie doch wenigstens dafür, dass niemandem mehr einfach so Strom und Gas abgeklemmt werden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Marcus Held.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4226978 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 74 |
Tagesordnungspunkt | Stromsperren |