Volker BeckDIE GRÜNEN - Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten
Herr Präsident! Sehr geehrter Gesandter! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Wort des Dankes an die Bundesregierung beginnen, dass dieses Sozialversicherungsabkommen auf dem Tisch liegt. Es ist alles verdammt spät. 13 Jahre nachdem wir das Ghettorentengesetz unter Rot-Grün verabschiedet haben, wird dem gesetzgeberischen Willen von damals nun endlich Rechnung getragen. Das ist aber auch ein Grund, zu trauern, nicht nur um die Opfer von damals, sondern auch um die vielen Opfer, die in der Zwischenzeit verstorben sind und die von den Leistungen, die dieses Abkommen heute ermöglicht, nichts mehr haben, weil sie diesen Tag nicht erlebt haben.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf das Entschädigungsrecht der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Wenn wir auf das Abkommen mit Israel unter Adenauer zurückblicken, wenn wir an das Bundesentschädigungsgesetz denken, das damals gegen Widerstände in der Koalition nur mit Unterstützung der SPD-Fraktion eine Mehrheit im Deutschen Bundestag fand, wenn wir uns an die Diskussionen der 80er-Jahre über die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus erinnern, deren Anliegen man in Regelungen zum Allgemeinen Kriegsfolgengesetz mühsam in Härtefonds aufgenommen hat, dann stellen wir fest: Die ganze Entschädigungsgesetzgebung ist im Hinblick auf unsere Haltung gegenüber den vielen Millionen Opfern des Nationalsozialismus kein Ruhmesblatt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich bin zufrieden, dass wir heute einen Schritt nachholen. Trotzdem ist das Ganze nicht ohne Bitternis.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb sichere ich Ihnen zu: Unsere Fraktion wird alles tun, damit das hier schnell über die Bühne geht. Auf Fristeinreden und Anhörungsrechte verzichten wir gerne. Wir wollen, dass die Leistungen nun so schnell wie möglich bei den Opfern in Polen ankommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Wir haben diese Woche, am 70. Jahrestag, der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht. Ich war mit dem Bundespräsidenten selbst in Auschwitz bei der Gedenkfeier. Wir werden dieses Jahr auch noch des 70. Jahrestages der Befreiung des europäischen Kontinents vom nationalsozialistischen Terror gedenken. Ich will Ihnen sagen, auch da gibt es noch offene Fragen – das beschämt mich –, derer wir uns dringend annehmen sollten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bis zum heutigen Tag sind die sowjetischen Kriegsgefangenen nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Bis zum heutigen Tag haben sowjetische Kriegsgefangene, die den Terror der Russenlager überlebt haben, keinen Cent von Deutschland gesehen. Ich finde, es wäre gerade in diesen Tagen – mit dem Konflikt, den es mit Putin gibt – ein Zeichen der Völkerverständigung und der Annahme der historischen Verantwortung, wenn wir den Völkern der ehemaligen Sowjetunion – den Russen, den Weißrussen und den Ukrainern, den Kasachen und allen anderen Völkern – sagen: „Die, die in Deutschland gelitten haben, waren Opfer des Nationalsozialismus, sie sollten vernichtet werden; wir erkennen das als Verbrechen an“, und diesen Menschen, die es überlebt haben, mit einer humanitären Geste und der Bitte um Verzeihung und Vergebung die Hand geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Für die sowjetischen Kriegsgefangenen galt das gesamte Kriegsvölkerrecht der Genfer Konvention nicht – durch Sonderbefehle war außer Kraft gesetzt, was für westalliierte Gefangene galt –, sie sind zu Millionen – 2 bis 3 Millionen Opfer gab es, wird geschätzt – in Deutschland verhungert, an Krankheiten gestorben, elendig zugrunde gegangen, weil die nationalsozialistische Vernichtungspolitik es darauf abgesehen hatte. Lassen Sie uns in diesem 70. Jahr der Befreiung diese Frage im Deutschen Bundestag gemeinsam zwischen allen Fraktionen klären!
Noch einen Satz zu einer anderen Frage der historischen Verantwortung, die auch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenhängt: Nach Deutschland kamen viele Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten. Es kamen viele Deutsche aus den Staaten Osteuropas, weil sie als Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil für die Verbrechen des Hitlerfaschismus verantwortlich gemacht wurden und deshalb fliehen mussten. 1990 haben wir aus ähnlichen historischen Gründen – wegen des Antisemitismus in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion – uns entschieden, jüdische Kontingentflüchtlinge hier in Deutschland aufzunehmen – ein Grund, warum wir wieder ein blühendes jüdisches Leben in Deutschland haben.
Aber anders als bei den deutschen Aussiedlern, die zu uns kommen, werden die Rentenansprüche, die diese Menschen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion erworben haben, in unserem Rentensystem nicht berücksichtigt. Aussiedler bekommen diese Zeiten nach dem Fremdrentengesetz anerkannt. Lassen Sie uns endlich die jüdischen Kontingentflüchtlinge wie die Aussiedler in das Fremdrentengesetz aufnehmen! Das kostet am Ende nicht viel Geld; aber es macht einen Unterschied gerade für diese Menschen mit ihren schweren Schicksalen, ob sie Grundsicherung im Alter beziehen müssen oder eine Rente bekommen, die würdigt, was sie in ihrem Leben geleistet haben, und ihnen aus eigenem Recht zugesprochen wird.
Frau Staatssekretärin, es wäre schön, wenn Sie das in Ihrem Haus erwägen könnten, sodass wir diese Frage bald lösen; denn das sind hochbetagte Menschen, die schwer gearbeitet haben, oftmals Verfolgungen ausgesetzt waren und mit ihren Familien vor dem Hitlerfaschismus geflohen sind. Denen ging es auch in der Sowjetunion und im späteren Russland oder der Ukraine nicht immer gut: weil sie Juden waren. Wir haben sie deshalb aufgenommen. Lassen Sie sie uns im Rentenrecht endlich deutschen Aussiedlern gleichstellen! Sie sind Deutsche oder gehören zum deutschen Volk, sie gehören zu uns, sie sollen gleichberechtigt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4512358 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten |